.:9:. Eine düstere Erinnerung
Ihre gelassene Reaktion brachte die Männer erneut außer Fassung.
„Hört mal", begann sie schließlich genervt. „Entweder ihr habt den Schneid, mich anzugreifen, oder ihr lasst es bleiben und wartet hier schön artig mit mir darauf, dass eure Wachablösung ankommt und euch festnimmt." Sich theatralisch streckend griff sie nach einem ihrer Messer. Es war unwahrscheinlich, dass sie sich einfach ergaben.
Ihr zur Schau gestelltes Desinteresse nahmen die Drei als Zeichen zum Angriff. Ehe sie wussten, wie ihnen geschah, lagen sie bewegungsunfähig am Boden.
„Hättest du nicht noch die paar Minuten warten können, bis die Wachen da sind?" Raphael stand im Türrahmen und betrachtete die bewusstlosen Soldaten. „Deine Aufgabe hier ist erledigt. Gehen wir und lassen die Wachen den Rest erledigen." Mit unleserlicher Miene bot er ihr eine Hand an und führte sie zwei Schritte weit, bevor die Umgebung um sie herum verschwamm und kurz darauf die Formen des Audienzsaales des Palastes annahm.
Wie immer, wenn sie ohne Vorwarnung durch die Gegend gebeamt wurde (an dieser Stelle musste sie einfach auf menschliche Literatur zurückgreifen), musste sie sich kurz hinsetzen, bis der Schwindel und die Desorientierung nachließen.
Als sie sich wieder gefangen hatte, half Eleasar ihr auf und zog sie eng an sich. „Ich bin froh, dass dir nichts passiert ist."
„Frag lieber nicht, was sie den Wachen angetan hat, die für den Mord verantwortlich sind", bemerkte Raphael trocken und setzte sich auf seinen Thron. „Deine Frau scheint keinerlei Erbarmen mit Schuldigen zu kennen."
Das überraschte Eleasar keineswegs. Er hatte gesehen, wie Ria ohne mit der Wimper zu zucken eine junge Frau umgebracht hatte, weil sie sich an jemandem vergriffen hatte, der einmal zu ihrem Clan gehören würde. Nun ja, eigentlich weil diese Person zu laut gesprochen hatte und Ria ohnehin schon genervt gewesen war. Er konnte nicht von ihr behaupten, geduldig mit Missetätern umzugehen. „Ich kenne noch weniger, wenn ihr auch nur..." Beim Anblick ihrer nackten Füße erstarben die Worte auf seinen Lippen.
Zu spät, dachte Ria. Den Moment, sich unauffällig zurückzuziehen, hatte sie wohl verpasst. Sie war überrascht, dass er vorerst kein Wort dazu sagte. Wahrscheinlich sparte er sich das für ihre zweifelsohne eintretende Zweisamkeit auf. Sein um ihre Taille geschlungener Arm spannte sich an, als sie versuchte, sich seiner Nähe zu entziehen. Das war eindeutig noch nicht überstanden.
Raphael hingegen lachte überrascht auf, als auch er bemerkte, dass Ria gar keine Schuhe trug. „Vergiss es. Deine Frau wird ihr Verhalten nicht überdenken."
Auch wenn sie das deine Frau störte, war sie dem Kaiser dankbar, dass er ihr beistand. Dumm nur, dass Elea eher zu der nachtragenden Sorte Mann gehörte. Die nächsten Tage musste sie wohl mit Schuhkontrollen rechnen.
Eleasars Mundwinkel zuckten. „Du hast vergessen, deine Gedanken abzuschirmen."
Lachend winkte der Herrscher einem Angestellten. „Sei so gut und begleite die Prinzessin in ihre Gemächer."
Froh, nicht länger im Fokus der Aufmerksamkeit zu stehen, folgte sie dem Bediensteten in Eleasars Palastwohnung. Nachdem sie sich frisch gemacht und umgezogen hatte, suchte sie Isla und Eilean auf. Sie fand die beiden im Pool, wo die Kaiserin der Kleinen das Tauchen beibrachte. Eine Weile beobachtete sie die beiden, wie sie vergnügt im Wasser herumtollten.
„Wenn ihr so weiter macht, werdet ihr noch zu Fischen." Sorgsam darauf bedacht, nicht zu nah ans Wasser zu kommen, hockte sie sich an den Rand.
„Mama." In Windeseile war Eilean bei ihr. „Mama, ich kann tauchen!"
„Echt?", in gespielter Überraschung riss sie ihre Augen auf. „Sowas kannst du schon?"
Stolz wie Oskar nickte ihre Kleine. „Guck." Sie holte tief Luft und tauchte mit zusammengekniffenen Augen unter. Eine knappe Minute später kam sie wieder an die Luft.
„Wow." Begeistert fischte sie ihre Kleine aus dem Becken. „Ich bin so stolz auf dich, mein Engel." Eilean quiekte vergnügt und strampelte sich zurück ins Wasser.
Während die Kleine weiter im Wasser planschte, stieg Isla aus dem Pool und setzte sich zu Ria an den Rand. „Hast du deine Neugier befriedigt?"
Sie nickte vage. „Es war entspannend, einmal wieder das zu tun, was ich getan habe, bevor Marjan mich hat entführen lassen." Diese Tatsache nahm sie ihrem Schwiegervater noch immer übel. Das Dumme an der Aktion war, dass der Erfolg dem Obervampir mehr oder weniger recht gab. Hätte er Ria nicht entführen lassen, wären sie und Eleasar sich nicht begegnet. Zumindest nicht so früh. Das hätte ihr einige kaputte Nerven erspart.
„Wie war dein Leben?" Isla war aufrichtig neugierig, über das alte Leben der jungen Frau, die ihr wie eine Tochter war. In dem halben Jahr in dem Ria hier gelebt hatte, hatte sie nichts über ihre Vergangenheit in Erfahrung bringen können.
Die Schwarzhaarige seufzte schwer und lehnte sich zurück. „Ich habe Leute umgebracht. Niemals Kinder. Aber ob diese Personen unschuldig waren? Keine Ahnung. Ich nehme es nicht an, sonst wollte jemand sie ja nicht tot sehen. Am Ende habe ich Verbrecher gesucht und unschädlich gemacht."
Isla starrte sie einen Moment lang sprachlos an. „Ria, hattest du überhaupt eine Kindheit?"
Sie lachte bitter. „Ich bin froh, dass Elea sehr darauf achtet, dass unsere Tochter eine schöne Kindheit hat."
„Nicht nur Eleasar." Aufmunternd legte die Kaiserin ihre Hand auf die ihrer möglichen Nachfolgerin. „Eure Tochter ist sehr glücklich." Sie machte eine kurze Pause, bevor sie das ansprach, was ihr auf dem Herzen lag. „Es ist Zeit, dass ihr Eilean in die Schule schickt. Eleasar weiß das."
Überrascht sah die Jüngere ihre Mentorin an. „Schule. So früh?" Ihr Blick wanderte zu ihrem Kind, das ausgelassen und völlig unbelastet im Wasser herumtollte. „Wenn sie mit anderen in Berührung kommt, verliert sie ihre unbeschwerte Art."
Verständnisvoll nickte die Ältere. „Du wirst nicht verhindern können, dass sie sich verändert. Meinst du nicht auch, dass nicht nur schlechte Erfahrungen auf sie warten?"
Sie musste schwer schlucken. „Ich habe ja gewusst, dass sie irgendwann flügge wird, aber so schnell?" Ihre Gedanken schweiften ab.
Das herzhafte Lachen der Kaiserin erfüllte den Raum. „Schule bedeutet nicht gleich Auszug."
„Nein, aber bis dahin dauert es dann auch nicht mehr lange." Eleasar tauchte hinter den beiden auf und half seiner Frau beim Aufstehen. Irgendetwas stimmte nicht mit ihr. Normalerweise würde sie nicht so in sich gekehrt reagieren. „Ich dachte, es ist unsere Sache, wann wir unsere Tochter zur Schule schicken." Ria war immer noch so geplättet von der Vorstellung, ihre Tochter dem gemeinen Volk aussetzen zu müssen, dass sie nicht in der Lage war, weiterhin ein Gespräch zu führen.
Eleasar stützte seine Frau, indem er seinen Arm um sie schlang. Dass es Ria so hart mitnehmen würde, damit hatte er nicht gerechnet. Über ihre mentale Verbindung checkte er ihren Zustand. Er konnte beim besten Willen nicht nachvollziehen, weshalb sie so geschockt reagierte.
„Isla, bitte sei so gut und kümmere dich noch ein wenig um Eilean." Seine Tochter wohlbehalten in der Obhut der Kaiserin wissend, brachte er seine Frau nach Hause. Kaum waren sie angekommen, begann Ria unkontrolliert zu zittern. Schnell brachte er sie ins Wohnzimmer, wo er sie fürsorglich in Decken wickelte. Kurz darauf brachte ein Angestellter etwas Warmes zu trinken, was sie nur unter viel gutem Zureden zu sich nahm. Nachdem sie ihre Tasse geleert hatte, zog er sie auf seinen Schoß und wiegte sie sanft vor und zurück. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich entspannte und sich an seiner Brust ausweinte. Sie war so aufgewühlt, dass er es spüren konnte, ohne einen Blick in ihren Geist zu werfen.
„... nicht... Schule..."
Irritiert musterte er sie. Was hatte ihr Schockzustand denn mit Eileans erstem Schultag zu tun?
„Papa... nicht... böse." Zitternd verkroch sie sich weiter in seinen Armen.
„Ria?" Bemüht, einen Blick in ihr Gesicht zu erhaschen, strich er ihr Haar zurück und suchte ihren Blick. Doch der hing irgendwo, nur nicht in der Gegenwart. „Was ist mit deinem Vater?" Erinnerte sie sich an etwas aus ihrer Kindheit? Offensichtlich. Aber ihr Vater war gestorben, bevor sie zur Schule musste.
Plötzlich wurde sie ganz ruhig. Dass sie das Atmen nicht einstellte, war auch so ziemlich alles. An dieser Stelle hielt er es nicht mehr aus. Entschieden nutzte er ihre Verbindung, um zu sehen, was sie heimsuchte. Ohne Vorwarnung fand er sich in einem kleinen, aber wohnlich eingerichteten Wohnzimmer wieder. Ein erschöpft aussehender Mann mit kurzen, durcheinandergeratenen roten Haaren saß auf dem Sofa und las Zeitung, während ein kleines Mädchen mit schwarzen Haaren auf dem Boden saß und etwas in ein Heft schrieb.
„Papa? Wo liegt Amerika?"
Die Stimme der kleinen Ria rührte ihn zutiefst. Sie klang sogar noch ein wenig niedlicher als ihre gemeinsame Tochter. Aber was noch viel wichtiger war: Sie erinnerte sich tatsächlich an ihre Vergangenheit. Interessiert beugte er sich über das Heft. Die aufgeschlagene Seite stellte eine grobe Karte der Menschenwelt dar, anstelle der Namen der Kontinente waren bloße Striche vorhanden. Auf einige stand in krakeliger Kinderhandschrift ein Name geschrieben. Afrika, Asien und Europa waren bereits eingetragen.
Der Mann auf dem Sofa, offenbar Rias Vater Liam Shaw, legte die Zeitung beiseite und kniete sich vor seine Tochter. „Na, was meinst denn du?"
Die kleine Ria zog eine Schnute. Überrascht stellte Eleasar fest, dass ihre Augen orange waren. Warum waren sie dann braun gewesen, als er sie das erste Mal getroffen hatte?
„Ragna meint da." Sie deutete auf einen Ort, den er als Australien in Erinnerung hatte.
„Ragna hat keine Ahnung", entgegnete der Mann, verwuschelte Rias Haare und deutete dann der Reihe nach auf Nord- und Süd-Amerika. „Das sind beide Hälften von Amerika."
Artig schrieb die kleine Ria die Namen auf. „Warum muss ich morgen zu Lara?"
Liam setzte sich seufzend wieder aufs Sofa. „Weil Lara morgen nicht zu uns kommen kann."
Die Erinnerungen begann im Zeitraffer abzulaufen. Auf ein bedrücktes Abendessen folgte eine unruhige Nacht. Er brauchte kein besonderes Gespür für Emotionen um festzustellen, dass es Liam nur mit Mühe gelang, den Anschein eines halbwegs gescheiten Tages für seine Tochter aufrecht zu halten. Der Morgen kam und nach einem wortlosen Frühstück brachte Liam Ria zu einer Menschenfrau, die sie in einer kleinen Klasse unterrichtete. Der Zeitraffer stoppte und ihm wurde bewusst, dass dies Rias erster Tag in einer regulären Schule war. Sie war jünger als ihre Mitschüler. Wenn er sich recht erinnerte, war Rias Mutter zwei Monate zuvor verschwunden und ermordet worden. Vermutlich versuchte Liam seine Tochter so von den traurigen Tatsachen abzulenken. Nach der Schule ging Ria alleine nach Hause. Ein leichter dunkler Schatten umhüllte sie. Ragnarök. Damals war er also bei ihr gewesen und sie hatte sich frei in der Menschenwelt bewegen können. Zuhause angekommen, plapperte Ria munter drauf los und erzählte ihrem Vater begeistert von ihrem ersten Schultag. Sie war gerade dabei, von einem Zwischenfall in der letzten Stunde zu berichten, da klopfte es an der Wohnungstür. Liam schreckte zusammen, doch wahrhaft besorgniserregend war Rias Reaktion. Mit kalkweißem Gesicht starrte sie die Tür an und klammerte sich an die Hand ihres Vaters. „Nicht öffnen, Papa. Papa, bitte nicht. Die sind böse."
Tränen traten in ihre Augen, als Liam sie ins Schlafzimmer brachte und dort einschloss. Mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen starrte sie auf die geschlossene Tür und lauschte dem wenig erfreulichen Wortwechsel im Nebenzimmer. Plötzlich kam Leben in Rias kleinen Körper und sie verschwand unterm Bett. Kurz darauf konnte Eleasar Ragnaröks Schatten ausfindig machen, der den Raum unterm Bett abdunkelte und Ria vor den Augen anderer verbarg.
Mit einem Krachen flog die Schlafzimmertür auf. Liam wurde hereingezerrt und an die Wand genagelt. Was folgte, war eine unbeschreibliche Folter. Eleasar fragte sich, wie Ria es nur schaffte, stumm zu bleiben und keinen Mucks von sich zu geben. Nie zuvor hatte er eine solch schreckliche Folter mit ansehen müssen. Nicht einmal sein Vater, der für seine Grausamkeit bekannt war, war jemals auf diese Art mit einem Gefangenen verfahren. Die Personen verschwanden und ließen Liam mehr in Stücken als am Stück zurück. Ria rührte sich nicht. Es vergingen Stunden, die Sonne war bereits untergegangen, da betraten weitere Personen die Wohnung, auf der Suche nach Liam. Einer von ihnen war ein Eleasar unbekannter Mann mit grauen Augen und halblangen braunen Haaren. Er war durchtrainiert und trug eine Kombination aus Jeans und schwarzem Shirt.
„Kemal. Liams Kleine, hast du sie gesehen?"
Eine weitere Person trat ins Schlafzimmer. Ihn hatte Eleasar bereits getroffen. Der Araber war Rias Ziehvater. Bedauernd schüttelte der Angesprochene seinen Kopf. „Küche und Wohnzimmer sind sauber. Blake, Liam ist tot. Das macht die Kleine..."
Der Grauäugige - Blake - schnitt Kemal mit einer unwirschen Handbewegung das Wort ab. „Liam wird sie nicht ausgeliefert haben. Sie muss hier sein. Ich werde das regeln, kümmere du dich um das Kind."
Blake, jetzt erinnerte er sich wieder. Rias Peiniger. Irgendwie hatte er sich den Mann ganz anders vorgestellt.
Die Szene verschwamm und es folgten Szenen, in denen Kemal versuchte, Ria in eine Schule zu schicken oder sie unterrichten zu lassen. Alle Versuche schlugen fehlt und in allen Szenen hatte Ria braune Augen. Ihre Naturfarbe kam nicht wieder zum Vorschein. Ebenso wenig konnte er Spuren von Ragnarök finden. Was war unter dem Bett geschehen? Ihm war berichtet worden, dass der Geist angeblich Rias natürliche Kräfte und daran gebundene Erinnerungen versiegelt hatte. Nach eigener Aussage hatte sie ihre Kräfte erst im Alter von etwa achtzehn Jahren entdeckt. Auch wenn es ihm bis heute ein Rätsel war, wie dem Drachen dieses Kunststück gelungen war, so konnte er doch nicht abstreiten, dass er ihre wahre Identität erfolgreich vor allen anderen und vor ihr selbst geheim gehalten hatte.
Langsam schwanden die Bilder und er kehrte in die Gegenwart zurück, in der seine Frau kraftlos in seinen Armen lag. Einem hereinsehenden Angestellten trug er auf, ein neues Getränk zu besorgen. Unterdessen hob er Ria auf seine Arme und trug sie ins Bett. Nun verstand er nur zu gut, was sie so ängstigte. Sie hatte Angst, dass es Unheil über sie beschwören würde, wenn Eilean jetzt schon zur Schule ging. Angst, dass ihm etwas passieren könnte.
Fürsorglich strich er ihr durchs Haar. Wie viele Alpträume trug sie noch mit sich herum, von denen er bislang nichts wusste? Würde er sie jemals alle erfahren?
„Ich bin nicht dein Vater", flüsterte er ihr sanft ins Ohr und legte sich neben sie. Nichts auf der Welt konnte ihn dazu bringen, sich jetzt von seiner Gemahlin zu trennen.
Raphael fand die beiden eng aneinandergeschmiegt im Bett liegend vor. Eleasar schirmte Ria vor allen äußeren Einflüssen ab. Nachdem Isla ihm von der merkwürdigen Reaktion der beiden erzählt hatte und sich Eilean noch immer in der Obhut seiner Frau befand, hatte er beschlossen nachzusehen.
„Wenn es mit Politik zu tun hat, kannst du es vergessen."
Halb belustigt, halb besorgt musterte er seinen möglichen Nachfolger. „Was ist vorgefallen?"
Endlich bewegte Eleasar sich. Er setzte sich auf, wobei er sorgfältig darauf achtete, seine Frau nicht loszulassen. Ria ging es schlecht. Ein einziger Blick auf die junge Frau genügte um zu erkennen, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. „Sei so gut und schick Eilean in die Schule. Ich hole sie morgen früh ab, um sie hin zu bringen."
Die plötzliche Zusage überraschte den Kaiser. „Wie kommt es zu dem überraschenden Meinungswechsel?"
Der Prinz zog seine Frau schützend in seine Arme. „Es ist das Beste." Mit der Zeit war er zu dem Entschluss gelangt, dass es besser war, sie vor vollendete Tatsachen zu stellen. Sobald sie erkannte, dass Eilean ihren ersten Schultag hinter sich hatte und ihnen nichts geschehen war, würde sie die Schatten ihrer eigenen Geschichte abschütteln können.
Mit gerunzelter Stirn musterte Raphael die schlafende Frau. „Ich kann es tolerieren, dass du dir den einen Tag freinimmst, weil es ihr nicht gut geht, aber morgen erwarte ich, dass du deinen Aufgaben nachkommst. Sollte sich ihr Zustand nicht bald bessern, bring sie zu uns."
Dafür erntete er einen bösen Blick. „Wenn ihr euch nicht um die Kleine kümmern könnt, hole ich sie gleich her."
Raphael seufzte schwer. „Du weißt ganz genau, dass es nicht so ist." Genauso wie er wusste, dass es keinen Sinn hatte, mit Eleasar zu diskutieren. Es war besser, er ließ ihn weiterhin eifersüchtig über seine Frau wachen. „Wir erwarten dich morgen."
Kaum war Raphael gegangen, vergrub er Ria unter einigen Decken und machte sich daran, etwas Essbares zuzubereiten. Egal wie schlecht es ihr ging, sie musste sich ernähren.
Pünktlich zum Ende des Frühstücks erschien Eleasar im Palast. Aufgeregt lief seine Tochter ihm entgegen und fiel ihm um den Hals.
„Papa."
Er beeilte sich, seine Sorge um seine Frau zu verbergen und setzte eine muntere Miene auf. „Hallo mein Engel. Hast du gut geschlafen?"
Sie nickte eifrig. „Oma sagt, ich darf heute in die Schule?" Aufregung blitzte in ihren blauen Augen auf.
Schweren Herzens nickte er. „Ja. Wenn du fertig bist, bringe ich dich hin."
Ein weiteres eifriges Nicken, dann rannte sie auf ihr Zimmer. Unterdessen musterte Isla ihn aufmerksam. „Du hast die Nacht nicht geschlafen."
Kommentarlos sah er sie an.
„Wenn es Ria so schlecht geht, lass mich nach ihr sehen."
„Sie ist bald wieder auf den Beinen." Er wollte nicht über Ria reden. Nachdem er sie dazu gezwungen hatte, etwas zu essen, war sie eingeschlafen und bislang noch nicht wieder aufgewacht.
„Du siehst bleich aus. Was ist vorgefallen?"
Eileans Auftauchen ersparte ihm eine Antwort. Unter den besorgten Blicken der Kaiserin führte er seine Tochter zur wartenden Kutsche. Vor Aufregung plapperte seine Kleine munter vor sich hin und berichtete ihm, was sie alles gemacht hatte. Es fiel ihm schwer, ihr seine Aufmerksamkeit zu schenken, wenn seine Gedanken die ganze Zeit bei seiner Frau verweilten.
„Papa?" Eileans fragendes Gesicht tauchte ganz dicht vor seinem auf. „Wir sind da."
Ihm war gar nicht aufgefallen, dass ihre Fahrgelegenheit bereits angehalten hatte. „Entschuldige, Kleines. Ich war in Gedanken."
Sie erwiderte sein aufmunterndes Lächeln und ließ sich von ihm aus der Kutsche helfen.
Seine Tochter anzumelden stellte keine Herausforderung dar. Der Leiter musste sie beide nur sehen und er war mehr als bereit, alles in die Wege zu leiten. Pünktlich zur ersten Stunde standen sie vor dem richtigen Klassenraum. Eilean kaute aufgeregt auf ihrer Lippe herum.
„Wie ist Schule so?"
Dieses Mal war sein Lächeln echt. „Du kommst aber früh auf die Idee, zu fragen."
Vorwurfsvoll sah sie ihn an. „Ich bin neugierig."
Er hockte sich vor ihr hin und strich ihr sanft über die Wange. „Du wirst viele andere Wesen kennenlernen und ganz viele interessante Geschichten hören. Geschichten, die dir noch keiner erzählt hat." Als es läutete, drückte er ihr aufmunternd die Hand. „Vergiss nicht, uns nachher zu erzählen, was du gelernt hast."
Mit diesem Versprechen verschwand seine Kleine im Klassenzimmer. Vermutlich war sie taffer, als er es gerne hätte. Auf dem Weg nach draußen nickte er den Wachen knapp zu. Natürlich wurde seine Tochter bewacht. Niemals hätte er sie ohne Wachschutz vor die Tür gelassen.
Zuhause angekommen sah er nach Ria. Sie schlief noch immer tief und fest. Schweren Herzens widmete er sich seiner Arbeit. Für seine Frau konnte er momentan nichts tun, sie musste ihren Schock alleine überwinden.
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