11. 𝐻𝑜𝑐ℎ𝑚𝑢𝑡 𝑘𝑜𝑚𝑚𝑡 𝑣𝑜𝑟 𝑑𝑒𝑚 𝐹𝑎𝑙𝑙

Naomis Gedanken waren überall, aber nicht bei dem Unterrichtsstoff der letzten Woche. Besser gesagt der letzten drei Wochen.

Sie dachte an das Basketballspiel und an Freds süßen Hundeblick. Sie dachte ebenfalls an den nicht ganz so unscheinbaren Alec und ihr Kopf drehte sich. Warum zeigte Fred auf einmal Interesse an ihr? Wollte er sie vielleicht im Auge behalten? War er vielleicht eine geheimnisvolle Person, dessen Neugier von Naomi geweckt wurde?
Das war er ganz sicher, doch sie traute sich nicht ihn mit Night Runner in Verbindung zu bringen.

Trotzdem war es nicht auszuschließen. Es könnte jeder sein. Selbst der introvertierte Alec, der auch mehr zu verbergen schien, als er zugeben wollte. Seine Art machte Naomi viel zu neugierig, obwohl sie sich vorgenommen hatte ihm aus dem Weg zu gehen.
Beide kamen für den Nachtdieb in Frage. Beide hatten die Fitness und Ausdauer dafür. Beide schienen geheimnisvoll zu sein. Jeder auf seine Weise.

Naomi träumte davon Night Runners Identität aufzudecken. Das war viel interessanter als in ihre Bücher zu schauen.
Deshalb schaltete sie den Computer an und suchte im Netz nach diesem sogenannten Night-Runner-Forum, von dem ihr Simon berichtet hatte. Als Naomi auf die Mitgliederzahl sah, schluckte sie staunend. 1,5 Millionen Leute interessierten sich für den Typ.

Sie studierte die Kommentare zu seinen letzten Aktionen. Viele waren ihm dankbar dafür, den Abgeordneten May entlarvt zu haben. Andere baten ihn darum auch andere korrupte Menschen auszurauben. Es war eine wahre Freude die bewundernden Kommentare zu lesen. Ob Night Runner sich das manchmal auch anschaute?

Naomi überlegte zurück. Wann hatte er seinen letzten Einbruch begangen? Am 28. Oktober. Vielleicht konnte sie anhand der Daten seiner Raubzüge ein Muster erkennen. Sie suchte nach Artikeln im Internet und Nachrichtenvideos und verbrachte den ganzen Abend grübelnd über den Zahlen.
Es war Mitte November. Seit Jahren gelang es Night Runner die verschiedensten Leute zu beklauen. Doch leider war kein Muster zu erkennen. Weder anhand der Daten noch von den Orten.

Schnaubend lehnte sich Naomi auf dem Stuhl zurück. Offenbar ging er tatsächlich willkürlich nach Anfrage in die Häuser.
Wobei...Naomi interessierte sich besonders für einen Post. Dem Schreibstil nach zu urteilen eine Frau. Natürlich blieb jeder in dem Forum anonym, um keinen Besuch von der Polizei zu bekommen. Jeder Klient von Night Runner gab den Auftrag zum Diebstahl und konnte dafür mit belangt werden.

Doch diese Frau gehörte nicht zu den kreischenden Fans. Sie bedankte sich offiziell bei Night Runner, der ein wichtiges Erbstück für sie wiederbeschafft hatte.
Kurz um schrieb Nao sie an.

Hallo!
Ich bin angehende Journalistin und soll für die Uni über Night Runner recherchieren. Ich bin selbst ein Fan von ihm und teile gerne meine Informationen mit Ihnen. Wäre es möglich, sich bei einem Treffen auszutauschen?

Das schrieb sie unter den Post. Es könnte einige Zeit dauern bis sie darauf eine Antwort bekommen würde. Vielleicht würde sie Naomi auch misstrauen und sie für eine Polizistin halten. Doch dann könnte Naomi ihr immer noch den Studentenausweis zeigen.

Zu ihrer Überraschung kam die Antwort schon nach wenigen Minuten, in denen sie sich die Zähne putzte und in ihren Hausanzug schlüpfte. Kaum saß sie wieder am Schreibtisch, blinkte das private Chatfenster auf.

Die Frau war tatsächlich nicht abgeneigt Naomi zu treffen. Entweder sie war dumm, oder selbst eine Spionin der Polizei.
Naomi tauschte ihre Telefonnummer und Adresse aus und verabredete sich für den nächsten Tag mit ihr im kleinen Café 𝓑𝓮𝓪𝓷.



~



Später in der selben Nacht...

Wilkinsons Stiefel klapperten auf dem feuchten Asphalt. Er sah aus wie ein typischer Inspektor, wie man ihn aus dem Fernsehen kannte. Er trug einen grauen Anzug und einen langen dunklen Wollmantel und seine Haare waren bis auf die dunklen Fransen in seiner Stirn zurück gekämmt.

In seiner Brusttasche steckte ein kleiner Notizblock und ein Aufnahmegerät. Seine braunen Augen wanderten aufmerksam über die nervösen Gesichter der Beamten, während er den halb gerauchten Zigarettenstummel auf den Boden schnippte.

„Hat sich was getan?", brummte seine tiefe Stimme und eine kleine Nikotinwolke stieß aus seinem breiten Mund hervor. Sie kämpfte sich durch die karg verteilten Stoppeln seines Schnäuzers und löste sich dann in Nichts auf.
„Nein, Sir, nicht in den den letzten zwei Stunden."
Wilkinson nickte. Seine eh schon schmalen Augen kniff er argwöhnisch zusammen, als er sich weiter umschaute.

„Nur Geduld, Männer, er wird kommen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er heute herkommt."
Der junge Polizist neben ihm verlagerte unruhig sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Ihm war kalt. Er rieb sich die zitternden Hände und schaute immer wieder zu Boden. Wilkinson erkannte einen Anfänger, wenn er ihn sah. Da nützte auch die eindrucksvolle Uniform nichts.

„Bei allem Respekt, Sir, wie können Sie so sicher sein? Night Runner hat uns nicht angekündigt, wer sein nächstes Ziel sein wird."
„Nein, aber ich habe die Anfragen im Internet gelesen. Wenn Sie nicht ganz auf den Kopf gefallen sind, Officer, dann wissen Sie wo er als Nächstes auftauchen wird."
„So?"

Der dumme Mann verstand es nicht. Die heutigen Beamten schienen alle hohl im Hirn zu sein. Wilkinson stöhnte, nahm sich aber die Zeit seinen Kollegen aufzuklären.
„Die Daten geben doch keine Informationen darüber, wann und wo er auftauchen wird. Bis jetzt haben Sie angenommen, er würde willkürlich die Aufträge annehmen, richtig?"
Alle Polizisten um ihn herum nickten bestätigend und lauschten aufmerksam.

„Nun, das stimmt nicht. Er braucht in etwa fünf bis sieben Tage zur Vorbereitung. Je nach dem was der Klient fordert, sogar zwei bis drei Tage länger. Das grenzt den Zeitraum bis zur Tat ziemlich ein."
Wilkinson sah zu der imposanten Villa empor. Die Polizei hatte sich in der Seitenstraße postiert und wartete auf den Dieb. Night Runner würde kommen, denn er liebte die Herausforderung. Alleine Wilkinsons Anwesenheit war für den Dieb eine Einladung. Genau deshalb war er dort.

„Man braucht nur zu wissen, welche Anfragen er annimmt."
„Und woher wissen Sie das?"
„Die Vergangenheit lehrt es uns. Es ist deutlich zu erkennen, dass Night Runner fast ausschließlich Mitglieder der HKS Group ausraubt", brummte Wilkinson und verzog seine Lippen zu einem schiefen Lächeln.
„Es war leicht für unsere IT-Experten die IP-Adressen von Night Runners Klienten herauszufinden und die Nachrichten zu entschlüsseln. Leider konnten wir seine noch nicht knacken, aber das ist auch nur noch eine Frage der Zeit."

Ein Raunen ging durch die Reihen der Männer.
„Jedenfalls macht er Jagd auf die großen Fische. Diejenigen, hinter denen wir auch schon lange her sind. Offensichtlich bekommt Night Runner ähnliche Informationen wie die Polizei. Es ist anzunehmen, dass er sich regelmäßig ins Polizei-Netzwerk einhackt und nach Informationen über die HKS Group sucht. Unsere einzige Chance,  ihn zu schnappen, ist ihn auf frischer Tat zu erwischen."



~



In etwa drei Kilometern Entfernung zur Polizei...

Night Runner hielt sich das Fernglas vor die Augen und zählte die bewaffneten Polizisten in der Nähe des Zielortes.
Es passte ihm gar nicht, dass die Polizei einen Schritt schneller war.
In seinem Ohr knisterte das Funkgerät und Maurices dumpfe Stimme meldete sich.

„Ich bitte dich jetzt noch einmal es abzublasen. Das Haus leuchtet wie ein Weihnachtsbaum und es gibt kaum eine Möglichkeit für dich unbemerkt hinein zu kommen."
Night Runner steckte das Fernglas weg und ließ seinen Blick in der Umgebung umher schweifen.
„Wer leitet die Aktion?"
„Wilkinson", antwortete Maurice nur mit dem Namen.
Night Runner stöhnte und warf einen kurzen Blick auf seine Schuhe.
„Ausgerechnet der."
„Er ist dir schon seit Monaten auf der Schliche, Junge."

„Ich dachte, er wäre nicht in der Stadt."
„Sie haben ihn extra für dich zurück geholt", meinte Maurice mit einem sarkastischen Unterton.
„Prima. Ich fühle mich geehrt."
„Das ist kein Spaß, Junge. Ich rate dir nach Hause zu gehen und es ein anderes Mal zu probieren."
„Beim nächsten Mal wird das Haus nicht weniger umstellt sein. Wilkinson hat herausgefunden, wen ich als nächstes ausrauben werde. Ich weiß nicht wie, aber er ist hier und das spricht für sich."

Nun seufzte Maurice.
Derweil blieben Night Runners Augen bei dem großen Fabrikgebäude in der Ferne hängen.
„Siehst du die Fabrik mit den vielen Schornsteinen? Was ist das?"
Maurice antwortete mit Verzögerung:
„Ein Stahlwerk. Wieso fragst du?"
„Gibt es einen Weg für mich dorthin zu gelangen?"
„Augenblick."
Maurice tippte wild auf die Tasten ein. Es dauerte zwei Minuten bis er sich wieder meldete.

„Du kannst übers Dach gehen. Ich habe dir eine potentielle Route auf dein Handy geschickt."
Night Runner sah sich kurz den markierten Weg auf dem Display an und grinste.
„Klasse, das schaffe ich in fünf Minuten."
„Überschätzt dich nicht, Junge. Das wird kein Spaziergang. Doch sag mir warum du dorthin willst."

„Es wird mein Fluchtweg sein."
Diese Aussage brachte den alten Mann im Hintergrund für einen Moment zum Schweigen. Dann meinte er zögernd:
„Du hast doch einen Fluchtweg."
„Vergiss das, Maurice. Das wird mit Wilkinson nicht funktionieren. Sieh dir die Straßen an. Es ist kaum bis gar kein Verkehr in einem Umkreis von zehn Kilometern. Er hat Straßensperren eingerichtet. Nicht weil er glaubt, ich würde mit dem Auto fliehen, sondern weil er mich so besser verfolgen kann."

Wieder ein Stöhnen von Maurice.
„Ganz egal in welche Richtung ich später laufe, er wird mir am Arsch kleben. Also brauche ich einen Plan B, um ihn loszuwerden. Die Fabrik scheint mir vielversprechend."
„Ich weiß nicht. Ich habe Bauchschmerzen dabei, Junge", sagte Maurice gequält.
„Ich auch, aber ich will den Auftrag abschließen. Mr. Park hat sich zu viel Kohle unter den Nagel gerissen und ich werde sie ihm wegnehmen."

„Du weißt ich kann dir in der Fabrik so gut wie gar nicht helfen."
Das war dem jungen Dieb wohl bewusst. Trotzdem würde er den reichen Agenten der HKS Group um sein Geld erleichtern. Der erste Schritt war sein Haus. Als nächstes würde Night Runner sein Konto leeren.

„Okay, Maurice, behalte du Wilkinson im Auge. Ich schleiche ins Haus."
Seinem Partner gefiel es ganz und gar nicht, dass er bei Festbeleuchtung in ein mit dutzenden Polizisten umstelltes Haus einsteigen wollte. Den Trick sollte Night Runner ihm erst zeigen.

Doch dieser war fest entschlossen seinen Auftrag abzuschließen. Wie geplant kletterte er über die Dächer und versuchte sich nur in den Schatten aufzuhalten. Der Mond kroch hin und wieder zwischen den faserigen Wolken hervor und leuchtete wie eine Taschenlampe auf die Erde. Das war ein großer Nachteil für einen Dieb. Zudem hatte Wilkinson die direkte Nachbarschaft mit Scheinwerfern erhellt.

Als ob er ihn locken wollte. Das schrie gerade zu nach einer Herausforderung.
Doch trotz der Festbeleuchtung stahl sich Night Runner an den Polizisten vorbei. Er rollte sich unter den Autos über die Straße und hüpfte bei der nächsten Gelegenheit über den Zaun.

Im Garten brannte ebenfalls viel Licht. So dauerte es länger ans Haus heran zu kommen. Noch dazu hatte es einen Schneeweißen Anstrich.
Er hörte Maurice leise brummen. Nun war es zu spät umzudrehen.
„Alarmanlage?"
„Hab' ich im Griff."

Innerhalb von fünf Minuten war Night Runner im Haus. Doch reinkommen war stets leichter als wieder hinaus.
„Dieses Mal keine Fehler, Junge. Du kannst es dir nicht erlauben", warnte Maurice. Dabei sprach nur die Sorge aus ihm.
Night Runner antwortete nicht. Er durfte keinen Laut von sich geben, denn dieses Mal waren die Bewohner im Haus.

Mrs. Park saß in einen samtweichen Bademantel gehüllt und mit einem beruhigenden Glas Rotwein auf dem  bestickten Sofa und starrte missmutig auf die Wanduhr. Es war bereits nach Eins. Die beste Zeit für einen Einbruch. Allerdings hatte Night Runner gehofft, dass die Parks schon schlafen würden. Naja, bei all dem Flutlicht und den ganzen Polizisten rings herum, würde er auch kein Auge zumachen können.
Woher zum Teufel wusste Wilkinson nur wann er kommen würde? Das Wo und Wen war nicht so schwer herauszufinden, aber das Wann...

Zielstrebig eilte er die schmale Treppe hinauf in den ersten Stock. Niemand hörte ihn. Er kam in einen langen unbeleuchteten Flur. Die Dunkelheit gab ihm Sicherheit. Das hatte sie immer schon getan. Er wusste wo das Arbeitszimmer von Mr. Park war.
Absolut lautlos drückte er die Türklinke hinunter und lugte durch den winzigen Spalt ins Innere des Zimmers.

Daniel Park saß in seinem Lederstuhl hinterm Schreibtisch und sah auf den ersten Blick entspannt aus. Doch seine Augen waren wachsam. Er wartete auf Night Runner, so viel stand fest.
Entgegen aller Vorsätze nahm dieser seine schwarze Pistole hervor. Er bewaffnete sich nicht gerne. Doch ganz ohne Sicherheit würde er es dieses Mal nicht schaffen.

„Sei vorsichtig!", warnte Maurice wieder im Flüsterton.
Night Runner betrat das Zimmer und lies bewusst laut die Tür hinter sich ins Schloss fallen.
Mr. Park hob den Kopf und sah keines Falls überrascht aus.
„Ich bin beeindruckt, dass du es hier rein geschafft hast", meinte er herablassend.

Der in schwarz gehüllte Dieb hob die Waffe und zielte auf den älteren Mann. Dieser trug bloß ein helles Hemd und eine graue Weste darüber. Seine grau melierten dunklen Haare lagen perfekt mit einem Seitenscheitel und an seinem Handgelenk glänzte eine goldene Herrenuhr.

Langsam streckte Park seine Hände nach oben. Night Runner hatte mit mehr Widerstand gerechnet.
„Sie wissen warum ich hier bin, Mister."
Park nickte unmerklich und erhob sich vorsichtig von seinem Stuhl.

„Man hatte mich gewarnt du seist hinter der HKS Group her. Das scheint wohl zu stimmen. Natürlich arbeiten die reichsten Menschen der Stadt für dieses Unternehmen. Ich gehöre dazu. Sicher kann ich dir mehr bieten als du für diesen Auftrag bezahlt bekommst. Ich wollte dich kaufen, aber du hast alle meine Anfragen bisher abgelehnt. Was muss ich dir bieten, damit du für mich arbeitest?"

Das schleimige Grinsen zwischen all den Falten brachte Night Runner an den Rand der Übelkeit. Obwohl er keinen persönlichen Groll gegen Park hegte, so war er dennoch ein korrupter und machtgieriger Kerl. Schmierig und verlogen. Gleich würde er lernen, dass man nicht alles mit Geld kaufen konnte.

„Wer hat dich bezahlt? Hm? Sag es mir und ich sage den Bullen, dass sie abziehen sollen."
Park kam mit erhobenen Händen um den Schreibtisch herum.
Night Runner entsicherte die Pistole. Alles in ihm weigerte sich zu schießen. Doch er würde abdrücken, wenn dieser Mistkerl ihm auf die Pelle rückte.
„Ich kenne meinen Klienten nicht. Meine erste Regel lautet keine Fragen zu stellen."
„Sicher, das weiß ich. Doch es muss doch etwas geben, was du dir wünscht. Sag es mir und ich gebe dir alles was du willst."

Night Runner seufzte genervt.
„Hören Sie, anscheinend haben Sie jemanden ziemlich verärgert. Strengen sie ihre Denkmaschine mal an, dann kommen sie vielleicht selbst auf die Antwort. Ich will nur Geld sehen. Zeigen Sie es mir."

„Du willst Geld? Ich gebe dir mehr als du tragen kannst, Junge. Deine Stimme klingt jung. Versau dir nicht dein Leben im Knast. Du kommst hier nicht heile raus. Also schlage ich dir vor für mich zu arbeiten. Jemand mit deinen Fähigkeiten ist mehr wert als jeder Sicherheitsmann der HKS."

Das Geld war sehr verlockend. Wenn er sich endlich hier raus kaufen könnte und ein neues Leben beginnen könnte, wäre das schon schön. Allerdings konnte er auch nicht einfach so das Stehlen aufgeben. Selbst alles Geld der Welt konnte ihn nicht daran hindern zu stehlen.

„Sie schmeicheln mir, Mister, doch ich bin nicht käuflich. Außerdem breche ich niemals meine Regeln. Die zweite besagt nämlich niemals für die HKS Group zu arbeiten. Tut mir leid."
Im Gesicht des über fünfzig Jährigen zuckte etwas.
„Wie bedauerlich. Scheint als hättest du auch noch eine Rechnung offen. Ich könnte dir helfen sie zu begleichen."
Night Runners Geduld war am Ende. Er wollte nicht seine Zeit mit Reden vergeuden. Auch Maurice knurrte schon in seinem Ohr.

„Genug jetzt! Zeigen sie mir den Tresor!", befahl der Dieb ungeduldig und trat entschlossen einen Schritt vor.
Park trat zurück und drückte auf einen Knopf unterhalb der hölzernen Schreibtischplatte. Daraufhin öffnete sich eine versteckte Tür im Bücherregal und eine kleine Kammer kam zum Vorschein.

„Packen Sie es ein!", forderte Night Runner.
Park ging zu einem Schrank und holte eine große Reisetasche heraus. Dorthinein packte er so viele Geldscheine wie er konnte. Night Runner behielt ihn dabei im Auge. Nur eine falsche Bewegung, ein kleines Zeichen würde genügen, um die Bullen zu rufen.

Als alles eingepackt war, schaute Park erwartungsvoll zu Night Runner. Dieser würde mit einer vollen Tasche unmöglich flüchten können. Doch das hatte er auch gar nicht vor. „Nehmen Sie die Tasche und gehen Sie mit ihrer Frau in den Garten."
Park schien verwirrt, gehorchte aber.

Night Runner gab ihm genau zwei Minuten dafür. Inzwischen würde er auch die Polizisten anlocken. Genug Zeit für ein kleines Feuer.
Er holte das Feuerzeug aus seiner Hosentasche und schaltete es ein. Die kleine Flamme tauchte sein blasses Gesicht in einen orangefarbenen Schimmer, bevor er es ohne zu zögern in die Kammer warf.
Dann ging er zum Schreibtisch und schloss die Tür in der Wand.

Wenn Park Glück hatte würde er nicht das ganze Haus verlieren. Doch von seinem Geld musste er sich verabschieden, dass langsam vor sich hin kokelte.
„Wilkinson ist auf dem Weg ins Haus. Park hat ihn alarmiert.", sagte Maurice über Funk.
„Gut. Er soll nur kommen. Der kriegt mich in tausend Jahren nicht."
„Hochmut kommt vor dem Fall, mein Junge."

Maurice war ein alter Angsthase. Für ihn wäre dieser Job sicher nichts. Er saß sicher an seinem Computer und musste nur ein paar Knöpfchen drücken.
Auch wenn Night Runner seine Arbeit mittlerweile unbezahlbar fand und er froh war sich auf den alten Mann verlassen zu können, manchmal ging ihm sein überängstlicher Partner auf die Nerven.

Also ignorierte er dessen Warnung und ging zurück ins Erdgeschoss. Er versteckte sich gerade noch rechtzeitig im Einbauschrank in der Diele, bevor Wilkinson bewaffnet mit einer kleinen Pistole an ihm vorbei lief.

Also viel Intelligenz konnte er dem Mann nicht zusprechen. Er wartete noch dreißig Sekunden und schlüpfte dann unbemerkt aus dem Schrank. Night Runner war vorsichtig, sehr vorsichtig. Sonst machte er sich einen Spaß daraus die Polizei zu verwirren und sich ganz deutlich vor ihr zu zeigen. Nur dieses Mal hatte er ein komisches Gefühl im Bauch. Sein Verstand riet ihm, heimlich zu verschwinden.

Tatsächlich gelang es ihm vollkommen unsichtbar zu bleiben, bis er auf die Dachterrasse kam. Er hüpfte über das Geländer und anschließend auf die große Eiche, die neben dem Haus stand und ihre dicken Äste über die Terrasse ausstreckte.

Er musste einen Moment verharren, weil die Beamten mit den Taschenlampen sehr gründlich nach ihm suchten. Wilkinson sollte mittlerweile das Feuer entdeckt haben. Es dürfte ihn eine Weile aufhalten.

Sobald das Licht verschwand, kletterte der Junge weiter und zog die Träger seines Rucksacks fester.
„Die Tasche ist im Auto", berichtete Maurice.
„Gut, dann sag Jenny Bescheid."
Es lief alles wie geplant. Er hatte gehofft, dass Park die Tasche zu seiner Limousine bringen würde. Doch da war sie auch nicht sicher.

„Sie ist schon dran", erwiderte Maurice.
Jennys Aufgabe war es, das restliche Geld aus der Tasche - die Park vorhin höchst persönlich vollgepackt hatte - verschwinden zu lassen. Dafür brach sie den Kofferraum auf und packte geschwind die Geldpäckchen in eine andere Tasche und machte sich aus dem Staub.

Von seinem Baum aus konnte Night Runner das ganz gut beobachten. Bevor sie verschwand, sah sie kurz zu ihm herauf und nickte. Einen Moment später war sie weg.
Night Runner schwang sich über die Äste herunter auf die Straße. Er lachte über die hirnlosen Polizisten. Er kam sich schon vor wie ein Ninja.

Er lief ebenfalls die Straße entlang und ließ das gute Villenviertel hinter sich. Irgendwann suchte er sich einen Weg auf die Dächer der Reihenhäuser. Langsam trat er mit seinen flachen Schuhen über die Zinnen, die leise klapperten.

Auf einmal hörte er noch mehr Zinnen hinter sich klappern. Augenblicklich blieb er stehen, doch das Geräusch war noch da. Jemand war hinter ihm.
Vorsichtig sah er sich um. Es war selten, dass ihm das Herz in die Hose rutschte, aber in diesem Moment sah er wirklich alt aus. Vielleicht zehn Meter hinter ihm blieb Wilkinson stehen. Sein geöffneter Mantel wehte im leichten Nachtwind und sein hämisches Grinsen verpasste Night Runner eine Gänsehaut.

Der Inspektor wartete, als ob er dem Dieb sagen wollte: Ich hab dich gleich. Versuche es doch.
Night Runner sah Wilkinson an, dass er ihn jagen wollte. Beide wussten genau, dass er gleich versuchen würde wegzulaufen und Wilkinson würde die Verfolgung aufnehmen.
Ehrlich gesagt hatte Night Runner nicht damit gerechnet, dass Wilkinson ihm direkt hinterher laufen würde. Er hatte sich nicht lange mit dem Feuer aufgehalten. Vermutlich hatte er ihn auf dem Baum gesehen und war sofort auf die Straße geeilt.

Der Dieb fluchte innerlich über seinen Leichtsinn. Er hätte nicht so eingebildet sein dürfen. Wilkinson war ein anderes Kaliber als diese stumpfsinnigen, hohlköpfigen Affen in Uniform.
„Worauf wartest du?", fragte Wilkinson immer noch grinsend.
Sobald Night Runner sich bewegte, würde Wilkinson es auch tun. Die Frage war nur, ob er mithalten konnte. Immerhin war er ohne große Probleme aufs Dach gekommen. Doch würde er auf diesem auch genauso gut rennen können?

„Sie waren gut, Wilkinson...", lobte Night Runner verächtlich. Sein ganzer Körper war angespannt. Jeder Nerv und jeder Muskel war dafür bereit umgehend wegzulaufen.
Dagegen stand Wilkinson entspannt. Er würde kostbare Zeit verschwenden.
„Aber nicht gut genug", fügte er nach einer Pause hinzu.
„Du kannst versuchen vor mir davon zu laufen, Junge. Irgendwann machst du einen Fehler und dann krieg ich dich doch."

Er stemmte die Hand in die Seite und verlagerte sein Gewicht.
„Du bist noch jung, richtig? Für all die Diebstähle wanderst du mindestens sechs Jahre in den Bau. Von Körperverletzung und den anderen Vergehen ganz zu schweigen. Hör jetzt auf und stell dich, dann kann ich vielleicht noch ein paar Jahre für dich heraus holen."

„Wissen Sie, Inspektor...wenn ich irgendetwas zu verlieren hätte, könnten Sie mich vielleicht noch überzeugen."
„Wenn nicht für dich, tu es für deinen Partner. Ich weiß dass du nicht alleine arbeitest."

Maurice schnaubte spöttisch im Hintergrund.
„Als ob er dich damit ködern könnte, Junge. Du kennst meine Haltung dazu. Alles was ich mir für dich immer gewünscht habe, war ein besseres Leben. Doch das kriegst du nicht hinter Gittern."
„Du aber auch nicht", flüsterte Night Runner.
„Mein Leben ist gelebt. Wir bringen das jetzt zu Ende, oder nicht?"

Natürlich würden sie das zu Ende bringen. Night Runner wagte unauffällig einen Blick auf die Fabrik. Er hatte Park das Geld genommen. Der Rest wurde verbrannt. Er musste nur noch entkommen.

Als er wieder zu Wilkinson blickte, stellte er fest, dass dieser ihn ganz genau beobachtete. Ein Blick auf seine profilstarken Schuhe, verriet Night Runner, dass der Mann sich auf die Jagd vorbereitet hatte.
Er freute sich darauf, wie ein kranker Bastard. Genauso wie Night Runner.

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