30. 𝐸𝑖𝑛 𝑠𝑡𝑎𝑟𝑘𝑒𝑟 𝐵𝑒𝑠𝑐ℎ𝑢̈𝑡𝑧𝑒𝑟
„Sie geht immer noch nicht ran", sagte Diana nervös und zappelte ungeduldig von einem Fuß auf den anderen.
„Sie brauchte mal etwas Zeit für sich", meinte Hannes.
„Irgendwas stimmt da doch nicht. Sie war die ganze Zeit so ruhig und niedergeschlagen. Es ist nicht ihre Art nicht ans Telefon zu gehen."
Alec stand abseits von den anderen und lehnte mit verschränkten Armen an der Holzwand. Es war typisch für Naomi mal wieder eine Szene zu machen und für Aufregung zu sorgen. Vermutlich hockte sie irgendwo und bemitleidete sich selbst.
Alec würde jetzt kein Mitleid mit ihr haben. Er musste stark bleiben, sonst würde er noch den Verstand verlieren.
Konnte Naomi nicht daheim auf armes Mädchen machen? Die Truppe wollte nach Hause fahren. Der Busfahrer wartete schon ungeduldig. Alle waren bereit zur Abreise, nur Naomi fehlte noch.
„Hier, das lag im Aufenthaltsraum."
Simon kam in die Halle gelaufen und hielt Naomis Handy in der Hand.
Alec verdrehte die Augen. Also war sie irgendwo im Haus.
„Wer hat sie denn zuletzt gesehen? Ist sie nicht mit uns nach draußen gegangen?", fragte der Professor in die Runde.
„Doch, ich habe sie gesehen", erklärte Diana. „Auf einmal war sie nicht mehr da. Ich dachte sie wäre ins Haus zurück gegangen, weil sie so deprimiert war."
Der Professor nahm eine Denkerpose ein.
„Warum war sie denn deprimiert?"
„Ich glaube...", begann Hannes und warf Alec einen verdächtigen Blick zu, „...weil sie Streit mit Alec hatte."
Er hatte es also gesehen. Hannes durfte ruhig seine Schlüsse ziehen. Alec war nicht schuld an Naomis Verschwinden. Er hatte sie ja danach noch gesehen.
Putz munter und lebendig im...Wald.
Ein eiskalter Schauer lief Alec den Rücken herunter. Was wenn Naomi anschließend nicht zur Hütte zurück gekehrt war?
Alec sah aus dem Fenster. Golfball große Flocken tanzten an den halb beschlagenen Scheiben vorbei. Sie konnte doch nicht...noch immer im Wald sein?
Zum ersten Mal in seinem bescheidenen Leben verspürte Alec so etwas wie Panik. Ihm schoss das Blut durch die Adern und blitzschnell rannte er los. Irgendjemand rief ihm hinterher, doch Alec kümmerte sich nicht mehr um die anderen. Er hatte sich schon seine Jacke übergestreift und eilte mit den schlimmsten Befürchtungen über den leeren Parkplatz. Sein Ziel war der Wald, den man von der Herberge aus kaum noch erkennen konnte.
Wie ein dunkler Schatten hob er sich aus dem Schneechaos hervor.
Insgeheim machte Alec sich heftige Vorwürfe. Er hätte Naomi nicht allein dort lassen sollen. Nicht in ihrem Zustand. Das Mädchen konnte doch eh schon nicht klar denken. Da war es ziemlich leichtsinnig sie alleine im Wald stehen zu lassen.
Hoffentlich ging es ihr gut.
Hastig sprang er über die Wurzeln und Baumstämme, kämpfte sich durch die pieksenden Äste der Tannen und rief besorgt Naomis Namen. Immer wieder. Nie kam eine Antwort.
„Ey, Naomi Du kannst was erleben, wenn du verletzt bist!", warnte er mit zitternder Stimme. Doch eigentlich machte er sich viel zu große Sorgen.
„Naomi! Bitte sag doch was!"
Der Wald blieb ruhig. Nur das leise Prasseln der Schneeflocken durchbrach die einsame Stille.
Er versuchte es mit der GPS-APP über sein Smartphone, aber sein Akku hatte sich gerade verabschiedet. Ein lauter Fluch brach aus ihm hervor. Wozu hatte er diese Technik, wenn sie ihn im entscheidenden Moment im Stich ließ?
Noch nie hatte sich Alec so schlecht gefühlt. Er wollte Naomi doch nur beschützen. Wenn er sie jetzt dadurch in Gefahr gebracht hatte, würde er sich das ein Leben lang nicht verzeihen.
„Scheiße, Naomi, wo bist du?", fragte er mehr sich selbst.
Dann rannte er weiter. Er suchte alles ab. Es gab keine Spuren von dem Mädchen. War sie wirklich hier draußen? Er würde es vorziehen sie sicher im Haus vorzufinden. Ganz egal, ob sie damit jemanden verarschen wollte, oder nicht. Er verdiente die schlimmste Strafe dafür ihr weh getan zu haben. Er sollte leiden, nicht sie. Um Himmels Willen doch nicht sie!
Alec rannte eine Ewigkeit durch den trüben Wald. Dann fand er plötzlich einen Abhang und abgeknickte Zweige. Das könnte gut von einem Tier stammen. Doch was wenn Naomi...
Er blickte den Abhang hinunter, betete zu Gott sie nicht dort unten zu finden.
Er sah nichts. Gerade als er sich enttäuscht umdrehen wollte, hielt er inne.
Irgendetwas sagte ihm nicht einfach so umzudrehen.
Er konnte gut klettern. Er würde dort wieder hinaus kommen, wenn Naomi nicht dort unten war. Doch er sollte zumindest nachsehen. Sie könnte ohnmächtig sein oder schlimmeres.
Er fluchte abermals und kletterte vorsichtig an der steilen Felswand hinunter. Es sah so aus, als hätte ein Erdbeben vor langer Zeit diesen Erdriss geschaffen.
Er sprang die letzten Meter ab und landete sicher auf dem unebenen Boden. Teilweise waren ganze Steinbrocken aus dem Boden geschossen. Er drehte sich um und erstarrte.
Dort nur zwei Schritte von ihm entfernt, war Naomi. Halb liegend, halb sitzend und ziemlich eingeschneit.
Kein Wunder, das er sie nicht gesehen hatte.
„Oh Gott! Naomi!"
Alec kniete sich zu ihr und schüttelte sie kräftig.
Zuerst kam keine Reaktion und Alec blieb fast das Herz stehen.
Dann brummte sie gequält und blinzelte ihm entgegen.
„Alec?", murmelte sie halb ohnmächtig.
Warum war sie in diesem Zustand? War sie etwa dort oben hinunter gestürzt?
Alec betrachtete ihren Körper. Ihr Bein war verletzt. Naomi hatte nur notdürftig ihr T-Shirt darum gewickelt.
Alec war erleichtert, dass ihr nur das fehlte. Gleichzeitig verfluchte er sich selbst.
„Du bist hier", flüsterte sie müde.
„Immer kommst du, um mich zu retten...es tut mir leid."
Alec war fassungslos, als sie vor ihm anfing zu weinen. Sie richtete sich auf nur um anschließend nach vorne zu kippen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sie festzuhalten.
Doch Naomi vergrub das Gesicht an seiner Jacke und weinte bitterlich. Wie konnte sie jetzt weinen? Sie musste hier raus. Ihre Hände waren eiskalt und aus ihrem Gesicht war jegliche Farbe gewichen.
„Naomi?"
Sie schmiegte sich enger an ihn. Er verstand und ließ sie gewähren. Doch nur einen Moment. Naomi würde noch erfrieren, wenn sie länger in dieser Kälte blieb. Er fasste nach dem Notfallknopf in seiner Jacke, drückte zweimal drauf und hoffte Maurice würde das Signal sehen und Hilfe zu seiner Position schicken.
Solange musste er dort bei Naomi bleiben und sie so gut wie möglich warm halten.
Es dauerte noch eine ganze Weile, bis ein kleiner Hilfstrupp die beiden unter Maurices Anleitung fand und sie aus der Grube holte.
Dann trug Alec Naomi persönlich so schnell es ging ins warme Haus, wo sich gleich ein Arzt um ihr Bein kümmerte. Hannes hatte ihn so schnell wie möglich angerufen.
Es dämmerte draußen, als Naomi halbwegs aufgetaut, in mehrere Decken gehüllt auf dem Sofa des Aufenthaltsraumes saß und heißen Tee schlürfte.
Diana streichelte ihr beruhigend über den Rücken und fragte alle fünf Minuten, ob es ihr gut ginge.
Naomi nickte nur und kuschelte sich an ihre Freundin. Alec stand neben der Tür und behielt sie im Auge. Er war so froh, dass es Naomi gut ging. Ihr hätte wer weiß was passieren können. Warum war sie denn nicht zurück gegangen?
Es nützte nichts die Schuld bei anderen zu suchen. Alec war schuld an ihrem Unglück. Er vergrub das Gesicht unter der Hand. Wann war er so ein schlechter Mensch geworden? Und wann war er diesem Mädchen so verfallen, dass es ihn wahnsinnig machte?
Er wusste genau: länger in ihrer Nähe zu bleiben wäre vermutlich ihr Ende. Der Gedanke sich von ihr fernzuhalten gefiel ihm nicht. Es machte ihm Angst und es tat weh. Doch noch schlimmer war Naomi in Gefahr zu bringen.
Es wurde still im Zimmer. Der Professor schickte die anderen Studenten mit dem Bus nach Hause. Er selbst fuhr auch mit, aber nur, weil Alec ihm versichert hatte Naomi mit seinem Wagen nach Hause zu fahren. Sie mussten gehen. Die Zimmer waren nur für eine Nacht bezahlt.
Auch Naomi musste dringend ins Krankenhaus gebracht werden.
Zwar hatte man ihr Bein schon weitestgehend versorgt, aber Alec wahr wohler bei dem Gedanken sie noch einmal gründlich durchchecken zu lassen. Wenn er sie direkt ins Krankenhaus bringen würde, wäre es viel schneller. Zumindest hatte er das so dem Professor verkauft.
Nicht dass er gelogen hätte.
Nachdem er auch Diana und Hannes versichert hatte Naomi nicht mehr von der Seite zu weichen, hatten sie die beiden alleine gelassen. Sie wussten zwar nicht genau was geschehen war, aber Naomi hatte ihnen eine schöne Ausrede aufgetischt, die noch nicht einmal gelogen war.
Sie war ganz einfach in den Wald gelaufen und hatte sich verirrt. Dass sie eigentlich Alec gefolgt war, hatte sie dabei ausgelassen. Sie hatte auch kein Wort von Fred erzählt. So wusste eigentlich niemand, warum sie in den Wald gegangen war und dass Alec sie dort zurück gelassen hatte. Er könnte sich dafür immer noch ohrfeigen.
„Du musst nicht da stehen bleiben. Ich werde bis zur Abfahrt hier sitzen bleiben."
Alec hob langsam den Kopf.
Naomi sah ihn nicht einmal an.
„Ich kann auch ein Taxi nehmen."
Woher wollte sie hier draußen bitte so schnell ein Taxi finden? Oder wollte sie ein Boot mieten.
Er zog es vor nicht darauf zu antworten.
„Im Ernst, Alec, ich komme schon klar."
„Ja, das sehe ich."
Er deutete nur mit den Augen auf ihr verbundenes Bein.
„Ich bringe dich nach Hause und dann kannst du machen was du willst."
„WARUM VERSCHWINDEST DU NICHT EINFACH?", brüllte sie ihn ungehalten an. „Du wolltest doch Abstand. Also geh einfach!"
„Nein!"
„Wieso? Weil du Mitleid hast?"
„Weil ich mir die Schuld daran gebe."
Nun war sie still. Verlegen wich sie seinem Blick aus und beendete das Thema.
Alec wartete noch, bis sie ihren Tee getrunken hatte und half ihr dann ins Auto.
Er legte ihr die Decke um und stellte die Heizung an, kaum dass er eingestiegen war.
Es war unangenehm still im Wagen. Die ganze Zeit über sprachen sie kein einziges Wort miteinander. Irgendwann schlief Naomi ein und Alec musste sie wecken, als sie vorm Krankenhaus standen. Sie öffnete nur müde die Augen, als Alec sie weckte.
„Bitte bring mich nach Hause. Charlie macht sich bestimmt Sorgen."
„Naomi du solltest dich untersuchen lassen. Vielleicht hast du noch andere Verletzungen."
Sie schüttelte den Kopf und schloss wieder die Augen.
„Mir geht's gut. Ich will nur in mein Bett. Bitte Alec!"
Er stöhnte und zögerte. Eigentlich war ihm nicht wohl dabei Naomi einfach nach Hause zu bringen.
„Ich will nicht ins Krankenhaus. Mir fehlt wirklich nichts."
„Naomi...", fing Alec an zu diskutieren.
„Ich gehe gleich morgen. Versprochen!"
Alec gab nach. Wenn es ihr wirklich schlecht ginge, würde sie nicht diskutieren.
Also brachte er sie nach Hause.
Dort wartete Charlie schon ungeduldig und stellte Alec gleich eine ganze Palette an Fragen. Die beantwortete er auch so gewissenhaft wie möglich, nachdem er Naomi ins Bett gebracht hatte, die im Auto einfach wieder eingeschlafen war.
Er ließ nur ein paar Kleinigkeiten aus, um Charlie nicht völlig zu beunruhigen. Doch nahm er die Schuld auf sich und entschuldigte sich bei ihm.
„Schon gut, Junge. Ich weiß, meine Tochter kann manchmal etwas anstrengend sein. Ich danke dir, dass du sie mir nach Hause gebracht hast", entgegnete dieser verständnisvoll.
Charlie war wirklich ein guter Vater. Kein Wunder, dass Naomi ihn so lieb hatte und alles für ihn tat. Alec wünschte sich diese Gelegenheit zurück. Doch diese Chance würde er niemals mehr bekommen. Sein Vater war tot.
Er hatte ja noch Maurice. Ihm verdankte er es, überhaupt noch ein Leben zu haben.
Als Alec sich von Charlie verabschiedete, tat er dies mit dem Gedanken daran, dass er Naomi so schnell nicht wiedersehen würde. Sie war in Sicherheit. Das war alles was zählte.
Mit schwerem Herzen schloss er die Tür und stieg in sein Auto. Er redete sich ein das Richtige zu tun, während er den sportlichen Nissan über die nasse Straße lenkte, heimwärts, zu dem einzigen Menschen, der ihm noch blieb.
~
Der reißende Schmerz an ihrem Bein weckte Naomi am späten Morgen. Sie rollte sich aus den Decken und blickte in das blasse Gesicht im Spiegel ihrer Kommode.
„Du bist nicht gestorben. Er hat dir wieder einmal das Leben gerettet", sagte sie zu der zerzausten Figur im Spiegel.
Dann stand sie hinkend auf.
Wie hatte Alec sie nur gefunden?
Es war eigentlich nicht wichtig. Es würde nie wieder von Bedeutung sein. Er war weg. Er würde auch nicht wieder kommen.
Wenn sie Glück hatte würde sie Alec noch während der letzten Kurse sehen. Dann noch bei den Prüfungen und dann...nicht mehr.
Doch er würde immer dort draußen sein. Er würde die Mitglieder der HKS jagen. So lange bis es nichts mehr zu jagen gab, oder er im Gefängnis landete.
Naomi hoffte er würde niemals ins Gefängnis kommen. Obwohl er stahl und gegen das Gesetz handelte. Sie wollte ihm einfach nichts Böses wünschen. Dafür mochte sie ihn viel zu sehr.
Sie machte sich frisch und zog sich einen bequemen Hausanzug an. Auf die Uni hatte sie heute keine Lust. Jeder würde es verstehen, wenn sie sich einen Tag krank meldete. Außerdem hatte sie Alec versprochen ins Krankenhaus zu gehen. Vielleicht könnte Charlie sie begleiten.
Sie hörte Stimmen aus dem Erdgeschoss. Nanu, hatte Charlie etwa Besuch? Naomi schlüpfte in ihre Hausschuhe und ging langsam nach unten. Den Schmerz in ihrem Bein blendete sie vorübergehend aus.
Sie kannte die Stimme irgendwoher. Sie war tief und brummig. Also keine Allerweltsstimme.
Wer saß da bei ihrem Vater?
Sie kam um die Ecke und sogleich stoppte das Gespräch zwischen ihrem Vater und dem komischen Mann auf dem Sofa. Naomi musterte ihn argwöhnisch. Seine dunklen Haare fielen ihm kurz in die Stirn, seine Kleidung saß zwar perfekt, aber zeigte hier und da ein paar Falten. Er hatte raue Gesichtszüge und sein heller Mantel nahm fast das ganze Sofa ein.
Er lächelte vielsagend, als er Naomi erblickte.
„Guten Tag, Miss Singer!"
Auf einmal wusste sie mit wem sie es zu tun hatte. Sie spürte ihren unregelmäßigen Pulsschlag und starrte fast schon ängstlich auf den Polizisten in Charlies Wohnzimmer.
„Inspektor Wilkinson möchte kurz mit dir reden, Kind", erklärte Charlie statt einer Begrüßung und mit einem merkwürdigen Unterton.
So klang er immer, wenn sie etwas angestellt hatte und es noch nicht wusste.
„Wie...wie kann ich Ihnen helfen, Inspektor?", fragte Naomi so unbekümmert wie möglich.
Sie konnte sich schon denken, warum er hier war.
„Ich bitte Sie, Miss Singer, lassen wir doch die Spielchen und reden ganz ehrlich mit einander."
Sie nickte mit einem überzeugenden Lächeln.
„Setz dich!", forderte Charlie sie tonlos auf.
Wie viel hatte Wilkinson ihm erzählt? Oh Gott, bitte nichts über ihre Mutter.
Naomi folgte der Aufforderung und nahm neben Charlie Platz.
„Sie haben Kontakt zu Night Runner", unterstellte Wilkinson direkt.
Sie versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Bei all den Theaterstücken in der Schule war sie immer mit ungenügend durchgerutscht. Jetzt durfte der Schauspielgott sie nicht im Stich lassen.
„Wie kommen Sie darauf?"
Wilkinson hob die Augenbrauen.
„Ich weiß es. Sie brauchen es nicht zu leugnen."
„Ja, ich hatte Kontakt zu ihm", erklärte Naomi gelassen. „Er hat mich vor diesen Schlägern gerettet. Das ist kein Geheimnis."
„Ich meine darüber hinaus."
Naomi lachte höhnisch.
„Schön wärs. Wissen Sie, jedes Mädchen, das Journalistin werden möchte, träumt davon Night Runner zu treffen. Davon bin ich noch eine der Glücklichen."
Er glaubte ihr offenbar nicht. Er deutete auf den Couchtisch, auf dem eine geöffnete Mappe lag. Darin befand sich ein Ausdruck einer E-Mail. Ihrer E-Mail an Night Runner.
Naomi fühlte sich ertappt.
„Sie haben ihm eine offizielle Anfrage geschickt. Leugnen nützt nichts. Diese Mail wurde von ihrem Gerät abgeschickt."
Naomi konnte es nicht leugnen. Doch sie durfte nicht nachgeben. Sie musste stark bleiben, für Alec!
„Na und? Was soll das beweisen? Ich habe ihn bloß um einen Gefallen gebeten. Ich habe nicht gegen das Gesetz verstoßen, nur weil ich jemandem meine Wünsche offenbare."
„Wir reden hier nicht von sinnlosen Geplänkel unter Freunden, Miss Singer. Es geht hier um einen Verbrecher."
„Ich habe ihn nicht gebeten etwas zu stehlen."
„Sie haben ihn aufgefordert die HKS Group pleite zu machen. Was anderes ist das denn als Anstiftung zum Diebstahl?", fragte er gereizt.
Sie ließ sich nicht einschüchtern.
„Naomi, sei ehrlich, hast du mit Night Runner Kontakt?", bohrte Charlie jetzt auch noch.
„Nein!", beharrte sie. „Ich habe keinen Kontakt zu ihm."
„Sie lügen!", stellte Wilkinson fest. „Er hat auf ihre Anfrage geantwortet. Das heißt, es muss ein Treffen gegeben haben."
Er wartete einen Moment.
„Sie wissen was sie erwartet, wenn Sie einen Verbrecher decken?"
Naomi antwortete nicht. Sie wusste es, aber sie würde nicht reden. Er hatte nichts gegen sie oder gegen Night Runner in der Hand.
„Sie wissen wer er ist, nicht wahr?"
„Warum sollte ich?"
„Er ist mehrmals in ihrer Nähe aufgetaucht. Eigentlich immer, wenn Sie in Schwierigkeiten gesteckt haben. So als stünden Sie ihm nahe. Er ist also kein Fremder für Sie."
„Hören Sie, Inspektor: Ich weiß nicht wer er ist. Ich gebe zu, ich bin ein Fan von ihm. Ich habe mir die gleichen Gedanken gemacht wie Sie, aber ich habe keine Ahnung wer er ist. Er hat sich mir nicht offenbart."
Sie schmiss übertrieben launisch ihre Haare zurück.
Zu Naomis Überraschung lächelte Wilkinson. Warum lächelte er so? Das verunsicherte sie. Hatte er sie durchschaut oder kaufte er ihr das ab? Er sagte nichts, schloss die Mappe und stand plötzlich auf.
„Nun gut. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Miss Singer."
Er sah kurz auf ihr verletztes Bein. Der Verband lugte knapp unter dem Hosenbein hervor und bildete eine kleine Beule im Stoff.
„Sie können froh sein, einen starken Beschützer an Ihrer Seite zu haben. Sie hätten dort draußen sterben können, Miss Singer. Gut, dass jemand wusste, wo er nach Ihnen suchen sollte."
Oh nein! Er wusste es! Hatte sie Alec verraten? Wenn ja, mit welcher Aussage?
Entweder er bluffte nur, oder er kannte längst die Wahrheit. Naomi war absolut verunsichert.
Wollte Wilkinson sie testen? War er deshalb gekommen?
Wieso hatte sie wieder das Gefühl Alec verraten zu haben, anstelle ihn zu beschützen?
Das einzig beruhigende war, dass der Inspektor offensichtlich keine einzigen Beweise gegen ihn hatte, selbst wenn er die Wahrheit kannte.
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