Kapitel 16

Seit ein einigen Wochen habe ich nichts mehr von meiner Mutter – oder besser gesagt, die Person, die sich meine Mutter nennt – gehört. Und ich bin auch froh drum.
Ich will nie wieder was mit ihr zu tun haben. Sie hat mich mein ganzes Leben lang belogen und betrogen. Und jetzt ist Schluss damit. Sie bestimmt nicht mehr mein Leben. Das hat sie lang genug.

Dick in einer Jacke gehüllt stehe ich auf der Veranda und sehe die Landschaft um Helsinki an. Obwohl ich schon immer vorhatte, nach Deutschland zu ziehen, merke ich erst jetzt, wie wunderschön eigentlich meine Heimat ist. Will ich überhaupt noch umziehen? Nein, ich glaube nicht. Schließlich kann ich bei meinem Vater wohnen, was er mir natürlich auch angeboten hatte, als wir damals nach dem Krankenhausbesuch zu seiner Villa gefahren sind.

Hier hätte ich mein eigenes großes Zimmer mit begehbarem Kleiderschrank und ein eigenes Bad. Ich müsste keine Miete zahlen und könnte all die verloren gegangen Jahre mit meinem Vater aufholen. Das klingt um einiges besser.

Anja, meine beste Freundin seit Kindheitstagen meldet sich seit dem Vorfall vor Wochen bei mir überhaupt nicht mehr. Obwohl ich sie öfters anrufe oder anschreibe, kommt nie eine Antwort, weswegen ich es nun auch lasse. Ich habe einfach keine Kraft mehr, um diese Freundschaft zu kämpfen. Vielleicht war das auch nie wirklich eine Freundschaft. Vielleicht war das auch alles nur gelogen.

Seufzend ziehe ich die Jacke noch mehr um mich. Morgen beginnen die Trainings für die Sing offs von 'The Voice of Germany'. Am liebsten würde ich mich hier in meinem neuen Zimmer verkriechen und nie wieder rauskommen. Zwar bin ich ja jetzt in Yvonnes Team, aber dennoch ist da noch Michael, mit dem ich einen One-Night-Stand hatte. Und leider muss ich mir eingestehen, dass ich mich in diesen Mistkerl auch noch verliebt habe. Irgendwie.

„Valmis?"
Samu tritt neben mich auf die Veranda und sieht mich fragend an. Langsam nicke ich. Ja, ich bin fertig für die Rückreise nach Deutschland. Aber ich bin nicht dafür bereit, Michael wiederzusehen. Er ist ein verdammter Bad-Boy. Er meint es nicht erst mit den Frauen, das merke ich und dennoch geht er mir nicht aus dem Kopf, da mein Herz ja anderer Meinung ist und ihn liebt.

„Kyllä", bestätige ich noch.
Samu lächelt mich leicht an und drückt mir einen Kuss auf die Stirn.
„Dann los", meint er auf Deutsch und geht die Treppen herunter, wo schon ein Auto fertig gepackt mit unserem Zeug bereitsteht. Dennoch fühle mich nicht bereit, jetzt schon zu gehen.
„Warte."

Ich gehe nochmal rein und setze mich an den Flügel, welcher im Wohnzimmer steht. Federleicht fliegen meine Finger über die Tasten und stimmen eine Melodie an. Langsam schließe ich meine Augen, atme tief durch und beginne, zu singen.

„Written in these walls are the stories that I can't explain. I leave my heart open but it stays right here empty for days. She told me in the morning she don't feel the same about us in her bones."

Nur am Rande nehme ich wahr, wie Samu ebenfalls das Wohnzimmer betritt. Kurz öffne ich meine Augen und lächle ihn an. Er lehnt sich gerade mit locker verschränkten Armen gegen den Türrahmen und sieht mir gespannt zu.
Schnell sehe ich wieder zu den Tasten und schließe die Augen, da ich mich so einfach besser konzentrieren kann.
Mit viel Herzblut singe ich weiter. Das Lied war schon länger in meinem Kopf und ich musste es nun einfach singen. Das, was passierte, kann man nicht ändern. Aber man kann es in der Zukunft besser machen.

„The story of my life I give her hope. I spend her love until she's broke inside. The story of my life. The story of my life. The story of my life. The story of my life."

Sanft lasse ich meine Finger nochmal über die Tasten wandern, bevor ich das Lied beende. Lächelnd schließe ich die Tastaturenklappe und öffne meine Augen wieder, als Samu etwas klatscht.

„Das Talent hast du definitiv von mir", meint er stolz auf Deutsch, weswegen ich grinsen muss.
„Gut so, sonst wäre ich bei ‚The Voice' komplett fehl am Platz."
Samu grinst, kommt zu mir herüber und setzt sich auf den kleinen freien Platz auf dem Klavierhocker.
„Du meint doch, du brauchst einen Rat, als du mich vor Wochen angerufen hast", meint er sanft, dieses Mal jedoch auf Finnisch und sieht mich fragend an.

Ich seufze leise auf und spiele mit meinen Fingern herum. Soll ich wirklich mit ihm darüber reden? Aber auf der anderen Seite bleibt mir niemand, mit dem ich sonst reden könnte. Da meine beste Freundin ja meint, nicht mehr mit mir reden zu wollen.
„Es... es geht um..."
„Michael", unterbricht er mich, weswegen ich ihn entsetzt ansehe.

Samu lacht leicht und streicht mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Dachtest du etwa, mir würde es nicht auffallen, wie er mit dir flirtet? Außerdem war euer Auftritt bei den Battles mehr als nur... nun ja... heiß."
Jetzt springe ich entsetzt auf, als er das sagt. Das ist ja peinlich, dass es auch mein Vater sagt!

„Isä!", rufe ich entsetzt, während ich rot werde.
Völlig aus den Wolken gefallen, gehe ich durch das Wohnzimmer. Ich wusste ja, dass ein solches Thema ziemlich schwierig sein kann, wenn man es mit dem Vater bespricht, jedoch hätte ich mir nie gedacht, dass es so passiert.
Samu lacht leicht, weswegen ich ihm einen wütenden Blick zuwerfe.

„Auch Eltern waren mal jung, Amanda. Und ich bin nicht blind. Auch die anderen Coaches sind nicht blind. Bei eurem Auftritt hat die Luft mehr als nur geknistert. Wirklich."
Ich schnaube auf und fahre mir durch die Haare.

„Aber Isä, er..."
„Er ist ein Bad-Boy, ich weiß. Man erkennt sowas sofort. Auch wenn Väter die Töchter von jeder Kleinigkeit beschützen möchten, kann ich dir da nicht helfen. Du bist alt genug, um deinen Weg alleine zu gehen. Wenn du denkst, dass es was zwischen euch werden könnte, dann lass es zu. Du musst auf dein Herz hören."

Tief atme ich aus und sehe ihn an. Seine blauen Augen sehen mich ernst an, wobei sich daran auch etwas Traurigkeit spiegelt. Die Wunde mit Mutter ist noch tiefer, als vorher.
„Falls er dich aber verletzten sollte, dann werde ich da sein. Dann wird er von mir was zum Hören bekommen, warum er meiner Tochter weh tun. Und dann werde ich dich in den Arm nehmen und trösten. Das verspreche ich dir."

Song(text): One Direction - Story of my life

https://youtu.be/OqF_Kr2sVEY

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