IrelandLover82 | Hold Me In Autumn

IrelandLover82

»Guten Morgen, Novalee«, wird es ihr von allen Seiten an diesem sonnigen Herbstmorgen zugerufen.

»Einen wunderschönen guten Morgen«, ruft die 23-jährige Novalee an jeden gut gelaunt zurück und fährt mit ihrem rosafarbenen alten Fahrrad an den Häusern und Geschäften ihres knapp 900 Seelendorfes Pomfret in Vermont, so wie an jedem Tag, vorbei. Dabei weht ihr gewelltes dunkelbraunes Haar im kühlen Herbstwind und sie summt leise einen Ed Sheeran-Song vor sich hin. Ihr Weg ist gesäumt von Ahornbäumen, deren Blätter die schönsten und buntesten Herbstfarben tragen, während sie zu ihrer eigenen kleinen Buchhandlung fährt. Diese hat sie von ihrer Großtante Elisabeth vor geraumer Zeit geerbt, da sie noch etwas von der Welt sehen wollte.

Nachdem sie ihr Fahrrad an die Seite ihres außen sowie innen in dunklem Holz gehaltenen Second-Hand-Buchladens angelehnt hat, der von Bäumen mit goldenen Blättern umgeben ist, geht sie die drei Stufen, an denen sich rechts und links am Ende der Holzgeländer zwei schmale Holzsäulen zum grauen Dach emporstrecken, nach oben und steht auf der kleinen Veranda. Diese lädt mit zwei Tischen und acht Stühlen dazu ein, in Büchern zu schmökern und zu verweilen. Dazu verkauft Novalee momentan selbstgemachten Pumpkin Spice Latte und selbstgebackene Kürbis-Zimtkekse. Das kommt bei ihrer Kundschaft gut an und es ist ja nicht so, dass Novalee die Leckereien nicht ebenfalls sehr mag.
Sie schaut sich um und beschließt, dass sie morgen vor und in ihrem Laden etwas herbstlich und zu dem baldigen Halloween passend dekorieren wird. Schließlich ist schon Anfang Oktober und es wird Zeit.

Sich schon auf morgen freuend, schließt sie ihren Laden auf, ehe sie die Tür direkt hinter sich wieder schließt. Heute ist Montag und Ruhetag. Die Zeit möchte sie allerdings dazu nutzen, die Kartons, die im hinteren privaten Teil ihres Ladens stehen, mit neu gespendeten Büchern zu sichten. Nachdem sie sich einen Pumpkin Spice Latte in der neuen, eigens für den Kaffeeverkauf besorgten Maschine gekocht und sich ein paar Zimtkekse geschnappt hat, macht sie noch leise Musik in dem kleinen Radio an, das auf ihrem Verkaufstresen steht. Novalee wirft das Sitzkissen, das sie gerade von einem der Stühle draußen geholt hat, vor die Kartons und setzt sich darauf.

Die nächsten zwei Stunden verbringt sie damit, die ersten beiden Kartons nach Büchern, die sie noch verkaufen kann, zu durchstöbern, und nach welchen, die sie verschenkt oder spendet. Als Novalee beim letzten Karton angelangt ist, sticht ihr direkt eine alte, kleine, braune Box ins Auge. Sie nimmt sie in ihre Hände und öffnet diese vorsichtig. In ihr liegt ein vergilbtes, dünnes Buch, das in rotem Leder gebunden wurde. Sie nimmt es behutsam in ihre Hände. Von Neugierde gepackt, was darin wohl steht, möchte sie es öffnen. Nur leider geht das nicht, da es von einer Lederschließe mit Metallscharnier verschlossen ist und man zum Öffnen einen Schlüssel benötigt.

Als sie in die Box schaut, ob er darin liegt, entdeckt sie ein gefaltetes Herz aus roten, verblasstem Papier, zudem getrocknete blaue Vergissmeinnicht-Blüten in einer kleinen durchsichtigen Tüte. Was aber direkt ihre volle Aufmerksamkeit erweckt, ist ein alter gefalteter Brief, leider ohne Briefumschlag zwecks Adressen, der sich ebenfalls in der Box befindet. Novalee nimmt ihn ebenfalls heraus, faltet ihn auseinander und schon die ersten Worte erwärmen ihr Herz.

Mein Herz,

hier in LA ist es so einsam ohne dich. Nun bist du schon zwei Wochen fort und ich vermisse dich jeden Tag mehr. Ich kann mich noch sehr genau an jede einzelne Minute mit dir erinnern, als wäre es erst gestern gewesen. Wie warm du dich in meinen Armen angefühlt hast, wie deine Küsse auf meinen Lippen geschmeckt haben. Du fehlst mir jeden Tag, jede Minute und jede Sekunde. Ich hoffe, dein Vater hat sich beruhigt? Bitte schreibe mir, wie es dir geht. Ich vermisse dich unendlich.

In Liebe, dein Arthur

Aufseufzend lässt Novalee den Brief sinken. Man kann förmlich spüren, mit wie viel Zuneigung er verfasst wurde. Aber wer ist Arthur? Ob er mal hier in Pomfret gelebt hat? Denn ihr ist zumindest keiner bekannt und hier kennt wirklich jeder jeden. Sie nimmt nochmal das dünne rote Buch und rüttelt zaghaft an dem Verschluss. Vielleicht geht er ja doch auf? Allerdings bleibt er auch dieses Mal verschlossen. Sie würde zu gerne wissen, was darin steht. Und vor allem, was das Buch mit den Dingen zu tun hat, die in der Box liegen. Nur leider wird sie das wohl nie erfahren. Novalee legt alles wieder in die Box und verschließt sie. Nachdem sie die Bücher, die sie in den Verkauf nehmen möchte, in die dafür vorgesehenen Körbe und Regale, die verteilt im Laden stehen, verstaut hat, räumt sie noch schnell auf. Als sie anschließend nachhause fährt, ist es schon später Nachmittag.

🍁🍁🍁

Hier um die Ecke muss der Buchladen sein, denkt der 25-jährige Cayden und läuft gemeinsam mit seinem weißen Schäferhund Max noch ein paar Schritte weiter, bis er vor sich Elisabeths Bookstore erblickt. Als er auf ihn zugeht, nimmt er die Lichterketten rechts und links an den Säulen neben der Treppe, zudem Spinnweben, die vom Dach herunterhängen, und einige Kürbisse, die vor und auf der Terrasse verteilt stehen, wahr. Er öffnet die Ladentür und tritt gemeinsam mit Max ein. Leise Musik ist zu hören. Allerdings erregt etwas, nein jemand anderes, seine Aufmerksamkeit. Denn vor ihm steht auf einer Leiter, die an der Wand lehnt, eine schlanke, braunhaarige Frau. Sie trägt eine blaue Latzhose sowie ein rotes Oberteil. Überdies flucht sie ziemlich laut und hantiert mit einer verknoteten Lichterkette herum. Sich über seinen roten, gestutzten Sieben-Tage-Bart reibend, beobachtet er schmunzelnd die Szene vor sich.

»Diese verdammte Lichterkette«, schimpft sie weiter vor sich hin und startet einen erneuten Versuch, sie zu entwirren. Leider gelingt es ihr auch dieses Mal nicht.
Durch ihr erneutes Fluchen kann Cayden nicht mehr an sich halten und er lacht auf. Dies bringt allerdings Max dazu, laut aufzubellen. Aufgrund des Bellens erschrickt Novalee und kreischt kurz auf, ehe sie den Halt verliert und fällt. Sie schließt die Augen und stellt sich schon darauf ein, ziemlich unsanft auf ihrem Hintern zu landen. Allerdings geschieht dies nicht und sie landet... weich?

»Hoppla«, nimmt sie eine raue, dennoch sanfte Stimme wahr. Zudem steigt ihr ein maskuliner, aber zugleich zarter Duft nach Sandelholz gepaart mit Zimt und Orange in die Nase. Als sie ihre Augen öffnet, blickt sie in wunderschöne blaue Augen, die sie direkt an den Himmel im Morgengrauen erinnern, wenn die Sonne aufgeht und alles hell leuchtet. Novalee kann ihn einfach nur sprachlos anstarren.

»Ist alles in Ordnung?«, fragt sie der Unbekannte und ihr Blick fällt auf seine sinnlich geschwungenen Lippen. Als er grinst, da er ihren Blick bemerkt hat, beginnt ihr Herz schneller zu schlagen. Himmel, diese Grübchen, wenn er lächelt, sind einfach nur zum Dahinschmelzen. Moment mal, was denkt sie da überhaupt und vor allem: Warum ist sie nicht auf ihrem Hintern gelandet? Als sein Grinsen noch breiter wird, erwacht Novalee endgültig aus ihrem Geschmachte und sie bemerkt, dass sie in seinen Armen liegt. Er hat sie aufgefangen. Dass es an genau den Stellen prickelt, auf denen seine Hände ruhen, verdrängt sie schnell.

Sie räuspert sich. »Ja, es ist alles in Ordnung. Sie können mich nun wieder runterlassen und danke fürs Auffangen.«
Langsam lässt der für Novalee Fremde seine Arme sinken und sie ist froh, als sie wieder auf ihren eigenen Beinen steht. Auch wenn das eben ganz nett - Nein, damit würde sie sich selbst belügen - echt schön war, tritt sie erstmal einen Schritt von ihm weg. Nun kann sie ihn sich richtig anschauen.

Vor ihr steht ein Mann mit kurzen, roten Haaren, die am Oberkopf länger und überdies leicht lockig sind, und der sie um einen Kopf überragt. Er hat zudem einen roten Sieben-Tage-Bart. Sein Gesicht ist kantig und von kleinen, hellen Sommersprossen übersät. Das alles, und dazu seine wunderschönen Augen und Lippen lassen sie schon fast sabbern. Bevor das noch wirklich passiert, wandert ihr Blick weiter nach unten, und sie nimmt breite Schultern und einen schlanken, trainierten Körper wahr. Dieser steckt in einem grauen, dünnen Pullover, schwarzen Jeans und braunen Boots. Wer ist er? Sie hat ihn hier noch nie gesehen.

»Gern und kein Problem«, antwortet er und auch er mustert sie. Ihr schmales Gesicht wird von ihren dunkelbraunen, langen, gewellten Haaren umrahmt. Sie hat eine Stupsnase und hohe Wangenknochen. Zudem volle Lippen und leicht gebräunte Haut. Was ihn aber komplett umhaut, sind ihre leuchtend grünen Augen, die ihn an Moos erinnern. Ihre weibliche Figur mit Rundungen an genau den richtigen Stellen ist auch nicht zu verachten.

Novalee bemerkt, wie ihr Hitze in ihre Wangen steigt, aufgrund seines intensiven Blickes. »Sie wollen sicher zur Sleepy-Hollow-Farm?«, lenkt sie deshalb schnell mit einer Frage ab. Er ist sicher wegen der Farm da, deshalb kam ihr das direkt in den Sinn. So wie nahezu jeder Fremde, der zu dieser Jahreszeit Pomfret besucht.

»Hm? Was für eine Farm?«, fragt Cayden allerdings verdutzt, da er absolut nicht weiß, was sie meint.
Novalee schaut ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Na die Sleepy-Hollow-Farm. Wegen der, seit der Farmer seinen Besitz auf Social Media im Herbst geteilt hatte, im September und Oktober seit zwei Jahren unser kleines Dorf von Touristen nahezu überrollt wird.«

»Ich muss Sie leider enttäuschen, deshalb bin ich tatsächlich nicht hier. Auch wenn es hier wunderschön ist mit dem bunten Blättermeer an den Bäumen«, antwortet er und streichelt dabei über den Kopf seines Hundes, der ihn treu anblickt.

»Oh, das überrascht mich nun, da es ansonsten eher selten Fremde hier her verschlägt. Wie kann ich Ihnen denn weiterhelfen, wenn es nicht zwecks des Wegs zur Sleepy-Hollow-Farm ist?«, fragt ihn Novalee.

Cayden würde am liebsten Indem du meine Hand hältst antworten. Diese Frau fasziniert ihn schon nach wenigen Minuten, das hat er so noch nie erlebt. Aber die Antwort, die ihm auf der Zunge liegt, schluckt er schnell herunter, da er eh nicht allzu lange hier sein wird.
»Ich wollte Sie fragen, ob Sie auch handgeschriebene Bücher verkaufen?«, fragt er stattdessen das, weshalb er eigentlich hier ist.

Novalee deutet hinter sich nach links zu einem Korb. »Ja, dort sind solche Bücher drin. Lassen Sie sich ruhig Zeit beim Durchschauen. Darf ich Ihnen noch einen Pumpkin Spice Latte und selbst gebackene Zimtkekse dazu anbieten?«
»Zu ein, zwei Keksen sage ich nicht nein«, antwortet Cayden und schnappt sich zwei der Leckereien von dem Teller, den Novalee ihm hinhält. »Danke«, murmelt er und begibt sich zu dem Korb der selbstgeschriebenen Bücher. Sein Hund legt sich derweil auf den Boden.

Während er diesen Korb durchsieht, lehnt sich Novalee an ihren Verkaufstresen und beobachtet den attraktiven Fremden. Dabei fällt ihr Blick ganz automatisch auf seine sehr ansehnliche Kehrseite. Bevor es allerdings auffällt, dass sie ihn wiederholt anstarrt, geht sie kurz in den hinteren Teil ihres Ladens. Zurück kommt sie mit einer kleinen Schüssel voll Wasser, die sie vor ihrem plüschigen Gast abstellt. Dieser hebt seinen Kopf und schaut Novalee mit seinen braunen Knopfaugen treu an. Er macht sich schwanzwedelnd über die Erfrischung her, nachdem er ihr einmal über die Hand geleckt hat. Lächelnd hebt sie die Lichterkette, die noch immer auf dem Boden liegt, auf und fängt an, sie zu entknoten.

Sie ist so vertieft dabei, dass sie nicht bemerkt, wie der rothaarige Fremde auf einmal vor ihr steht. Erst als sie eine Bewegung wahrnimmt, sieht sie auf.
»Haben Sie etwas gefunden?«, wendet sie sich an ihn.

»Nein, leider nicht. Haben Sie noch einen anderen Bookstore hier im Dorf?« fragt er sie leicht bedrückt und mit in Falten gelegter Stirn.

Novalee schüttelt mit dem Kopf. »Nein meiner ist der Einzige. Aber es gibt noch unsere Abott-Memorial-Library in South Pomfret. Vielleicht werden Sie ja dort fündig?« Zu gerne würde sie ihn fragen, nach was für einem Buch er genau sucht, aber das wäre eventuell zu persönlich, deshalb widersteht sie dem Drang.

Sein Gesicht erhellt sich. »Danke, das ist ein guter Tipp. Wie viel schulde ich Ihnen für die Kekse und das Wasser für meinen Hund?«

»Gar nichts. Geht beides aufs Haus«, erwidert Novalee und streichelt seinem Hund über den Kopf.

»Dann danke ich Ihnen und wünsche Ihnen noch einen schönen Tag«, entgegnet Cayden, ehe er sich mit einem »Komm Max, wir gehen« seinem Hund zuwendet.

Dieser folgt seinem Herrchen, der die Ladentür öffnet und nach draußen tritt. Als er sie hinter sich schließen möchte, ruft ihm Novalee gerade noch ein »Ihnen und Ihrem Hund auch noch einen schönen Tag« hinterher. Cayden nickt ihr daraufhin lächelnd zu, hebt zum Abschiedsgruß seine Hand, schließt die Tür und läuft davon.

Novalee schaut ihm hinterher, da sie ihm wohl nicht noch einmal begegnen wird. Hier in Pomfret bleiben Touristen oft nicht allzu lange. Deshalb hat sie ihn auch nicht nach seinem Namen gefragt. Auch wenn sie ihn gerne näher kennengelernt hätte, da ihr Herz wieder wie wild schlägt, wenn sie nur an sein Lächeln und seine umwerfend blauen Augen zurückdenkt. Somit bleibt er nur eine schöne Begegnung, und das ist besser so.

🍁🍁🍁

Zwei Tage nachdem Cayden in dem Bookstore war, steht er mit Max an der Sleepy- Hollow-Farm und schießt ein paar Bilder. Er ist durch die Erwähnung der hübschen Verkäuferin neugierig geworden und wollte wissen, was es damit auf sich hat. Ja, es ist wirklich nett hier. Allerdings kann er den Hype deshalb nicht so recht verstehen. Aber das muss er auch nicht. Gerade als er sich zum Gehen abwendet, spricht ihn plötzlich eine bekannte warme Stimme an.

»Na wenn das keine Überraschung ist. Sind Sie doch daran interessiert, wie die Farm aussieht?«, spricht ihn die zauberhafte Frau mit den Moosaugen an, an die er seit ihrer ersten Begegnung ständig denken musste, und hält neben ihm mit ihrem rosafarbenen Fahrrad.

»Ja, durch Ihre Erwähnung davon musste ich mir doch mal selbst ein Bild davon machen, warum die Farm bei all den Touristen und Influencern so beliebt ist. Ist zwar ganz nett, aber hier gibt's deutlich Hübscheres zu sehen«, entgegnet er mit immer dunkler werdender Stimme und dabei schaut er Novalee so durchdringend an, dass sich auf ihrer Haut eine Gänsehaut bildet.

Verdammt, der Kerl geht ihr mehr unter die Haut, als es sein sollte. Und das schon bei ihrer zweiten Begegnung. Sie ist so verwirrt deshalb, dass sie beim Absteigen von ihrem Rad mit ihrem Jackenärmel am Lenker hängen bleibt und somit fast einen Sturzflug hinlegt. Ja fast, weil sie im letzten Moment an ihrem Ellbogen festgehalten und somit am Fall gehindert wird.

»Es scheint mir irgendwie, als wird das wohl so ein Ding zwischen uns, dass ich dich vor dem Fallen bewahre«, geht er vom Sie zum Du über und ist Novalee dabei so nah, dass sie seinen Atem auf ihrem Haar spürt.

»Du scheinst recht zu haben«, duzt sie ihn atemlos zurück. »Ich bin übrigens Novalee und danke«, stellt sie sich vor.

»Immer wieder gern. Ich bin Cayden und der Fellkumpel hier ist...«, weiter kommt er nicht, da Novalee seinen Satz beendet.

»...Max. Du hast ihn vorgestern beim Namen genannt«, entgegnet Novalee, steigt von ihrem Rad und löst sich von Cayden, da die Schmetterlinge, die in ihrem Bauch mit den Flügeln schlagen, sonst noch komplett durchdrehen. Als sie sich zu Max hinunterbeugt, bellt dieser freudig auf und lässt sich von Novalee seinen Hals kraulen.

»Also gerade wäre ich gerne mein Hund«, murmelt Cayden vor sich hin.

»Was hast du gesagt?«, fragt ihn Novalee, da sie sich unsicher ist, ob sie ihn richtig verstanden hat.

»Ach nichts«, antwortet er. »Danke übrigens für den Tipp mit der Bibliothek. Allerdings wurde ich auch dort nicht fündig«, fährt er niedergeschlagen fort.
Sie wendet sich ihm zu. »Das tut mir leid. Was für ein Buch suchst du überhaupt?«, fragt sie ihn nun doch danach.

»Ich bin hier, weil mir mein Großvater vor einer Weile davon erzählt hat, dass er hier seine erste große Liebe kennengelernt hat. Leider hat es nur eine Jahreszeit gehalten. Aber ich weiß, dass er das Mädchen nie vergessen hat. Er erzählte, dass sie während ihres gemeinsamen Herbstes eine Art Tagebuch über ihre gemeinsame Zeit geschrieben hat. Genau dieses Buch suche ich«, erzählt ihr Cayden, weshalb er hier ist.

Bei der Erwähnung, dass er ein Tagebuch sucht, ist Novalee hellhörig geworden, da sie ja selbst vor einigen Tagen dieses verschlossene Buch gefunden hat. Könnte es eventuell das gleiche Buch sein?

»Ist das Buch, dass du suchst, eventuell in rotem Leder eingebunden?«, fragt sie ihn deshalb.

Erstaunt schaut er sie an. »Woher weißt du das?«

Lächelnd erwidert sie: »Ich habe genau dieses Buch vor ein paar Tagen zufällig gefunden und noch mehr... Leider muss ich jetzt weiter. Aber was hältst du davon, morgen gegen 18 Uhr zu mir in den Laden zu kommen, und ich zeige es dir?«

»Was für eine angenehme Wendung das nun ist. Natürlich komme ich morgen bei dir vorbei«, erwidert er freudig.
Gerade als sich Novalee von ihm wegdrehen möchte, um sich wieder auf ihr Fahrrad zu setzen, kann Cayden nicht widerstehen. Er hebt seinen rechten Arm und streicht ihr eine Haarsträhne hinter ihr linkes Ohr. Da er dabei mit seinen Fingern leicht Novalees Wange berührt, beginnt diese Stelle direkt zu kribbeln und sie merkt, wie ihr Hitze in den Kopf steigt. Bisher konnte sie seine Berührungen immer nur durch Kleidung spüren, und das war schon aufregend, aber das nun Haut an Haut, das war betörend.

»Bis morgen, Novalee. Ich freue mich und fahr langsam«, wispert Cayden und tritt einen Schritt zurück.

»Ja bis morgen. Ich freue mich auch«, flüstert sie, steigt auf ihr Rad und fährt davon. Aufgrund dieser intimen Geste von ihm tanzen ihre Gedanken Samba. Sie sollte ihn nicht so nah an sich heranlassen, aber schon seit sie ihn das erste Mal gesehen hat, denkt sie ständig an ihn. Ja, das hat sie in den letzten zwei Tagen wirklich sehr oft, gesteht sich Novalee ein. Vielleicht sollte sie, was auch immer das zwischen ihnen ist, einfach geschehen lassen, ohne viel darüber nachzudenken, dass er nur kurz hier ist? Er scheint sie ja auch zu mögen. Jetzt sollte sie sich aber erstmal aufs Fahren konzentrieren, sonst küsst sie noch einen der Bäume. Ein kleines Lächeln huscht über ihr Gesicht, als sie daran zurückdenkt, wie überrascht Cayden schaute, als sie erwähnt hat, dass sie das Buch hat, welches er sucht. Vielleicht kann er ja Licht ins Dunkel bringen, was es mit dem dazugehörigen Brief und generell damit auf sich hat?

🍁🍁🍁

Am nächsten Tag ist Novalee die ganze Zeit nervös und kann ihren Feierabend kaum erwarten. Als um kurz vor 18 Uhr ihre Ladentür aufgeht und Cayden, gefolgt von Max, eintritt, schleicht sich automatisch ein Lächeln auf ihr Gesicht. Der letzte Kunde bezahlt gerade seine Ware, und als dieser weg ist, sperrt Novalee hinter ihm ab, ehe sie sich ihren Gästen zuwendet.

»Na ihr beiden, pünktlich auf die Minute«, sagt sie hektisch. Mist, sie muss die Nervosität in den Griff bekommen. »Schön, dass ihr hier seid«, fährt sie etwas ruhiger fort.

Cayden tritt mit einem Lächeln auf sie zu und umarmt Novalee für sie völlig überraschend. Seine Wärme hüllt sie vollkommen ein, und als sie wieder den Geruch seines Aftershaves wahrnimmt, da kann sie sich ein Seufzen gerade noch so verkneifen.

»Wie ich sehe, hast du es gestern ohne Schaden geschafft, weiterzufahren«, sagt er grinsend und löst sich von ihr. Er kann dem Drang nicht widerstehen, ihr wie gestern schon nahe zu sein. Sie übt eine sehr starke Anziehungskraft auf ihn aus. So ging es ihm vorher bei noch keiner Frau. Dazu noch ihr Duft nach Vanille und Rosen, den er schon bei ihrem ersten Treffen wahrgenommen hat.

Sie lächelt. »Ja, wie du siehst, habe ich es geschafft. Aber ich kann auch Fahrrad fahren. Ich bin nur manchmal etwas tollpatschig.«

»Na zum Glück war ich ja bei den letzten zwei Malen da, um dich festzuhalten, bevor du dir weh tust«, entgegnet er und zwinkert ihr zu. »Wollen wir uns dann der Sache widmen, weshalb ich hier bin?«, fährt er fort.

Novalee muss aufgrund des Zuzwinkerns gerade hart schlucken. Er wird wahrlich immer charmanter. Da er sie aber erwartungsvoll anschaut, nickt sie ihm zu. »Ja klar hier, leg die Sitzkissen und die kleine Decke da hinten rechts auf den Boden und setz dich schon mal, ich stoße gleich zu dir.« Dabei reicht sie ihm die Dinge und zeigt in den hinteren Teil ihres Ladens.

Cayden nimmt ihr die Kissen und Decke ab, legt alles auf den von ihr zugewiesenen Platz und setzt sich. Max legt sich zu seiner Linken. Kurz darauf gesellt sich Novalee zu ihm. Auf einem Tablett hat sie zwei Tassen, die herrlich nach Pumpkin Spice Latte duften. Sie reicht ihm davon eine, stellt noch einen Teller mit Zimtkekse vor ihn und setzt sich mit ihrer Tasse in der Hand auf das Kissen neben ihm. Nun reicht sie ihm die braune Box, die sie unter ihren Arm geklemmt hatte. Als er seine Tasse zur Seite gestellt hat, öffnet er diese.

Vorsichtig nimmt er das rote Buch und den Brief heraus. Nachdem er das Buch beiseitegelegt und den Brief gelesen hat, blickt er Novalee an, die ihn die ganze Zeit aufmerksam beobachtet hat.
»Ich kann gar nicht glauben, dass es noch einen Brief von meinem Großvater gibt und ich hier die Antwort auf ihn habe.« Während Cayden das sagt, greift er in seine Tasche und reicht Novalee einen zweiten, ebenso vergilbten Brief. Leider auch ohne Briefumschlag. Vorsichtig öffnet sie ihn.

November 1967

Mein Liebster,

leider geht es mir gar nicht gut. Mein Vater ist gegen unsere Verbindung. Er lässt mir die Wahl: Entweder ich löse unsere Beziehung oder er unterstützt mich nicht bei meinem Studium. Auch wenn es mir das Herz bricht und ich dich über alles liebe, aber es ist leider vorbei zwischen uns. Danke für die wunderschöne Zeit im Herbst, die wir hatten.

Traurige Grüße, Beth

»Oh nein, wie tragisch«, wispert Novalee, lässt den Brief sinken und muss mit den Tränen kämpfen. Damit hatte sie nicht gerechnet.

»Ja, das ist es. Deshalb dachte ich mir durch das Buch, mehr Erkenntnisse zu bekommen. Auch für meinen Großvater. Weil Beth das damals so schnell beendet hatte. Sie brach den Kontakt zu ihm danach vollständig ab. Aber da das Buch verschlossen ist, wird das schwer. Du hast nicht zufällig den Schlüssel dazu? Ich habe ihn leider nicht«, erwidert Cayden. »Sagt dir der Name Beth etwas?«

»Nein, ich habe leider keinen Schlüssel dafür und eine Beth sagt mir auch nichts. Aber anhand des Datums auf dem Brief könnten wir meine Großtante, die in ein paar Tagen wiederkommt, fragen. Sie war 1967 siebzehn und kannte eventuell eine Beth«, entgegnet Novalee und beißt in einen Zimtkeks. Als Cayden daraufhin zu lachen anfängt, wundert sie sich.

»Du hast da etwas«, sagt er rau und beugt sich etwas vor. Als er mit seinem Daumen zart über ihre Lippen streicht, weil sie dort ein paar Kekskrümel hat, heizt diese einfache Berührung ein Feuer in Novalees Bauch an. Sie blickt ihm tief in seine Augen. Er kommt ihr daraufhin immer näher und streift mit seinem Mund hauchzart den ihren und gibt ihr einen sanften Kuss, der eine leicht würzige Note durch den von ihnen getrunkenen Kaffee hat.

Das entfacht in ihr endgültig eine enorme Sehnsucht, und als er sich zurückziehen möchte, intensiviert Novalee den Kuss. Sie zieht ihn an sich, setzt sich rittlings auf seinen Schoß und legt ihre Hände auf seine durchtrainierte Brust. Als sie sanft mit ihrer Zunge gegen seine Unterlippe stupst, gewährt er ihr nur zu gerne Einlass und ihre Zungen beginnen einen erotischen Tanz miteinander. Während ihr Zungenspiel immer exzessiver wird, galoppieren die Herzen von Novalee und Cayden davon.

Novalee fährt mit ihren Fingern unter seinen Pulli, und als sie die erhitzten Bauchmuskeln berührt, keucht Cayden leise auf. Als er den Griff auf ihrem Hintern, auf dem seine Finger ruhen, verfestigt, entlockt er ihr ein Wimmern und sie löst sich etwas von ihm. Dabei kann sie deutlich seine Erregung in seinem Schritt spüren, die ihrer in nichts nachsteht.

»Kommst du mit zu mir?«, fragt sie ihn atemlos. »Ich würde das von eben gerne fortführen.«

»Du glaubst gar nicht, wie sehr ich das schon seit unserer ersten Begegnung möchte. Novalee du gehst mir schon jetzt so dermaßen unter die Haut«, entgegnet er mit belegter Stimme.
»Dann sind wir schon zwei. Mir geht's genauso. Hältst du mich für diesen Herbst fest?«, flüstert sie.
Anstatt einer Antwort zieht er sie abermals an sich und legt seine Lippen erneut auf ihre. Ja, er wird sie diesen Herbst definitiv festhalten.

🍁🍁🍁

Drei Tage später sitzen Novalee und Cayden gerade in ihrer Küche. Max liegt zu seinen Füßen und schnarcht leise vor sich hin. Sie warten auf Novalees Tante, die jeden Moment nach Hause zurückkehren müsste. In den vergangenen Tagen haben die beiden jede freie Sekunde miteinander verbracht, und auch jetzt schmiegt sich Novalee in die Arme von Cayden. Gerade als er kleine Küsse auf ihrem linken Ohr verteilt, hören sie die Stimme von Novalees Großtante.

»Arthur, bist du das?«, fragt diese erstaunt mit weit aufgerissenen Augen und starrt Cayden an. Dieser löst sich von Novalee.

»Nein, ich bin Cayden. Allerdings heißt mein Großvater Arthur«, entgegnet er, steht auf und reicht der zwei Köpfe kleineren, etwas rundlichen Frau mit dem grauen Bob und der Brille, die Hand. Diese erwidert die Geste. Die Verwirrung über seine Aussage ist ihr allerdings deutlich, in ihrem von leichten Falten überzogenen Gesicht und in ihrem Blick aus warmen, braunen Augen anzusehen.

»Oh dann sehen Sie ihm in jungen Jahren sehr ähnlich. Ich kannte ihn, wissen Sie. Ich bin Elisabeth«, antwortet sie und setzt sich zu ihnen.

Novalee wendet sich ihr zu. »Wir hatten uns erhofft, dass du eventuell hierüber Bescheid weißt«, sagt sie und schiebt ihrer Tante das rote, geheimnisvolle Buch, den dazugehörigen Brief, das gefaltete Papierherz und die getrockneten Blüten zu.

»Mein altes Tagebuch. Und der Brief, den ich von Arthur bekommen hatte«, wispert Elisabeth und streicht sanft über das alte Leder und schließt das Buch mit dem dazugehörigen Schlüssel, den sie an ihrem Schlüsselbund hat, auf und blättert darin.

»Dann-dann sind Sie Beth?«, fragt Cayden stockend und legt ihr den Brief, den sein Großvater hatte, vor.
Elisabeth nickt. »Ja, die bin ich. Er hat mir diesen Spitznamen gegeben und ihr Großvater war meine erste große Liebe. In diesem Buch habe ich alles über die zu kurze gemeinsame Zeit mit ihm niedergeschrieben. Leider war mein Vater seinerzeit gegen unsere Verbindung. Es war damals eine ganz andere Zeit und ich musste mich dem beugen, da ich nicht die Mittel hatte, um zu Arthur zu fliehen. Ich musste danach noch ständig an ihn denken. Das Papierherz hat er mir damals zum Abschied gegeben und die Vergissmeinnicht hat er mir während unserer gemeinsamen Zeit geschenkt. Auch wenn ich danach einen wunderbaren Ehemann hatte, der ja leider verstorben ist, hatte Arthur immer einen besonderen Platz in meinem Herzen.«

»Wow, dass du Beth bist, hätte ich nie erwartet. Was für eine tragische, aber auch schöne Geschichte«, erwidert Novalee gerührt und drückt Elisabeths Hand.

»Ja, es war damals nicht einfach für mich, mich von ihm zu trennen. Sagen Sie Cayden, warum sind Sie genau hier und weshalb kennen Sie und Novalee sich?«, wendet sich Elisabeth neugierig an ihn.

Nachdem ihr Cayden erzählt hat, weshalb er hier ist und wie Novalee und er sich kennengelernt haben, muss Elisabeth lächeln.

»Dass mich Arthur auch nicht vergessen hat, das wärmt mein Herz sehr. Und auch, dass ihr beide euch kennengelernt habt. Wie ich sehe auch näher.« Dabei deutet sie auf Caydens Arm, den er um Novalee gelegt hat. »Sagen Sie, geht es Arthur gut?«

Cayden nickt. »Ja, und ihm wird es noch besser gehen, wenn Sie sich, wenn Sie mögen, mit ihm treffen würden.«
»Oh das würde ich wirklich gerne«, antwortet Elisabeth sanft.
Cayden lächelt, steht auf und verlässt den Raum. »Ich muss Mal eben telefonieren.«

»Elisabeth, ich hoffe für dich, dass du und Arthur vielleicht doch noch zueinander findet«, wispert Novalee - und ihre Großtante wird doch tatsächlich rot. Novalee kann sich ein Lächeln nicht verkneifen.

🍁🍁🍁

Eine Woche später wuselt Elisabeth total aufgeregt durchs Haus. Heute ist es so weit, Arthur kommt zu Besuch.
»Ganz ruhig, er ist laut Cayden mindestens genauso aufgeregt, wie du«, wendet sich Novalee an Elisabeth und legt ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter.

»Ich kann es einfach nicht glauben, dass ich ihn gleich nach so vielen Jahren nochmal sehen werde«, erwidert Elisabeth aufgeregt.

Gerade als Novalee etwas erwidern möchte, ertönt eine dunkle Stimme.
»Beth, ich kann es gar nicht glauben, wie wunderschön du noch immer bist.«
Gleichzeitig drehen die beiden Frauen sich um. Im Türrahmen steht ein großgewachsener Mann mit grauen, nach hinten gekämmten kurzen Haaren, grauem Vollbart und strahlend blauen Augen, mit einem Blumenstrauß in der Hand. Durch sein Lächeln wirkt sein Gesicht noch etwas faltiger. Elisabeth hatte recht, er sieht Cayden wirklich sehr ähnlich. Dieser steht hinter seinem Großvater und lächelt Novalee an.
»Oh Arthur«, schluchzt Elisabeth von ihren Gefühlen überwältigt auf. Arthur tritt auf sie zu und schließt sie in seine Arme.

»Meine Beth«, erwidert er gerührt und hält Elisabeth ganz fest.
Um die beiden nicht zu stören, gehen Novalee und Cayden Hand in Hand nach draußen.

»Es scheint für die beiden doch noch ein Happy End zu geben«, wendet sich Novalee an Cayden und schmiegt sich an ihn.

»Sieht ganz so aus, dass sie sich dieses Mal länger als einen Herbst festhalten werden. Was hältst du davon, wenn ich dich auch länger als nur einen Herbst festhalte?«, entgegnet Cayden und nimmt ihr Gesicht in seine Hände.
»Wie meinst du das?«, fragt sie ihn verdutzt.

Er blickt ihr tief in die Augen. »Novalee, das zwischen uns ist etwas ganz Besonderes und wir haben keine Eltern, wie Elisabeth sie hatte, die uns Steine in den Weg legen. Was sagst du also dazu, wenn ich zu dir nach Pomfret ziehe und wir schauen, was das zwischen uns ist?«
Novalee fällt ihm beflügelt um den Hals. »Oh das würde mich mehr als glücklich machen. Halt mich fest in deinen Armen und lass mich nie wieder los«, haucht sie und drückt anschließend sanft ihren Mund auf seinen. Dabei halten sie sich ganz fest. Hoffentlich für immer.

🍂Ende🍂
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