.:7:. Sorge um Eilean
Misstrauisch beobachtete Eleasar Ria, die ihre schlafende Tochter in den Armen hielt. Sie waren auf dem Weg zum Palast, um Eilean Islas Obhut zu übergeben. Dass seine Frau so vergnügt und seine Tochter dermaßen erschöpft war, gab ihm zu denken.
„Was genau habt ihr gemacht?"
Verstohlen lächelte Ria ihn an. „Ich hab in ihrem Alter auch angefangen. Je früher sie lernt, sich selbst zu verteidigen, desto weniger Probleme wird ihr das Erlernen später bereiten. Niemand lernt schneller als Kinder."
Auch das noch. „Du bringst sie dadurch in Gefahr."
Sie schnaubte verächtlich. „Elea, wir beide haben den Großteil unseres Lebens mit Kämpfen verbracht. Wir wissen, wie das geht und ich bin sehr wohl in der Lage, meine Tochter in den Grundlagen zu unterrichten, ohne sich gleich ins Jenseits zu befördern." Dass er ihr das zutraute, schmerzte.
„Hör auf zu denken, ich hätte kein Vertrauen in deine Fähigkeiten." Frustriert fuhr er sich durchs Haar. Er wusste, dass es an ihm lag. Aber er konnte doch nicht zulassen, dass sein kleiner Schatz sich den Gefahren der Welt auslieferte.
Ria, die seine Gedanken gelesen zu haben schien, drückte aufmunternd seine Hand. „Du kannst sie nicht aufhalten. Kinder werden nun mal erwachsen und flügge. Das Einzige, was wir tun können, ist sie bestmöglich darauf vorzubereiten, in der Außenwelt zurechtzukommen. Und wenn sie freiwillig lernen will, wie sie sich selbst verteidigt, umso besser."
Mit dieser Begründung hatte sie ihn überzeugt. „Ich möchte, dass sie einen starken Geist findet."
Seine Frau lachte leise. „Es kommt nicht auf die Stärke, sondern auf die Seele des Geistes an. Was bringt es, wenn sie einen starken Geist hat, sich aber absolut nicht mit ihm versteht?"
Angespannt beugte er sich vor. „Wenn sich herausstellt, dass sie bald schon losziehen muss, sich einen Geist zu suchen, werden wir zuerst in die Regionen mit den starken Geistern reisen. Nur keine Dracheninsel."
Belustigt sah sie ihn an. „Keinen zweiten Drachen? Ich bin enttäuscht."
Von ihrer schlechten schauspielerischen Leistung nicht überzeugt, lehnte er sich wieder zurück. „Was willst du ihr beibringen?"
Seine Anspannung schien sie zu amüsieren, denn ein leises Lächeln malte sich auf ihren zarten Lippen ab. „Keine Angst. Selbstverteidigung. Die elementaren Dinge, du weißt schon. Angriffe abblocken und die Angriffsenergie wieder zurück zum Gegner leiten."
Aus Erfahrung wusste er, dass das gemeine Tricks waren, die einen nicht sehr erfahrenen Kämpfer schnell zum Verhängnis werden konnten. Er selbst hatte zu Anfang einiges davon zu spüren bekommen. Seitdem er wusste, wie er mit Rias Kampfstil umzugehen hatte, überraschte sie ihn nur noch selten. Dennoch blieb sie weiterhin eine ernst zu nehmende Gegnerin, wenngleich er das niemals zugeben würde. „Keine Tricks, um zu töten."
Entsetzt starrte sie ihn an. „Wenn es um Eilean geht, setzt dein Verstand völlig aus, was? Als ob ich meiner Kleinen jetzt schon beibringen würde, wie man tötet!" Zornig funkelte sie ihn an. Hätte sie ihre Tochter nicht im Arm gehalten, wäre er wohl nicht so glimpflich davongekommen.
Ihr jetzt schon gab ihm zu denken. Ria wollte, dass ihre Tochter ebenso kampferfahren wurde, wie sie es waren. Einerseits nicht schlecht, aber andererseits war sie immer noch sein kleiner Liebling. Sein Engel, der es niemals nötig haben sollte, sich selbst verteidigen zu müssen.
„Nervige Ehefrau an genervten Mann." Er fing ihre Hand ab, mit der ungehalten sie vor seiner Nase herum wedelte. „Wir sind da."
Seufzend ließ er ihre Hand los und folgte ihr nach draußen, wo Isla sie bereits erwartete. Die Kaiserin strahlte übers ganze Gesicht, als sie das schlafende Kind sah.
„Ihr habt sie mir ja schon müde gemacht." Leichter Tadel schwang in ihrer Stimme mit.
Vorsichtig übergab Ria ihr ihre Tochter. „Sie wacht gleich wieder auf. Dann darfst du dich auf eine ereignisreiche Nacht freuen."
Mit einer wegwerfenden Handbewegung nahm die Ersatzoma das Kind entgegen. „Raphael arbeitet eh rund um die Uhr. Ich bin froh, wenn ich beschäftigt bin."
„Mitten in der Nacht empfängt er Gäste?"
Bevor die Kaiserin Ria antworten konnte, zog Eleasar sie an seine Seite. „Sag ihm, dass er seine Antworten nicht nur in den Archiven findet. Ich werde ihm morgen Bericht erstatten."
„Ich fürchte, Raphael ist gerade mit einer ganz anderen Frage beschäftigt." Ein leises Lächeln umspielte die Lippen der Herrscherin. „Gut möglich, dass er deine Hilfe gebrauchen könnte, Ria."
Überrascht nickte sie. „Er soll sich melden."
Sie verabschiedeten sich und machten sich anschließend auf den Weg zur Ahnenhalle. Es war Ria anzusehen, dass sie über die Worte der Kaiserin nachdachte. „Raphael wird dir schon erklären, worum es geht, sollte er deine Hilfe brauchen." Beruhigend legte Eleasar einen Arm um seine Frau. „Keine Angst, er wird dich nicht auf Reisen schicken."
Verdächtigend sah sie zu ihm auf. „Ist das dein Verdienst?"
„Nein", erwiderte er milde lächelnd. „Nachdem ich ihm von deinen Erkundungsreisen berichtet habe, war er der Meinung, du solltest vorerst zuhause bleiben."
Anstelle einer Antwort bekam er nur ein abfälliges Schnauben. Sie wussten beide, was sie von derartigen Anweisungen hielt. Den Rest des Weges verbrachten sie schweigend.
Ohne das Tageslicht, wirkte die Ahnenhalle, oder -höhle, wie Ria sie gerne nannte, wie ein großes schwarzes Loch. Dank Eleasars Nachtsichtfähigkeiten, gelangten sie ohne größere Probleme in die große Halle, in der der Ahnennebel hauste. Um nicht unbeabsichtigt seine Vorfahren zu beschwören, blieb Eleasar am Eingang stehen, während Ria alleine in die von zahllosen kleinen Sternenlichtern erhellte Wolke trat.
Kaum kam sie mit dem Nebel in Berührung, stand sie ihrem Urgroßvater gegenüber. Silberfarbene Augen durchbohrten sie eindringlich. „Du kommst in unruhigen Zeiten zu mir, mein Kind."
Sie traute seiner abgebrühten Art nicht über den Weg. „Du hast auf mich gewartet."
Ein grausames, freudloses Lächeln trat auf die blassen Lippen ihres männlichen Ebenbildes. „Nun, bald wird es Zeit, dass du mein Erbe antrittst. Wie geht es meiner Enkelin?"
„Wir machen uns Sorgen", gestand sie leise. „Ich habe meinen Vertrag mit vier Jahren geschlossen. Meine Quellen sagen mir, dass das in der Regel erst mit knapp zwanzig der Fall sein sollte. Aber Eilean zeigt jetzt schon Anzeichen für eine baldige Bindung."
Der Altkaiser legte ihr mitfühlend eine Hand auf die Schulter. „Einige von uns sind schon in jungen Jahren schutzlos. Es gibt keine Erklärung dafür. Such mit ihr nach einem starken Geist, der es vermag, sie zu beschützen. Lehre sie, was ich dich gelehrt habe."
„Spinnst du? Sie ist fünf! Sie lernt gerade erst, mit den sie umgebenden Emotionen zurechtzukommen."
„Das beste Alter, um zu lernen."
Widerstrebend musste sie ihm zustimmen. Der Mistkerl verwandte ihre eigenen Argumente gegen sie.
„Aber da ist noch etwas anderes, weshalb du mich aufsuchst. Etwas, das mein zweiter Nachfolger nicht erklären kann." Sichtlich mit sich zufrieden warf er seinen Umhang nach hinten. Nicht zum ersten Mal fragte Ria sich, ob sie ihm nicht moderne Kleidung mitbringen sollte. So ähnelte er einem Möchtegern-Mittelalterherrscher aus der Menschenwelt.
Nur zögerlich erzählte sie ihm von den merkwürdigen Energien, denen sie nachgespürt hatte. Mit jedem ihrer Worte wurde Harus Miene finsterer. Als sie geendet hatte, tat er etwas Untypisches. Er ging zu Eleasar und ließ sich von ihm auf den neuesten Stand des Reichsgeschehens bringen. Im Gegenzug wollte Eleasar erfahren, was der Altkaiser davon hielt. Es endete, wie es enden musste. Beide geizten mit Informationen und versuchten dem anderen möglichst viele aus der Nase zu ziehen. Irgendwann schien Haru genug in Erfahrung gebracht zu haben. Das lag wohl vor allem daran, dass er den Prinzen so subtil manipulierte, dass es selbst Ria erst auffiel, als Haru sich zufrieden lächelnd von ihm abwandte.
„Du hast geschummelt."
Sich offenkundig keiner Schuld bewusst, zuckte der Geist mit den Schultern. „Ich habe lediglich auf sein Vertrauen in dich gebaut."
„Abgesehen davon, dass du völlig zusammenhangslose Fragen gestellt hast." Sie konnte sich beim besten Willen nicht erklären, was wetterbedingte Ernteausfälle im Süden mit Grenzstreitigkeiten im Norden zu tun hatten.
„Dein Mann ist eine gute Bereicherung für unsere Familie. Von ihm kannst du noch einiges lernen."
„Erst einmal muss ich ihn davon überzeugen, die Kleine nicht mehr mit Samthandschuhen anzufassen", brummte sie unglücklich. Haru wusste offenkundig etwas, wollte aber nicht mit der Sprache rausrücken.
„Wenn es an der Zeit ist, wirst du wissen, was zu tun ist." Mit diesen wenig beruhigenden Worten entließ er sie.
Mit mehr Fragen als Antworten ließ Ria sich von ihrem Mann nach draußen und anschließend nach Hause bringen. Unterwegs ergriff eine tiefe Müdigkeit von ihr Besitz. Zuhause angekommen, konnte sie gerade noch ins Schlafzimmer schwanken, bevor sie in einen tiefen, traumlosen Schlaf fiel.
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