15. 𝐴𝑛𝑓𝑟𝑎𝑔𝑒 𝑎𝑛 𝑁𝑖𝑔ℎ𝑡 𝑅𝑢𝑛𝑛𝑒𝑟
„Häääää?"
Naomi blieb die Spucke weg. In wie weit würde diese Frage es fördern ihre Geheimnisse aufzudecken? Was dachte er sich dabei?
„Du meinst den Dieb? Also Night Runner?"
Er nickte und hatte die Ruhe weg.
Als Naomi nicht antwortete, lehnte er sich wieder zurück und drehte den Stift zwischen seinen Händen. Auf einmal wirkte er so hart und sie bekam einen Kloß im Hals.
„Du sagtest du wärest ihm begegnet."
„Ja", sagte sie zögerlich, „er hat mich gerettet...auf der Straße."
Der Stift in Alecs Händen hörte auf sich zu drehen und seine Augen sahen zu ihr auf.
„Wer soll dir das glauben?"
Naomi verstand die Welt nicht mehr. Wieso sagte er das so negativ?
„W-Willst du mich als Lügnerin darstellen?"
„Hast du denn irgendwelche Beweise? Wer sagt denn, dass du dir die Story nicht nur ausgedacht hast, um bei deinen Freunden anzugeben?"
Sie lachte ungläubig.
„Was soll das Alec? Du weißt doch wie er ist. Er ist ein Dieb, trägt eine Maske und arbeitet im Dunkeln. Ist ja nicht so als könnte er mir seine Visitenkarte geben."
Für einen kurzen Moment wurden seine Gesichtszüge weicher. War das etwa Belustigung in seinen Augen?
„Ein Dieb mit Visitenkarte, das hätte doch was."
Ja er machte sich lustig über sie.
„Du willst mich verarschen, oder?", fragte Naomi knurrig.
„Ich versuche dir zu helfen, Naomi. Mach es mir nicht so leicht. Als Leiter des Interviews kann ich dir ordentlich an die Karre flicken und ohne handfeste Beweise hast du es schwer, egal auf welcher Seite du stehst."
Moment mal, er hatte das nur gemacht für das Interview? Naomi war erleichtert und fühlte sich trotzdem verarscht. Deshalb zog sie eine Schnute und starrte ihn grimmig an.
„Wie soll ich denn was gegen dich in der Hand haben, Alec? Ich hatte keine Zeit mich großartig vorzubereiten. Du bist für mich absolut ein Fremder, also was soll ich da..."
„Es ging gerade nicht um mich, Naomi. Ich habe dir Fragen gestellt", unterbrach er sie.
„Mensch Alec, sei doch nicht so hart zu mir. Ich dachte du meintest das ernst."
„Natürlich bin ich streng zu dir. Wie willst du sonst in der Welt dort draußen überleben? Außerdem hast du mich gebeten es dir nicht leicht zu machen."
Ihr blieb der Mund offen stehen.
„Dein Held kann nicht immer an deiner Seite sein", spottete er.
„Er ist nicht mein Held", motzte sie etwas ungehalten über sein Verhalten. „Er hat mir bloß einmal geholfen. Doch wenn ich ganz ehrlich bin, wünschte ich er wäre gestern Abend auch da gewesen und hätte verhindert, dass diese Typen unser Restaurant zerschlagen."
Damit war erst einmal alles gesagt. Von Alec kam keine Antwort. Ihm war es egal, was in ihr vorging. Auch wenn er ihr nur helfen wollte, sein Verhalten war nicht in Ordnung. Warum war er nur plötzlich so unhöflich? Wenn er ihr früher geholfen hatte, war er niemals so ernst gewesen.
„Stell du mir jetzt deine Fragen."
Naomi hörte auf zu schmollen und schaute auf den Notizblock. Viel war ihr nicht eingefallen.
„Also gut. Sag mir warum du Journalist werden möchtest", sagte sie immer noch etwas knurrig.
Alec hob wieder die Augenbraue. Ja, ja, er sollte bloß nicht annehmen, dass sie sich das von ihm abgeguckt hätte. Besonders kreativ war sie nicht, aber sie betrog nicht.
„Ich will die Wahrheit aufdecken", meinte er todernst. „Ganz egal wie dreckig sie auch sein mag. Ich kann Ungerechtigkeit und Lügen nicht ausstehen."
Im Land gab es so manche Ungerechtigkeit und wenn er die verlogensten Menschen haben wollte, musste er nur in der Regierung suchen. Ein edles Ziel von ihm.
„Wolltest du das immer schon machen?"
Er nickte und richtete sich etwas auf.
„Komm schon Naomi, nicht diese Standartfragen. Du hast die einmalige Gelegenheit mich auszuquetschen."
Er sagte das mit einem verschmitzten Lächeln. Doch seine Augen blieben ausdruckslos.
Naomi verwarf ihre langweiligen Fragen auf dem Zettel. Doch was wollte er hören?
„Erzähle mir etwas über deine Familie."
Das Lächeln gefror und er räusperte sich unbehaglich. Hatte sie ihn am Haken? Oder spielte er ihr nur wieder etwas vor?
Bei Alec wusste sie einfach nicht voran sie war. In der einen Minute grinste er und in der nächsten war er total ernst. Er neckte sie, genoss das Fragespielchen und gleichzeitig war er unnahbar. Was war mit dem Jungen?
„Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich habe keine Familie."
Oje, war das erfunden oder hatte sie einen wunden Punkt getroffen? Naomi beschloss zu bohren.
„Leben deine Eltern nicht mehr?"
Sein kalter Blick wollte sie ermorden. Naomi bekam kalte Füße. Trotzdem wartete sie gespannt auf die Antwort.
„Sie sind tot. Mehr brauchst du nicht zu wissen."
Naomi verstand und fragte nicht weiter. Es schien ihm wirklich unangenehm zu sein. Das erste Mal hatte sie Gefühle in seinen grauen Augen erkannt. Leider sehr dunkle und beängstigende Gefühle. Es tat gut einen kleinen Brotkrumen zu erhalten, um das Puzzle „Alec" Stück für Stück zusammen zu setzen.
Auf einmal kam ihr ein Gedanke. Es war verrückt, aber Naomi wollte das Thema wechseln. Zudem trieb die Neugier sie an.
„Ich würde gerne etwas herausfinden und ich glaube du kannst mir dabei helfen."
Alec hob abwartend die Augenbrauen und der dunkle Ausdruck verschwand aus seinen Augen.
„Du bist ja im Schwimmclub und ich dachte mir du hättest vielleicht das ein oder andere Wort mit James geredet..."
„Dein Ernst? Du willst jetzt über James quatschten?", fragte Alec ungläubig und schien fast schon gekränkt zu sein.
„Nein, nein, es ist für die Allgemeinheit nicht nur für mich."
Er seufzte und glaubte ihr natürlich kein Wort. Trotzdem sollte sie fortfahren.
„Es geht das Gerücht um, dass er schwul sein soll", sagte sie etwas leiser, um kein Aufsehen zu erregen.
„Also zu deiner Information: Ich bin mit dem Typ nicht gerade dicke. Ich habe nicht sonderlich viele Freunde, falls du das noch nicht bemerkt hast. Wenn ich mit ihm rede, dann nur wenn's nicht anders geht und es ist auch nicht meine Art Geheimnisse anderer auszuplaudern."
„Ach komm schon, Alec. Dich kann ich nicht ausfragen, weil ich gar nichts von dir weiß und du mich komisch anguckst, wenn ich dir zu nahe trete. Also hilf mir James Geheimnis aufzudecken. Er muss schwul sein. Warum sonst würde er sich kaum für Mädchen interessieren?"
Insgeheim hoffte Naomi, dass er nicht schwul war.
Alec schnalzte mit der Zunge.
„Muss ein Typ gleich schwul sein, nur weil er an der Uni keinem Rock hinterher läuft?"
Naomi zuckte mit den Schultern. Sie wollte ihn anbetteln, doch dann wäre sie bei dieser Übung durchgefallen.
Es reichte schon auf die höfliche Sprache zu verzichten und das Rollenspiel zu vergessen. Wenn Sie jetzt auch noch bei den Fragen bettelte, bekäme sie eine Sechs.
Alec gab zum Glück nach.
„Ich versichere dir er ist nicht schwul. Er ist nur einfach seiner Freundin treu."
Naomi blieb die Luft weg. Das war zu grausam. Alec wollte sie bestimmt nur wieder ärgern.
„Er hat eine Freundin?"
„Sie geht nicht auf diese Uni."
Naomi spürte einen Dolch in der Brust. Bisher waren für alle Mädchen die Chancen gleich gewesen, doch nun hatte ihre Welt das Licht verloren. James war vergeben und würde sie nicht mit dem Hintern anschauen, so lange er in einer Beziehung war.
„Naomi?"
Alec lehnte sich besorgt vor.
Sie brauchte einen Moment diese Information zu verdauen und brach dann lautstark in Tränen aus. Zwar viel zu übertrieben, aber ihr war einfach danach.
„Das ist zu grausam", heulte sie und wischte sich die Tränen vom Gesicht. „Kann dieser Tag noch schlimmer werden?"
Alec drehte sich um und bemerkte, wie die anderen Kommilitonen sie anstarrten.
„Nao lass das, sonst glauben die noch ich hätte dich zum Weinen gebracht."
Naomi heulte noch lauter. Das sollte seine Strafe sein für solch schlechte Nachrichten.
Er guckte sich das fünf Minuten sprachlos an und haute dann mit der Hand auf den Tisch. Das ließ Naomi augenblicklich verstummen.
„Ist der Loser es wert, dass du so aus der Rolle fällst?"
„Du hast ja keine Ahnung, Alec. Der Tag war einfach nur beschissen. Ich mache mir große Sorgen um Charlie, weil die HKS Group ihn bedroht. Wir haben kaum Geld für die Reparaturen im Restaurant und meine Noten sind im Keller, weil ich keine Zeit zum Lernen finde. Jetzt sagst du auch noch das James eine Freundin hat. Wieso sollte ich darüber nicht heulen?"
„Wie alt bist du, drei? Kein Wunder, dass sich James nicht für dich interessiert. Kein Mensch will mit so einer naiven Heulsuse ausgehen. Es gibt so viele Menschen, denen es schlechter geht als dir. Wenn du weniger für deinen Vater arbeiten und mehr lernen würdest, hättest du bessere Noten. Dann müsste sich Charlie nicht auch noch um dich sorgen. Wenn du ihm wirklich helfen willst, dann mach einen guten Abschluss, verdiene Geld für euch beide und lass ihn nie wieder in Kontakt mit der HKS Group kommen."
Er stand auf und sah wütend zu ihr herunter.
„Ich habe kein Verständnis für deine Oberflächlichkeit, Naomi."
Damit ließ er sie sitzen und verließ mit großen Schritten den Kursraum.
Naomi verstand auch nichts mehr. Sie hatte zwar absichtlich übertrieben, aber so eine heftige Reaktion hatte sie nicht erwartet.
In der Pause saß sie niedergeschlagen vor Diana und starrte in ihren Kaffeebecher.
„Was für ein unsensibler Hornochse. Wie kann er so mit dir reden!"
Hannes und Diana waren sauer. Naomi war es auch, musste sich aber eingestehen, dass Alec nicht ganz Unrecht hatte. Sie hatte sich gehen lassen und in Ausreden geflüchtet. Alec hatte kaum mit ihr gesprochenen sie doch sofort durchschaut. Nur hätte er nicht so wütend sein müssen. Was interessierte es ihn eigentlich wie sie ihr Leben lebte und ob sie lebte?
Frustriert ging sie nachmittags nach Hause - in der Hoffnung Fred nicht über den Weg zu laufen. Zum Glück blieb er weg.
Zuhause machte sie sich was zu Essen. Sie aß immer, wenn sie frustriert war. Zwar hatte sie keinen Hunger, aber in ihrer Stimmung konnte man kaum lernen. Sie grüßte Charlie und machte ihm ebenfalls ein paar Sandwiches.
Dann huschte sie in ihr Zimmer und fiel erschöpft aufs Bett. Gut dass heute niemand im Club war, sie hätte nicht gewusst, wie sie Alec noch einmal begegnen sollte. Der Typ war doch nicht normal. Er tat immer auf unscheinbar und sah aus wie ein kleines graues Mäuschen. Dabei konnte er richtig aufbrausend sein.
Naomi lag weiterhin auf dem Bett. Der Abend schlich unbemerkt heran und tauchte alles in Dunkelheit. Dank der unruhigen letzten Nacht schlief sie einfach auf ihrem Bett ein und wachte erst wieder auf, als es schon dunkel draußen war.
Sie stand auf und sah nach Charlie. War er ins Restaurant gegangen? Vermutlich um dort die Scherben aufzusammeln, falls er das nicht schon im Laufe des Tages getan hatte.
Jedenfalls war er nicht daheim.
Naomi ärgerte sich den Nachmittag verschlafen zu haben. Jetzt würde es ihr noch schwerer fallen zu lernen. Ihr Kopf war ohnehin nicht aufnahmefähig.
Ihre Gedanken drehten sich die ganze Zeit um Charlie und den Überfall. Es konnte doch nicht sein, dass die Polizei keinerlei Spuren finden konnte.
Was machten sie denn jetzt nur? Das Geschäft konnte so jedenfalls nicht laufen.
Vielleicht solltest du Night Runner fragen. Er ist garantiert unparteiisch
Das waren Simons Worte, die ihr plötzlich im Kopf herum geisterten. Naomi lachte nur spöttisch. Als ob Night Runner sich für ihre Probleme interessieren würde. Ab gesehen davon hatte sie kein Geld, um den Jungen zu bezahlen.
Doch irgendwas brachte sie dazu den Computer anzuschalten und aus Langeweile die E-Mail von Night Runner im Netz zu suchen. Einige Foren gaben Hinweise und Links dazu. Darunter auch Bewertungen. Sie genoss es, erneut die Kommentare zu durchstöbern.
- Night Runner ist unglaublich! Zuverlässig, und er erledigt die Aufträge so schnell.
- Der Junge ist zwar teuer, aber er macht alles möglich.
- Wie kann man ihn kontaktieren?
- [email protected]
Das ist die Mail-Adresse. Doch die Antwortwahrscheinlichkeit ist relativ gering. Es heißt er stiehlt nur ab zehntausend.
Naomi stellte sich vor, wie der arme Mann jeden Tag tausende von E-Mails filtern musste. Neugierig klickte sie auf den Link der E-Mail und landete sofort auf einem ihr unbekannten Portal. Dort blinkte gleich ein Fenster auf, in dem auf die Risiken der Kontaktaufnahme mit Night Runner gewarnt wurde. Night Runner würde keine Garantie geben und auch keine Haftung übernehmen.
Es war alles so einfach und doch klang es seriös. Naomi hielt es für eine Fake E-Mail. Sie glaubte nicht, dass es so einfach wäre den Nachtdieb zu kontaktieren. Deshalb machte sie sich einen Spaß daraus Simons Ratschlag anzunehmen und ihm eine Anfrage zu schicken...
An Night Runner
Ich weiß du nimmst normalerweise nicht solche Aufträge an, aber ich weiß mir nicht mehr zu helfen.
Ich habe nicht viel Geld, aber ich würde dir das letzte Bisschen geben, was ich noch habe und alles andere was ich besitze.
Ich bitte dich dafür zu sorgen, dass die HKS Group pleite geht.
Naomi Singer
Sie überlegte noch, ob es richtig war den Namen anzugeben. Doch irgendwie musste er ja wissen um wen es geht. Er war bekannt dafür keine Fragen zum Klienten zu stellen und auch keine Informationen weiterzugeben. Also klickte sie mutig auf senden. Selbst wenn es die richtige Adresse war, würde sie keine Antwort erhalten.
Naomi hatte den Dieb nicht darum gebeten etwas zu stehlen, sondern nur die HKS Group pleite zu machen. Es war schon etwas unverschämt von ihr eine unmögliche Aufgabe zu stellen. Deshalb würde sie keine Antwort bekommen.
Sie zuckte gleichgültig mit den Schultern und packte ihre Bücher aus. Sie hatte vierundzwanzig Stunden. Besser gesagt: Night Runner hatte vierundzwanzig Stunden sich bei ihr zu melden.
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