Flucht (Angband)


Die verfluchte Blume hatte ihn genarrt.

Das goldene Pflänzchen mit der feinen, silbernen Narbe in der Mitte. Golden, wie das unzerstörbare Metall aus den Schmieden seines Meisters Aule. Doch diese Blume war nicht unzerstörbar, das hatte er mit Schmerzen feststellen müssen. In seiner Hand war sie zu Staub zerfallen, als er sie gepflückt hatte, um ihre faszinierende Schönheit zu bewundern. Er hatte sie nur sicher verwahren wollen, ihre Eleganz für sich aufbewahren. Und sie war gestorben.

Was nützte eine solche Schönheit, wenn sie so vergänglich war? Wie konnte man sich ihrer erfreuen, wenn man gleichzeitig fürchtete, sie jeden Moment zu verlieren?

Also hatte Mairon sich der Blume angenommen. Er hatte sie verändert, all seine Macht und Kreativität hineingelegt, sie zu seiner Schöpfung gemacht. Jetzt war die Pflanze verändert. Schwarzes Metall überzog die einstmals goldenen Blätter, während die silberne Narbe zu einem harten, leuchtend roten Rubin geworden war. Sie war so wunderschön gewesen. So stark, so unberührbar, dass er nicht zu fürchten brauchte, ihre sanfte Anmut könne ihm je wieder genommen werden.

Doch auch diese Blume hatte ihn hereingelegt.

Mairon hatte auf sein Kunstwerk vertraut. Er war erfüllt gewesen von dem Stolz eines Künstlers, gegenüber der eigenen, bewundernswerten Schöpfung. Und was hatte er dafür erhalten? Spott!

Hohn und Verachtung derer, deren Bewunderung er so verzweifelt ersehnte. Für ein Werk, in welches er all seine Kraft gesteckt hatte, um ihnen zu gefallen. Es war nicht das erste Mal, dass es so geschah. Nicht das erste Mal, dass der Maiar den Wohlgefallen der Valar zu gewinnen suchte. Wieder und wieder war er gescheitert.

Der Zorn kam so plötzlich über Mairon, dass er sich davon geschüttelt fühlte.

Wie er sie hasste, die Anderen mit ihren leuchtenden Gesichtern und ihrer dummen Liebe für das Vergängliche. Die Valar, für die nichts gut genug war. Denen er nicht gut genug war.

Wieso konnte er nicht einfach sein, wie sie? Er hatte seltsame Gedanken, von Macht und Beständigkeit, die nicht zu denen der anderen passen wollten und er verabscheute es.

Wie gerne wäre Mairon erneut von dem Stolz erfüllt, den er während des Schaffens dieser Kostbarkeit verspürt hatte. Er wollte die Dinge bewundern, die seinen eigenen, innigsten Gedanken entsprangen, doch sie ließen ihn nicht.

Verdammte Blume!

Ehe der Maiar an sich halten konnte, hate er das Kunstwerk gepackt und gegen einen der umstehenden Bäume geschleudert. Fast Zeitgleich mit seinem eigenen Körper traf es auf der harten Erde auf.

So versunken war der Rothaarige in seine düsteren Gedanken, dass er die Gestalt, die ihn bereits seit einiger Zeit aus dem Dickicht heraus beobachtete erst bemerkte, als sie sich nach dem Gegenstand bückte.

Instinktiv wich er zurück, denn der Fremde war ein Valar, den Mairon bereits wenige Male gesehen hatte.

Sein Haar war schwarz, doch wirbelte es ihm nicht in einer Wolke um den Kopf, wie das er Herrin Varda. Viel mehr schien es eine glatte, pechschwarze Masse, die ihrem Träger wie ein Schleier über die Schultern fiel. Das ohnehin schon blasse Gesicht wirkte dagegen kalkweiß.

Lange betrachtete der Valar die Blume in seiner Hand. Mit Befriedigung, fast schon mit Dankbarkeit stellte Mairon fest, dass sie seinen Zornesausbruch unbeschadet überstanden hatte – bis ihm dämmerte, was nun unweigerlich folgen musste. Er wollte die Worte nicht hören, deren Inhalt er doch allzu genau kannte.

Als er einige Schritte zurücktrat, blickte der Fremde auf. Seine Augen, dieser kalte, unheimlich machtvolle Blick in seinen Stahlgrauen Augen, ließen den Maiar erstarren.

„Das ist seltsam," befand der Mächtigere mit einem beinahe nachdenklichen Unterton, „wer würde etwas so Schönes gegen einen Baum schleudern?" Dann, direkt an Mairon gewandt:" Hast du sie gemacht?"

Es dauerte einige Sekunden, bis die Worte ihren Empfänger erreichten und noch länger bevor dieser aufhören konnte, den Valar perplex anzustarren.

Als nächstes kam ihm der Gedanke, es könne ein Trick sein. Nie hatte jemand seinen Werken genauere Betrachtung geschenkt, sie auch nur näher angesehen, bevor man sie zurückwies. Und schon gar nicht waren sie als „schön" bezeichnet worden.

Mairon wollte lügen. Wollte nicht zugeben, was da seinen Gedanken entsprungen war um den Spott darüber nicht ertragen zu müssen. Doch der forschende, machtvolle Blick seines Gegenübers ließ keine Ausflüchte zu.

„Ja," erwiderte er beschämt, „Aber sie ist nicht schön." Fügte er hastig hinzu und hasste sich im nächsten Moment dafür. Es fühlte sich an, als würde er sich selbst verraten.

„Sie ist schön." Beharrte der Valar, ohne dass da Heimtücke in seinen Augen gewesen wäre. Stattdessen glaubte Mairon, überraschte Neugier zu erkennen. Verblüffung und dahinter eine tiefe, bewundernde Faszination.

Es verwirrte den Maiar, erschütterte ihn, mehr noch, als er weiter in das überraschend aufgeschlossene Bewusstsein des Anderen vordrang. Was er sah, erschreckte ihn: dieser Zorn, die Verzweiflung. Der Hass auf alles, am meisten auf sich selbst.- All das kannte er nur zu gut.

Der Valar, so abwegig das auch sein mochte, verstand seine Gedanken. Und noch viel wichtiger: Er teilte sie!

„Es ist keines Falls perfekt." Stellte der Schwarzhaarige mit Blick auf die Blume fest.

Natürlich war sich Mairon dessen bewusst. Seine Kreationen konnten nicht perfekt sein, dasie doch von ihrem Schöpfer selbst verachtet wurden. Aber war dies nicht erstrebenswert? Lohnte es nicht, all seine Anstrengungen auf dieses Ziel hin auszurichten und dabei Fehlschläge klaglos hinzunehmen?

„Doch es könnte Perfektion erlangen," fuhr der Valar fort, indem er dem verblüfften Mairon seine Hand darbot, „wenn du mich dir helfen lässt."

Der Maiar zögerte. Zweifel und Unglauben kämpften in ihm mit dem drängenden Verlangen, das Angebot anzunehmen. Er dachte an all die Verachtung und den verletzten Stolz, die er über die Jahre erfahren hatte. Erinnerte sich all der trostlosen Stunden, die er allein mit seinen eigenen, verhassten Gedanken gewesen war. Nicht stark genug sie zu akzeptieren, aber doch unwillig sie vollends aufzugeben.

Manchmal gab es Wunder. Vielleicht war dieser Fremde tatsächlich aus dem Nichts geschickt worden, um ihn, Mairon, vor der Verzweiflung zu bewahren.

Eigentlich erforderte das Angebot keineÜberlegungen. Fest entschlossen griff Mairon nach der ausgestreckten Hand desValar.


Kommentar: 

Jippie, der erste Silmarillion Oneshot in diesem Buch. Und auch einer meiner ersten überhaupt. Natürlich ist es nicht mein bester Text, auf jeden Fall ist er viel zu lang (Ich weiß, dass es nicht gut ist, die weniger guten Texte an den Anfang zu setzen, aber ich habe nun mal gesagt, ich mache es chronologisch). Jedenfalls gefällt mir die Idee, wie Sauron zu Morgoth gekommen ist recht gut und ich habe mich bemüht, viele Facetten seiner Wut auf die Valar zu beschreiben, die Gründe für seinen Übertritt zur "dunklen Seite" liefern. Diese Entwicklung (wie man vielleicht merken könnte) interessiert mich wahnsinnig.

Tut mir übrigens leid, wenn es an manchen Stellen so klingt,  als würde ich aus einem lateinischen Originaltext übersetzen. Ich bin eben totaler Fan solcher aus der Mode gekommener Satzkonstruktionen. 

Wie immer freue ich mich über ein konstruktives Feedback.


Eure  Alice

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