.:49:. Eileans Geburtstag

Nach wenigen Minuten schon hatte er erkannt, dass sie einige wirklich gute Kampftricks kannte. Ria hatte ihrer Tochter genau die richtigen Dinge gezeigt. Angreifen konnte sie nur mäßig gut, dafür war ihre Verteidigung für ihr Alter geradezu tadellos. Ihm fiel ein Stein vom Herzen, von dem er gar nicht gewusst hatte, dass er da war. Als Schattenseele war es Eileans Natur zu kämpfen. Instinktiv bewegte sie sich richtig. Es war schon beinahe überflüssig, ihr neue Bewegungsabläufe beizubringen, sie schien intuitiv immer genau das Richtige zu tun. Es war gut zu wissen, dass sie sich würde verteidigen können, sobald sie erwachsen war. Unerfahrene Erwachsene konnte sie jetzt schon überrumpeln, davon war er überzeugt. Zwar konnte sie sie aufgrund ihrer geringen Größe nicht besiegen aber wenigstens soweit überraschen, dass sich ihr eine Chance zur Flucht bieten könnte. Ganz die Mutter schien sie sich nicht mit ihrem Können zufrieden zu geben, denn sie bat ihn, ihr ein paar Tricks beizubringen. Interessiert gesellte sich Suzi zu ihnen. Sie hatte mittlerweile begriffen, was ihre Nichte unter Kampfkuscheln verstand und sich dazu entschlossen, ebenfalls ein wenig von ihm zu lernen.

Aleix wusste nicht recht, ob er lachen oder weinen sollte, als Suzi verwundert zu ihrer Nichte aufsah, die sie soeben geschickt zu Fall gebracht hatte. Was den Kampf anging, war seine Frau nicht sehr geübt. Zwar verfügte auch sie über die ihnen typische Intuition in Kampfsituationen, doch hatte sie nie gelernt, damit umzugehen. Es war ein langer und beschwerlicher Weg, doch er musste ihr zugestehen, dass sie besser wurde, je häufiger sie übte. Dass sie jetzt allerdings von ihrer kleinen Nichte ausgetrickst worden war, schien an ihrem Selbstbewusstsein zu kratzen.

Tröstend nahm er sie in den Arm. „Sie hat sich nicht ganz an die Anweisung gehalten", erklärte er ihr liebevoll. Dann flüstere er ihr so leise, dass Eilean es nicht hören konnte, zu: „Sie hat mit schmutzigen Tricks gearbeitet."

Seine Frau machte große Augen. „Aber sie ist doch erst fünf."

„Mama sagt, andere sind nicht fair."

Sprachlos schüttelte Aleix seinen Kopf. Diese Kleine. Sie war wesentlich aufgeweckter als andere ihres Alters. Vermutlich hatte sie Ria schon oft kämpfen sehen und sich dabei den einen oder anderen schmutzigen Trick abgeschaut - und davon hatte ihre Mutter ein großes Repertoire.

„Was hältst du davon, wenn wir morgen schwimmen gehen oder einen Ausflug machen?", versuchte Suzi das Thema zu wechseln. Von ihrer fünfjährigen Nichte so vorgeführt zu werden, hatte in ihr den Entschluss erstarken lassen, sich künftig härter mit dem Kampfsport auseinanderzusetzen.

Natürlich war die Kleine Feuer und Flamme. So kam es, dass sie in den nächsten Tagen quasi jeden Tag außer Haus waren. Schwimmen, Spaziergänge im Park, ein Besuch im Freizeitpark und sogar ein Kinobesuch standen auf ihrer Agenda.

So gerne Aleix sie auch auf weitere Ausflüge begleitet hätte, irgendwann waren seine freien Tage vorbei und er musste wieder zur Arbeit. Bevor er aufgebrochen war, hatten seine Frau und Eilean ihm beide etwas überreicht. Suzi hatte ihm ein Foto von ihnen drein im Freizeitpark mitgegeben und seine Nichte ein selbst gemaltes Bild. Sie hatte versucht, sie drei zu malen. Hinter ihnen standen ihre Geister. Sie hatte sich große Mühe damit gegeben, doch kam er nicht umhin festzustellen, dass Storm und Rub sich einander ähnelten, wie ein Ei dem anderen. Einzig und allein ihre Farbe unterschied sie voneinander. Storm war ein schwarzes Wollknäul, Rub ein braunes. Hinter sich hatte sie undefinierbare schwarze Striche gemalt. Auf die Frage hin, was das für ein Wesen war, hatte sie nur unbestimmt mit den Schultern gezuckt.

„Hast du uns etwas verschwiegen?", fragte Lea hinter ihm und beugte sich neugierig über seine Schulter, um Eileans Kunstwerk zu bewundern.

Lachend nahm er ihr den Kaffee und das lecker aussehende Stück Kuchen aus der Hand. Lea naschte für ihr Leben gern und brachte daher ein ums andere Mal etwas Süßes mit. „Danke. Und nein, sie ist meine kleine Nichte. Ria und ihr Mann sind gerade sehr beschäftigt, also passen wir auf sie auf."

„Ist sie das?" Sie deutete auf das Bild, das er soeben auf dem Schreibtisch aufgestellt hatte. Die Kleine saß auf seinen Schultern, eine Portion Zuckerwatte in der Hand und strahlte Suzi an, die ihr gerade eben diese Leckerei gereicht hatte.

„Ja, das ist Eilean."

Überraschung huschte über die rundlichen Züge seiner Kollegin. „Ein ungewöhnlicher Name. Aber er passt irgendwie zu ihr. Sie ist wirklich hübsch." Lächelnd richtete sie sich wieder auf. „Ich bin mir sicher, dass ihr die Jungs in ein paar Jahren scharenweise hinterher laufen werden."

Das konnte er sich nur allzu gut vorstellen. Was er sich jedoch auch gut vorstellen konnte war, wie ihre Eltern auf unerwünschte Liebhaber reagieren würden. „Wer auch immer ihr den Hof machen wird, er wird es nicht leicht haben. Ich denke, es ist leichter sich unbemerkt in Fort Knox einzuschleichen als in ihr Zimmer." Dessen war er sich sicher.

Seine Kollegin kicherte vergnügt. „Ich will dich einmal sehen, wenn du eine Tochter hast und sie dir ihren ersten Freund vorstellt."

Das konnte er sich nicht vorstellen. Suzi und er waren gerade erst zusammen. Kinder konnten sie immer noch bekommen. Zwar war es wirklich schön, seine Nichte bei sich zu haben, aber auf Dauer war das noch nichts für ihn. Zumal er gerade erste seine andere Nichte hatte großziehen müssen. „Das ist ein Thema, das für uns noch in den Sternen steht."

Mahnend hob die leicht stämmige aber von Grund auf liebe Lea ihren Zeigefinger. „Na, na. Für deine Frau läuft auch irgendwann die Zeit davon. Im Gegensatz zu euch Kerlen sind wir Frauen nur eine gewisse Zeit fruchtbar."

Dieses Thema verursachte ihm Kopfschmerzen. Demonstrativ massierte er sich die Schläfen. „Lass das mal unsere Sorge sein."

„Oh oh", machte Rita, die gerade ihren blonden Schopf durch seine Bürotür steckte. „Schon so früh am Morgen Kopfschmerzen, Cheffe?"

Resignierend ließ er seine Hände sinken und griff stattdessen nach dem Kaffee. „So in etwa. Was verschlägt dich in mein Büro?"

Entschuldigend sah sie ihn aus ihren dunklen Augen an. „Wir haben gerade einen neuen Fall herein bekommen. Und die Personalabteilung hat angerufen." Nun wurde ihr Blick bedauernd. „Sie haben wohl einen Kandidaten für den freien Posten im Team. Du sollst dir morgen früh ein Bild von dem Bewerber machen."

Es war seinen beiden reizenden Kolleginnen anzusehen, wie wenig sie von der Idee hielten, ihr Team wieder auf vier Mann aufzustocken. Vor nicht allzu langer Zeit war ihr Kollege nach München versetzt worden. Alwins Versetzung hatte ein tiefes Loch im Team hinterlassen, das nur schwerlich zu stopfen war. Zumindest schienen die beiden Frauen das so zu empfinden. Er hatte schon viele Menschen kommen und gehen sehen. Auch wenn er sich eingestehen musste, die Anwesenheit seines Kollegen zu vermissen, so musste er sich ebenso eingestehen, dass Al nicht unersetzlich war. Der Gerechtigkeit war es herzlich egal, wer ihr diente, solange die Arbeit erledigt wurde.

„Er soll morgen zu mir ins Büro kommen. Und der Fall?"

Innerlich aufseufzend leerte er seine Kaffeetasse in großen Schlucken. „Darum kümmern wir uns jetzt."

Eine halbe Stunde später betrat Aleix wenig begeistert den Hochseilgarten. Er wusste, dass seine Frau mit Eilean heute hierhin wollte. Als besonderen Ausflug zum Geburtstag der Kleinen. Hätte der Täter sich nicht einen anderen Tag aussuchen können als den heutigen? Finster starrte er das Bild des Toten in seiner Hand an. Warum musste der Kerl sich denn auch hier erstechen lassen?

Da war es seiner schlechten Laune nicht gerade dienlich, dass er hinter sich eine vergnügte und nur allzu bekannte Stimme hörte.

„Onkel!" Kurz darauf klammerte sich Eilean an sein Bein. Es war auffällig, wie sehr die Kleine den Körperkontakt zu den ihr vertrauten Erwachsenen suchte. So verschmust.

„Hallo Kleine", begrüßte er sie betont freundlich. Heute war wohl einfach nicht sein Tag. „Wo hast du denn deine Tante gelassen?"

Ratlos zuckte sie mit den Schultern. „Ich habe dich gesehen und wollte zu dir", erklärte sie entschieden. Offenbar hatte sie völlig vergessen, dass Suzi bei ihr war.

Seufzend fuhr er ihr durch die braunen Locken. „Meinst du nicht, dass sie sich Sorgen macht?"

Mit großen Augen, als habe sie daran noch gar nicht gedacht, sah sie ihn an. „Mama und Papa finden mich doch auch immer."

Natürlich. Er hatte für einen kurzen Moment vergessen, wer ihre Eltern waren. Leider war Suzi nicht halb so trainiert wie ihre Schwester. Davon abgesehen schienen ihre Kräfte in Anderswelt anders zu wirken als hier. Wenigstens hatte er gerade den Betreiber des Parks befragt und war nicht in der Nähe der Leiche. Nicht auszudenken, wäre sie wirklich in die Nähe des Tatortes gelangt. Ihre Eltern hätten ihn dafür gelyncht und das durchaus zurecht. Kinder hatten nichts an Tatorten zu tun. Sie sollten unbekümmert aufwachsen. Auch ohne ihm bereits begegnet zu sein, wussten schon die Kleinsten, dass es das Böse gab. Daher mussten sie in der Gewissheit aufwachsen, dass es auch das Gute gab, dass das Böse vertreiben konnte.

„Weißt du was?" Ihre unschuldige und zugleich aufgekratzte Frage riss ihn aus seinen Gedanken.

„Was denn?" Gespannt beobachtete er sie dabei, wie sie sich auf die Zehenspitzen stellte, um ihm verschwörerisch zuzuflüstern: „Mama hat deinen Bösen schon gefunden."

Mit gerunzelter Stirn sah er sie an. Ein großer Schatten fiel kurz darauf auf Eilean.

Aleix musste nicht erst aufsehen, um zu erkennen, dass ihr Vater da war. Er bemühte sich, die Anwesenheit des Prinzen auszublenden. Eleasar und er, sie verstanden sich nicht und das aus gutem Grund. Aber das musste die Kleine ja nicht mitbekommen. „Deine Mama soll aber nicht die bösen Jungs suchen, die ich suche", entgegnete er mit fester Stimme.

„Das hat Papa auch gesagt", flüsterte die taffe Kleine und klammerte sich an die Hand ihres Vaters. „Siehst du Papa? Du bist nicht alleine."

Ihm entging der gequälte Blick in den Augen des Prinzen nicht.

Eleasar seufzte schwer. „Ich weiß, mein Engel. Wollen wir zu deiner Tante?"

Stur schüttelte sie ihren Kopf. „Nein. Ihr habt gesagt, wir machen heute etwas, das mir Spaß macht. Ich möchte auch böse Wesen jagen."

Man musste kein Hellseher sein um zu erkennen, dass ihr Vater wenig begeistert von ihrer Idee war. Auch Aleix war strikt dagegen. Er wollte seiner Nichte gerade begreiflich machen, dass das keine Option war, da tauchte Ria neben ihrer Familie auf. Sie trug einen äußerst zufriedenen Gesichtsausdruck zur Schau. „Hallo Schwager. Dein Job ist getan. Deine netten beiden Kolleginnen haben den Täter bei sich."

Mit einem gezwungenen Lächeln nahm er sie in den Arm. „Meinst du nicht, dass ich meine Arbeit selbst erledigen kann?"

Sorglos zuckte sie mit ihren Schultern. Dann, als wäre ihr plötzlich etwas eingefallen, griff sie nach ihrer Tochter, nahm sie hoch und wirbelte sie herum. Eilean lachte quiekend. Derartig vergnügt war sie in den letzten Tagen nur selten gewesen. Ihre Ausgelassenheit musste an der Anwesenheit ihrer Eltern liegen. So abrupt dieser Ausbruch an Freude begonnen hatte, endete er auch wieder. Mit einem verschlagenen Funkeln in den Augen beugte Ria sich vor. „Dein Papa sagt, du möchtest jemanden suchen?"

Sofort war die Kleine Feuer und Flamme. „Suchen!"

Lachend richtete Ria sich wieder auf. „Wenn du mich findest, bekommst du dein Geschenk. Wenn nicht, nehmen wir es wieder mit."

Eileans perplexe Miene brachte die anwesenden Männer zum Lächeln. Entrüstet lief sie ihrer Mutter hinterher, die ihrerseits lachend zwischen den Bäumen verschwand. Kaum war Ria außer Sichtweite, kam Eilean zu ihrem Vater zurück und sah ihn aus ihren großen Augen ernst an. „Ich finde Mama", versprach sie ihm, drückte seine Hand und rannte ihrer Mutter hinterher.

Nicht zum ersten Mal starrte Aleix der Kleinen fassungslos hinterher.

„Sie sind sich viel zu ähnlich", bemerkte der Prinz kurz angebunden.

Da konnte er ihm nur beipflichten. „Sie wirkt älter als sie ist."

Eleasar nickte gequält. „Und eifert ihrer Mutter mit einer Begeisterung nach, die Ihresgleichen sucht."

Suzi suchte sich diesen Moment aus, um zu ihnen zu stoßen. Überrascht sah sie Eleasar an, ehe sie sich verlegen durch ihre kurzen roten Haare fuhr. „Mein Prinz."

Abwehrend hob der die Hände. „Wir sind privat hier."

Belustigt beobachtete Aleix, wie seine Frau errötete. Die Autoritäten der anderen Welt schienen sie noch immer zu beeindrucken. „Wo sind Ria und Eilean?", fragte sie plötzlich peinlich berührt.

„Eilean sucht ihre Mutter", lautete die fast schon resignierte Antwort. Prüfend musterte Eleasar seine Schwägerin. „Gab es irgendwelche ungewöhnlichen Vorfälle?"

„Bezüglich Eilean?", fragte Suzi und schüttelte gleich darauf ihren Kopf. Ein begeistertes Leuchten trat in ihre Augen. „Sie ist das liebste und liebenswerteste Kind, das mir bislang begegnet ist."

Einen Augenblick lang hatte Aleix den Eindruck, der Prinz wollte etwas erwidern, doch dann war der eigenartige Ausdruck auf dessen Gesicht verschwunden und er sah wortlos in die Richtung, in die Ria zuvor verschwunden war. Schließlich wandte er sich wieder an sie. „Können wir sie noch ein paar Tage hier lassen?"

Suzi nickte andächtig. „Ich müsste aber morgen wieder mal beim Clan vorbei schauen. Wenn es euch nichts ausmacht, nehme ich sie mit."

Eleasar nickte stumm. Es war offensichtlich, dass ihn etwas beschäftigte. Er war nicht einfach nur still, sondern nachdenklich und wachsam. Als würde er erwarten, jeden Augenblick angegriffen zu werden.

„Wie schlimm ist es?", versuchte Aleix sein Glück.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top