.:57:. Eileans Vertrag


Das sanfte Rauschen des Meeres war das einzig wahrnehmbare Geräusch. Es beruhigte sie, alleine zu sein und aufs ruhige Meer hinaus zu blicken. Diese scheinbare Unendlichkeit des Gewässers gab ihr Hoffnung. Hoffnung darauf, dass sie die letzen fünf Jahre nicht umsonst gewartet hatte. Dass all die Zeit, die vergangen war nur ein Teil dessen war, was sie hinter sich bringen musste, bis sie wieder da war. Ebenso wie man eine Weile mit dem Schiff über das Meer fahren musste, um nach einer Weile das andere Ufer zu erblicken. Nach all der Zeit vermisste sie sie noch genauso sehr wie am ersten Tag. Auch wenn sie sich im Laufe der Zeit an diesen Schmerz gewöhnte, normal würde er niemals werden.

Ein leichtes Rauschen hinter ihr kündete davon, dass sie nun nicht länger alleine war. Neugierig sah sie sich nach ihrer Gesellschaft um.

Mit einem gut hörbaren Schnaufen ließ Ceres sich neben sie in den kühlen Sand sinken. In den letzten Jahren hatte sie einen Wachstumsschub hingelegt. Mittlerweile reichte ihr die Cait Sith bis zur Brust. Sie musste nur den Kopf ein wenig anheben, dann konnte sie ihren Kopf auf ihre Schulter legen. „Der Strand ist um diese Jahreszeit nicht sonderlich zu empfehlen."

Mit einem traurigen Lächeln kuschelte Eilean sich an den warmen Körper ihrer besten Freundin. „Ich bin gerne hier." Denn hinter ihr lag das Haus, in das ihre Eltern sich vor ihrer Geburt zurückgezogen hatten, um sich eine Auszeit zu nehmen. Und später hatten sie hier zu dritt einige schöne Wochen verbracht. Aus diesem Grund liebte sie dieses Haus. Mehr noch als das Haus, das sie und ihr Vater bewohnten. Dort war es einfach nur trostlos und kalt. Zwar bemühte ihr Vater sich, aber es gab Tage, da schaffte auch er es nicht, ein einziges Mal zu Lächeln. Wie besessen suchte er nach ihr. Manchmal durfte sie mitkommen, oft genug nicht. Momentan war ihr Vater fort, dieses Mal jedoch auf Mission für den Kaiser. Ihre Großeltern und Raphael und Isla nahmen sie in solchen gerne zu sich. Aber dabei wollte sie doch nichts anderes, als bei ihrem Vater zu sein. Um die bedrückenden Erinnerungen und Gedanken loszuwerden, kam sie her. Hier war ein Ort des Glückes. Und hier hatte sie ihre kleine private Bildersammlung von ihrer Mutter.

„Deine Freunde wundern sich, warum du heute nicht in der Schule bist."

„Bist du jetzt mein Aufpasser", erkundigte sie sich müde. Sie war es so leid, ewig die Prinzessin spielen zu müssen.

Ceres knurrte warnend. „Nein. Ich kann verstehen, warum du diese Dümmlinge nicht sehen willst. Aber du brauchst Gesellschaft."

„Ich habe doch dich." Ihre sogenannten Freunde mochten doch alle nur die Prinzessin, die sie nach außen hin war. Abgesehen von Cian und Ceres hatte sie keine Freunde. Sie hatte die Lehrer darüber diskutieren gehört, was man mit ihr anstellen solle, weil sie in der Schule oft nicht aufpasste oder sich in ihrer eigenen Welt befand.

Ihre Worte entlockten dem Geisterwesen ein wohliges Schnurren. „Du weißt aber schon, dass sie dich für verrückt halten, wenn du mit mir sprichst?" Ceres hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, sie nicht mehr aus den Augen zu lassen. Da vielerorts keine Haustiere erlaubt waren und ihre Familie es für ratsam hielt, ihre Identität als Schattenseele zu verheimlichen, begleitete die Cait Sith sie meistens als Geist. So konnte sie sie zwar sehen und mit ihr kommunizieren, war aber auch zugleich die Einzige in ihrem Umfeld, die sie erkennen konnte. Für die meisten redete sie mit einem Hirngespinst. Dass das ihrem Ruf nicht sonderlich gut tat, war ihr egal. Es gab trotzdem Leute, die mit ihr befreundet sein wollten. Manchmal hasste sie ihre Stellung. Auf einmal konnte sie gut verstehen, weshalb ihre Mutter die meisten Veranstaltung gemieden hatte. Bei den Erinnerungen an die Erzählungen von Tante Adele musste sie leicht lächeln.

„Manchmal habe ich das Gefühl, den Verstand zu verlieren." Und damit bezog sie sich nicht auf das, was die anderen dachten. Seit einigen Wochen spürte sie, dass ihr etwas fehlte. Etwas, das für ihr Überleben essentiell war. Was das war, das wusste sie nicht. Vielleicht konnte Ceres ihr darauf eine Antwort geben. Sie wusste verdammt viel.

Und so vertraute sie sich der Cait Sith an. Sie erzählte ihr von Erinnerungen, die hochkamen, obwohl sie sich daran nicht erinnern sollte - immerhin war sie da gerade ein halbes Jahr alt gewesen. Sie erzählte auch davon, dass sie das Gefühl hatte, immer vergesslicher zu werden und manchmal gar nicht recht wusste, wo sie war und warum sie dort war.

Mit jedem Wort, das sie sagte, wurde Ceres ernster. Schließlich rollte sich der große Katzengeist um seine langjährige Freundin. „Eilean? Magst du für den Rest deines Lebens meine Freundin bleiben?"

Eileans Reaktion bestand darin, sie so fest zu umarmen, dass ihr beinahe die Luft wegblieb. „Natürlich. Du bist meine allerbeste Freundin."

„Dann lass uns einen Vertrag schließen."

Einen Vertrag? Irritiert blickte Eilean Ceres an. „Was meinst du damit?"

Die große schwarze Katze verdrehte ihre roten Augen. „Den Geistervertrag du Dummchen." Manchmal stand ihre Freundin schon auf dem Schlauch.

„Meinst du, dass es an der Zeit ist?"

Kopfschüttelnd stand Ceres auf. Eilean war gerade definitiv neben der Spur. „Sonst würde ich es dir nicht vorschlagen. Also?" Angespannt wartete sie auf die Antwort der jungen Schattenseele. Für sie selbst war klar, dass sie nur Eilean als Partner akzeptieren würde. Dieses Mädchen gehörte zu ihr. Niemals würde sie sie alleine lassen. Das konnte sie gar nicht mehr. Sie bedeutete ihr zu viel. Ganz davon abgesehen, dass ein Vertrag sie beide stärker machen würde.

Liebevoll strich Eilean ihr durch das Fell. „Du bist meine Beste, Ceres. Wie schließen wir diesen Vertrag?"

„Woher soll ich das denn bitte wissen?"

Ratlos zuckte Eilean mit den Schultern. „Ich dachte, du weißt so etwas."

Ceres schnaubte abfällig. „Das ist keine Sache der Geister. Wir müssen keine Verträge schließen, um am Leben zu bleiben." Trotz ihrer harten Worte, schmiegte sie sich an das kleine Mädchen. Eilean war schon stolze zwölf Jahre. Und doch war sie noch so klein. „Du hast es in dir."

Nachdenklich legte Eilean ihren Kopf schief. Sie hatte es in sich? Mithilfe von Ceres Tipps versuchte sie, eine Verbindung zu ihrer Seele herzustellen. Das war schwieriger als sie es erwartet hatte. Letztendlich gelang es ihr. Kaum hatte sie die Verbindung, wurde ihr ganz warm ums Herz und ihre Hände, die in Ceres Fell vergraben waren, begann ganz schwach zu leuchten. „Ich möchte, dass du mein Leben lang bei mir bleibst. Du bist meine engste Freundin und Vertraute. Lass uns gemeinsam das Leben meistern." Die Worte formten sich wie von selbst, ohne dass sie groß darüber nachdenken musste.

Ceres begann zu schnurren. „Wir sind Schwestern - auf ewig."

Sobald beide ihre Gefühle und Worte in den Vertrag gelegt hatten, erlosch das leichte Leuchten und Eilean hatte das Gefühl, als würde sich ein Puzzle in ihrem Inneren wieder zusammensetzen. Sie konnte Ceres in ihrem Kopf spüren, stärker als jemals zuvor. Und das allerwichtigste: sie fühlte sich nun nicht mehr so schrecklich einsam. Jetzt hatte sie etwas, das ihr noch viel mehr Halt gab als nur eine innige Freundschaft. Jetzt fühlte sie sich ganz.

Hübsch hier drinnen, kommentierte Ceres und gab ein weiteres Schnurren von sich. So, und jetzt lass uns zurück in den Palast gehen, bevor der Kaiser davon erfährt, dass du mal wieder den Unterricht geschwänzt hast und vor deinen Wachen abgehauen bist.

Nach einem schweren Seufzen, das all ihren Unmut ausdrückte, machte Eilean sich auf den Rückweg. Ceres hatte ja recht.

Na, das ist doch Musik in meinen Ohren, schnurrte die Cait Sith vergnügt.

Lass es dir bloß nicht zu Kopfe steigen. Ich kann Opa Raphael immer noch sagen, dass du mich verschleppt hast, damit wir einen Vertrag schließen können.

Als ob er dir das abkauft.

Ich bin Opas Prinzesschen.

Mit einem Grummeln gab Ceres auf. Wie auch immer. Beeil dich, ich will nicht noch einmal diese ellenlange Predigt über ordnungsgemäßes Verhalten von Prinzessinnen hören müssen, die deine Oma mit Vorliebe von sich zu geben scheint.

Die konnte Eilean mittlerweile auch nicht mehr hören. Sie gab sich wirklich Mühe, den Erwartungen an sie zu entsprechen, aber irgendwie wollten die Erwartungen selten mit dem übereinstimmen, was sie wollte. Und so kam es häufiger dazu, dass es Differenzen gab. Und jedes Mal, wenn diese Differenzen auftraten -das beinhaltete meistens, dass sie sich davon schlich oder die Aufgabenstellung absichtlich falsch verstand -, drohte ihr ein und dieselbe Predigt von der Kaiserin. Sie konnte nur hoffen, dass ihr Vater niemals Kaiser wurde. Dafür, dass ihm dieses Los erspart blieb, standen die Chancen momentan recht gut.

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