.:51:. Etwas Schreckliches ist geschehen

Anderswelt.

Mit wild galoppierendem Herzen schreckte Ria aus ihrem unruhigen Schlaf. Etwas war anders. Beunruhigt tastete sie nach ihrem Mann. Zu ihrer Erleichterung lag er noch an Ort und Stelle. Dennoch wollte das Gefühl, dass etwas Schreckliches geschehen war, nicht verschwinden. Ruhelos stieg sie aus dem Bett und streifte durch das Haus. Sie musste einfach sichergehen, dass hier alles stimmte.

Das Haus lag ruhig und verlassen da. Seltsam. Was war es dann, das sie so aufgeschreckt hatte? Sie konnte es sich beim besten Willen nicht erklären. Ziellos lief sie durch die Gänge, bis sie schließlich in Eileans Zimmer stand. Vor ihren Augen spielten sie die Erinnerungen an ihren Geburtstag ab. Sie hatte zufrieden und wohlbehalten gewirkt. Natürlich hatte sie sie vermisst, aber Suzi und Aleix schienen sich gut um sie zu kümmern. Es war die richtige Entscheidung gewesen. Bei ihnen war sie sicher. Zum Geburtstag hatten sie ihr Ceres mitgebracht, damit sie ihre Freundin nicht auch noch vermissen musste. Insgeheim hofften sie, die beiden würden eines Tages einen Vertrag miteinander schließen. Wenn sie Eleasar glaubte, durften die beiden damit nicht mehr allzu lange warten. Ihr Blick fiel auf das Foto, das ihre Kleine ihnen mitgegeben hatte. Es war eines dieser Andenkenfotos aus einem Freizeitpark. Auf diesem Bild strahlte ihre Kleine nur so vor Begeisterung. Auch ihre Schilderungen von diesem Tag hatte sie mit so viel Inbrunst abgehalten, dass ihre Freude deutlich spürbar gewesen war. Ihr kleines, tapferes Mädchen.

Sie musste auf Eileans Bett eingeschlafen sein, denn als Eleasar sie sanft weckte, lag sie dort. Wie war sie dorthin gekommen? Sie hatte keine Ahnung.

„Was bekümmert dich?"

Ratlos suchte sie in seinen Armen Trost. „Ich weiß es nicht", hauchte sie am Boden zerstört. „Ich bin heute Nacht aufgewacht und hatte das Gefühl, dass etwas Schreckliches geschehen sein muss. Dann habe ich das Haus abgesucht und bin hier gelandet. Ich habe in der Tür gelehnt und an Linchen gedacht..." Ihre Stimme verlor sich. Sie brauchte ein paar Anläufe, ehe sie wieder sprechen konnte. „Und dann hast du mich geweckt."

Mit gerunzelter Stirn sah er ihr eindringlich in die Augen. „Hast du dieses Gefühl immer noch?"

Auf einmal drohte eine Welle der Übelkeit sie in die Knie zu zwingen. Hastig rannte sie ins Bad, gerade noch rechtzeitig, ehe sie dort zusammenbrach. Unfähig, sich mit ihren wild zitternden Gliedmaßen aufzurichten, rollte sie sich auf dem Boden zusammen. Nein, sie hatte nicht mehr nur das Gefühl, dass etwas schrecklich schief lief. Sie hatte Gewissheit. „Etwas Schlimmes ist geschehen", flüsterte sie. Immer und immer wieder. Hoffte, es würde irgendwann absurd klingen.

„Ria?"

Das war Raphaels Stimme. Der Kaiser klang besorgt. „Ria, kannst du mich hören?"

Verstört sah sie zu ihm auf. Er wirkte merkwürdig verschwommen. Mit einem vagen Nicken antwortete sie auf seine Frage. Sie spürte Eleas Nähe in ihrem Rücken. Wo war sie? Sie wusste es nicht. Alles, was sie wusste war, dass etwas Schreckliches geschehen war. Etwas unaussprechlich Schreckliches.

„Was ist denn so schrecklich?"

Diese weiche Frage irritierte sie. Warum musste jemand nachfragen? Es war doch allgegenwärtig.

„Ria, wir wissen nicht, wovon du redest."

Ria, Liebling. Elea. Seine Stimme klang warm. Es tat gut, ihn zu hören. Er war bei ihr. In dieser schrecklichen Zeit.

„Was ist Schreckliches passiert? Ist jemandem etwas zugestoßen?"

Zugestoßen? „Gefahr."

Elea flüsterte ihr in Gedanken beruhigende Worte zu. Es ist okay, Ria. Uns geht es gut. Wir sind in Sicherheit. Eilean geht es auch gut.

Eilean.

„Eilean!" Schockiert sprang sie auf. Ihr Herz raste so sehr, dass ihr schwindelig wurde. Sie musste zu ihrer Tochter! Ihre Kleine, sie konnte sich doch nicht wehren. Nicht, wenn sie so jung war. Sie musste sie vor Gefahren schützen.

„Geh mit ihr rüber und zeige ihr, dass es eurer Tochter gut geht", hörte sie Raphaels Stimme.

Menschenwelt.

Doch drüben war es alles andere als in Ordnung. Suzis und Aleixs Wohung war verlassen, also gingen sie zum Clananwesen. Was sie dort sahen, drehte ihr erneut den Magen um. Verwüstung und Chaos waren das einzige, was sie begrüßte. Fenster waren eingeschlagen, die Möbel lagen stellenweise auf dem durchpflügten Rasen. Das Schlimmste daran war, dass über alledem eine gespenstische Stille herrschte. In ihren Gedanken begann Ragnarök wie wild zu knurren. Ein dunkler Schatten schwebte neben der zerstörten Tür. Je näher sie diesem Gebilde kam, desto mehr erkannte sie, wer sie dort erwartete. Ceres. Natürlich. Astralwesen konnten in dieser Welt keine feste Form annehmen.

Sie haben sie. Panisch waberte der Nebel um sie herum. Sie haben sie mitgenommen, klagte die Cait Sith außer sich vor Zorn.

Neben ihr glühte ein anderer Zorn heiß auf. Eleasar. „Das reicht jetzt."

Noch bevor Ria das Ausmaß des Schreckens vollständig hatte begreifen können, verschwamm die Welt vor ihren Augen.

Anderswelt.

Der Weg zurück war eigenartig. Sie hatte das Gefühl, als würde sie von hunderten von Augenpaaren angestarrt werden. Augenpaare, die nur auf etwas warteten. Aber auf was? Sie wusste es nicht und es war ihr egal. Kaum hatte sie wieder festen Boden unter den Füßen, brach die Wahrheit über sie ein.

Sie hatten Eilean.

Sie hatten ihr Mädchen geholt. Ihre Kleine, ihr Engel.

Wild entschlossen ballte sie die Fäuste. Sie musste zu Raphael. Kaum hatte sie das gedacht, stand sie auf einmal neben ihm. Seinen überraschten Blick ignorierte sie, ebenso wie Eleasars Verwirrung, als er neben ihr erschien. „Sie haben Eilean", eröffnete sie dem Kaiser mit Grabesstimme.

Raphael wurde bleich. „Das ist unmöglich."

„Ich wünschte, es wäre so", erklärte Eleasar mit vor Wut kalter Stimme.

„Jagdzeit", knurrte Ria und stürmte aus dem Palast. Sie hatte nur ein Ziel vor Augen und das musste sie erreichen. Reden half nicht, da suchte sie lieber jeden Zentimeter dieser Welt eigenhändig nach ihrer Kleinen ab. Das war effektiver. Niemand hielt sie auf oder sprach sie an. Wann immer sie sich anderen Wesen näherte, sprangen diese erschrocken zur Seite.

Sie war bereits im Palastgarten angekommen, da hielt ihr Mann sie zurück. „Warte. Raphael bekommt gerade Nachricht von einem seiner Spione. Vielleicht haben sie etwas gefunden."

Aufgebracht wollte sie ihn anfahren, da erreichten sie seine Gefühle. Angst, Zorn und eine ohnmächtige Hilflosigkeit. Es war ein Spiegel ihrer eigenen Gefühlswelt. Zitternd ließ sie sich in seine Arme sinken. „Was, wenn sie unserer Kleinen etwas angetan haben?", fragte sie heiser. Es fiel ihr schwer zu sprechen. Immerzu spuckte ihre Phantasie Bilder dessen aus, was ihrer geliebten Tochter alles angetan worden sein könnte. Jedes schnürte ihr die Kehle ein wenig mehr zu. Haltsuchend klammerte sie sich an ihren Mann.

Irgendwann erschein Raphael neben ihnen. „Wir haben einen ihrer Anführer ausfindig machen können." Er gab ihnen die gewünschte Information und sah zu, wie sie verschwanden. Zu gerne wäre er mit den beiden gegangen, um ihnen zu Helfen. Seine Enkelin war der Sonnenschein, der die letzten Jahre erhellt hatte. Sie konnte jetzt nicht einfach verschwinden. Dafür würden die Verantwortlichen mit mehr als nur ihrem Leben zahlen.

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