.:55:. Ein Funken Leben
Marjans Blick ruhte auf Eilean, die alleine auf dem sandigen Boden des Burghofes hockte und mit einem Stock Muster in den Sand malte. Sie war alleine. Mehr denn je seit ihre Mutter fort war, denn sein Sohn war zu nichts zu gebrauchen. Es war schon schwer, ihn dazu zu überreden etwas zu essen, vom Aufstehen ganz zu schweigen. Seine Enkelin brauchte ihren Vater, aber der konnte nicht für sie da sein. Sehr zum Leidwesen der Kleinen. Ihre einzige Gesellschaft war die Cait Sith, die nahezu eifersüchtig über das Mädchen wachte. Er verstand das Verhalten des Wesens nur zu gut. Nach allem, was Eilean durchmachen musste, hatte sie Ruhe und Frieden mehr als verdient. Er selbst hatte einige Wachen zu ihrer Sicherheit abgestellt, die nun im Schatten verharrten und darauf achteten, dass sich ihr keine nicht autorisierte Person näherte. Es hatte einige Tage guten Zuredens gebraucht, bis sie ihm erzählt hatte, was geschehen war. Und selbst dann hatte sie nur sehr ungern darüber gesprochen. In dieser Hinsicht war es ein wahrer Segen, dass sie Ceres hatte. Mit dem Geisterwesen unterhielt sie sich ohne Vorbehalte über jedes Thema. Es versetzte Marjan einen kleinen Stich Eifersucht, dass seine Enkeltochter sich lieber mit einem Wesen unterhielt als mit ihm. Nicht, dass er das jemals zugegeben hätte.
Ruhig trat er neben sie und beugte sich interessiert über ihre kleine Gestalt. „Was malst du denn Schönes?"
Eilean zuckte kurz zusammen, ehe sie zu ihm aufsah. Offenbar hatte sie ihn nicht bemerkt. Der traurige Ausdruck verschwand aus ihren Augen und ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. „Opa!" Sie sprang auf und umarmte ihn stürmisch. „Schön, dass du da bist. Wo ist Oma?"
„Sara wird dich später belagern", entgegnete er mit einer Spur trockenen Humors. In der Zeit direkt nach Rias Verschwinden war es schwer, Sara überhaupt von Eileans Seite zu bekommen. Momentan war seine Gefährtin bei ihrem gemeinsamen Sohn. Gestern war Eleasar ziemlich durch den Wind gewesen. Im Schlaf hatte er nach Ria gerufen und als er aufgewacht war, schien er für einen kurzen Moment gar nicht in der Realität zu sein. Seit diesem Zwischenfall war er noch in sich gekehrter als zuvor. Wenigstens hatte er am Morgen gegessen, ohne dazu genötigt worden zu sein.
„Ceres hat gesagt, dass ich wieder zur Schule gehen soll", erzählte sie ihm ein klein wenig bedrückt.
Interessiert horchte er auf. Zur Schule? War sie wirklich schon dazu bereit, unter Leute zu gehen? Leider gab es in seiner Burg keine Bildungsmöglichkeiten. „Dazu müsstest du in die nächste Stadt gehen oder ich lasse einen Lehrer zu dir kommen."
Nicht gerade begeistert sah sie zu ihm auf. „Sie sagt, ich muss unter Leute."
Seit Rias Verschwinden und Eleasars Untätigkeit war die Cait Sith zu Eileans Stütze geworden. „Möchtest du denn wieder in die Schule?" Das Verschwinden ihrer Mutter war erst wenige Wochen her. Noch redeten die Leute und das war sicherlich nicht gut für seine Enkelin. Eilean brauchte eine ruhige und gefestigte Umgebung, um das Trauma ihrer Gefangenschaft und der Abwesenheit ihrer Eltern zu verarbeiten.
„Wenn du möchtest, ziehen wir zurück in die Hauptstadt", ertönte auf einmal eine weiche Stimme zu seiner Rechten. Überrascht wandte er sich um. Sein Sohn sah nicht mehr ganz so gespenstisch und niedergeschlagen aus. Eine nicht zu verleugnende Note Hoffnung hatte sich in seine Züge geschlichen. Die Erleichterung, die Marjan bei dieser Erkenntnis überkam, zwang ihn beinahe in die Knie. Eleasar war wie tot gewesen. Mit Ria waren seine Lebensfreude und sein Lebenswille verschwunden. Auf wundersame Weise schien er wieder Hoffnung geschöpft zu haben.
Als Eilean ihren Vater sah, strahlte sie so sehr, dass ihr Freudentränen über die Wange liefen. „Papa!" Mit einem Sprung warf sie sich in Eleasars Arme. „Papa, du bist wieder da!" Als hinge ihr Leben davon ab, klammerte sie sich an ihn. „Papa, bitte bleib bei mir." Ihren Vater hoffnungs- und teilnahmslos vor sich hin leben zusehen, war eine schmerzhafte Erfahrung für sie gewesen. Umso mehr freute sie sich, dass er wieder ein Stück weit er selbst war. Durch ihr Wesen spürte sie, dass er das Verschwinden ihrer Mutter noch lange nicht verkraftet hatte - ebenso wenig wie sie selbst. Im Gegensatz zu ihrer Mutter, die sie schmerzlichst vermisste, war ihr Vater wieder ein Stück weit für sie da. Sie wollte ihn nicht wieder verlieren.
Eleasar fing sie auf und drückte sie fest an sich. „Das werde ich, mein Engel. Ich werde dich nie wieder alleine lassen." Liebevoll zerzauste er ihr Haar. „Wie geht es dir?" Sorge und Schuldgefühle schwangen in seinem Tonfall mit. Er machte sich Vorwürfe, dass er sie so lange alleine gelassen hatte. Sich seinem Elend hinzugeben, war selbstsüchtig gewesen. Eilean hatte ebenfalls einen sehr schweren Verlust erlitten und dazu noch Schreckliches durchmachen müssen. Gemeinsam konnten sie es schaffen. Dankbar sah er zu seinem Vater auf. „Ich schulde euch einiges."
Marjans Miene verdüsterte sich daraufhin unheilvoll. „Wir sind eine Familie. Hör auf, einen solchen Blödsinn von dir zu geben." Sein Sohn hatte einen Knall, wenn er glaubte, ihm etwas schuldig zu sein. Egal zu was sich sein Sohn entschied, er würde ihn unterstützen. Und war es nur, um ihm am Leben zu erhalten, bis Ria wieder auftauchte. Er hoffte, dass es bald sein würde, denn kein Wesen verkraftete eine dauerhafte Abwesenheit seines Partners. Es war ihm schon ein Rätsel, wie sein Sohn es schaffte, bei geistiger Gesundheit zu bleiben.
Eleasar stand auf und zog sich mit seiner Tochter zurück, um den Rest des Tages mit ihr zu verbringen. Das winzige Lebenszeichen von Ria hatte ihm eine Perspektive gegeben und ihn daran erinnert, was er noch zu verlieren hatte. Wenn er seine Frau schon nicht sehen oder kontaktieren konnte, wollte er wenigstens mit seiner Tochter zusammen sein. Denn sie war da. Sein Engel, das einzige Verbindungsstück zu seiner Frau.
Mit dem kleinen Fortschritt mehr als zufrieden schickte Marjan sich an, wieder seinen Aufgaben nachzugehen. Später musste er mit Sara über die wundersame Wandlung ihres Sohnes reden.
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