24. 𝑈𝑛𝑡𝑒𝑟 𝑉𝑒𝑟𝑑𝑎𝑐ℎ𝑡

Am Mittwoch kam Alec wieder vorbei. Dieses Mal hatte er sich wenigstens Kopfhörer mitgebracht und diesmal setzte er sich direkt in Charlies Sessel. Er meinte, sie sollte ihn anstupsten, wenn sie seine Hilfe benötigte.

„Das ist nicht fair. Wieso musst du nichts lernen?", fragte sie frustriert.
„Weil ich, anstelle im Unterricht zu quatschen, zu essen oder mit dem Handy zu spielen, dem Unterricht folge, hohle Nuss."

Alec tippte ihr spielerisch gegen die Stirn. Ja für ihn war sie eine hohle Nuss, eine faule und naive noch dazu. Trotzdem musste er sich nicht benehmen wie Einstein.
Auch er konnte nicht alles wissen.

Naomi ignorierte ihn halbwegs, behielt aber immer ein halbes Auge wachsam. Alec war ein Buch mit sieben Siegeln und sie hatte sich vorgenommen jedes einzelne davon zu knacken.
„Möchtest du heute zum Abendessen bleiben?", fragte Charlie höflich um Sechs.
Warum musste er denn so verdammt freundlich zu Alec sein?
„Ach machen Sie sich bitte keine Umstände, Mister Singer."

„Das sind überhaupt keine Umstände. Ich weiß ja nicht, was du mit meiner Tochter ausgemacht hast, aber in unserer Familie heißt es: Geben und Nehmen."
„Also Naomi und ich hatten das schon geklärt, nicht war?"

Er grinste spitzbübisch zu ihr herüber. Ihr blieb nichts anders übrig als zu nicken. Alec würde sie absolut arm machen. Wobei - sie schuldete ihm noch den Sold für Sonntag. Bis jetzt hatte er allerdings nichts gesagt. Ob er es vergessen hatte? Naomi sagte erstmal nichts und stellte sich dumm.
Wahrscheinlich würde er ihr am Ende des Monats eine fette Rechnung ausstellen. Sie musste bei dem Gedanken lachen.

Alec und Charlie starrten sie beide entgeistert an.
„Ich störe euch mal nicht länger. Gibt es etwas, das du nicht magst oder verträgst, Alec?"
„Ich bin auf Bananen und Kiwis allergisch, ansonsten bin ich flexibel."
„Ah gut, ich passe auf, dass du nicht in die Nähe kommst."
Wieder hatte Naomi ein kleines Detail über Alec erfahren. Er war also auf Bananen und Kiwis allergisch. Sie musste das unbedingt behalten.

Sie lernte noch fleißig unter Alecs strenger Aufsicht und bat ihn nur gelegentlich mal um Hilfe. Nebenbei korrigierte er ihre Texte und strich ganz schön viel rot an. Oh je, da hatte Naomi aber noch einiges vor sich.
Nach einer Stunde rief Charlie sie in die Küche und servierte einen herrlichen Auflauf nach eigenem Rezept. Auch diesen verputzte Alec mit großem Appetit. Das freute Charlie natürlich.

„Und kommt ihr voran?", fragte er beiläufig.
„Mehr schlecht als recht", antwortete Alec, bevor Naomi überhaupt eine Chance hatte ihr Essen hinunter zu schlucken.
Sie trat blind unterm Tisch nach seinem Fuß, erwischte aber nur das Tischbein und unterdrückte gerade noch ein Wimmern.
Aus dem Augenwinkel sah sie Alec grinsen.

„Ich bemühe mich immerhin", knurrte Naomi warnend.
„Ja, aber da sind noch zu viele Baustellen. Hoffentlich bekommst du das bis nächstes Jahr in den Griff."
„Ganz sicher", meinte Charlie überzeugt. „Ich bin froh und auch sehr dankbar, dass du meiner Tochter hilfst, Alec."
Was man so Hilfe nennen konnte, dachte Naomi bei sich. Er saß die meiste Zeit nur dumm rum.

Ein Handy klingelte und Alec entschuldigte sich. Er ging ins Wohnzimmer zurück und nahm einen Anruf entgegen.
Natürlich spitze Naomi die Ohren.
„Wann?"
Es gab eine längere Pause. Mit wem sprach Alec da? Er hatte nicht einmal anständig hallo gesagt.
„Ich bin noch beschäftigt."
Nach einer weiteren kurzen Pause wurde er lauter.

„Nein...ich kann das jetzt nicht...kannst du noch etwas warten bitte...?"
Wer sollte mit was warten? Mysteriöse Anrufe weckten natürlich Naomis Misstrauen.
Charlie stupste seine Tochter am Arm und deutete ihr an nicht weiter zu lauschen. Dabei war es so unheimlich wichtig, dass Naomi lauschte. Ihr Vater konnte das nicht verstehen.

„WAS?"
Alec klang schockiert.
Er sah kurz in die Küche und hielt Naomis fragendem Blick stand.
„Danke, ich melde mich später nochmal."
Was war das für ein merkwürdiges Gespräch und warum guckte Alec so komisch?
Er steckte das Handy in die Hosentasche und setzte sich zurück an den Tisch.
„Alles in Ordnung?"
Alec nickte nur. War wirklich alles in Ordnung, oder wollte er Charlie und sie einfach nicht beunruhigen?

„Kannst du noch bleiben?", fragte Naomi vorsichtig. Auf einmal hatte sie Angst davor er könnte in der nächsten Sekunde aufspringen und verschwinden. Sie wollte nicht, dass er ging.

„Ja, ich habe alle Zeit der Welt."
Sie glaubte ihm das zwar nicht ganz, ließ es aber so stehen.
Nach dem Essen lief Naomi schnell in ihr Zimmer, um sich einen Pulli überzuziehen. Gerade als sie den Kleiderschrank schloss, fiel ihr der kleine weiße Zettel auf dem Bett auf.

Sofort machte ihr Herz einen Satz. Niemand außer Night Runner kommunizierte auf diese Weise. Sie stürzte zur Matratze und entfaltete das Papier. Dieses Mal stand eine Nachricht darauf. Anscheinend hatte Night Runner auf weitere Tricks verzichtet, um Naomi zu verschonen. Allein das brachte sie wie ein Kind zum Grinsen.

Geh auf den Balkon

Bat er in der Nachricht. Naomi stutzte. Sollte sie jetzt hinaus gehen? Wie lange wartete er schon dort draußen? Außerdem konnte es unmöglich Alec sein, denn der half Charlie gerade dabei den Tisch abzuräumen. Er war doch höflicher, als sie angenommen hatte.

Zögernd folgte sie der Bitte in der Nachricht und sah sich erstaunt auf dem dunklen Balkon um. Nichts zu sehen. War er schon fort?
Ein leises „Pst!" hinter ihr, ließ sie umdrehen. Da war er, mal wieder auf dem Dach. Er hockte neben dem Schornstein und hob nur kurz die Hand zum Gruß.

Seit dem Sturz hatte sie ihn nicht gesehen. Gemischte Gefühle überrollten sie und verunsicherten sie. Es schien so lange her, dabei waren es bloß ein paar Tage gewesen. Anscheinend ging es ihm gut - welch eine Erleichterung für Naomi.
„Was gibt's?", fragte sie gleich ohne Umschweife.
Night Runner hielt einen braunen Umschlag hoch. Naomi streckte die Arme aus und er warf sie ihr zielgenau in die Hände.

„Was ist das?"
Natürlich gab er keine Antwort. Doch Naomi erhoffte sich insgeheim er würde ihr noch ein bisschen näher kommen. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass dieser Mann sie geküsst hatte. War das wirklich passiert, oder hatte sie sich das aufgrund des Schocks nur eingebildet?
Er stand auf und drehte sich schon um.
„Warte!", rief sie aufgeregt. Nur was konnte sie sagen, damit er nicht ging?

„Danke! Du tust so viel für mich, ich weiß das wirklich zu schätzen. Ich hoffe es geht dir gut. Ich will nicht...ich will nicht, dass du meinetwegen verletzt wirst."
Ein undeutliches Nicken, dann verschwand er vom Dach und Naomi blieb alleine zurück.
Sie schloss die Balkontür und setzte sich an den Schreibtisch. Die Neugier war zu groß. Sie konnte das einfach nicht auf später verschieben.

Ihr Bauchgefühl warnte sie. Nur wovor? Lag es an Night Runners distanziertem Verhalten auf einmal? Oder war es die Ungewissheit über den Inhalt des Umschlags?
Naomi zog eine Akte daraus hervor. Verwirrt starrte sie auf das Emblem auf der Deckseite. Es war eine kopierte Polizeiakte.

Wieso brachte Night Runner ihr so etwas? Hatte das eine Verbindung zur HKS Group?
Unsicher klappte Naomi die Akte auf und las. Es war eine Akte über den Vorsitzenden der HKS Group Mister Higa.
Sie schluckte. Hatte Night Runner endlich etwas gefunden, was ihr weiter half?

Der Mann hatte einige Kerben im Blech, so wie es aussah. Er wurde mehrmals wegen Anstiftung zu Gewaltverbrechen verhört, hatte das ein oder andere Mal Fahrerflucht begangen und war sogar wegen Verdacht auf Steuerhinterziehung angeklagt worden. Doch lagen für keines der aufgeführten Vergehen Beweise vor und die Polizei hatte die Fälle jedes Mal geschlossen. Naomi schüttelte nur den Kopf, bis ihr Auge auf eine Markierung fiel.
Ein Datum war mit rotem Stift eingekreist. Hatte Night Runner das getan?

„6. Dezember 2013..."
Ihr stockte der Atem. Sie starrte auf die Zahlen und glaubte sich verlesen zu haben. Es war als würde ihr jemand einen Kübel Eis über den Kopf schütten.
„Nein! Das darf einfach nicht wahr sein!"
Hastig blätterte sie durch die Akte nach weiteren Informationen, aber Night Runner hatte nur diese eine Stelle markiert.

Warme Tränen bildeten sich in Naomis Augen und sie konnte kaum noch die Schrift entziffern. Was war nur los mit dieser verrückten Welt. Warum gab es so grausame Menschen?
Sie konnte das Schluchzen nicht mehr zurückhalten und vergrub den Kopf in den Armen. Die Tränen tropften auf das Papier, doch das kümmerte sie nicht.
„Scheiße verdammt!"



~



Wie lange stand er vor Naomis Zimmertür? Vielleicht zehn Minuten oder zwanzig? Er traute sich einfach nicht hinein zu gehen. Ihr monotones Schluchzen zerriss ihm das Herz. Er hatte es kommen sehen. Er hatte auch keine Gelegenheit gehabt Naomi darauf vorzubereiten. Andererseits hätte niemand ihr die Wahrheit schonender beibringen können.

Alec kannte das Gefühl. Den selben Schmerz hatte er vor neunzehn Jahren erfahren, als die HKS Group sein Leben zerstört hatte.
Wütend ballte Alec die Fäuste und lehnte sich an die Tür. Er legte den Kopf in den Nacken und lauschte dem traurigen Geräusch von drinnen. Er konnte nichts anderes tun, nur zuhören.

Warum hatte Maurice das jetzt getan? Wieso hatte er damit nicht noch etwas warten können?
Alec wusste, er hatte es nur getan, weil Naomi bereits Verdacht geschöpft hatte. So war er für eine Weile aus dem Schneider, aber war es das wert? War es wirklich nötig das Mädchen so zu verletzen?
Am liebsten wollte Alec die Tür eintreten und ihr sagen, dass alles nur ein Scherz war.
Doch es war kein Scherz. Es war brutale Wirklichkeit.

Dieser Mann, Higa, er war für den Tod ihrer Mutter verantwortlich. Es gab leider keine eindeutigen Beweise dafür. Deswegen hatte die Polizei die Untersuchung eingestellt und er war ohne weiteres davon gekommen. Doch die Akte existierte. Das war ein klarer Beweis für die offensichtliche Vertuschung. Die Beweise wurden lediglich gelöscht.
Nur warum hatte man die Akte nicht vernichtet? Warum behielt die Polizei solch wichtige Informationen? Als Absicherung vielleicht?

Alec hatte keine Kraft darüber nachzudenken. Der Mistkerl hatte so einiges verbrochen. Angefangen mit dem Tode seiner Eltern. Auch wenn er sie nicht persönlich umgebracht hatte, so war er doch der Auslöser dafür. Nun hatte er noch eine Familie zerstört. Alecs Hass auf die HKS Group stieg ins Unermessliche. Es reichte nicht, ihnen ihr Geld zu nehmen. Es reichte einfach nicht. Er wollte sie demütigen, sie verletzen und vor der ganzen Öffentlichkeit bloß stellen.

Sein Handy vibrierte in der Hosentasche. Er nahm es widerwillig hervor und las die Nachricht von Maurice.

Es tut mir leid, Junge, aber ich hatte keine andere Wahl. Sie darf nicht wissen wer du bist und eine Lüge wollte ich ihr nicht auftischen.

Alec verstand es ja. Seine Wut galt eigentlich auch nicht seinem Partner. Er hätte ihn vielleicht etwas eher vorwarnen können, aber er hatte nichts falsch gemacht. Wieder einmal hatte Maurice ihm die Haut gerettet, indem er sich selbst als Night Runner verkleidet hatte und mithilfe von Alecs Spielzeug aufs Dach geklettert war. Allein das war für den alten Mann schon ein großer Aufwand.
Alec steckte das Handy weg und raufte sich die Haare. Er fühlte sich so schlecht. Wie sollte er Naomi je wieder in die Augen sehen?

Plötzlich ging die Tür hinter ihm auf und Alec flog mit einem Satz nach hinten. Er versuchte noch die Balance zu halten, doch in seinem Rücken zerrte etwas gewaltig und Alec verlor den Boden unter den Füßen. Er hörte Naomis erstickten Aufschrei, als er sie mit sich in die Tiefe zog. Er wollte sich noch irgendwie abfangen, knallte aber der Länge nach auf den Rücken und verzog schmerzerfüllt das Gesicht. Zwar war er nicht ernsthaft verletzt, aber blaue Flecken blieben für gewöhnlich eine Weile.

Zum Glück hatte Naomi diesen flauschigen Teppich vor ihrem Bett liegen.
„Autsch!", jammerte sie leise. „Warum um alles in der Welt stehst du da vor meiner Tür?", fragte sie, nachdem sie den Sturz verdaut hatte. Zum Glück war ihr nichts passiert. Wieso fiel er immer in ihrer Nähe? Er war doch gar nicht tollpatschig. Nicht wirklich.

„Alles okay?", fragte sie besorgt, nachdem Alec nicht antwortete und noch immer auf dem Boden lag. Er wollte sich am liebsten gar nicht mehr bewegen.

„Klar! Ich hatte nur nicht mit dir gerechnet."
„Entschuldige, aber das ist mein Haus und mein Zimmer."
Er nickte und schmunzelte über sich selbst.
„Ja du hast recht."
Er hob sich langsam auf die Beine und versicherte sich, dass es Naomi wirklich gut ging. Er war schon an ihrer traurigen Seele schuld, er wollte nicht auch noch ihren Körper verletzen.

„Das gibt einen blauen Fleck. Macht nichts, er passt zu den anderen."
Sie zeigte ihm ganz unbedacht ihre Arme. Das war vom Sturz.
„Was hast du denn gemacht?", heuchelte er ihr Unwissen vor.
„Ach...ich bin hingefallen."
Damit hatte sie zumindest nicht gelogen.

„Naomi Singer, Tollpatsch Nummer eins."
„Ja, gleich nach dir, Einstein", grinste sie wieder mit guter Laune. Man hätte nicht meinen können, dass dieses Mädchen gerade eben noch Niagarafälle geweint hatte. Naja, ihre geröteten Augen sprachen als einziges Zeichen noch davon.

„Also, warum lungerst du vor meiner Tür herum?"
Nun suchte Alec hektisch nach einer passenden Erklärung, wo er im ersten Stock doch eigentlich gar nichts zu suchen hatte.
„Ich habe mich gewundert wo du bleibst", sagte er schnell.



~



Ausgeschlossen! Niemals! Dieser Mann war niemals im Leben Night Runner! Selbst wenn er es irgendwie unbemerkt geschafft hätte die Klamotten zu wechseln und aufs Dach zu klettern, hätte er diese einfache Situation mit Leichtigkeit lösen können. Alec war nicht Night Runner, sonst hätte er den Sturz verhindert.

Irgendwie fühlte sie sich weder erleichtert noch traurig über diese Erkenntnis. Na gut, vielleicht war sie ein bisschen erleichtert, weil sie so viel unbefangener mit ihm lernen konnte.

„Ich habe nur kurz was nachgeschaut. Wir können gerne noch eine Stunde arbeiten, wenn es dir nichts ausmacht?"
Alec hob skeptisch die Augenbraue. Warum sah er sie so an?
„Bist du sicher?"
Sie nickte überzeugend.
„Na klar. Ich muss noch mehr tun, um die Prüfung zu bestehen."
Sie ging an ihm vorbei die Treppe hinunter. Mit Abstand folgte er ihr.

Sie versuchte sich wirklich ernsthaft auf die Sachen zu konzentrieren, aber ihr Geist hatte beschlossen für heute einen Riegel vor zu schieben. Sie war absolut nicht aufnahmefähig.
Immer wieder wanderten ihre Gedanken zu der Akte oben auf ihrem Schreibtisch. Noch hatte Charlie keine Ahnung. Wie sollte sie ihm das jemals beibringen, dass ihre Mutter...dass ihre Mutter nicht bei einem Unfall gestorben war. Der Mistkerl hatte sie mit hoher Wahrscheinlichkeit umgebracht.

Ein fetter Kloß setzte sich in Naomis Kehle. Wenn sie es ihrem Vater beichtete, musste sie auch von dem Abkommen mit Night Runner erzählen. Naomi bezweifelte, dass Charlie das gutheißen würde. Es würde ihn nur noch mehr beunruhigen.

„Naomi."
Sie sah zu Alec und stellte fest, dass er sie mit gewisser Sorge beobachtete. Wie lange machte er das schon?
Seine grauen Augen hatten auf einmal einen völlig anderen Ausdruck. Naomis Herz hüpfte einmal auf und ab, während sie noch versuchte seine Gedanken zu lesen. Auf einmal wirkte er viel lebendiger, aber auch fremd. Das waren nicht Alecs normale Augen, sie zeigten so viel Gefühl, gleichzeitig eine gewisse Reife und Lebensweisheit. Wie alt war der Typ bitte? Was hatte Naomi verpasst? Seit wann hatte Alec denn so ausdrucksvolle Augen?

„Du solltest aufhören", riet er ihr und wich ihrem forschenden Blick nicht aus. „Du kannst dich nicht mehr konzentrieren. Da hat es wenig Sinn weiterzumachen."
Er sagte das zwar relativ tonlos, aber seine Augen sprachen eine andere Sprache. Hatte er etwa Mitleid? Hatte Alec sie vorhin weinen gehört? Zeigte er deshalb Verständnis?
Das hatte sie wieder nicht von ihm erwartet. Er kümmerte sich meist nur um sich selbst.

Sie nickte schweigsam. Alec räumte die Bücher zusammen und rollte die Kopfhörer auf.
Naomi war sich ganz sicher, dass Alec sie vorhin weinen gehört hatte. Nur wusste er unmöglich den Grund dafür.
Es war taktvoll von ihm nicht zu fragen. So nahe standen sie sich nicht.

„Tut mir leid, Alec. Ich dachte ich könnte noch ein wenig arbeiten."
„Schon okay, wir machen Freitag weiter."
„Einverstanden."
„Aber lass den Kopf nicht hängen. Deine Grundlagen sind gar nicht so schlecht. Du musst nur noch ein wenig Ordnung in das Chaos bringen. Das ist zwar aufwendig, aber das schaffst du!"

Wollte er ihr unbedingt etwas tröstendes sagen? Naomi brauchte keinen Trost. Sie brauchte Antworten. Sie musste mehr von Night Runner erfahren. Wieso hatte er ihr nichts dazu erklärt?
Gab es noch weitere Beweise über den Fall ihrer Mutter. Wie stand das mit Charlies Restaurant in Verbindung? Was wusste der Nachtdieb bereits und hatte er ihr alles gesagt?

„Vielen Dank fürs Essen, Mister Singer."
„Gern geschehen. Ich freue mich ab und zu nicht nur Naomi bekochen zu dürfen."
Alec verabschiedete sich freundlich und ließ Naomi mit einem sanften „Bis Morgen!" zurück.
Kaum war Alec verschwunden, eilte sie ins Badezimmer. Sie teilte ihrem Vater mit ein langes Bad nehmen zu wollen und wünschte ihm schon eine Gute Nacht.

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