Was alles in Manwes Wartezimmer passiert
Ja, Manwes Hallen besaßen ein Vorzimmer. Ein vergleichsweise kleiner Raum, in den lediglich der Thangorodrim einmal hineingepasst hätte. Marmorne, von rötlichen Adern durchzogene Säulen waren mit blauen Tüchern verhängt worden.
Jemand hatte den Rücken an genau eine solche Säule gelehnt. Das Gesicht in den Händen vergraben kauerte er in ihrem Schatten, während seine schwarze, spitzzackige Rüstung in all dem Licht vollkommen fehl am Platz wirkte. Wie ein dunkler Fleck am Himmel.
Ohne dessen Zutun krallten sich Saurons Finger in seine rötlich-goldenen Haare, bis die scharfen Nägel ihm die Kopfhaut aufzuritzen begannen. Zum ersten Mal in seinem Leben empfand der Dämon Angst.
Unter normalen Umständen wäre er von dem Gefühl fasziniert gewesen, das er so oft in den Augen anderer gesehen hatte. Die unmenschliche Panik, die sich in ihm ausbreitete. Der Drang aufzuspringen um etwas absolut Wahnsinniges zu tun, den er ständig niederzuringen versuchte, über den er aber umso weniger Kontrolle hatte.
So war es also, völlig hilflos zu sein. Wenn sein Kopf in einer Sekunde von lähmender Hoffnungslosigkeit, in der nächsten von irrwitzigen Plänen übermannt wurde. Und Saurons Angst galt nicht einmal ihm selbst...
Eine kühle Hand legte sich auf die Schulter des Dämons.
Erstaunt hob er den Kopf und blickte in das atemberaubend schöne Gesicht seiner Untergebenen. Thuringwethil, welche die Sorge wohl an seinem Gesicht ablesen konnte, ließ sich neben Sauron zu Boden sinken, wobei sich ledrigen Vampirflügel wie eine Decke um ihre Schultern falteten.
„Er ist stark," versicherte sie und ruckte mit dem Kopf in Richtung des gigantischen Eichenportals, hinter dem die Bluthunde Valinors lauerten, „und sie sind so manipulierbar. Er wird ihnen mit Leichtigkeit entkommen."
Mit blitzenden Augen folgte Sauron ihrem Blick.
„Wenn sie ihm etwas antun, dann werde ich..." Würde er was? Manwe sein Schwert in die Brust jagen? Lächerlich!
Da war sie wieder. Diese unglaublich bittere, absolut machtlose Verzweiflung.
Was, wenn sie ihn einfach töteten?
Ohne dass er, Sauron, es würde verhindern können.
„Wir standen nicht so hoch in seiner Gunst, wie du," stellte Thuringwethil mit einem Anflug von Traurigkeit fest, „aber auch uns hat er gerettet."
Gerettet...
Das war das richtige Wort um zu beschreiben, was Morgoth ihnen gegeben hatte.
Der mächtigste unter den Valar, der Sauron bei sich aufgenommen hatte. Der ihn vor den Lügen der Valar bewahrt hatte und in ihm eine Flamme der Leidenschaft* entzündet hatte, in dem Moment da er glaubte, völlig leer zu sein.
Morgoth hatte ihn anerkannt. Der einzige, der Sauron je geschätzt und seine Werke bewundert hatte. Der ihm das Gefühl gegeben hatte, wichtig zu sein. Der einen Zweck in sein Leben gebracht hatte.
„Er hat mir gezeigt, was es bedeutet, zu leben." Murmelte der Dämon bitter.
Ein Leben, das gemeinsam mit Morgoth verloren gehen würde.
„Ich möchte, dass du weißt," die Vampirin erhob sich beim Sprechen, „wir stehen alle hinter dir."
Auch Sauron stand auf. Erst starrte er verwundert Thuringwethil an, dann auf die wenigen Dämonen, die sich langsam um die beiden sammelten. Diener des dunklen Herrschers, wie sie treuer nicht sein könnten.
„Du bist seine rechte Hand," erinnerte die Schwarzhaarige, „wir werden dir folgen, Sauron."
Der vertraute Klang des Namens, den sein Meister ihm gegeben hatte, weckte neue Kraft in dem Dämon.
In seiner Furcht um Morgoth hätte er beinahe vergessen, dass er nicht vollkommen allein war. Sein Meister hatte ihn genug gelehrt. Sie hatten auf diesen Moment hingearbeitet, da Sauron seinen Platz würde einnehmen müssen, das begriff er jetzt. Er würde ein würdiger Truchsess sein, unermüdlich die Ziele seines Meisters anstrebend und doch voller Ungeduld dessen Rückkehr ersehnend.
„Du sprichst die Wahrheit," Sauron richtete sich zu voller Größe auf und blickte auf die Gruppe ehemaliger Maiar. Er stand aufrecht vor seinen loyalen Dienern, „es ist leicht, die Valar zu manipulieren." Ein bestialisches Lächeln stahl sich über sein Gesicht. „Wir werden um Gnade flehen, bis sie uns anhören müssen."
Die Dämonen sahen mit feurigen Blicken zu ihm auf. Sie erwarteten seine Befehle. Wie sie es auch bei Morgoth getan hätten.
„Wir werden leben," versprach Sauron, „für unseren Meister!"
Thuringwethil war die erste, die auf die Knie sank, dann folgten die anderen.
Sie standen im Vorzimmer Manwes, auf der Türschwelle ihrer Feinde und erwarteten den Tod. Doch schworen die Diener des dunklen Herrn einander die Treue. Geeint in ihrem Streben nach Dunkelheit.
„Für Morgoth!"
Kommentar:
Leute, ihr seid großartig! Ich hätte nie gedacht, dass dieses Buch in so kurzer Zeit so gut ankommen würde. Das motiviert mich unglaublich zum weiterschreiben und -veröffentlichen. Danke!
Das war jetzt wieder ein längerer Oneshot. Und nicht gerade canon. Der Hintergedanke war, dass die Valar Utumno eingenommen haben, Sauron und die anderen allerdings dabei gefunden und ebenfalls gefangengenommen haben. Interessant fand ich dabei die Bezeichnung Saurons als "Dämon". Der Hintergedanke war, dass Melkor ja auch nicht mehr als Valar bezeichnet wird. Alle die "der dunklen Seite" angehören sind also Ausgestoßene, weshalb Sauron auch nicht mehr als Maiar zählt. Die Übersetzung mit "Dämon" fand ich daher sehr passend.
Noch etwas anderes zu Namen: Ich habe jetzt schon öfter gelesen, wie Sauron "Mairon" genannt wird und er sein zweiten Namen nicht wirklich mag. Das liegt vermutlich an der Darstellung seines Charakters als "Gebrochener" , der nicht wirklich böse sondern nur einsam (oder so ähnlich) ist. Da schließe ich mich nicht an. Ich glaube, dass er von den "hellen Seite" abgelehnt wurde und im Bösen "seine Bestimmung" gefunden hat. Deswegen, und mit Beachtung der Beziehung zu Morgoth, glaube, ich, würde er "Sauron" als seinen "wahren Namen" annehmen.
Schwieriger ist das bei Melkor. Hat er jetzt Feanors "Morgoth" akzeptiert, weil er stolz auf das Leid ist, das er den Noldor zugefügt hat oder bleibt er Melkor weil er von den Valar zwar nicht anerkannt wurde, aber trotzdem er selbst sein möchte? Schwierige Frage. Ich glaube, ich mache es mal so, mal so.
Im Übrigen halte ich weder die Valar für Lügner (mich interessiert nur die Perspektive der dunklen Seite), noch shippe ich Sauron und Thuringwethil (ich glaube, es gehört einfach zu ihrem Charakter, immer ein bisschen verführerisch aufzutreten). Das nur so nebenbei...
Wenn jetzt der Kommentar gleich länger ist, als der Oneshot selbst, is' gut.
*Anstelle von "Leidenschaft" kann man hier übrigens auch "Passion" schreiben. Es geht dabei um den Aspekt des Lebensinhalts/-zwecks, den jemand wie Sauron als Diener eines Valar vermutlich nicht hatte.
Ihr lest von mir.
Eure Alice!
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