10. 𝑇𝑎𝑛𝑧𝑒𝑛𝑑𝑒𝑠 𝐻𝑒𝑟𝑧
Seit dem vermeintlichen Nicht-Date, wich Fred ihr nicht mehr von der Seite. Einerseits freute sie sich über die neu auflebende Freundschaft, aber Dianas Worte gingen ihr nicht mehr aus dem Kopf.
„Er ist so was von an dir interessiert."
Naomi glaubte es langsam immer mehr. Fred war auch unheimlich nett und er sah gut aus, aber er wusste doch, wie sehr sie für James schwärmte. Sie hatte sogar den Chef des Schwimmclubs angebettelt, dass sie als Aushilfe in den Club kommen dürfe, nur um James öfter sehen zu können. Natürlich hatte sie ihm versichern müssen, sich nicht wie ein wild gewordener Cheerleader aufzuführen. Naomi genügte es, hin und wieder einen Blick auf James zu werfen ohne ihn zu belästigen.
Jedenfalls genoss sie die zwei Stunden in der relativ ruhigen und warmen Schwimmhalle. Sie durfte die Wasserketten umsortieren und Handtücher für die Jungs bereit legen. Zudem musste sie dafür sorgen, dass der Boden nicht allzu rutschig war. Deshalb legte sie dünne Gummimatten aus, über die man laufen konnte und die winzige Löcher hatten, damit das Wasser auf die Fliesen ablaufen konnte.
Eine der unschönen Aufgaben war es, die Toiletten zu reinigen und, wenn alle Mitglieder fort waren, auch die Umkleidekabinen. Doch schlimmer waren die Kabinen der Mädchen. Dagegen waren die Jungs echt sauber.
Zum Glück gab es in James Club keine Mädchen. Sie war die Einzige und das zählte nur halb. Sie würde niemals ins Wasser gehen können. Zumindest nicht wenn die anderen da waren.
Die meiste Zeit stand sie eh nur herum und sah den Jungs beim Schwimmen zu. Hin und wieder machten sie Wettkämpfe, was noch das Spannendste war. Dann fieberte Naomi innerlich für James mit. Er gewann auch fast immer, dicht gefolgt von Alec. Er schluckte aber versehentlich immer so viel Wasser, dass er sich nicht richtig aufs Schwimmen konzentrieren konnte und James nicht einholte. Mal ehrlich, wie kann man nur so tollpatschig sein? Das fragte sich Naomi jedes Mal, wenn sie Alec sah.
Gegen Nachmittag endete der Club und jeder ging seiner Wege. Naomi machte sich daran, die Umkleideräume aufzuräumen.
Sie machte die Bänke sauber und wischte den Boden. In einer Kabine fand sie einen zurückgebliebenen Schal.
Warte mal, war das nicht Alecs? Sie hatte ihn doch zuvor damit gesehen.
Sie nahm den weichen Schal vom Haken und lief durch die Halle in der Hoffnung, Alec noch irgendwo über den Weg zu laufen. Draußen war es so kalt, er hätte doch eigentlich merken müssen, dass er keinen Schal dabei hatte.
Im Flur begegnete sie Ron, dem Kleinsten aus dem Schwimmclub. Er schulterte die für ihn viel zu große Tasche und machte ihr Platz.
„Hey Ron, hast du Alec noch gesehen?"
Er schüttelte den Kopf.
Enttäuscht ging sie weiter und schaute in jeden Raum. Wo hatte Alec nur wieder seinen Kopf? Ständig baselte er irgendwo vor, ließ etwas fallen oder vergaß seine Sachen. Was würde nur aus dem Jungen werden? Als Journalist konnte er sich sowas nicht erlauben.
Als Naomi ihn nach einiger Zeit vergeblichen Suchens immer noch nicht fand, wollte sie gerade zurück gehen und ihre Sachen zusammen packen, als sie an der angrenzenden Sporthalle vorbeikam. Es gab tatsächlich eine Verbindung von der Schwimmhalle zur großen Sporthalle, einzig durch eine Tür und dem dahinter liegendem schmalen Flur. Von drinnen drang Musik an ihr Ohr.
Naomi stieß die breite Tür auf und landete in einem weiteren Flur. Alles war dunkel und sie tastete sich langsam an der Wand entlang, weil sie keinen Lichtschalter fand. Weiter vorne drang das einzige Licht aus einer geöffneten Tür - der Tür zur Halle. Dort kam auch die laute Musik her. Vorsichtig lugte Naomi um die Ecke.
Drinnen waren nicht alle Lichter angeschaltet. Nur ein kleiner Teil der Halle war beleuchtet und mitten auf dem mit bunten Linien bemalten Boden stand eine kleine Musikbox.
Naomi war überrascht über den Tänzer, der sich erst langsam und graziös zum Beat bewegte. Dann wurde der Rhythmus schneller und der Gesang setzte ein.
Naomi trat staunend in die Halle. Es war nicht die Musik, die sie anlockte. Sie kannte den Song gar nicht. Es war irgendeine Pop-Mischung. Sowas hörte James bevorzugt, erinnerte sie sich.
Es waren die eleganten und flüssigen Bewegungen des Tänzers, der seinen Kopf unter einem Hoodie versteckte. Naomi liebte Hoodies und enge Jeans. Deshalb blieb sie wie angewurzelt im Eingang stehen und schaute ihm zu.
Solange bis er sich umdrehte. Ihr Herz rutschte in die Hose und veranstaltete einen Polka.
Sie hätte jetzt mit jedem gerechnet aber nicht mit dem schusseligen Alec, der auf einmal gar nicht mehr so ungeschickt zu sein schien. Er hatte immer zwei linke Füße. Wie schaffte er es diese coolen Moves so fließend aussehen zu lassen? Wahrscheinlich hatte er hart dafür gearbeitet.
Egal ob er sich am Boden bewegte oder mit kleinen Sprüngen in die Höhe hüpfte, es wirkte so sicher. Er sah unglaublich cool dabei aus. Nur wunderte sich Naomi, dass er nach dem intensiven Schwimmen noch die Energie hatte so zu tanzen. Sie wusste, wie sehr sie immer ausgepowert war, nachdem sie eine Stunde intensiv geschwommen war.
Doch jetzt war ihr klar, warum Alec so fit war. Wenn er das regelmäßig machte, baute er unglaubliche Muskeln dabei auf.
Seine Lippen bewegten sich zum Text, als würde die Lyrik ihm direkt aus der Seele kommen.
Naomi achtete einen Moment auf den Text. Sie hoffte nicht, dass Alec sich selbst mit dem Song interpretierte.
Sie zückte ihr Smartphone und öffnete die Musikerkennungsapp. Es dauerte ein paar Sekunden, dann sagte ihr die App, dass der Song von Kanye West war und „Love Lockdown" hieß. Der Beat gefiel ihr. Dazu brachte die Mischung aus Keyboard und Trommeln ihr Herz zum Tanzen. Als die Trommeln mehr wurden und der Song schneller wurde, tanzte auch Alec schneller, als hätte er sein Leben lang nichts anderes gemacht. Seine Moves waren unglaublich.
Naomi hob vergnügt das Handy und startete eine Aufnahme. Das wollte sie für sich behalten. So wenig wusste sie über Alec. Es freute sie, etwas über ihn heraus gefunden zu haben. Der sonst so stille und ungeschickte Alec war ein richtig guter Tänzer. Wer hätte das gedacht?
Im nächsten Moment stolperte er über seine Füße und der epische Moment war vorüber. Er fing sich gerade noch, bevor er dem Boden zu nahe kam und richtete sich auf. Er schaute direkt zu Naomi herüber. Sie ließ erschrocken das Handy sinken und schluckte.
Das Lied endete und Alec kam mit großen Schritten auf sie zu. Ihr Herz pochte aufgeregt.
Er blieb stark atmend vor ihr stehen und sah sie vorwurfsvoll an. Dabei lugten seine hellen Augen gerade noch unter seinem schwarzen Pony hervor, der ebenfalls seine dichten Augenbrauen fast gänzlich verdeckte. Auf einmal fühlte sie sich klein und hilflos. War er wütend? Er sagte erst nichts, nahm ihr das Handy ab und löschte das Video. Dabei fielen Naomi die dunklen Fingerlinge an seinen Händen auf.
„H-Hey! Ich wollte es doch nicht teilen."
„Wer glaubt dir das bitte?", erwiderte er trocken. „Machst du immer ungefragt Videos von anderen, wo du doch selber keine Fotos von dir magst?"
Es überraschte Naomi, dass er das von ihr wusste. Offenbar war Alec aufmerksamer, als sie ihm zugetraut hatte.
„Woher kannst du so gut tanzen?", entgegnete sie mit einer Gegenfrage.
„Hab's mir selbst beigebracht. Genauso wie das Schwimmen."
Er übergab ihr das Handy und kehrte ihr den Rücken zu. Kann man sich Schwimmen ganz alleine beibringen? Für Naomi klang es wie eine billige Ausrede, um sie abzufertigen.
Beinahe hätte sie den Grund vergessen, warum sie ihn gesucht hatte.
„Warte, du hast deinen Schal vergessen."
„Nein habe ich nicht. Meine Tasche ist auch noch im Spind."
Oje, das hatte sie nicht gewusst. Nun fühlte sie sich überflüssig und dumm.
Alec nahm die bereits abgeschaltete Musikbox und verließ die Halle. Im Vorbeigehen nahm er Naomi den Schal aus der Hand und ließ sie stehen.
„Trotzdem danke!", sagte er noch, als er schon ein paar Meter weiter war.
Naomi drehte sich abermals überrascht um und lächelte. Er hatte sich immerhin bedankt, obwohl sie ihn belästigt hatte.
Hatte sie das wirklich? Hätte er noch länger getanzt, wenn sie nicht gekommen wäre?
Naomi schlug sich mit der Hand vor die Stirn und ging zurück in die Schwimmhalle, um ihre Sachen zu holen. Sie hoffte sich in Zukunft von Alec fern halten zu können. Er gab ihr immer mehr das Gefühl klein und unfähig zu sein.
Allerdings hatte er sie sehr beeindruckt. Hinter seiner unscheinbaren Fassade war er ziemlich cool.
Wieso war sie in letzter Zeit von so vielen interessanten Typen umgeben? Da war einmal der wissbegierige Simon, mit dem sie stundenlang über Night Runner quatschen konnte und zum anderen war da der super attraktive und sportliche Fred, der gleichzeitig auch so süß war.
Jetzt hatte sie auch noch Alec beeindruckt. Nicht dass das was heißen würde. Naomi hoffte immer noch darauf, dass James sie bemerkte.
Wohl eher würde Night Runner vom Dach fallen. Also das würde ja wohl niemals passieren.
~
Er wusste nicht was es war, aber irgendwas war anders an ihr. Sie schenkte ihm immer so viel Aufmerksamkeit und behandelte ihn stets wie einen guten Bekannten.
Keiner außer ihr sprach ihn an oder bewunderte ihn. Genau das hatte Naomi gerade getan. Dabei hatte er doch nur ein paar lockere Moves gemacht. Das konnte jeder. Selbst mit zwei linken Füßen.
Er war es nicht gewohnt, so angestarrt zu werden und er hasste es auch. Alec wusste nicht damit umzugehen. Er war stets ein Einzelgänger gewesen. Das Leben hatte ihn gelehrt, besser alleine klar zu kommen, was einer der Gründe war, warum er nicht mit anderen redete und nicht gerne im Rampenlicht stand.
Die meisten Leute hielten ihn für komisch, sogar unheimlich. Es störte Alec nicht, weil er gern allein war. Er hatte weder Familie noch Freunde und begrüßte das. Jemand der beides hatte, konnte Alec nie verstehen - auch Naomi nicht. Sie war gutmütig und ließ ihn deshalb nicht außen vor. Aus Höflichkeit und Angst ihr weh zu tun, wies er sie nicht ab, wenn sie ihn bei den Arbeitsaufträgen um Hilfe bat.
Sie war auch der Meinung, dass er gut schreiben konnte. Er war sich dessen nicht so sicher. Er schrieb einfach drauf los, ohne sich groß Gedanken zu machen.
Doch gehörte das Schreiben zu den vielen Dingen, die er gut konnte, ihn gleichzeitig aber nicht erfüllten. Er suchte noch nach einer Sache, die ihn dauerhaft glücklich machte. Vor ein paar Monaten hatte er das Tanzen entdeckt. Es förderte seine Feinmotorik und hielt ihn fit. Das Schwimmen war nur ein Ausgleich. Alec liebte das Gefühl vom Wasser getragen zu werden.
Doch seitdem Naomi wegen James dem Club beigetreten war, hatte sich das entspannende Schwimmen zu einer anstrengenden Freizeitaktivität entwickelt. Sie brachte ständig die Handtücher durcheinander, oder lies die Materialien ins Becken fallen. So musste das Team das Training so lange verzögern, bis sie das Becken gesäubert hatte. Sie war das Chaos selbst und brachte Unruhe in seinen Rhythmus. Dabei wollte er sich beim Schwimmen entspannen und nicht nachdenken.
Er dachte schon im Alltag zu viel nach. Da musste er das nicht auch noch in der Uni machen. Das Studium war lästig, aber er musste es beenden. Vielleicht nicht für seine Zukunft. Mehr um sich selbst hinterher sagen zu können, dass er eine einzige Sache im Leben geschafft hätte.
Doch wenn Naomi ihn jetzt auch noch beim Tanzen störte, was blieb ihm dann noch? Zu Hause konnte er nicht abschalten. Es gab noch so viel zu erledigen. Die Sporthalle war bisher der einzige Ort, an dem er unbeobachtet tanzen konnte. Auch wenn er nichts gegen Naomi hatte, sie sollte lieber auf Abstand bleiben.
Sie war der Typ Mensch, der eventuell seine innere Mauer einreißen konnte und das war beunruhigend.
Alec bedauerte ihre einseitige Liebe zu James. Ein gutes Mädchen wie sie hatte besseres verdient. Auch nicht diesen Idioten Fred. Der Kerl war nicht ganz sauber und hatte zu viele Geheimnisse. Deshalb misstraute Alec ihm. Er hatte anscheinend Interesse an Naomi. Jeder checkte das, nur sie noch nicht.
Der Vorteil daran nicht aufzufallen bestand darin, andere gut beobachten zu können. Daher wusste Alec welche Absichten Fred hatte. Er sollte bloß ehrlich zu Naomi sein. Doch im Grunde ging es Alec auch nichts an. Die Affären an der Uni kümmerten ihn nicht. Andere Leute waren ihm egal. Er hatte genug eigene Probleme zu bewältigen.
Er verließ das Unigelände und ging nicht hinüber zum großen Parkplatz, sondern noch ein paar Straßen weiter bis zum angrenzenden Wohnviertel. Er zückte den Schlüssel und drückte auf das geöffnete Schlosssymbol und der mattgraue Nissan GTR auf der anderen Straßenseite blinkte auf. So sehr Alec auch wert darauf legte, unauffällig zu bleiben, sein Fahrzeug war es nicht. Deshalb parkte er lieber weiter weg. Er hatte keine Lust auf die neidischen Blicke der anderen Studenten, die sich nicht so ein Auto leisten konnten.
Der Nissan hatte über 500PS und fiel durch den Spoiler am Heck und die rote Umrandung der Felgen deutlich auf.
Er liebte den Wagen und war stolz darauf ihn sich selbst verdient zu haben. Dafür wohnte er ziemlich bescheiden. Doch auf das Auto wollte er nicht verzichten. Ein schnelles Auto war für Alec ein Muss.
Er setzte sich hinters Steuer und schmiss seine Tasche auf den Beifahrersitz. Als der Motor aufbrüllte, machte sein Herz einen Satz. Er liebte das tiefe Grollen der Sportmaschine. Dann gab er Gas und fuhr geschwind Richtung Hauptstraße. Er hatte noch Zeit bis er auf der Arbeit sein musste. Deshalb lenkte er den Nissan auf den Highway. Nichts ging über Geschwindigkeit. Wozu hatte man ein schnelles Auto, wenn man das nicht hin und wieder ausnutzte?
Er machte das Radio an und drückte seinen Rücken in den harten Sitz.
„...und wieder zeigt sich die Kent-Prinzessin als äußerst talentiert. Es heißt sie hätte ihr Kleid zur Gala selbst entworfen."
Alec rollte mit den Augen und stellte auf MP3 um. Berichte über die blöden Kents brauchte er wirklich nicht. Die waren alle samt nicht ganz dicht im Kopf. Angefangen mit Evans Vater. Das naive Jüngelchen würde sich noch umgucken. Er hatte keine Ahnung was für ein niederträchtiger und verlogener Mann sein Vater war. Es gab nur noch eine Person, die das toppen konnte.
Alecs Fingernägel krallten sich in das dunkle Leder des Lenkrads und sein Fuß auf dem Gaspedal wurde schwerer.
Der graue Wagen sauste über den Asphalt, kreuz und quer an den anderen Autos vorbei. Es sah fast so aus, als hätte der Nissan Flügel.
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