40. 𝐸𝑖𝑛 𝑙𝑒𝑡𝑧𝑡𝑒𝑟 𝐷𝑒𝑎𝑙, 𝐼𝑛𝑠𝑝𝑒𝑘𝑡𝑜𝑟
„Wie geht's dir?", fragte Wilkinson ganz beiläufig. Er lehnte sich an die Wand direkt gegenüber vom Bett und schlug die Arme übereinander. Seine wachsamen Augen musterten Alec, so dass ihm fast schlecht wurde.
Was sollte überhaupt diese Frage? Wilkinson wusste genau wie es ihm ging. Es war eine typische Frage aus Höflichkeit. Nur dass Wilkinson nicht höflich war.
„Hör zu, Junge, es sieht absolut nicht gut aus für dich. Du hast dich von diesen Typen verarschen lassen. Allerdings kenne ich dich besser, als die Loser dort draußen. Du bist nicht der Typ, der einfach in die Falle tappt. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich annehmen du wolltest verhaftet werden."
Warum musste dieser Kotzbrocken immer den Schlaumeier spielen? Alec zögerte einen Moment. Doch eigentlich hatte er genug von dem Katz-und-Mausspiel.
„Sie haben recht", gab er also offen zu.
„Also wolltest du mit mir reden", schlussfolgerte Wilkinson.
„Ich will einen Deal, Inspektor."
Erst rutschte dem Mann ein knappes Lachen heraus. Dann wurde er sehr schnell ernst und forschte in Alecs müden Augen nach der Wahrheit.
„Du bist wohl nicht in der Position dafür."
„Hören Sie mir einfach zu", bat Alec angestrengt und sprach nach einer Pause langsam weiter:
„Sie wollen die HKS Group genauso zu Fall bringen wie ich. Nur sind Ihnen wegen der Gesetze die Hände gebunden. Ich agiere außerhalb des Gesetzes und es ist mir scheiß egal, wie lange ich ins Gefängnis gehe."
Wilkinson zuckte skeptisch mit einer Augenbraue.
„Selbst wenn Sie mich jetzt einsperren, Inspektor, so werde ich nach dem Absitzen meiner Haftstrafe so weiter machen. Ich habe aber keine Lust mehr darauf. Damit ist weder Ihnen noch mir geholfen."
„Vielleicht schaffe ich es ja in der Zeit Higa ins Gefängnis zu stecken", argumentierte Wilkinson mit einem schwachen Grinsen.
Alec schüttelte aber den Kopf.
„Solange er Geld hat, kriegt ihn niemand von seinem Thron. Zumindest nicht auf legale Weise. Sie brauchen mich, um ihm seine Macht wegzunehmen."
„Du willst mir also helfen Higa zu stürzen und im Gegenzug willst du auf deine Haftstrafe verzichten, richtig?"
Wieder schüttelte Alec den Kopf.
„Ich will nur, dass Sie mich gehen lassen und mich diese Sache zu Ende bringen lassen. Schließen Sie einfach für eine Weile die Augen, Inspektor."
Alec wusste, was er da verlangte. Die Chance den Inspektor auf seine Seite zu schlagen, war äußerst gering.
„Warum tust du dir das an, Junge? Hör einfach auf damit. Du könntest endlich ein normales Leben führen. Draußen im Flur steht ein besorgtes Mädchen, dass dich anscheinend sehr gern hat."
„Das kann ich nicht, solange wir die HKS Group im Nacken haben. Diese Leute werden uns nie in Frieden lassen. Sie wollen etwas von Naomi. Also wird sie immer in Gefahr sein.
Ich muss das jetzt zu Ende bringen. Wenn ich es erst in fünf oder sechs Jahren mache, kann dieser Mistkerl Higa noch viel mehr Unheil anrichten. Überlegen Sie mal, wie viele Leben er in der Zeit zerstören kann."
Alec wurde wütend. Er hörte es an seiner eigenen Stimme und zwang sich dazu ruhig zu bleiben. Außerdem schmerzte sein Kopf, als würde jemand mit einem Vorschlaghammer darauf herum kloppen.
„Also willst du den Helden spielen und die Stadt von diesem Unmenschen befreien?"
„Da wo Monster sind, wird es auch Helden geben, Inspektor."
„Und was wird deine kleine Freundin dazu sagen?"
Das war allerdings eine gute Frage. Würde Naomi das noch länger mitmachen? Sie brachte sich schon sehr lange für ihn in Gefahr. Vielleicht sollte er sie und die Menschen, die ihr nahe standen, nicht länger in die Sache mit hinein ziehen.
„Ich werde für meine Verbrechen einstehen, Wilkinson. Nur bitte ich Sie mir etwas mehr Zeit zu geben. Nur ein paar Monate. Vielleicht sogar nur Wochen. Ich werde die HKS Group vernichten und anschließend können Sie mich ins Gefängnis stecken. Ich werde mich stellen, das verspreche ich Ihnen."
Wilkinson war sichtlich verblüfft über Alecs letzte Aussage. Er würde ihm wahrscheinlich nicht trauen. Alec hätte sich selbst an seiner Stelle auch nicht getraut.
„Und dafür hast du dich einfangen lassen? Nur um mir das alles zu sagen?"
Enttäuschung breitete sich in Alec aus. Er wollte nicht sechs Jahre im Gefängnis verschwenden, ehe er mit Higa abrechnen konnte.
Wilkinson entfernte sich von der Wand und ging nervös ein paar Schritte im Zimmer auf und ab. Er schien ernsthaft darüber nachzudenken, was Alec wieder ein wenig Hoffnung gab.
Er rieb sich mit Daumen und Zeigefinger nachdenklich über die Stirn und dachte lange über eine Antwort nach.
„Kommen Sie schon, Inspektor, was haben Sie zu verlieren? Wenn es Ihnen um die Ehre und die Anerkennung geht, die bekommen Sie hinterher noch. Ansonsten ist das für Sie nur ein Gewinn."
„Und was soll ich machen? Dir die Handschellen abnehmen und dich einfach laufen lassen?"
„Sie müssen mir nicht die Handschellen abnehmen. Ich weiß, dass sie das gesamte Stockwerk abgesichert haben. Vernachlässigen Sie einfach ein wenig die Sicherheit. Das ist alles, worum ich Sie bitte."
„Also soll mir erst der Arsch für meine Fahrlässigkeit aufgerissen werden, um ihn anschließend mit einem Orden zu versehen?", fragte er skeptisch nach.
Alec verkniff sich den dringenden Seufzer. Was konnte er noch sagen, um den Inspektor zu überzeugen? Ohne ihn würde er hier nicht raus kommen und die HKS Group würde immer so weiter machen.
„Ich werde eh versuchen zu fliehen. Nur könnte ich Ihnen eine Menge Ärger ersparen, wenn Sie mich ein wenig unterstützen. Oder garantieren Sie mir die Singers in Schutzhaft zu nehmen."
„Das bedarf einen ganzen Haufen Papierkram, mein Junge."
„Dann fangen Sie mal an zu tippen."
Wilkinson lachte höhnisch und stemmte die Arme in die Seiten.
„Du bist ganz schön vorlaut. Vergiss nicht wer dir im Knast das Leben erleichtern oder auch erschweren kann."
„Ich bitte Sie mir zu helfen. Seien Sie einmal ein Mensch. Zeigen Sie mir, dass es sich lohnt für die Menschen zu kämpfen und ihnen zu vertrauen."
Nun war es an Wilkinson zu stöhnen und die Arme sinken zu lassen. Er schwieg einen Moment und Alec wartete geduldig ab.
„Hör mal zu, Alec, ich bin doch gar nicht dein Feind. Ich wollte dich bloß aus Ehrgeiz fangen. Doch ich glaube mittlerweile auch, dass du der Einzige bist, der es mit der HKS Group aufnehmen kann. Ich habe gehört, was alles auf diesem Studentenball geschehen ist. Dieser Higa hat den Verstand verloren."
„Dann helfen Sie mir ihn vom Thron zu schupsen."
„Du weißt, mir sind die Hände gebunden, Alec. Ganz gleich, wie sehr ich an dich glaube, ich kann dich nicht einfach laufen lassen."
Alecs Enttäuschung war groß. Sein Körper entspannte sich und er drehte den Kopf zur Seite. Es war ja fast zu erwarten. Wieso hatte er es überhaupt versucht.
„Tut mir leid, Junge."
„Sie werden ihr sonstwas antun", murmelte Alec halb ins Kissen.
Wilkinson wollte schon das Zimmer verlassen, doch bei diesen Worten horchte er auf.
„Naomi und ihrem Vater", fuhr Alec fort, „...sie werden sie nicht in Ruhe lassen. Ich kann sie im Gefängnis nicht beschützen."
Verbittert ballte er die Hände neben seinem Körper zu Fäusten und widerstand dem Drang den Inspektor anzusehen.
„Ich werde dir nichts versprechen, aber ich kann es zumindest versuchen sie in Schutzhaft zu nehmen."
Diese Antwort stellte Alec zwar nicht zufrieden, beruhigte ihn aber fürs Erste. Er schloss kurz die Augen, weil er unglaubliche Kopfschmerzen hatte und hörte Wilkinson das Zimmer verlassen. Mehr musste nicht gesagt werden.
Er hoffte noch Naomi und Maurice wieder zu sehen, doch niemand, außer der Krankenschwester, betrat nach Wilkinson den Raum. So sehr er es auch bedauerte, er war froh ein wenig Ruhe zu finden. Im Moment konnte er nichts gegen seine metallischen Fesseln unternehmen. Er musste sich erholen. Er musste Wilkinson vertrauen - zumindest eine Weile.
Er schloss die Augen und schlief sehr bald einen traumlosen Schlaf. Den Alptraum von zuvor bekam er nicht wieder.
~
Charlies blasses Gesicht wirkte völlig aufgelöst. Er sah so aus, als wäre er auf dem Ball gewesen und nicht Naomi. Sie ließ ihn eine Weile schimpfen und erleichtert seine Arme um sie schlingen. Dabei drückte er sie so fest, dass sie kaum noch Luft bekam.
Naomi schaute ihm über die Schulter zu Diana und Hannes, die sie aufmunternd anlächelten.
Dann ließ Charlie sie endlich wieder los und legte seine Hände an ihre Oberarme.
„Warum bist du noch hier? Wir sollten hier verschwinden."
„Ich kann nicht", erklärte seine Tochter schnell.
„Wieso?"
Charlie schien durchaus verwirrt. Naomi seufzte leise und nahm sich zusammen. Es war wohl der richtige Augenblick, um Charlie alles zu sagen.
„Alec liegt auf der Intensivstation."
Erst kam keine Reaktion, dann weiteten sich langsam die Augen ihres verdutzten Vaters.
Naomi wollte ihm mehr sagen, doch ihr Vater schlussfolgerte schneller, als erwartet.
„Er ist es...er ist dieser Dieb."
„Woher...?"
„Ich hätte es gleich wissen müssen, so wie du dich in seiner Gegenwart verhalten hast. Du warst immer vernarrt in diesen Nachtdieb. Er erschien mir vom Anfang an merkwürdig. Spätestens nach dem Klassenausflug, hätte ich es wissen müssen."
„Ach Papa..."
„Nichts ‚ach Papa'. Weißt du wie gefährlich er ist?"
Naomi senkte den Blick. Alle hielten Alec für einen gefährlichen Dieb. Dabei kannten sie ihn gar nicht. Er war bloß das Opfer dieser HKS Group.
„Er hat mir mehrmals das Leben gerettet, Papa. Er will uns beide vor der HKS Group beschützen."
„Wenn wir uns von ihnen fern halten, muss niemand uns beschützen. Doch du suchst geradezu nach Unheil."
„Das stimmt nicht!", protestierte Naomis laut.
„Ich wollte bloß herausfinden, warum diese Leute uns so fertig machen. Der Grund dafür hat irgendwas mit Mamas Tod zu tun."
„Was redest du da für einen Unsinn?"
„Das ist kein Unsinn. Mr. Higa hat Mama mit Absicht angefahren."
„Warum sollte er das tun?"
„Weil Mama irgendetwas wusste. Oder er glaubte nur, dass sie etwas über ihn wusste. Ich weiß noch nicht was, doch Alec hat es herausgefunden. Er ist kurz davor eine Verschwörung aufzudecken, die nicht nur die HKS Group betrifft, sondern sämtliche Behörden. Darunter auch die Polizei."
Charlie starrte seine Tochter fassungslos an. Sie hatte keinen Grund sich das auszudenken, doch selbst für sie klang das sehr weit hergeholt.
„Hast du dich am Kopf verletzt?", fragte Charlie und musterte sie besorgt.
Naomi zischte genervt mit der Zunge.
„Ich meine es ernst, Papa. Alec...ich meine Night Runner...ist wohl der einzige, der etwas dagegen unternehmen kann."
„Ja, weil er außerhalb des Gesetzes arbeitet."
„Das Gesetz hilft uns an dieser Stelle nicht weiter. Wir können niemandem trauen."
Nun sah Charlie nachdenklich aus. Er wusste wohl nicht, ob er ihr glauben sollte. Allerdings war es Naomi, die mit ihm sprach. Sie hatte keine Geheimnisse vor ihm.
Charlie brummte und ließ die Schultern sinken.
„Ich mache mir solche Sorgen um dich, Schatz. Ich will dich nicht wie deine Mutter verlieren."
Das klang so aufrichtig und schmerzerfüllt. Naomis Herz wurde weich. Doch bevor sie etwas sagen konnte, kam Inspektor Wilkinson zu ihnen und beendete gerade ein Gespräch auf seinem Handy.
„Das müssen Sie bald nicht mehr. Ich habe dem Jungen ein Versprechen gegeben und mich darum bemüht Sie beide in Schutzhaft zu bringen. Es wäre also klug mit diesen braven Männern heim zu fahren und ein paar Taschen zu packen."
„Schutzhaft?", fragte Naomi nach und legte den Kopf schief.
„Alec wird wohl eine Weile beschäftigt sein", erklärte Wilkinson nur knapp.
Ja so konnte man das auch nennen, dachte sich Naomi im Stillen.
„Daher bat er mich Sie und Ihren Vater in Sicherheit zu bringen."
Naomi staunte nicht schlecht. Doch noch verdutzter war Charlie. Er hatte wohl nicht erwartet, dass ein einfacher Dieb um seine Gesundheit besorgt war.
Naomi dachte allerdings schon einen Schritt weiter. Warum sollte der Inspektor ihm einfach diesen Gefallen tun? Schließlich legte er alles darauf an Alec ins Gefängnis zu stecken. Was kümmerte es ihn, was aus Charlie und ihr wurde? Sie legte misstrauisch den Kopf schief, wagte aber nicht den Inspektor darauf anzusprechen. Sie rechnete eh nicht mit einer ehrlichen Antwort.
„Also gehen Sie heim und bereiten sie sich darauf vor ein paar Tage die Stadt zu verlassen."
Naomi widerstrebte es von Alec getrennt zu sein. Sie wollte sich noch wenigstens von ihm verabschieden, doch auch das ließ Wilkinson nicht zu.
Charlie zog seine Tochter Richtung Ausgang und setzte ein grimmiges Gesicht auf, bis sie wieder zu Hause waren.
Er wollte nicht packen. Erst hatte er einige Fragen an seine Tochter. Also fesselte er sie mit ernsten Blicken an den Küchenstuhl und setzte sich ihr gegenüber. Sie hätte nicht im Traum daran gedacht aufzustehen.
„Und nun wirst du mir alles erzählen. Ich blicke nämlich noch nicht so ganz durch. Ich habe zwar verstanden, dass dein Freund Alec der Nachtdieb ist, aber so recht glauben kann ich das noch nicht."
Naomi verstand ihren Vater sehr gut und nahm sich die Ruhe und die Zeit ihm alles in Einzelheiten zu erzählen. Endlich war es an der Zeit ihm die Wahrheit zu sagen und sie hatte das Gefühl sich eine ziemliche Last von den Schultern zu reden.
Anfangs war es ihr noch unangenehm, doch je mehr sie in Fahrt kam, desto einfacher fiel es ihr am Ende zu reden. Sie plapperte und plapperte, bis sie mit einem abschließenden Seufzer und den ziemlich gerauften Haaren ihre Rede beendete.
Charlie hatte ihr schweigsam zugehört. Naomi fürchtete ein wenig seine Reaktion.
Doch der ältere Mann blieb ganz ruhig und mit ausdrucksloser Miene vor ihr sitzen. Sein Gesicht verriet gar nichts. Bis er nach einem langen Moment des Anstarrens fragte:
„Liebst du ihn?"
Sie brauchte einen Moment und nickte dann.
„Aber nicht, weil er Night Runner ist."
„Warum dann?", fragte Charlie brummend weiter und faltete die Hände vor dem Mund.
„Ich habe angefangen ihn schon zu mögen, als ich noch gar nicht wusste, dass er Night Runner ist", erklärte sie mit einem zögerlichen Lächeln. „Ich fand ihn, ganz im Gegensatz zu allen Anderen an der Uni, immer interessant. Auch wenn ich nichts von ihm wusste und er ziemlich grimmig war. Doch gerade in den letzten Wochen habe ich ihn besser kennen gelernt und..."
Charlie unterbrach sie mit einer erhobenen Hand.
„Traust du ihm?"
„Selbstverständlich", gab sie zurück. „Ich verdanke ihm mein Leben."
Naomi blickte ihrem Vater unsicher entgegen.
„Du...magst ihn nicht?"
Das war mehr eine Feststellung als eine Frage.
„Das kann ich nicht sagen. Nur halte ich nicht viel davon, dass du ihn magst. Schließlich ist er ein Verbrecher."
„Aber er ist kein schlechter Mensch", verteidigte Naomi Alec sofort.
„Das mag sein. Doch hast du mal überlegt was als Nächstes passiert? Er landet im Gefängnis. Mindestens vier bis sechs Jahre."
Diese Tatsache stimmte das Mädchen wieder traurig.
„Ihr beide habt einfach keine Zukunft, Naomi. Ich missbillige nicht deine Gefühle für ihn. Nur habe ich Angst davor dich traurig zu sehen."
Naomi hatte noch viel mehr Angst. Mit Alecs Hang zu Depressionen würde er das Gefängnis nicht lange überleben. Ihr wäre es am liebsten, wenn er wieder weglaufen würde. Ganz egal wohin, Hauptsache es ging ihm gut.
„Und was deine Mutter betrifft...ich weiß nicht so recht, ob ich das alles glauben soll. Das klingt alles wie ein schlechter Krimi."
Charlie fuhr sich mit der Hand in einer ratlosen Geste über den Kopf.
„Ich will das einfach nicht wahr haben. Das wäre zu schrecklich. Andererseits, würde das auch Sinn ergeben. Nur welchen Grund könnte Mr. Higa gehabt haben sie zu töten?"
„Ich bin mir sicher, dass Alec etwas weiß. Er hat bestimmt etwas herausgefunden, bevor er zum Abschlussball kam. Ansonsten wäre er dort gar nicht aufgetaucht."
Ihr Vater nickte leicht in Gedanken versunken.
„Vielleicht erlaubt Inspektor Wilkinson einen letzten Besuch bei ihm", antwortete er einen Moment später.
Naomi legte tröstend ihre Hand auf Charlies und nickte aufmunternd. Es war nicht einfach für ihn. Für beide war es nicht leicht. Auch Naomi hatte ihr Kreuz zu tragen. Doch nach diesem Gespräch war alles etwas besser. Charlie war nicht böse geworden. Vielleicht hatte er auch einfach keine Kraft mehr zu schimpfen. Zumindest verurteilte er Naomis Gefühle nicht.
Charlie war nie aufbrausend gewesen. Er hatte seiner Tochter viel durchgehen lassen und selbst immer viel zu arbeiten gehabt. Trotzdem konnten sich Vater und Tochter stets zusammen setzen und miteinander reden. Das mochte sie so an Charlie. Er war einfach ein sehr lieber Vater. Der beste auf der ganzen Welt!
~
Die Tür ging leise auf und Wilkinson trat in das schwach beleuchtete Zimmer. Dicht hinter ihm folgte die Schwester mit einem Tablett, welches sie Alec direkt auf dem Klapptisch am Bett stellte. Alec würgte schon beim Gedanken an Essen. Er hatte absolut keinen Appetit und ziemlich schlechte Laune. Das lag wohl an den bohrenden Kopfschmerzen. Er fühlte sich nicht krank oder schlapp. Er wollte einfach nur raus, sich bewegen.
Es war eine Qual ans Bett gefesselt zu sein. Alec bekam schon jetzt zu viel. Was würde er denn erst im Gefängnis machen?
Unruhig wälzte er sich hin und her, als er die Schwester bemerkte, die seine Geräte überprüfte. Wilkinson lehnte geduldig an der Wand neben der Tür.
Seine Augen starrten einen Moment auf die Schweißperlen auf Alecs Stirn. Er ging dann zum Fenster, ließ die Sonne und vor allem frische Luft herein. Für letzteres war Alec ihm dankbar, nicht aber für die grelle Sonne.
Wie spät war es? Alec hatte keine Uhr und kein Zeitgefühl. Wie lange hatte er geschlafen?
Das alles war von nachrangiger Bedeutung, als die Schwester das Zimmer verließ und ihn mit dem Inspektor alleine ließ. Was machte er eigentlich schon so früh hier?
„Sie sind in Schutzhaft", erklärte er prompt, als hätte er Alecs Gedanken gelesen.
Alec ging der Mann gehörig auf die Nerven. Erst jagte er ihn durch die ganze Stadt und nun spielte er sich wie sein neuer bester Freund auf. Noch mehr aber störte ihn die Tatsache auf den Mann angewiesen zu sein.
Kaum verließ die Schwester den Raum, trat Wilkinson näher an sein Bett heran. Er machte ein komisches Gesicht. Alec wurde nicht schlau daraus.
„Das ist nicht alles, oder?", krächzte er und räusperte sich schnell.
„Ich wollte bloß nach dir sehen."
Blödsinn, dachte sich Alec.
„Wenn Sie noch etwas sagen wollen, dann tun sie es einfach. Machen Sie nicht so ein Theater."
Alec setzte sich auf und schob den Klapptisch mit dem Essen beiseite.
„Iss etwas, damit du schnell gesund wirst."
„Damit ich schneller in den Knast komme? Lieber nicht", sagte Alec höhnisch.
„Du solltest essen, Junge", wiederholte Wilkinson beharrlich. Das passte ihm nicht. Der Mann konnte ihm zwar Handschellen anlegen, aber noch nicht befehlen zu essen. Doch irgendwas in seinem kritischen Blick, brachte Alec schließlich doch dazu den Teller wieder zu sich zu holen.
Er wollte gerade die Gabel nehmen, als er die winzige Ecke eines Papierstücks unter dem Teller entdeckte. Sofort hob er den Blick Richtung Wilkinson. Der versuchte ein zufriedenes Lächeln zu unterdrücken, dann drehte er sich plötzlich um und ging hinaus.
Alec nahm den Zettel und las die unsauber geschriebenen Zeilen: „Im Norden ist es dunkel und kalt. Deshalb leben dort weniger Menschen."
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