Nightmares

Feuchte Kälte kroch unerbittlich unter Meadhros' Umhang, als er blindlings durch den albtraumhaften Wald stolperte. Wie konnte es sein, dass alles um ihn herum so klar wirkte, dass es fast schon unecht schien, während die Szene, die er durchlebte so dermaßen surreal war. Er suchte etwas. Spitze Zweige schlugen ihm ins Gesicht. Nein! Nicht etwas. Jemanden. Er rutschte auf dem nassen Boden aus und schlidderte einen Abhang hinunter. Die Zwillinge. Er musste die Zwillinge finden. Unter seinen Händen brach das Geäst, als er es auseinander zwang. Seiner Kehle entwich ein erbärmlicher Laut, jedes Mal, wenn er erkannte, dass sie nicht da waren.
Jetzt stand er auf einer Lichtung, an deren Rand zwei winzige, eng nebeneinander kauernde Gestalten hockten.
„Da seid ihr ja," Erleichterung machte sich in ihm breit, als er nähertrat, „Elrond, Elros! Was..."
„Adar..." Elros hob den Kopf, kaum fähig zu sprechen. In seinen Augen glitzerten Tränen der Angst, „Hilfe..."
Blut. Wo kam das ganze Blut her, das an Maedhros' Händen klebte? Wieso waren die Gewänder der Zwillinge plötzlich rot getränkt.
„Nein," Maedhros Hand zitterte, als er die Jungen an sich zog. Versuchte, sie auf die Arme zu nehmen, „alles wird gut. Ich... Ich bringe euch nach Hause!"
„Adar..." Elros' Stimme war kaum noch hörbar, „mir ist so kalt. Hilf uns, wir-"

Ein Geräusch!

Maedhros schrak hoch und griff reflexartig nach dem Dolch unter seinem Kopfkissen. Das kalte Metall fühlte sich vertraut an. Beruhigend.
Mit pochendem Herzen erkannte er, dass er sich in seinem eigenen Schlafzimmer befand. Im Türrahmen stand ein verängstigtes Elbenkind, das ihn mit großen Augen anstarrte.
„Elrond!" Hastig versuchte Maedhros, die Waffe zu verstecken, doch es war zu spät.
„Hattest du einen Alptraum," wollte Elrond wissen, „ist das dein Dolch?"
„Er... ein Freund hat ihn mir geschenkt," In diesem Moment war er dankbar, dass Elrond – anders als sein Zwilling – ein Gespür dafür hatte, wann er ein Thema gefunden hatte, über das Maedhros nicht sprechen wollte. Trotzdem war die Neugier im Gesicht des Kindes unverkennbar. Er war immerhin von ihm und Maglor aufgezogen worden.

„Du kannst Maglor fragen, wenn er aufwacht," erwiderte der Rotschopf mit dem Anflug eines freudlosen Lächelns. Sein Bruder war dabei gewesen, als Turgon ihm die Waffe gegeben hatte, kurz bevor er nach Gondolin gegangen war. Du bist nicht ganz so schrecklich, wie du immer tust. Wenn Finno König ist, wird er jemanden brauchen, der auf ihn aufpasst.
Ein weiteres Mal, dass er versagt hatte. Ein weiteres Versprechen, das er nicht hatte halten können.
Energisch schob Maedhros den Gedanken beiseite. Es gab näher zurückliegende Ereignisse, die er bereuen konnte.

„Was tust du eigentlich hier," wandte er sich an seinen Sohn, der mit großen Augen den Kopf schüttelte. Maedhros verstand.
„Alpträume, mh?"
Elrond nickte, woraufhin Maedhros seine Decke zurückschlug und dem Jungen erlaubte, sich neben ihn zu kuscheln.
„Willst du mir davon erzählen?"
Zu seiner großen Überraschung schüttelte Elrond nur den Kopf, was immerhin ungewöhnlich war. Normaler Weise träumte er von Monstern oder Ungeheuern. Dann kam er zu Maedhros ins Zimmer und die beiden überlegten sich, wie die Bestie besiegt oder besten Falls gezähmt werden konnte. Was nicht selten in einem Lachanfall endete.
Wenn Elrond nicht von seinem Traum erzählen wollte, musste es etwas wirklich Unangenehmes sein. Doch Maedhros würde ihn nicht dazu drängen. Er war der letzte, der das Recht hatte, jemanden zum Erzählen zu zwingen.
„Erzähl mir von deinem Alptraum," bat Elrond nach einer Weile.
Eine Sekunde überlegte Maedhros, ob er etwas erfinden sollte, beschloss aber, dass er zu müde war, um überzeugend zu Lügen.
„Ich habe von euch geträumt," erklärte er knapp, „ihr wart verletzt und ich konnte euch nicht helfen."
Die Augen des Kindes wurden größer.
„Hast du dich deshalb so erschreckt?" hakte er nach, „Hast du gedacht, was auch immer uns angegriffen hat, wäre zurückgekommen?"
Ja und nein. Er hatte mit dem Angreifer gerechnet – irgendwo im verworrenen Nebel seines Geistes. Doch es war nicht aus Furcht, dass er nach seiner Waffe gegriffen hatte. Wäre da wirklich jemand gewesen, der ihm seine Jungs weggenommen hätte, dann hätte Maedhros sich auf ihn gestürzt und ihm unendlich langsam jeden Zentimeter Haut aufgeschlitzt, bis seine Klinge schartig geworden wäre. Einfach nur, um seine Schreie zu hören und ihn dann blutend zurückzulassen.
„Ja," log er. Wenn es zu spät für Lügen war, war es noch später für solche Horrorvorstellungen.
„Uns geht es gut," versicherte Elrond, „mach dir keine Sorgen."
Ein unerwartetes Lächeln stahl sich auf Maedhros Gesicht.
„Ich mache mir immer Sorgen um euch."
„Musst du nicht," müde zog Elrond die Decke zu sich her und kuschelte sich an Maedhros' Schulter. Einige Minuten herrschte Stille. Dann...
„Kann ich dich was fragen?"
„Ja?"
„Versprecht ihr uns, dass ihr uns nicht alleine lasst?"
Sofort spürte Maedhros, wie er sich anspannte. Maglor hätte gelogen. Oder halb gelogen. Doch er hatte nur noch die Wahrheit.
„Wie kommst du darauf," fragte er, um Zeit zu gewinnen, „wenn Elros dich wieder erschrecken wollte, dann sage ich ihm, dass er dieses Mal zu weit gegangen ist."
Das Schweigen des Jungen sagte ihm, dass dem nicht so war.
„Mamil hat uns verlassen," beharrte Elrond, „sie hat lieber den Silmaril gerettet, als bei uns zu bleiben."
Schuld. Bittere, kalte Schuld überrollte Maedhros wie eine an einer Klippe brechende Welle. Die beiden Jungen verdienten das nicht. Sie sollten nicht bei zwei Verrückten aufwachsen, die von Reue zerfressen waren und auf die die Dunkelheit lauerte. Sie sollten eine liebende, fröhliche Mutter haben. Und Elwing verdiente es nicht, dass ihre Söhne dieses Bild von ihr hatten.
„Eure Mutter hat geglaubt, ihr währt tot," erinnerte er, „sie hätte euch niemals freiwillig verlassen."
Aber ihr habt sie gezwungen. Wieso hassten diese Kinder ihn nicht? Er hatte kein Recht, von ihnen Vater genannt zu werden, oder sie von ihren Alpträumen zu trösten. Der Hass, den er verdient hatte, wäre so viel leichter zu ertragen.
„Ihr zwei," begann er, „ihr wisst, dass wir euch nicht böse sind, wenn ihr gehen wollt."
Elrond wirkte geschockt.
„Habt ihr uns nicht lieb?"
Er sollte das nicht fragen. Er sollte nicht hier sein, außer um zu versuchen, Maedhros im Schlaf zu ermorden.
„Mehr, als wir je für möglich gehalten hätten," tröstend strich er seinem Sohn übers Haar, „aber nach allem, was wir getan haben, können wir unmöglich dasselbe von euch verlangen."
Zu seiner großen Überraschung fing Elrond plötzlich an, zu schluchzen.
„Elrond?" Offensichtlich hatte Maedhros einen empfindlichen Nerv getroffen. Bestürzt zog er ihn in eine Umarmung, "Was ist los?"
„Ich kann nicht..."
„Hat es etwas mit deinem Traum zu tun?"
Ein dumpfes Nicken.
„Magst du es mir erzählen?"
„Ich kann nicht."
„Weshalb?"
Ein heftiges Zittern durchlief den dürren Körper des Kindes.
„Ich war wieder dort," schluchzte er, „ihr habt die ganzen Elben getötet und Mamil gejagt, und..."
Kälte kroch in Maedhros' Knochen. Verzweifelt kniff er die Augen zusammen und drückte den Jungen fester an sich. Er konnte die Schuldgefühle nicht zurückdrängen. Nicht einmal unter seinem Pflichtgefühl begraben. Doch Elrond wollte auf etwas ganz anderes hinaus.
„Ihr wart so wütend," noch immer liefen Tränen über sein Gesicht, „und ihr habt diesen Eid... Werdet ihr uns auch wegen der Silmaril verlassen?"
Obwohl er förmlich um beruhigende Worte bettelte, bekam Maedhros eine Lüge nicht über die Lippen. Er hatte seine Welt zu oft auseinanderbrechen sehen, um anderen versichern zu können, dass alles gut werden würde.
„Das... das ist nicht wichtig," fand er einen Kompromiss zwischen Wahrheit und Lüge, „jetzt sind wir noch da, oder?"
Immerhin sah Elrond aus, als würde er darüber nachdenken.
„Gestern ist vorbei und noch ist nicht morgen," fuhr er fort, „du hast immer nur heute. Niemand weiß, was kommt und du kannst dir nicht immer Sorgen über das machen, was du weder wissen, noch beeinflussen kannst."
„Ja, das macht Sinn," das Kind nickte nachdenklich, „und heute seid ihr da?"
„Heute sind wir da. Schlaf jetzt, Elrond."
Elrond antwortete nur mit einem Lächeln, bevor er die Augen schloss.
„Adar," fragte er nach einer Weile wieder, „und morgen seid ihr auch noch da?"
Trotz allem brachte Maedhros diese kindliche Frage zum Lachen. Vielleicht verdiente er es nicht, von den Zwillingen geliebt zu werden. Aber vielleicht machte er etwas wieder gut, indem er für sie da war.
„Ja, morgen auch," versicherte er lächelnd, "Und wenn du jetzt leise bist, nehme ich euch auch mit auf die Jagd."
„Das wäre toll."
Es schien, als wolle Elrond noch weiter fragen, doch nach kaum einer Minute, waren beiden Elben die Augen zufallen.

Ich sollte keine Oneshots schreiben! Ich sollte Ellen weiterschreiben, wirklich! Zu meiner Verteidigung: Der hier ist älter. Heute habe ich Ellen aufgeschoben, um über die zweite erste Begegnung von Elrond und Celebrimbor zu schreiben. Morgen werde ich Ellen aufschieben, um zu schreiben, wie Maedhros und Maglor die Zwillinge gefunden haben. Ich kann nicht anders! Ich bin einfach ein absoluter Fan dieser Familiendynamik der Feanorians der ersten und zweiten Generation! Und mir gefällt Maedhros' Reakton auf Elronds Frage danach, ob er den Dolch gegen ein Ungeheuer gezogen hat. Ich bin brutal! Ich kann nicht anders...

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