.:52:. Findet Eilean
Ria und Eleasar brachten Raphael den Anführer. Nicht gerade sanft schleiften sie ihn über den Boden bis in den Verhörraum. Für Ria hatte dieser Raum etwas von einer mittelalterlichen Folterkammer. Die meisten Dinge dort waren lediglich Teil der einschüchternden Dekoration. Raphael und Eleasar beispielsweise brauchten keine Werkzeuge. Sie verfügten über andere Mittel. Mit grausamer Vorfreude beobachtete sie ihren Mann dabei, wie er den Gefangenen auf einen unbequem wirkenden Holzstuhl festschnallte. Der Stuhl stand so, dass das Licht, das durch das einzige kleine Fenster in diesen Raum einfiel, direkt in sein Gesicht schien. Voll von düsterer Vorfreude ließ sie ihre Fingerknöchel knacken. Das würde unschön werden. Doch ehe sie ihn befragen konnten, brachte er sich um indem er sich die Zunge abbiss und daraufhin an seinem eigenen Blut ertrank. Ria drehte durch, kaum dass dessen Herz aufgehört hatte zu schlagen. „Ich schnapp mir die anderen. Jetzt ist endgültig Sense."
Sie war gerade dabei herumzuwirbeln, da vernebelte Ragnarök ihr die Sinne. Cherie, was willst du tun?
Noch bevor sie ihm antworten konnte, erhellte ein Feuerschein die dunkle Umgebung. Es war dieses eigenartige Wesen, das sie schon einmal gesehen hatte. Damals hatte sie Marjan einen farblichen Anstrich verpasst. Ria. Der Ifrit verneigte sich achtungsvoll vor ihr. Dir ist großes Leid wiederfahren, stellte das Feuerwesen treffend fest.
Was willst du, fauchte sie ihn ungehalten an. Ich kann keine Ablenkung gebrauchen. Sie musste die anderen finden und dafür sorgen, dass ihre Kleine nach Hause kam, ehe sie allen beteiligten Feinden das Leben zur Hölle machte.
Ich kann dir helfen, deine Tochter und die anderen zu finden, die dir am Herzen liegen.
Sein Angebot brachte sie kurzzeitig aus der Fassung. Woher wusste er davon? Ach ja? Sie wusste, dass sie trotzig klang, doch sie war jetzt eindeutig nicht dazu in der Lage, sich zusammenzureißen. Das Leben ihres Kindes stand hier auf dem Spiel!
Ernst nickte das Wesen. Dabei glommen seine Augen wie ein Stück Kohle im Kamin. Diese Wesen bedrohen das Leben deiner Tochter und werden auch vor deinem Mann nicht zurückschrecken.
Knurrend fletschte sie die Zähne. Das sollen sie nicht wagen.
Ifrit hob eine brennende Klauenhand. Ich helfe dir, deine Familie in Sicherheit zu bringen, wenn du mir im Gegenzug dafür deine Hilfe zusicherst.
Ungeduldig lauschte sie seinen Ausführungen. Diese Union hatte nicht nur Anderswelt, sondern auch die Astralwelt aus dem Gleichgewicht gebracht. Ihm gelang es nicht mehr, diese Welt zu hüten und zusammenzuhalten. Brach die Astralebene zusammen, erklärte er ihr, würden die Menschenwelt und Anderswelt miteinander kollidieren. Er wollte ihre Hilfe, um die Welt wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Wie lange dauert das?, hakte Ragna nach, ehe Ria voreilig einschlagen konnte. Für sie war nur wichtig, dass ihre Familie in Sicherheit war.
Ifrit musterte den Schattendrachen eindringlich. Ich kann es dir nicht sagen. Es wird seine Zeit benötigen.
Ria seufzte, dann stellte sie weitere Forderungen. Beschützt Elea. Ich möchte, dass die Schattendrachen ihm helfen. Sorgt dafür, dass sich das Chaos in diesem Land legt.
Da grinste das riesige Feuermonster zufrieden. Abgemacht. Mit einer Klaue schnitt er sich in die Handfläche und bot sie Ria dar. Sie verstand und leistete ihren Teil des Schwurs. Es war ein uralter Schwur, der Geister aneinander band, bis beide Teile der Abmachung erfüllt waren.
Sobald das Blut der beiden sich vermischte, ging ein Ruck durch alle Welten. Ria spürte, wie etwas in ihr seinen Kopf hob. Haru hatte sie davor gewarnt, dass es irgendwann passieren würde. Irgendwann würde ihr Wesen komplett erwachen.
Ifrit lachte erleichtert auf. „So, retten wir deine Kleine. Meine Wesen sorgen für Ruhe im Land."
Fassungslos starrte Eleasar auf die Stelle, an der Ria eben noch gestanden hatte. Er spürte sie zwar noch, aber sie war meilenweit fort.
„Seit wann beherrscht sie die Teleportation?", fragte Raphael scharf.
„Seit eben", entgegnete er tonlos. Wieder tastete er nach ihrem Band und versuchte herauszufinden, wo sie gerade war. Es war untertrieben zu behaupten, dass er diese Situation beunruhigend fand. Sie machte ihn wahnsinnig vor Sorge und Angst. Nicht, dass er letzteres jemals zugeben würde.
Raphael verstand die Welt nicht mehr. Ria konnte auftauchen und verschwinden, wie sie wollte und Eleasar schien absolut nicht zu wissen, was vor sich ging. Irgendetwas geschah hier mit ihr und niemand konnte sagen was es war.
„Endlich", hallte eine wenig geliebte Stimme durch den leeren Thronsaal.
Unendlich langsam drehten Raphael und Eleasar sich um. Haru war hinter ihnen erschienen. Er wirkte mehr als wütend, aber auch erleichtert. Der Blick seiner silbernen Augen fiel auf den Mann seiner Urenkelin. „Sie wird sie finden. Eure Familie und eure Tochter. Ruft die Truppen", befahl er Raphael im Nachsatz. Seine Aufmerksamkeit galt weiterhin dem Prinzen, der noch immer mit der Situation überfordert zu sein schien. „Du brauchst nicht um sie zu fürchten. Ria ist, was sie ist. Sie liebt euch so innig, dass sie eine Entscheidung getroffen hat. Sie ist dabei euch zu retten." Der Altkaiser seufzte schwer. „Aber zu welchem Preis?"
Aufrichtiges Mitleid stand in seinen Augen, als er den Prinzen erneut ansah. „Konzentriere dich auf eure Verbindung. Sie wird dir Hoffnung geben, wenn du nicht mehr zu hoffen wagst." Mit einem einzigen Schritt trat er dicht vor ihn, und legte Eleasar solidarisch die Hände auf die Schultern. „Euch zuliebe wird sie kämpfen und herrschen. Höre auf die Drachen, wenn sie dir mit Rat zur Seite stehen. Sie stehen tief in ihrer Schuld."
Eleasar wollte ihn gerade danach fragen, was er damit meinte, da verschwand der Geist und tauchte neben Raphael wieder auf. „Ria ist meine Erbin", sprach er nun laut und vernehmlich. „Sie hat das Erbe angetreten, um euch zu schützen. Jetzt werde ich meinen Teil erfüllen und eurem Volk den Frieden bringen, den es bitter nötig hat." Die Konturen des Altkaisers begannen zu verblassen, bis nichts mehr von ihm zu sehen war. Dann auf einmal kam ein leichter Wind auf. Es war eine warme Brise, die ihnen ein friedliches Gefühl schenkte.
Erneut wollte Eleasar zum Sprechen ansetzen, wurde aber schon wieder unterbrochen, denn Ria meldete sich über ihre mentale Verbindung. Irgendwie hatte sie das Nest ihrer Gegner ausfindig gemacht.
Nun folgten die Ereignisse Schlag auf Schlag. Er teilte Raphael den Standort mit, der daraufhin seine Truppen sofort in den Portalraum beorderte. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg dorthin, wo hoffentlich seine Kleine sein würde. Eilean. Zornig ballte er seine Fäuste. Sie hätte dort drüben sicher sein sollen. Wie war es diesen Wesen bloß gelungen, sie dort ausfindig zu machen? Hatten sie sie etwa selbst zu ihrer Tochter geführt, als sie sie besucht hatten? Aber warum dann noch so lange warten? Das ergab keinen Sinn.
Ein Ziehen an seinem Bewusstsein kündete den Ortswechsel an. Überrascht sah er sich um. Die Gegend sah aus wie ein Dorf, das provisorisch zu einer Festung umfunktioniert worden war. Ein merkwürdiges Versteck für Verräter. Vielerorts herrschten schon kleine Kämpfe, denn Raphaels Truppen hatte keine Zeit verschwendet, das besetzte Gebiet von den Feinden zu reinigen. Zu seiner Überraschung trugen nicht alle Soldaten die Farben des Kaisers. Hier waren auch königliche Truppen am Werk.
„Elea." Ria kam ihm entgegen, ihre Augen leuchteten in einem intensiven Orangerot. Dazu kommt eine entschlossene Ausstrahlung, die selbst ihn nicht kalt lässt. Die Verräter werden sterben. Allesamt. Und dennoch war da etwas in ihrem Blick, dass ihn beunruhigte. Etwas stimmte nicht. „Elea, sie sind alle hier, nur Eilean nicht." Die Panik in ihrer Stimme ließ auch ihn nicht kalt. Ihre Kleine war nicht hier?
„Wir befreien jetzt erst einmal die anderen Gefangenen", sprach jemand neben ihnen. Es war Marjan.
Fassungslos sah Ria ihren Schwiegervater an. „Wie kommst du denn her?"
Der blasse Vampir lächelte dünn. „Wir haben unsere Mittel, um schnell zu reisen." Dann verdüsterte sich seine Miene. „Ich kann nicht zulassen, dass sie meiner süßen kleinen Enkelin schaden." Die Drohung in seinen ruhig dahingesagten Worten war nicht zu überhören.
Eleasar kam nicht umhin zu bemerken, wie unterschiedlich man mit Zorn umgehen konnte. In Ria tobte er heiß wie ein Vulkan kurz vorm Ausbrechen. Sein Zorn glühte tiefer, zeigte sich nicht so deutlich wie ihrer. Der seines Vaters hingegen war eiskalt und ruhig. Aber eines war ihnen allen gemein - ihre Feinde würden das nicht überleben.
„Raphael hat dich informiert?"
Der König nickte seinem Sohn leicht zu. „Befreien wir die Leute und finden heraus, was sie wissen."
„Ich kümmere mich um die Sicherung dieser... Anlage", erklärte Raphael und sah sich noch einmal in dem Fort um. „Eigenartig. Sie hätten so viele Burgen besetzen können."
Ohne sich weiter Gedanken um den Ort zu machen, griffen die drei anderen nach ihren Waffen und liefen auf ein kleines, von Wachen umstelltes Gebäude zu. Von drinnen waren ebenfalls Kampfgeräusche zu hören.
Es dauerte nicht lange, da waren alle Gegner erledigt. Fassungslos starrte Ria ihre Schwester und ihren Schwager, sowie ihren Ziehvater, Andreas und noch zwei andere Jäger ihres Clans an. Am Rande registrierte sie, dass Adele und Cian nicht hier waren. Das bedeutete hoffentlich, dass die beiden noch sicher in der Menschenwelt waren. Sobald ihr dieser Gedanke durch den Kopf gespukt war, war er auch schon wieder verschwunden. Es gab wichtigeres. „Was ist passiert?", verlangte sie mit vor Zorn bebender Stimme zu erfahren. „Wo ist meine Tochter?"
Schuldbewusst senkte Suzi ihren Blick. „Wir wissen es nicht. Sie haben sie mitgenommen." Hemmungsloses Schluchzen durchschüttelte ihren zarten Körper.
„Niemand hätte sie beschützen können", erklärte Eleasar finster. Er hatte sich die Geschehnisse längst aus Kemals Kopf geholt. Sie waren hinterrücks überfallen und überwältigt worden. Sie hatten ihr Möglichstes getan, um seine Tochter zu beschützen, waren jedoch nicht gegen diese Übermacht an unbekannten Gegnern angekommen.
Ria schnaubte und hieb einem heranstürmenden Gegner kompromisslos den Kopf ab. Als Racheengel war sie schon recht beeindruckend. Den nächsten schnappte sie sich am Revers und versuchte ihm auf grausam kreative Art und Weise zu entlocken, wo man ihre Tochter hingebracht hatte. Nachdem zwei Wesen auf diese Art und Weise ihr Leben lassen mussten und sie noch keinen Deut schlauer war, wandte sie sich an Ifrit. Wo ist meine Kleine?
Erneut half ihr das Wesen, indem es ihr den Weg zeigte. Sie spürte, dass dort eine Menge Feinde auf sie warteten. In der Hoffnung, dass Elea ihre Botschaft erhielt, schickte sie die erhaltenen Informationen in seinen Kopf. Wenn er es mitbekam, würde er keine Zeit verschwenden und ihr zur Seite stehen. Zur Not würde sie jeden Einzelnen auch alleine umbringen. Bevor sie diese eigenartige Astralebene, auf die das Feuerwesen sie ein weiteres Mal gebracht hatte wieder verlassen konnte, hielt es sie zurück. „Wenn sie in Sicherheit ist, ist mein Teil der Absprache erfüllt. Verabschiede dich und dann komm mit mir."
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