36. 𝐷𝑖𝑒 𝑠𝑒𝑙𝑡𝑠𝑎𝑚𝑒 𝑀𝑎𝑔𝑖𝑒 𝑑𝑒𝑟 𝐹𝑎ℎ𝑟𝑠𝑡𝑢̈ℎ𝑙𝑒

„Sie wissen wer Night Runner ist?", half Wilkinson ihr den Faden zu finden.
Sie nickte zögerlich.
„Ja...also nicht direkt."
„Wie meinen Sie das?", brummte der Mann vor ihr.
Naomi räusperte sich und richtete sich extra etwas auf.
„Es ist so...ich habe ihn gesehen."
„Wie sollten Sie auch nicht? Er hat Ihnen das Leben gerettet."
„Er hat mir damals auf der Straße das Leben gerettet."
„Und bei dem Ausflug, nicht wahr?"

Naomi schüttelte den Kopf.
„Nein. Bei dem Ausflug hat mich ein Freund gerettet. Ich bin ihm in den Wald gefolgt und wir hatten einen Streit."
„Bis jetzt ist das nicht mal gelogen", hörte sie Alec sagen und konnte schwören ihn leise Lachen zu hören.
„Konzentrier dich", ermahnte Maurice.
„Mit wem hatten Sie Streit?"
Naomi antwortete nicht gleich. Sollte sie ehrlich sein und Alec erwähnen? Wilkinson verdächtigte ihn bestimmt. Aber es würde auch verdächtig sein, wenn Sie jemand anderen erwähnte.

„Ich habe mich mit Alec Hauser gestritten."
Der Inspektor lächelte plötzlich. Glaubte er ihr? Wieviel wusste er? Er wusste sicherlich, dass sie von Alec gefunden und nach Hause gebracht wurde, deshalb war es besser so nahe wie möglich an der Wahrheit zu bleiben.

„Und warum haben Sie sich gestritten?"
„Er...er...hat mich geküsst."
Das Tippen in ihrem Ohr verstummte.
„Ich wollte das nicht."
„Kann ich mir kaum vorstellen. Sind Sie nicht in ihn verliebt?", fragte Wilkinson misstrauisch.
„Doch, aber...ich war so überrascht. Er hat erst meine Gefühle verletzt und mich getäuscht. Dann küsst er mich auf einmal vor meinen Freunden. Das hat mich irritiert und total in Verlegenheit gebracht."

„Ist das so?", flüsterte Alec leise.
Verdammt, er sollte die Klappe halten.

„Ich weiß nicht mehr genau was wir gesagt haben, aber er meinte mich an dem Tag zur Rede stellen zu wollen. Also sind wir in den Wald gegangen und haben uns gestritten. Es endete damit, dass er mich in diesem Schneechaos allein gelassen hat. Ich habe mich verirrt, aber weil er sich besser orientieren konnte, hat er mich später wieder gefunden."

Wilkinson wartete, sah sie einen quälend langen Moment an und sagte nichts.
Naomi hatte nicht gelogen. Ein Lügendetektor würde ihm das bestätigen.
„Und wann haben Sie Night Runner gesehen?"

„Hast du es, Junge?"
„Sekunde noch. Er kopiert noch die Daten. Ein bisschen Zeit brauche ich noch, Naomi. Halte durch."
Langsam wurde es knapp. Wilkinson war nicht dumm und er würde sie noch dazu bringen ihm alles zu sagen.

„Ich habe ihn nur zufällig gesehen. Ich habe mir nach dem Überfall auf Charlies Restaurant die Überwachungskameras angesehen. Er wusste wohl nicht, dass sie da waren."
Wilkinson lachte.
„Kaum zu glauben bei dem vorsichtigen Dieb."
„Er wollte ja nicht bei uns einbrechen. Er war nur auf dem Hinterhof, ohne Maske. Die Kameras haben sein Gesicht festgehalten."

Nun lehnte der Inspektor sich nach vorne und stützte sich auf seine Arme.
„Nun, wer war es? Ihr Freund Alec?"
„Ach was, der ist so ein Tollpatsch. Der kann nicht mal vom Zehner in den Pool springen. Wie soll er da über Dächer sprinten."
Wilkinson wirkte noch nicht überzeugt.
„Sie wollen mich veralbern", sagte er auch gleich.
Naomi nahm einen Schluck Kaffee, um sich die passende Antwort zu überlegen.

„Alec ist introvertiert und tollpatschig. Außerdem ist er nicht gerade intelligent."
„Vielen Dank", flüsterte die junge Stimme in ihrem Ohr.
Sie musste lächeln, was ihr sogar bei Wilkinson zu Gute kam.
„Klingt nicht so, als wären sie sonderlich verliebt in ihn."
„Oh doch, das bin ich. Ich bin zwar ein riesengroßer Fan von Night Runner, aber Alec hat mein Herz erobert."

„Und wie? Was mögen sie an ihm?"
Maurice grunzte im Hintergrund.
„In wie fern hilft das Night Runner zu finden?", murrte er konzentriert.
„Erstens sind das seine Psychospielchen und zweitens will er mich beziehungsweise Night Runner unbedingt finden. Da hilft jedes kleine Detail. Also pass auf was du sagst, Naomi."
Das war ihr schon klar.

„Er ist...", begann Naomi und machte ein schwärmerisches Gesicht, „...gutaussehend, er kann sehr charmant sein und er bringt mich zum Lachen."
Wilkinson nickte verständnisvoll und lehnte sich wieder zurück.
„Wissen Sie, Miss Singer, ich kenne die Vergangenheit des Jungen. Ich habe ein wenig nachgeforscht und herausgefunden, was mit seiner Familie geschehen ist. Wirklich bedauerlich. Wissen Sie eigentlich davon?"

„Ja", gab sie sofort zu. „Ich weiß, was mit ihm passiert ist."
„Dann glauben Sie mir sicher, wenn ich Ihnen sage, dass ihr Freund Alec ein Motiv hätte."
„Ein Motiv? Um Leute auszurauben brauch man kein Motiv, Inspektor", lachte sie gespielt.

„Es ist aber so, dass Night Runner es hauptsächlich darauf anlegt der HKS Group und ihren Anhängern zu schaden. Deshalb erwähnte ich ein Motiv. Außerdem würde Night Runner niemals ohne seine Maske vor die Tür gehen. Zumindest nicht bei Nacht. Also glaube ich Ihnen die kleine Geschichte nicht. Sie sind hier, um mir einen Bären aufzubinden. Nur warum? Was will Night Runner damit erreichen? Wollen Sie mich vielleicht von etwas Ablenken, Miss Singer?"

Naomi wusste nicht was sie sagen sollte. Sie musste Wilkinson hinhalten.
„Er kauft es dir nicht ab, Naomi. Sie zu, dass du wegkommst."
„Hast du die Daten?", fragte Maurice erneut und Naomi konnte die Ungeduld in seiner Stimme hören.
„Fast. Fünfundneunzig Prozent."
Naomi überlegte fieberhaft, was sie Wilkinson auftischen könnte.

„Alec lebt am Hafen", erklärte Wilkinson ganz ruhig und lehnte sich wieder vor. „Ein dreckiges Lagerhaus, ist wohl eher ein gutes Versteck für einen Dieb, als einen unschuldigen, tollpatschigen Freund."
„Ich sagte ja er ist verschlossen", meinte sie als letzte dumme Ausrede.

„Ja, genauso wie ein gewisser Dieb."
Er klang kalt und berechnet. Konnte sie die Situation noch irgendwie retten?
„Alec ist nicht Night Runner. Der Mann, den ich gesehen habe, sah ganz anders aus. Er war kleiner und hatte ein rundes Gesicht."

Als ob er ihr das abkaufen würde. Doch zu ihrer Überraschung spielte Wilkinson mit.
„Hatte er besondere Merkmale an sich, wie eine Narbe oder ein Muttermal?"
„Nun, ich habe ihn nur ganz kurz gesehen und es war dunkel, aber ich meine eine lange Narbe auf seinem Gesicht gesehen zu haben."

Naomi erinnerte sich an das komische Narbengesicht, welches sie vom HKS Tower gestoßen hatte.
„Er sah eher mürrisch aus und seine Hautfarbe war etwas dunkler, vielleicht gebräunt."
„Nehmen wir mal an ich glaube Ihnen das, Miss Singer, würden Sie den Mann wieder erkennen?"

„Sicher! Ich habe zwar nur kurz sein Gesicht auf der Aufnahme gesehen, aber so ein Gesicht vergisst man nicht."
„Fertig!", sagte Alec stolz im Hintergrund.
Das war Naomis Erlösung. Doch konnte sie nicht sofort aufspringen.
„Gute Arbeit, Naomi. Beende es. Treffpunkt ist im Parkhaus auf Ebene Fünf, links vom Ausgang."
„Verstanden", meinte Alec zu seinem Partner.
„Gut, wenn wir ihn schnappen, dann holen wir Sie zur Gegenüberstellung, Miss Singer."
„Verstanden."
Mehr sagte sie nicht.

„Nun, ich muss jetzt gehen. Danke, dass Sie mir zugehört haben."
„Gern geschehen. Ich war ziemlich neugierig darauf, was sie mir zu sagen hatten."
Sie lächelte etwas zu unsicher und erhob sich.
Sie ging zur Tür und wollte gerade die Klinke anfassen, als Wilkinson ebenfalls aufstand und lachte.
„Sie haben wirklich noch viel zu lernen, wenn Sie Journalistin werden wollen."
Die Bemerkung ließ sie inne halten.
„Ich weiß, dass er sie zu mir geschickt hat. Ziemlich gemein von ihrem Freund, Sie in so eine Situation zu bringen."

Nein, es war nicht Alecs Schuld. Auch wenn er ihr nichts von dieser heimlichen Aktion gesagt hatte, sie wollte es. Dieses Gespräch war ihre Idee gewesen.
„Geh nicht darauf ein, Naomi. Geh einfach", meinte Alec in ihrem Ohr. Sie hörte ihn laufen und in der nächsten Sekunde lief er auch schon an der Tür vorbei.
Durch das Glasfenster sah Naomi ihn ganz deutlich. Zum Glück stand sie davor und versperrte Wilkinson den Blick.

„Ich gebe Ihnen und ihrem Freund bis Ende des Jahres Zeit euch zu stellen. Dann werde ich Maßnahmen einleiten."
Naomi schluckte nervös. Sie drehte sich nicht um, öffnete nur die Tür und sagte beim Verlassen: „Diesmal wünsche ich Ihnen Frohe Weihnachten."
Dann stand sie auf dem Flur. Sie blieb cool und ging zügig aus dem Gebäude. Durch einen anderen Eingang ging sie wieder hinein und eilte zum Parkhaus. Mit dem Fahrstuhl gelangte sie auf Ebene Fünf und suchte dort nach Alec.

Sie ging nach rechts Richtung Ausgang. Dort stand der mattgraue Nissan von Alec. Er lehnte stolz gegen den Spoiler und erwartete sie erleichtert.
„Wie war das?"
„Hilfreich."
Er hielt ihr einen USB-Stick vors Gesicht.
„Schön."
Dann knuffte sie ihn in den Bauch.
„Du hättest mich vorwarnen können. Außerdem hast du dein Versprechen gebrochen. Du wolltest dieses Jahr nicht mehr stehlen."

Sie boxte auf ihn ein, während er schützend die Arme vor seinen Oberkörper hielt und vor ihr zurück wich.
„Ehrlich...was ist mit dieser Frau?", flüsterte er mehr zu sich selbst und machte Naomi damit nur noch wütender.
„Du hast es versprochen, Alec."
Sie merkte wie verzweifelt ihre Stimme klang. Maurice vergaß sie für den Moment.

„Ich habe nicht gestohlen."
„Und was ist das dann?"
Sie deutete auf den USB in seiner Hand.
„Das war, um dir zu helfen. Das ist für mich ein Unterschied."
Wenn er es so sagte, konnte sie ihm nicht einmal böse sein. Also senkte sie ihre Arme und beruhigte sich. Die ganze Anspannung wich von ihr. Das war alles so aufregend gewesen. Und das machte er sonst jeden Tag. Wie hielt er diesen Nervenkitzel aus?

„Ich fürchte du hast sie verschreckt", murmelte Maurice im Hintergrund.
„Du wolltest meine Welt sehen. Das ist nunmal mein Leben und diese Dinge kann ich besonders gut. Ich kann es teilweise aufgeben, aber du kannst mich nicht komplett umkrempeln."

Das wusste sie. Maurice hatte auch unrecht. Naomi war nicht begeistert darüber, dass er sie wieder einmal angelogen hatte und sie damit überrumpelt hatte. Doch sie würde es ihm verzeihen. Auf keinen Fall würde sie ihn deswegen verlassen. Sie wollte ihn auch nicht komplett ändern. Schließlich hatte sie sich in ihn verliebt mit all den komischen Talenten. Sie wünschte sich nur er würde sie anders einsetzen, um nicht so gefährlich zu leben.

„Wie auch immer, ich finde das war Aufregung genug für einen Tag."
„Sie hat recht. Geht nach Hause."
„Gut. Ich schicke dir später die Daten."
Alec nahm den Stecker aus seinem Ohr und hielt ihr anschließend die Hand hin. Auch Naomi holte ihren hervor und gab ihn Alec.

Anschließend zog er sich die Uniform aus und legte sie in den Kofferraum. Auch darunter hatte er noch eine Hose und ein Shirt angehabt, bemerkte Naomi staunend.
Bei genauerem hinsehen, entdeckte sie kleine Schweißperlen auf seiner Stirn. Er musste sich zu Tode geschwitzt haben.

Sie stiegen ins Auto und Alec fuhr mit ihr in rasanter Fahrt in die Nordstadt zurück.
Naomi war fruchtbar müde. Sie musste die gesammelten Eindrücke verdauen. Sie schlief eine Weile, bis Alec den Wagen in der Garage unter dem Lagerhaus geparkt hatte. Dann weckte er sie vorsichtig.
Schläfrig wankte sie zum Aufzug und gab schon den Code ein. Es war fast, als würde sie nach Hause kommen.

Er folgte ihr hinein und die Metalltüren schlossen sich.
Sie lehnte sich an die linke Wand und er an die rechte. Dabei ließ er sie nicht aus den Augen.
„Du warst sehr mutig heute."
„Ich hoffe das alles war es wert."
„Bestimmt."
Er schwieg einen Moment und sah sie mit einem warmen Blick an. Naomi bekam Schmetterlinge im Bauch, bei diesem intensiven Blick. Obwohl er zwei Meter Abstand zu ihr hatte, musste er sicher ihren Herzschlag hören.

„Hattest du Angst?", fragte er plötzlich.
Sie schüttelte langsam den Kopf und spürte das Blut in ihren Wangen.
„Du...hättest das heute nicht tun müssen."
„Ich weiß, ich wollte es aber. Es hat sogar Spaß macht."
Diese Antwort hatte er scheinbar nicht erwartet. Er atmete einmal tief ein und aus und Naomi legte den Kopf schief.
„Was ist?"
„Ich suche nach einer Ausrede."

„Hä?"
Sie verstand gar nichts mehr. Was für eine Ausrede brauchte er denn?
„Oder besser einen Vorwand."
Naomi runzelte verständnislos die Stirn, als er langsam zu ihr herüber kam.
Es knisterte in der Luft. Zumindest glaubte sie das.
„Ich sag einfach...es ist die seltsame Magie der Fahrstühle."
Bevor Naomi ihn nur ansatzweise verstehen konnte, legte er seine großen Hände an ihre Taille und zog sie an sich. Dann presste er seine warmen Lippen auf ihre.

Er bewegte sie langsam und kostete von ihr. Naomis Welt begann sich zu drehen. Wieso wurde ihr jedes Mal schwindelig, wenn er sie küsste? Als würde sie im Kopf nur Watte tragen.
Selbst als sich die Türen öffneten, verharrten sie in dieser Position.
Sie legte die Arme auf seinen Rücken und drückte sich enger an ihn, während seine Lippen mehr von ihr forderten.

Ein lautes Klingeln riss sie in die Realität zurück und zu ihrem Bedauern löste sich Alec gänzlich von ihr.
Er zog sein Handy aus der Hosentasche und nahm den Anruf an.
Naomi fluchte innerlich auf den Anrufer. Bis sie die Stimme hörte.
Maurice sprach so laut, dass man meinen konnte, Alec hätte den Lautsprecher angeschaltet.

„Alles okay bei dir, Junge? Was ist mit deinen Werten los? Sie ticken aus, als würdest du Achterbahn fahren."
Naomi unterdrückte einen Lachkrampf. Gleichzeitig glühte ihr ganzes Gesicht vor Scham. Sie hatten beide das Armband um Alecs Handgelenk vergessen.

Bisher hatte sie geglaubt Alec wäre ein Stein, aber offensichtlich fühlte er mehr als er zugeben wollte.
„Mach dir keine Gedanken. Mir geht's gut."
„Sicher? Dein Puls sagt mir was anderes. Was machst du bitte?"
„Ich...habe Naomi geküsst."
Naomi war sprachlos, dass er das so offen gestand. Jedenfalls war Maurice ebenfalls sprachlos und beendete ohne ein weiteres Wort das Gespräch.

Alec steckte das Handy wieder weg und hob eine Augenbraue.
„Tja, die seltsame Magie von Fahrstühlen, was?", sagte sie und kicherte verschmitzt.
„Hat dir schonmal jemand gesagt, dass du nervst?", schimpfte Alec, weil sie sich über ihn amüsierte. Doch er meinte es nicht so.

„Eigentlich nur du", meinte sie immer noch grinsend und drückte sich wieder gegen die Fahrstuhlwand.
Er kniff die Augen zusammen und wollte möglichst wütend aussehen, doch das brachte sie nur noch mehr zum Lachen.

„Komm her, du..."
„Nein!", kreischte sie und lief in die Wohnung.
Alec jagte sie eine Runde um den Küchentisch und fing sie leider vor dem Sofa wieder ein. Sie schrie verspielt und wehrte sich gegen seinen festen Griff. Dann schubste Alec sie auf das Sofa und nahm zu ihrer Erleichterung das Band vom Handgelenk.

Er ließ es einfach auf den Steinboden fallen und ging dann auf Naomi los.
„Hab Gnade!"
„Verdienst du nicht."
Diese Seite kannte sie noch nicht von ihm. Kichernd drückte sie sich in das Leder, als er über sie krabbelte und ihre Arme festhielt. Nun lag sie wie festgenagelt auf der Sitzfläche und starrte ihn abwartend und auch etwas ängstlich an.

„Was hast du vor?"
„Ich halte dich fest, so wie Maurice es mir geraten hat."
Sie rüttelte mit den Armen, war ihm aber selbstverständlich unterlegen.
„Ich glaube, ich setze dich erst einmal auf Diät", fluchte sie angestrengt.
Alec war die Ruhe selbst und amüsierte sich eher über ihre schwachen Versuche ihm zu entkommen.

Da hielt sie auf einmal inne und sah ihn forschend an.
„Warum auf einmal? Hast du deine Meinung etwa geändert?"
„Darf ich das nicht?"
„Doch. Ich wundere mich nur."
„Mir wäre es immer noch lieber, wenn du nicht in Gefahr gerätst. Doch ohne dich kann ich auch nicht sein."
Ihr blieb die Spucke weg und das Herz schmolz dahin.

Naomi konnte nicht aufhören zu grinsen. Er hatte etwas so schönes gesagt. Nach all den bösen Worten tat das richtig gut.
Er ließ sie los und erhob sich. Naomi bedauerte das. Sie wollte seine Nähe spüren.
Sie klopfte sich beruhigend auf die Brust, um ihr halb enttäuschtes Herz zu beruhigen.
Alec ging zum Ausgang.
„Was machst du?"
„Maurice wartet auf die Daten."
„Achso."
Selbst sie hörte die Enttäuschung in ihrer Stimme.

„Das dauert nicht lange", versicherte ihr Alec.
„Kann ich auch mitkommen?"
Alec hatte nichts dagegen und so folgte sie ihm die Treppe hinunter. Doch nicht ganz. Sie bogen in einen Querflur ein und hielten vor einer metallenen Doppeltür an. Auch diesen Raum konnte man nur mithilfe des Zahlenschlosses betreten.
Alec tippte die Zahlen und trat ein.
Naomi hinterher. Die Tür schloss sich automatisch, wie eine Panzertür, und Naomi fand sich in einem spärlich eingerichteten Raum wieder. Da standen mehrere unterschiedliche Tische aneinander und trugen große Monitore.

„Arbeitet hier sonst Maurice?"
Alec nickte und setzte sich auf den schwarzen Drehstuhl vor den Tischen.
Er verband den USB-Stick mit dem Computer und tippte auf die Tastatur ein, während Naomi sich weiter den Raum ansah.
An den Wänden standen mehrere beleuchtete Regale. Einige von ihnen boten die unterschiedlichsten Waffen an. Angefangen mit fünf verschiedenen Pistolen.
Daneben stand ein Regal mit allerhand technischen Werkzeug.
Naomi hatte gute Lust alles auszuprobieren, aber ohne zu wissen was das alles war, sollte sie die Sachen lieber nicht anrühren.

Sie blieb vor einem offenen Schrank stehen. Dort hing seine Lederjacke auf einem Ständer sowie die Handschuhe und die Maske.
Naomis Finger griffen nach dem kalten Stoff.
„Was ist mit den Klamotten, die wir auf dem Dach zurück gelassen haben?"
„Jenny hat sich darum gekümmert."
„Wer ist Jenny?", wollte Naomi neugierig wissen.
„Das Mädchen, das du vom Hotel verfolgt hast."
„Ahh."

Wer war dieses Mädchen überhaupt? Weder Alec noch Maurice erwähnten sie sonderlich oft.
Naomi erinnerte sich an den Tag im Hotel Del Luna und schmunzelte.
„Hast du das mit der Visitenkarte absichtlich gemacht?"
Er sah zu ihr herüber und lächelte ebenfalls.
„Ja. Nach dem Interview mit dir, hatte ich die Idee."

Er stand auf und kam zu ihr.
„Ich fühle mich auf einmal so wichtig", gestand sie ihm. „Du zeigst mir all diese Dinge, was mir dein Vertrauen beweist."
„Ja, Naomi, ich setze alles auf eine Karte. Wenn du mich hintergehst, sehe ich alt aus."
Er sagte es halb im Scherz, aber die Ernsthaftigkeit seiner Worte war beiden bewusst.

„Deswegen heißt es in meinem Gewerbe: Wenn man sich mit Frauen einlässt, ist man am Arsch."
„Und warum vertraust du mir so sehr?"
Er überlegte einen Augenblick. Dann hatte er die Antwort gefunden.

„Weil du mir Hoffnung gibst. Das ist auch der Grund, warum ich dich mag. Du bist noch hier. Anstelle wegzulaufen, bist du immer auf mich zugekommen. Ich wage also ein allerletztes Mal einem Menschen zu vertrauen."
Mit anderen Worten: Sie hatte sein Leben in der Hand.
Doch nun verstand sie, warum Alec sich so sehr dagegen gewehrt hatte sich ihr zu öffnen.

„Nao, ich möchte dir etwas zeigen."
Er führte sie zum Computer und setzte sie auf den Stuhl. Er bediente die Maus und öffnete ein Fenster auf dem Bildschirm.
Sie staunte, als sie erkannte was er ihr da zeigte. Mit offenem Mund starrte sie auf die Zahlen. Ihr Blick wanderte kurz zu Alec, dann sah sie wieder auf den Bildschirm.
Sie kniff die Augen zusammen, doch die Zahlen verschwanden nicht.

„Warum...zeigst du mir das?"
„Ich habe es auf ein privates Sparkonto gelegt. Das sind die Zugangsdaten. Merke sie dir gut."
Er schob einen Zettel über den Tisch.
„Warte mal...du gewährst mir Zugang?"
Er nickte. Naomi hielt es für einen Scherz, aber über sowas scherzte Alec nicht.
„Ich sagte ja, ich vertraue dir, Naomi. Sollte mir etwas passieren..."
Sie zischte.
„Sollte mir etwas passieren", wiederholte er mit Nachdruck, „kannst du mit dem Geld machen was du willst."

Naomi war fassungslos. Er war reich. Steinreich. Zehn Jahre lang hatte er sich diese gigantische Summe zusammen gesparrt. Damit hätte er alles machen können. Doch er gab es ihr. Hatte er gar keine Bedenken, dass sie alles nahm und abhaute?
Als sie ihn danach fragte, zuckte er nur mit den Schultern.
„Ich habe bisher keine Verwendung dafür gefunden, also warum sollte ich es jetzt tun? Selbst wenn du alles nimmst und verschwindest, wäre es mir egal. Ich brauche es nicht."

Er hatte wohl recht. Bisher hatte Geld ihn auch nicht glücklich gemacht. Deshalb gab er es ihr.
Naomi konnte es nicht wirklich fassen, aber sie freute sich und fühlte sich unheimlich geehrt durch dieses grenzenlose Vertrauen.
„Warum schaust du mich so an?"
Sie hatte ihn offenbar zu lange angesehen, ohne es zu merken.
„Weil ich dich so sehr liebe, deswegen."
Das wollte sie eigentlich nicht sagen, aber es wahr ehrlich und mitten aus ihrer Seele gesprochen.

Alecs Mund verzog sich zu einem Lächeln. Einem ehrlichen und äußerst süßen Lächeln. Konnte er immer schon so schön lächeln?
Als hätte er ihren unausgesprochenen Wunsch gehört, senkte er den Kopf und küsste sie.

Naomi war hin und weg.
Sie stand langsam auf, ohne den Kuss zu unterbrechen und schmiegte sich an seine bebende Brust. Er war so warm.

Bei ihm fühlte sie sich sicher und geborgen. Er war zwar ein Dieb, aber das war ihr egal. Ihre Liebe war stärker als seine Sucht zu stehlen.
Warum hatte sie sich in ihn verliebt? Warum fanden sich zwei Menschen anziehend? Warum wollte der Fluss ins Meer münden und warum drehte sich die Erde?

„Komm mit!", hauchte Alec leise und zog sie mit sich. Diesmal nahmen sie nicht die Treppe. Alec nahm extra einen Umweg, um den Fahrstuhl zu rufen.
„Sagen wir einfach, es ist die seltsame Magie der Fahrstühle", erklärte Alec wie selbstverständlich und grinste verschmitzt, als sie ihn fragend anschaute.

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