.:77:. Portale (Epilog)
Es war ein herrlicher Tag, die Sonne schien und die Vorhänge bauschten sich leicht in der sommerlichen Brise. Mit gerunzelter Stirn trat Eleasar hinaus auf den Balkon. Wer hatte die Tür offen gelassen? Die Antwort auf seine Frage lehnte an der Balustrade und beobachtete scheinbar entspannt eine Szene im Hof. Eilean. Ihre langen Haare, die die gleiche Farbe hatten wie seine, hatte sie nachlässig zu einem Zopf geflochten und über ihre Schulter geworfen. Er konnte sie zwar nicht verleugnen, doch je älter sie wurde, desto ähnlicher wurde sie ihrer Mutter. Nicht nur in ihrem Wesen. Mit ihren klaren und doch weich wirkenden Zügen, dem langen braunen Haar und ihren einzigartigen tiefblauen Augen war sie ebenso schön wie ihre Mutter.
Wortlos stellte er sich neben sie und folgte ihrem Blick. Sie beobachtete Ria bei ... was auch immer das sein sollte. Es war eine der seltenen Gelegenheiten, bei denen seine Gemahlin ihre wahre Natur zur Schau stellte. Diese schwarze Haut und die rot leuchtenden, aber stumpfen Augen waren gewöhnungsbedürftig. Selbst für ihn, der sich herzlich wenig daraus machte und einfach nur froh war, sie wieder bei sich zu haben. Allerdings brauchte sie ihre Kräfte auch für ihre Aufgabe. Aram und Cian standen um sie herum und umkreisten sie langsam. Innerlich leicht aufseufzend beobachtete er ebenfalls die sich ihm bietende Szene. Seine Frau konnte es einfach nicht lassen. Auch wenn es für Außenstehende so wirken mochte, dass Ria von den beiden bedroht wurde... Die Wahrheit lag meilenweit davon entfernt - sie spielten. Ursprünglich hatte seine Frau ihnen beweisen wollen, dass sie nicht hilflos war. Die Demonstration hatte sich schnell in ein Spiel gewandelt. Für Ria war es gut, weil es ihre Wahrnehmung schärfte und für ihre Lieben, weil es ihnen vor Augen führte, dass sie auch ohne Augenlicht nicht wehr- und hilflos war. Er selbst hatte noch nicht wieder mit ihr gekämpft, aus Angst sie zu verletzen.
Weiche Arme schlossen sich um seine Taille. Eilean lehnte sie an ihn, weiterhin auf das Geschehen im Hof fixiert. „War sie schon immer so zierlich?"
Lächelnd legte er einen Arm um seine Tochter. „Ich würde deine Mutter mit vielen Adjektiven beschreiben, aber zierlich ist nicht dabei."
Verärgert stieß sie ihm in die Seite. „Okay und jetzt eine erst gemeinte Antwort."
Nachdenklich wanderte sein Blick zurück zu seiner Frau, die Cian erfolgreich zu Boden brachte. „Besonders groß war sie nie. Aber kratzbürstig. Ich habe es zuerst nicht lange in ihrer Nähe ausgehalten, ohne den Wunsch zu verspüren, sie wieder in die Menschenwelt zu schicken. Ein so freches Ding war mir noch nie zuvor untergekommen."
Er spürte die eindringliche Musterung, der seine Tochter ihn unterzog, während er sprach. Nach einer Weile schüttelte sie ein wenig fassungslos ihren Kopf. „Manchmal frage ich mich, wer du bist. Ich erinnere mich an wage an dieses Funkeln in deinen Augen, aber es jetzt wieder zu sehen, ist etwas ganz anderes."
Angesichts ihrer Worte wandte er sich vom Schauspiel im Garten ab und zog sie gänzlich an sich. Einen auf ihre Stirn gehauchten Kuss später sagte er versonnen lächelnd: „Ich kann dir nur von ganzem Herzen wünschen, dass du irgendwann ebenfalls das Glück haben wirst, deinen Seelengefährten zu finden."
Ihre Gedanken huschten zu den vergangenen Jahren. „Nein. Nicht, wenn eine Trennung einen so kaputt macht."
Er schenkte ihr ein müdes Lächeln. „Sie war da", verriet er ihr leise. „Gelegentlich konnte ich sie spüren, selten konnten wir auch ein paar Worte miteinander wechseln. Jedes Mal hat sie sich entschuldigt. Dabei war sie so unendlich traurig. Meine Trauer war nichts verglichen mit ihren Gefühlen. Oftmals erinnerte sie mich daran zu leben." Ihr Blick besagte deutlich, dass das ihre Abwesenheit nicht wett machte. Er seufzte schwer. „Eilean. Wenn man die Ewigkeit zusammen hat, sind ein paar Jahre nicht so schwerwiegend, wie sie dir im Moment noch erscheinen."
Sie wollte nicht sehen, dass es für ihn in Ordnung war, wie die Dinge gelaufen waren. Sie wusste, dass ihre Eltern sich zwar nahe standen, aber wie ein Paar agierten sie untereinander noch immer nicht. Keine Küsse, kein gar nichts. Sie genossen lediglich die Nähe des jeweils anderen. Ob das auf Dauer so gesund war, wagte sie zu bezweifeln. „Ihr seid auch noch nicht wieder richtig zusammen."
Erneut seufzte ihr Vater. Dieses Mal jedoch wirkte er beinahe verlegen. Geradezu auffällig beiläufig steckte er ihr eine lose Haarsträhne hinters Ohr. „Ich kann noch nicht ganz glauben, dass sie wirklich wieder da ist. Jeden Morgen wache ich auf und das erste, was ich tue, ist mich zu vergewissern, dass sie wirklich neben mir liegt und seelenruhig schläft." Dabei verschwieg er ihr, dass ihre Beziehung schon längst wieder viel inniger war als sie dachte. Sie musste ja nicht alles wissen.
Aufmunternd tätschelte Eilean ihm den Arm. „Das wird schon wieder. Wäre jetzt unangebracht, dir Beziehungstipps zu geben, oder?"
Er lachte leise. „Unangebracht oder lebensgefährlich für den Deppen, mit dem du deine Erfahrungen gemacht hast?"
Da war sie wieder, die schlagartige Erinnerung daran, dass er immer noch ihr Vater war und das Auftauchen ihrer Mutter nichts daran geändert hatte.
Aufmerksam musterte Eleasar das Gesicht seiner Tochter. Sie sprach es zwar nicht offen an, aber er konnte ihre Anspannung spüren, wann immer Ria in der Nähe war. Sie verstanden sich ganz gut und unternahmen hin und wieder etwas miteinander, aber es herrschte eine nicht zu leugnende Distanz zwischen ihnen. Leider war das etwas, was wohl nur die Zeit heilen konnte. „Wie geht es dir damit?"
Sie seufzte und sah ein wenig traurig nach unten. „Sie ist mir gegenüber so unsicher. Da brauche ich nicht einmal meine Fähigkeiten als Schattenseele zu bemühen, um das zu erkennen. Meinst du, sie trainiert mit mir, wenn ich sie darum bitte?"
„Deine Mutter ist für jeden Kampf zu haben."
Kopfschüttelnd schmuste sie sich an ihn. „Ich bin froh, dass sie nicht versucht, meine Mutter zu sein. Ich könnte ihre plötzliche Autorität nicht ernst nehmen.
Eleasar schwieg. Das war ein Thema, bei dem sie sich nicht einig waren. Ria wollte Eileans Freundin sein, wusste aber nicht, wie sie es angehen sollte. Wenn es nach ihm ging, konnte sie ihre Mutterrolle auf der Stelle wieder haben. So ungern er es auch zugab, in dieser Hinsicht hatte seine Frau wohl die bessere Einstellung.
Ein ungewöhnlich starker Luftzug erfasste sie und keinen Augenblick später stand Ria neben ihnen. Ihre stumpfen rot-orangenen Augen funkelten ausgelassen. „Ich habe etwas von wegen Trainingskampf gehört?" Plötzlich wurde ihre Miene glasig und Bedauern trat auf ihr Gesicht. Vor ihren Augen begann sie sich zu verändern. Ihm sank das Herz auf den Boden. Etwas war in der Astralebene vorgefallen - sie würde von hier verschwinden.
„Ich muss kurz etwas überprüfen", murmelte sie mit stark gerunzelter Stirn. Kurz darauf verschwand der sie aus dieser Welt.
Ihm blieb das Herz stehen. Sie war doch gerade erst zurückgekehrt und da... Da verschwand sie einfach wieder.
„Papa?" Eileans Stimme klang irgendwie schrill. „Papa!"
Augenblicklich wimmelte es auf dem Balkon von Personen. „Kaiser!" und „Majestät!"- Rufe ereilten ihn, doch für ihn zählte nur eines. Sie war fort. Schon wieder.
„Macht Platz oder ich sorg dafür, welchen zu haben", fauchte plötzlich jemand in der Menge. Von einem bösen, sehr tiefen Knurren verschreckt, stoben die Leute auseinander. Eleasar musste mehrfach blinzeln, um die Situation zu erfassen. Er konnte kaum glauben, was er da sah. Ria war wieder zurück, neben ihr stand Ragnarök. Böse funkelte der Drache die Wachen an und stieß dabei ein warnendes Knurren aus.
„Elea." Sie war in seinen Armen, bevor sie etwas anderes sagen konnte.
„Verschwinde nie wieder einfach so", beschwor er sie eindringlich. Noch einmal würde er das nicht überleben.
„Entschuldige." Schuldbewusst starrte sie ins Leere. „Ich muss dir etwas zeigen." Ein wenig unsicher tastete sie nach seiner Hand. Das ließ ihn stutzen. Normalerweise war sie ruhiger, nicht ganz so fahrig in ihren Bewegungen. Als sie ihre Hand dann auch noch mit einem schüchternen „Du auch" nach Eilean ausstreckte, wurde ihm mulmig zumute. Was war bloß vorgefallen, dass Ria so aus der Bahn geworfen war? Doch bevor er sie fragen konnte hatte Eilean ihre Hand ergriffen und die Welt begann sich zu verändern. Das Reisen durch die Geisterwelt empfand er als definitiv gewöhnungsbedürftig. Seine Lieblingsreiseart würde das niemals werden. Was irgendwie lustig war, denn Ria kam mit der seinen absolut nicht zurecht. Aus Neugier hatten sie einmal ausprobiert, ob sie immer noch so empfindlich darauf reagierte. Die Erkenntnis war: sie verkraftete es noch schlechter als zuvor.
Ratlos starrte er auf den schimmernden Wirbel vor sich. Ria hatte ihn und Eilean mit in ihr Reich genommen, um ihnen das zu zeigen. „Was soll das sein?"
Seine Gemahlin wandte sich mit ernster Miene zu ihm um. Hier drüben, so hatte er den Eindruck, war sie nicht ganz so blind wie in Anderswelt. Ob sie gewisse Schemen erkennen konnte? „Ein Portal", antwortete sie seltsam verschlossen. Über ihre Verbindung spürte er, dass sie über diesen Umstand alles andere als begeistert war. „Eine Art Standleidung für jedermann, wenn du so willst. Es verbindet die Menschenwelt mit der Anderswelt."
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