Kapitel 1
Samu und ich sehen uns immer noch in die Augen, während das Publikum weiter klatscht. Unsicher schlucke ich.
Erkennt er mich? Erkennt er, dass ich genau die gleichen blauen Augen habe? Oder erkennt er ein paar Gesichtszüge, die ich von ihm oder meiner Mutter habe? Oder war einfach diese ganze Aktion umsonst?
Tausend Fragen schwirren mir durch den Kopf, doch zu keiner finde ich in diesem Moment eine Antwort dazu. – Ich muss mich wohl gedulden.
„Wie heißt du?", fragt mich gerade Andreas, weswegen ich meinem Blick von Samu losreiße. Ich nehme das Mikro aus der Halterung und gehe ein paar Schritte vor, sodass sie mich besser erkennen können. Einfach ruhig bleiben.
Zum Glück beherrsche ich Deutsch fließend. In Finnland ist es so, dass man Englisch als Fremdsprache sowieso hat und als Zweite kann man sich zwischen Deutsch und Schwedisch entscheiden. Schwedisch wird nicht wirklich gerne genommen, da wir Finnen die Schweden hassen. Jedoch nahm ich damals diese Sprache, da ich durch meine Mutter, welche eigentlich aus Deutschland kommt, Deutsch gelernt habe. Also warum sollte ich diese Sprache dann noch nehmen? Witzigerweise oder eigentlich traurigerweise konnte ich als erstes Deutsch sprechen, statt Finnisch. Lag wohl daran, weil meine Mutter nie mit mir Finnisch sprach.
Die Landessprache lerne ich als kleines Kind in einem Sonderkurs. Natürlich wünschte ich mir früher, dass mein Vater es mir beigebracht hätte, aber ich wusste, dass es nie möglich sein würde.
So kommt es, dass ich vier Sprachen sprechen kann. – Finnisch, Englisch, Schwedisch und Deutsch.
„Ich bin Amanda Walsh und 22 Jahre alt", stelle ich mich vor, wobei man meinen Akzent sehr heraushört.
Im Augenwinkel sehe ich meinen Vater an, welcher bei meinen Namen und meinem Alter die Stirn runzelt und mich anschließend geschockt ansieht. Weiß er es also doch?
„Und woher kommst du?", fragt mich nun einer von Fanta Vier, wobei ich mir einfach nie merken kann, wer Michi und wer Smudo ist.
Unbemerkt hole ich Luft und sehe die Coaches an. Jetzt platzt Bombe Nummer Eins.
„Ich komme aus Helsinki, Finnland."
Das Publikum fängt an zu johlen und klatschen, während alle Coaches zu Samu sehen.
„Na sieh mal einer an. Jemand aus der Heimat Haber", meint Andreas grinsend.
Doch der Finne beachtet ihn nicht, da er mich intensiv ansieht. Man sieht es ihm richtig an, wie er nachdenkt. – Er weiß es. Bestimmt. Oder?
„Koska lapsuuteni, olet minun roolimalli", sage ich auf Finnisch, sodass es nur Samu und ich verstehen können. Außer es würde jemand Finnisch können, was ich jedoch bezweifle. Kurz überlege ich, den anderen zu sagen, dass es ‚Seit meiner Kindheit bist du mein Vorbild' heißt, werfe den Gedanken aber schnell wieder.
Dieser Satz stimmt aber einfach zu 100 Prozent. Sunrise Avenue wurde 1992 gegründet, wobei sie damals nur Sunrise hieß. Ich wurde 1994 geboren und wuchs mit der Musik von Sunrise Avenue auf, da meiner Mutter sie immer wieder hörte, ohne dass ich wusste, was meine Verbindung zu dieser Band war. Doch jetzt, seit zwei Monaten, weiß ich es. – Ich bin die Tochter von Samu Haber.
„Niin? Miksi näin?", fragt mich Samu, als er anscheinend wieder seine Stimme gefunden hat. Ein schwaches Lächeln bildet sich auf meinem Gesicht, da er mich fragt, warum das so ist. Ich streiche mir eine dunkle Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Äitini kuuli aina Sunrise Avenue. Vartuin tämän bändin kanssa", erwidere ich wahrheitsgemäß. Schließlich hörte meine Mutter immer Sunrise Avenue. Ich wuchs mit dieser Band auf.
Samu setzt an, etwas zu sagen, wird jedoch von Andreas unterbrochen. Ich muss mich wirklich zusammenreißen, ihn nicht anzuschreien, da er das erste Gespräch, was ich je mit meinem Vater führe, unterbricht. Danke... Nicht.
„Ehm. Wir alle hier wären sehr dankbar, wenn ihr euch auf Deutsch oder Englisch unterhalten könntet. Wir verstehen kein Finnisch", lacht er zum Ende hin leicht, wo viele im Publikum mit einstimmen.
Ich seufze innerlich, da er ja eigentlich recht hat. Schließlich sind wir hier in Berlin und vor laufender Kamera.
„Ja, kommen wir mal zum eigentlichen Teil. Michi und ich haben uns umgedreht, da deine Stimme etwas drin hat, was man noch ausbauen kann. Zwar warst du am Anfang etwas unsicher, aber dann wurdest du nach und nach sicherer und ich denke, also wir denken, dass wir dich gut die Battles vorbereiten können."
Ungefähr das Gleiche sagen Andreas und Yvonne auch. Nur mein Vater sagt etwas, was mich völlig aus der Bahn wirft.
„Your Voice hat mich an my beginning 1992 erinnert. I had a fashback, wo ich wieder zurück im Raum war, wo 'Sunrise' gegründet wurde. My girlfriend in that time was proud of me and my buddy. I knew, ich würde weniger Zeit für sie haben, wenn die Band erfolgreich wird. Nevertheless, I loved her above all else", erklärt er in seinem typischen Deutsch-Englisch und als er geendet hat, geht ein gerührtes Raunen durch das Publikum, sogar Yvonne kann sich ein „Aww" nicht verkneifen.
Schwer schlucke ich und klammere mich an das Mikro, um irgendwo Halt zu haben. 1992 war Samu 16 Jahre alt, genauso wie meine Mutter. Und laut ihr waren sie zu diesem Zeitpunkt schon zusammen. Das heißt wohl, dass er hier gerade von Emily Walsh redet.
„What I would like to say is that: I would accompany you very much on the way to the Voice of Germany."
Ich schließe meine Augen und atme tief durch, wobei ich das Mikro etwas senke. Was soll ich nur tun? Mein Ziel war es von Anfang an, falls ich weiterkommen sollte, in Team Samu zu sein. Aber was ist, wenn es rauskommen würde, dass er mein Vater ist? Wird er dann aus der ganzen Show geschmissen? Das will ich ja auch nicht, dass er meinetwegen als Coach gekündigt wird. Aber kennenlernen will ich ihn ja auch.
„Tiedän kuka olet, auringonpaiste", fügt Samu nach kurzem Schweigen hinzu, weswegen ich meine Augen wieder aufreiße. Habe ich richtig verstanden?
Hat er gerade wirklich gesagt, dass er weiß, wer ich bin? Und hat mir gleich einen Spitznamen ‚Sonnenschein' verpasst?
Hektisch blinzle ich meine Tränen weg, welche mir in den Augen stehen. Er weiß es wirklich, wer ich bin. Am liebsten würde ich einfach zu ihm rennen und ihn umarmen. Aber zuerst muss ich mich wohl oder übel entscheiden.
„Als ich mich hier angemeldet habe, hätte ich nie gedacht, dass ich weiterkommen würde", fange ich wahrheitsgetreu an.
„Ich habe gehofft, dass sich einer umdreht, aber dass sich alle umdrehen, war einfach nur ein Traum, welcher weit entfernt und nicht greifbar war. Dennoch wollte ich von Anfang an zu Samu. Finnland muss zusammenhalten."
Das Publikum klatscht wild, während Samu leicht lächelt. Was bedeutet das?
Er steht auf und kommt zu mir auf die Bühne. Nun, das ist ja nicht ungewöhnlich. Schließlich begrüßt er jeden in seinem Team. Er umarmt mich kurz und flüstert mir nur ein Wort ins Ohr.
„Tytär" Tochter.
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