Bestien der Vergangenheit und Schatten der Zukunft
„Hey, wir sind wieder da," rief Elured, während er die Tür zum Esszimmer aufriss. Wie Elurin erwartet hatte, saß war seine Familie gerade beim Abendessen, da sie die Zwillinge nicht so bald von ihrem mehrtägigen Jagdausflug zurückerwartet hatten.
Wobei das Wort Familie vermutlich irreführend war, denn blutsverwand waren nur je zwei von ihnen. Es war wie beim Memory, bei dem man gleiche Paare finden musste. Nur dass es hier einfacher war, die blutsverwandten Brüder einander zuzuordnen. Außer natürlich in den Momenten, in denen jemand nach seinem Bruder rief, was in einem Haushalt mit drei Geschwisterpaaren von denen zwei sich ebenfalls mit Bruder ansprachen, eher weniger zielführend war. Allerdings, so hatte Maglor erfolgreich argumentiert, hatte es in der Familie Feanors funktioniert, also funktionierte es grundsätzlich.
„Hey, Brüder," murmelte Elrond, was ungewöhnlich war.
Normalerweise würden die aufgedrehten Zwillinge wie Tornados auf sie zustürmen und sie mit Fragen zu ihrem Ausflug bestürmen.
Irritiert warf Elurin einen Blick zu Maedhros, der nur mit den Schultern zuckte. Währenddessen hatte Elured sich auf einen freien Stuhl fallen lassen und war gerade dabei, seine schlammverkrusteten Stiefel in eine Ecke zu schleudern, was ihn einen warnenden Blick von Maglor einbrachte.
„Verdammtes Wetter," offensichtlich hatte er beschlossen, das Schweigen der Zwillinge einfach zu übergehen. Eine Taktik, die auch Elurin gewählt hätte, „drei Tage haben wir dieses Biest gejagt und dann schüttet es, als hätten Ulmo und Manwe sich verkracht! Die Fährte war vollständig verschwunden."
Eine Weile erzählten die Älteren von ihren Abenteuern, wobei sich Maedhos und Maglor wie gewohnt am Gespräch beteiligten – und ganz die verantwortungsbewussten Eltern tadelnde Blicke austeilten, als Elured erzählte, wie sein Bruder in einen Bach gestürzt war.
Doch Elrond und Elros blieben stumm. Nach dem Abendessen, wenn normaler weise etwas gespielt wurde, verzogen sie sich ungewöhnlich schnell in ihr Zimmer. Elurin warf seinem Bruder einen Blick zu, nur um festzustellen, dass dieser das Gleiche dachte, wie er. Auch Maedhros nickte. Mit einem energischen Kopfnicken schickte er seine älteren Kinder den Zwillingen hinterher.
Elurin und Elured fanden ihre Brüder dicht beieinander auf Elros' Bett setzen. Die Stille, die in dem Raum lag war beinahe hörbar.
„Was ist los, mit euch," fragte Elured, wobei sich die beiden rechts und links der Zwillinge niederließen, „nun sagt schon."
Für einige Sekunden sprach niemand ein Wort.
„Was ist der Eid Feanors," fragte Elrond dann leise.
Überrascht blickte Elurin zu seinem kleinen Bruder. Er hatte damit gerechnet, dass die Zwillinge etwas kaputtgemacht und nun ein schlechtes Gewissen hatten. Nicht... damit.
Er und sein Zwilling waren beinahe noch Säuglinge gewesen, als Maedhros sie im Wald gefunden hatte. Die ganze Wahrheit hatten sie erst erfahren, als Elured hatte wissen wollen, wer ihre Mutter gewesen war.
Doch Elrond und Elros waren älter gewesen. Alt genug, um den Sippenmord bewust miterlebt zu haben. Zwar hatten die beiden Feanorssöhne sich darauf geeinigt, ihnen alles zu erklären, wenn sie älter wären, doch Elurin hatte sich immer gefragt, wie viel sie tatsächlich wussten.
„Unsere Väter," fragte Elrond weiter, „müssen sterben, oder?" Obwohl in seinen Augen Tränen glänzten, zitterte seine Stimme nicht im Mindesten. Aus ihm würde eines Tages ein großartiger Diplomat werden.
„Wie kommst du denn darauf," hakte Elurin vorsichtig nach.
„Maedhros hat es gesagt," erwiderte Elrond, „er meinte, der Eid Feanors wird nicht für immer ruhen und sie würden besser sterben, beim Versuch, ihn zu erfüllen. Dann hat Maglor geantwortet, dass sie noch warten könnten, bis wir älter sind," jetzt zitterte seine Stimme doch ein wenig, „ich will nicht, dass sie sterben!"
Beschämt senkte er den Blick, während Elros nur finster vor sich hinstarrte.
Elurin zögerte. Wie um alles in der Welt sollte man zwei Elblingen all das erklären. Vor allem zwei Elblingen, die die letzten verbliebenen Söhne Feanors als ihre Eltern betrachteten. Wenn ersteres schwierig war, dann grenzte das Zweite an eine Unmöglichkeit.
Maglor hatte es ihnen als Geschichte erzählt, doch die älteren Zwillinge waren keine Geschichtenerzähler.
„Ihr erinnert euch," begann Elurin, wobei sein Bruder ebenso überfordert aussah, wie er sich fühlte, „dass Maedhros und Maglor euch gefunden haben."
Elrond nickte: „Wir waren in einer Höhle, glaube ich," er schloss die Augen, als versuche er, sich zu erinnern, „da war Blut," sein Gesicht wurde kreidebleich, „warum war da Blut?!" Dann verdrängte eine andere Erinnerung die erste: „Elros ist weggerannt und von einer Klippe gefallen. Maglor hat ihn gerettet..."
Das war... wenig. Zu wenig, um daraus eine verständliche Erklärung zu machen.
Vorsichtshalber zog Elurin seinen jüngeren Bruder an sich, während Elured das Gleiche mit Elros tat.
„Ihr wolltet wissen, was der Eid Feanors ist," begann er zu berichten, „und ihr habt von den Silmarill gehört. Ich glaube, da muss man anfangen."
Immer wieder unterbrach Elurin seinen Bericht, wenn er nicht weiterwusste, oder wenn die weit aufgerissenen Augen der Zwillinge seine Zunge lähmten. Dann übernahm Elured für ihn während er seinenjüngeren Bruder fest an sich drückte, als könne er die Ungeheuer von ihnen fernhalten, die in den Schatten der Vergangenheit lauerten. Doch sie mussten es erfahren. Es war ihre Geschichte, sie hatten ein Recht darauf.
Als er vom Sippenmord an den Sirion-Häfen erzählte, begann Elrond in seinen Armen zu zittern. Als er von der Macht berichtete, die der Eid noch immer über die letzten Söhne Feanors hatte, liefen die Tränen ungehindert über sein Gesicht.
Als die beiden geendet hatten, war es wieder still. Doch dieses Mal war es nicht die schwere, bedrückende Stille der Ungewissheit. Es war eine Stille, die mit blitzenden und Reiszähnen in den Schatten lauerte und die sie verschlingen würde, wenn sie Elros' Bett, diese kleine, einsame Insel der Geborgenheit, verließen.
„Also haben unsere Väter Mamil umgebracht," fragte Elrons schließlich mit finsterem Blick.
„Sie ist am Leben," widersprach Elured, wobei er gen Westen deutete, „irgendwo da draußen."
„Es muss eine Möglichkeit geben, den Eid zu umgehen" beharrte Elros düster, „es muss einfach."
„So funktionieren Eide nicht," es fiel Elurin schwer, den Zwillingen in die Augen zu sehen, „Celegrom und Curufin haben es versucht, es ist nicht möglich."
Elrond schien seine Tränen hinunterzuschlucken.
„Aber warum will Adar bei der Erfüllung des Eids sterben."
„Stell dir vor, du bist in Gefahr. Aber du kannst dein Leben nur retten, wenn du etwas wirklich Schlimmes tust. Jemand Unschuldigen töten, zum Beispiel..."
Nach einigen Sekunden griff Elros nach Elronds Hand. Dieser nickte.
„Wir würden sterben."
Trotz allem huschte ein Lächeln über Elurins Gesicht. Ein Lächeln voller Zuneigung und Stolz. Das waren also die Kinder, die die Söhne Feanors erzogen hatten. Die Wenigsten hätten diese Antwort gegeben.
„Und wenn du weißt, du wirst etwas wirklich Schlimmes tun und nur dein eigener Tod kann dich davon abhalten..."
„Etwas wirklich Schlimmes, wie ein Sippenmord?"
„Zum Beispiel."
„Sie haben Angst," ergänzte Elured, „sie möchten nicht, dass ihr seht, wie der Eid sie zu Monstern macht. Lieber sterben sie und ihr behaltet sie so in Erinnerung, wie sie sind."
„Aber das liegt noch weit in der Zukunft," ergänzte Elurin, als er die Angst in Elronds Gesicht sah, „bis dahin seid ihr längst erwachsen," zumindest hoffte er das, „und dann habt ihr immer noch uns."
Elured versuchte sich an einem schiefen Grinsen: „Ja, ihr Knirpse. Uns werdet ihr nicht so leicht los."
„Wir sind doch eine Familie. Wir halten zusammen. Und unsere Väter auch. So lange sie können."
„Versprochen?"
„Versprochen."
Vielleicht täuschte Elurn sich, doch die Angst in Elronds Gesicht schien weniger zu werden, als er sich an ihn kuschelte und auch Elros' Blick wurde weniger düster.
Die älteren Zwillinge brauchten nicht mal einen Blick, um sich zu einigen, dass sie heute Nacht hierbleiben würden. Morgen war noch genug Zeit, Maedhros und Maglor von den Entwicklungen der Dinge zu berichten. In dieser Nacht, in der die Monster der Vergangenheit und die Schatten der Zukunft wie lauernde Bestien um Elros' Bett strichen, mussten die Brüder zusammenhalten, wenn sie nicht von ihnen auseinandergerissen werden wollten.
Ist das normal, dass ich ein AU möchte, in dem Elurin und Elured glücklich bei Maedhros und Maglor aufwachsen und keins, in dem sie glücklich in Doriath aufwachsen...?
Wahrscheinlich ist daeinfachs diese latente Gewaltbereitschaft, die jeder Silmarillion-Leser irgendwann entwickelt *leicht hysterisches Lachen*
Und es ist mal wieder UNGEPLANT lang geworden.
Und ich habe kein einziges Mal Elurin/Elured mit Elladan/Elrohir verwechselt, was mir sonst ständig passiert. Whooopee!
Und der Titel ist bestenfalls ok, aber der Einzige, der mir eingefallen ist. Außerdem mochte ich die Zeile.
Zu dem Headcanon, wie Maedhros und Maglor (ist euch schon mal aufgefallen, dass ich eine Reihenfolge habe? Maedhros, Elrond und Elladan kommen immer zuerst...) die Zwillinge gefunden haben, kommt vielleicht irgendwann noch mal was.
Wollt ihr mehr Elladan/Elrohir-AU? Ich hätte noch eine Idee, müsste sie aber noch ausarbeiten.
Ihr lest von mir
Alice 🙃
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