.:8:. Hafenausflug
Für alle, die Ria gerne wieder in Aktion sehen wollen: Bitteschön ;)
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Am nächsten Morgen brach die Hölle los. Schon in Allerherrgottsfrühe klopfte jemand so laut gegen die Haustür, dass Ria erschrocken aus dem Bett fiel. Neben ihr erging es Eleasar ähnlich. Ein Blick aus dem Fenster sagte ihr, dass sie nicht sonderlich lange geschlafen hatten.
Erneut hämmerte jemand unerhört laut gegen die Haustür. Müde zog sie sich am Bettpfosten hoch. Wie konnte ihr Mann nur so schnell auf den Beinen und angezogen sein? Verständnislos schüttelte sie ihren Kopf und schlich zu ihrem Schrank. Ausnahmsweise einmal griff sie nach einem Kleid. Wenn es schnell gehen musste war nicht von der Hand zu weisen, dass diese Kleidungsstücke einen gewissen Vorteil boten.
Unten in der Halle überschwappte sie eine Welle der Unruhe und Empörung. Drei Personen standen in der Eingangshalle und redeten wild auf Eleasar ein. Wie er dabei so ruhig bleiben konnte, war ihr ein Rätsel. Vielleicht lag das in seinen Genen verankert. Vielleicht hatten ja alle möglichen Kaiser das Ich-hab-die-Ruhe-weg-Gen. Wahrscheinlich lag es daran, dass er das ganze als Job betrachtete. Bei allem, was sie oder Eilean anging, war er alles andere als entspannt oder ruhig.
„Der Kaiser empfängt keine Audienzen", beschwerte sich gerade einer der drei. Ein Mann mit Hundeaugen und brauner Haut. Seiner abgenutzten Kleidung und deren Geruch nach zu urteilen, musste er am Hafen arbeiten.
„Die Zuständigen halten das für einen Unfall, aber ich sage Euch, das war Mord." Das kam von einem rundlichen untersetzten Mann mit Glatze und eigenartig funkelnden kleinen Knopfaugen.
Mord? Das weckte ihr Interesse. Es hatte schon lange keinen Mord mehr in dieser Stadt gegeben.
„Weshalb gehen Sie davon aus, dass es ein Mord war?", fragte Eleasar ruhig.
Die Männer begannen, aufgeregt durcheinander zu reden. Weil Ria nicht auch noch eine Anlaufstation für Beschwerden werden wollte, schlich sie zurück in ihr Zimmer und zog sich um. In Hose und Top fühlte sie sich gleich viel wohler. Aufgeregt wandte sie sich dem nächsten Punkt auf ihrer Liste zu. Wo genau soll der Mord denn geschehen sein?
Eleasars Widerwille war deutlich zu spüren. Wehe du springst aus dem Schlafzimmerfenster.
Seufzend trat sie hinaus in den Flur. So ein Blödmann. Ich schleich mich schon noch unbemerkt raus, keine Angst. Also, wo?
Ich kann dich nicht davon überzeugen, das den zuständigen Leuten zu überlassen, oder?
Sie lachte tonlos. Wunschdenken.
Wenig begeistert beschrieb er ihr, wo sie suchen sollte. Denk daran mich zu rufen, sollte es für dich zu ernst werden.
Die Augen verdrehend nahm sie ihren provisorischen Hinterausgang. Solange Eleasar nicht endlich eine Hintertür einbauen ließ, musste sie halt jedes Mal vom Balkon klettern. Irgendwann würde er schon noch nachgeben. Spätestens wenn Eilean ihre Art sich fortzuschleichen imitierte. Notfalls würde sie dafür sorgen, dass ihre Tochter es tat. Besser, sie kannte die Route und konnte ihr so im Falle eines Falles folgen.
Fast geräuschlos landete sie im Garten. Das Gras war noch nass von den vorhergegangenen Regenschauern. Leider bemerkte sie erst jetzt, dass sie ihre Schuhe vergessen hatte. Daran konnte sie jetzt auch nichts mehr ändern. Entschlossen schlich sie sich im Dämmerlicht der aufgehenden Sonne durch das Grün auf die Straße, um dann zielstrebig alle Abkürzungen zum Hafen zu nehmen, die sie kannte. Am Zielort angekommen, musste sie nur noch die Leiche finden. Das stellte sich ein wenig schwieriger heraus als angenommen. Da sie noch nie zuvor den Frachtbereich des Hafens betreten hatte, musste sie sich erst einmal orientieren. Nie hätte sie erwartet, dass es ein so großes Gebäude war. Und dazu noch diese ganzen Regalreihen... Welcher Teufel hatte bloß diese Halle entworfen? Es war zum Verrücktwerden.
Nachdem sie eine gefühlte Ewigkeit durch die Gänge geirrt war, fang sie zwei Inspektoren der kaiserlichen Garde. Endlich war sie am Ziel. Sie wollte sie gerade ansprechen, da schnappte sie einen Gesprächsfetzen auf.
„... die sich beschweren."
„... froh sein, dass überhaupt jemand kommt, um die Leiche mitzunehmen. Dreckspack."
Entrüstet stemmte sie die Hände in die Hüften. „Ich hoffe, mich gerade verhört zu haben."
Angesichts der gegrollten Drohung fuhren die Soldaten entsetzt herum. Noch größeres Entsetzen zeichnete sich auf ihren Gesichtern ab, als sie Ria erkannten. „Kaiserliche Prinzessin." Beide beeilten sich, sich vor ihr zu verneigen.
So sehr sie diesen Titel auch verabscheute, so sehr genoss sie es, die beiden nun vor ihr erzittern zu sehen. Das hatten diese arroganten Kerle verdient. Nicht einmal Eleasar war so taktlos und der war nun wahrlich kein Gentleman. Wenig begeistert verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Meine Herren, Sie scheinen Ihre Arbeit nicht ernst zu nehmen. Sie können sich nicht vorstellen, wie wenig begeistert der Prinz und ich darüber sind, von entrüsteten Bürgern dieser Stadt aus dem Bett geholt zu werden, nur weil Sie es nicht für nötig halten, dem hier stattgefundenen Verbrechen gebührend nachzugehen." Elea hatte ihr beigebracht, wie sie ein standesgemäßes arrogantes Verhalten an den Tag legte. Diese Lektion erwies sich nun als äußerst nützlich. „Ich bin hier, um Ihre Aufgabe zu erledigen. Zeigen Sie mir Leiche und Tatort."
Die Gesichter der beiden waren so weiß wie eine Kalkwand, als sie sich beeilten ihr zuerst die wenig sorgsam beiseite geräumte Leiche und dann den Tatort zu zeigen. Es war offensichtlich, dass das ein Mord war. Hier war viel zu viel Blut in der ansonsten aufgeräumten Regalreihe. Sie wies die beiden an, sich um die Spurensicherung am Toten zu kümmern. So entstellt, wie der war, gab es nicht viel zu sichern, aber immerhin war sie somit ihre Zuschauer los. Sobald die beiden außer Sichtweite waren, konzentrierte sie sich auf ihre Wahrnehmung. Emotionen wie Angst und dunkle Genugtuung strömten auf sie ein. Es dauerte einen Moment, bis sie alle Eindrücke den beteiligten Personen zugeordnet hatte. Nachdem sie sich sicher war, dass drei Personen an derTat beteiligt waren - der Tote und zwei Schuldige - folgte sie den Spuren der Täter. Leider trennten diese sich vorm Hallenausgang. Mit krauser Stirn überlegte sie, welcher sie folgen sollte. Schließlich entschloss sie sich dazu, die Spur dessen zu verfolgen, der mehr perverse Freude verspürt hatte.
Nach wenigen Metern legte sich eine Hand um ihr Handgelenk und zog sie in den Schatten. Sie unterdrückte den Impuls, sich dagegen zu wehren, denn sie spürte keine feindliche Absicht.
„Eleasar hat recht. Du rennst noch immer völlig kopflos durch die Gegend, wenn du einer Spur folgst."
Überrascht blickte sie in Raphaels finstere Augen. „Was machst du denn hier?"
Er überging ihre Frage einfach. „Dein Mann ist über deinen Alleingang nicht gerade begeistert."
„Ich dachte, du bist bis über beide Ohren in Arbeit versunken."
Er seufzte. „Schon seit längerem geht der Verdacht um, dass meine Leute sich nicht mehr ausreichend um die Belange der untersten Schicht kümmern. Bevor ich mir nicht selbst ein Bild gemacht habe, kann ich schlecht über geeignete Gegenmaßnahmen nachdenken."
Das leuchtete ihr ein. „Und daher denkst du, du lässt die Leute zu Elea rennen, weil der hier in der Stadt sowas wie dein Vertreter ist und gehst selbst auf Gangsterjagd?" Verwundert schüttelte sie ihren Kopf. „Ich dachte, du sitzt als Herrscher nur in deinem Schloss und wartest darauf, dass andere die Drecksarbeit erledigen."
Sein Blick besagte deutlich, dass sie nachher noch ein Hühnchen miteinander zu rupfen hatten. Das arme Tier tat ihr jetzt schon leid. „Manchen Dingen muss man selbst nachgehen."
In diesem Punkt konnte sie ihm nicht widersprechen. „Okay. Du bist der Kaiser, also sag an, was soll ich tun?"
Ihre schnelle Kooperation überraschte ihn. Er hatte mit stundenlangen Diskussionen gerechnet.
Sie schenkte ihm ein schwaches Lächeln. „Ich bin ja nicht blöd." Offenbar hatte er vergessen, seine undurchdringliche Miene aufzusetzen.
„Was hast du bislang herausgefunden?"
„Nicht viel." Frustriert kickte sie gegen einen Stein. „Es waren zwei Täter und deine beiden Angestellten hielten es nicht für nötig, dem nachzugehen. Sie sind mehr als nachlässig mit der Leiche umgegangen. Jeder ordentliche Polizist hätte das besser gemacht."
Er hatte den Eindruck, sie erinnerte sich an etwas. Wahrscheinlich an eine Szene aus ihrem Leben in der Menschenwelt. „Und was gedenkst du jetzt zu tun?"
„Der einen Spur folgen und sehen, wohin sie mich führt."
„Dir ist schon klar, dass du mehr oder weniger im Kreis gelaufen bist, seit du die Halle verlassen hast, oder?"
Irritiert sah sie ihn an. „Tatsächlich?"
Jetzt war ihm klar, weshalb Eleasar so beunruhigt war. Wenn Ria keine Karte der Region kannte, war sie vollkommen aufgeschmissen. „Folge einfach deiner Spur. Unauffällig. Ich bleibe in deiner Nähe."
Na klasse, jetzt hatte sie einen Wachhund. Vertrauten sie ihr so wenig? Immerhin war sie früher auch alleine mit allem fertig geworden. Niemand hatte sie beobachten oder gar beschützen müssen. Okay, sie hatte vergessen, auf ihre Umwelt zu achten. Das würde ihr jetzt aber nicht noch einmal passieren. Achtsamer als zuvor folgte sie der verblassenden Spur. Sie wollte Raphael keine zweite Chance geben, noch einmal unbemerkt in ihrer Nähe aufzutauchen.
Zu ihrer Überraschung landete sie vor einem Raum, der direkt an die Lagerräume angrenzte. Den Sicherheitsraum. Hier hatte sich der Täter versteckt? Weitaus verblüffender war die Erkenntnis, dass auch die andere Person hier aufgetaucht war. Irritiert sah sie sich nach jemandem um. Kein Wesen weit und breit. Sie atmete tief durch, bevor sie sich auf ihre Sinne konzentrierte und versuchte herauszufinden, wie viele Personen in diesem Raum waren. Der Frische der Spuren nach zu urteilen, waren die Personen dort gerade erst aufgetaucht. Sie konnte nur hoffen, dass es keinen Hinterausgang gab. Ansonsten könnte sich die Suche hinziehen.
Drei Personen. Ein letztes Mal vergewisserte sie sich, dass sie allein war und ihre Waffen da waren, wo sie hingehörten, dann trat sie ohne großes Federlesen die Tür ein. Drei Augenpaare starrten sie erschrocken an. Sie brauchte nur den Bruchteil einer Sekunde, da hatte sie die beiden Wachmänner erkannt, die vorhin so abfällig über den toten Arbeiter gesprochen hatten und sie als Täter identifiziert. Diese miesen Heuchler.
„Prinzessin", stammelte der Dritte überrascht. „Was verschafft uns denn die Ehre?"
Ria beachtete ihn keinen Augenblick. „Sie beide", flüsterte sie drohend, „haben sich Ihres Amtes unwürdig erwiesen, indem Sie Ihre Schutzpflichten vernachlässigt haben."
Die beiden wurden wieder bleich. Der rechte von ihnen fing sich am Schnellsten. „Was verleitet Euch zu dieser doch recht schweren Anschuldigung?"
Sie lächelte kalt. „Wollen Sie wirklich mit mir darüber diskutieren, dass Sie beide den armen Arbeiter umgebracht haben?"
„Als Prinzessin müssen Sie mit ihren Anschuldigungen vorsichtig sein, Hoheit."
So langsam regte der Kerl sie auf. Ungehalten langte sie über den Tisch und packte den Unhold am Kragen. „Noch ein unqualifizierter Kommentar und Sie können demnächst nur noch durch Nicken und Kopfschütteln kommunizieren."
„Hoheit", warf der Dritte sich sichtlich unwohl fühlende Soldat vorsichtig ein, „was macht Euch denn so sicher zu glauben, dass meine Kollegen dahinter stecken? Das hier ist ein raues Pflaster."
Wenn sie Eleasars Auskunft Glauben schenkte, lag die Kriminalitätsrate hier bei fast null. „Rau, hm? Das freut mich. Ich bin in einer rauen Gegend aufgewachsen." Achtlos stieß sie den vorlauten Soldaten von sich und ließ sich auf einen frei herumstehenden Stuhl sinken. Viel mehr außer einem Tisch und Stühlen gab es hier auch nicht. Ein Regal mit Getränken noch, aber das war es dann auch schon. Aus einer alten Angewohnheit heraus, begann sie, mit dem Stuhl zu kippeln. Hach, wie lange war es her, dass sie das machen konnte, ohne dass Elea gleich hinter ihr auftauchte und sie böse ansah. Manchmal war ihr Mann schlimmer als sie strengste Anstandsdame.
Die drei Soldaten sahen einander ratlos an, bevor ihr Blick zu Ria wanderte, die scheinbar entspannt im Stuhl lehnte, kippelte und auf eine Reaktion wartete.
„Und was gedenkt Ihr jetzt zu tun?", erkundigte sich schließlich der zweite Schuldige.
„Warten", entgegnete sie schulterzuckend. „Ich habe es nicht eilig. Ihr?"
Unruhig tauschten die Männer Blicke. Schließlich kratzte sich der vorlaute betreten am Hinterkopf. „Es tut mir leid, aber da Ihr anscheinend darauf besteht, uns in Verruf zu bringen, können wir Euch nicht gehen lassen."
„Ist ja wirklich schade."
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