.:40:. Rias Veränderungen
Im Schatten rechts neben dem imposanten Eingang zum Kaiserpalast wartete Ria bereits auf ihren Mann. Sie trug einen langen schwarzen Mantel, die Kapuze hatte sie tief ins Gesicht gezogen. Während Eleasar bei seinem Vater gewesen war, hatte sie mit Raphael durchgesprochen, welche Orte sie absuchen mussten und welche Reihenfolge die sinnvollste war. Auch wenn sie ihre Tochter über alles vermisste und sie gerne gesehen hätte, hatte ihre Sicherheit oberste Priorität. Und die war nach dem, was sie von Sem in Erfahrung gebracht hatten, nicht länger gewährleistet. Je schneller die Bedrohung ausgeschaltet war, desto eher konnte sie ihre Tochter wiedersehen. Und das ohne sich Sorgen um den Feind machen zu müssen.
„Wie geht es ihr?" Besorgnis schwang in ihrer leisen Stimme mit und Eleasar war sich sicher, dass er dieselbe Emotion auch in ihren Augen sehen würde, wären sie nicht unter dem Kapuzenstoff verborgen.
Beruhigend drückte er ihre Schulter. „Sie vermisst uns."
Rias Bedauern war deutlich zu spüren. Ihm ging es da nicht anders, aber sie mussten nun einmal die Verräter schnappen. Andernfalls würde ihre Kleine nie sicher sein. „Bereit?"
Zur Antwort gab sie ein zaghaftes, wenngleich entschlossenes Nicken von sich. „Gehen wir."
Wortlos verschränkten sie ihre Hände ineinander und machten sich auf den Weg in den Portalraum. Es war wesentlich energiesparender, dieses Reisemittel zu nutzen - ihre Energien würden sie für die Suche brauchen.
In Sems Schloss herrschte reges Treiben. Rory stand im Thronsaal und befehligte ein Rudel Soldaten in Heeresführeruniform. Er schien seine Probleme damit zu haben, sich durchzusetzen. Kein Wunder, wenn man bedachte, dass diese Wesen noch dachten ihr König käme zurück. Kurz nach ihrem Eintreten änderte sich die Atmosphäre im Raum und schlug von skeptisch in treu ergeben um. Eleasar konnte nicht umhin, die Hand seiner Gemahlin ein wenig zu drücken. Ria hatte die Stimmung beeinflusst, um ihnen allen die Situation zu erleichtern. Doch wie hoch war der Preis? Wie viel Energie hatte es sie gekostet? Energie, die sie gleich vielleicht brauchen würde. Zwar war auch er nicht sonderlich alt, aber im Gegensatz zu Ria verfügte er über einen wesentlich größeren Energievorrat. In den Augen dieser Welt war seine Frau selbst fast noch ein Kind. Weil Ria keine Anzeichen von Erschöpfung zeigte, nahm er an, dass es in Ordnung war. Dennoch nahm er sich vor, ein besonderes Auge auf ihre Körpersprache zu haben.
Rory kam ihnen entgegen, blieb aber in gebührendem Abstand vor ihnen stehen. Er hatte noch immer nicht vergessen, was Ria ihm Jahre zuvor angedroht hatte. „Ich habe bereits Nachricht vom Kaiser erhalten. Ihr könnt hier alles auf den Kopf stellen." Mit einem knappen Nicken verabschiedete sich sein Konkurrent mit den gelben Augen und dunkelblauen Haaren.
Ich glaube, er hat Angst vor mir, bemerkte Ria belustigt.
Mit unbewegter Miene, aber innerlich lachend führte Eleasar sie nach draußen. Vielleicht möchte er nicht nackt in der Öffentlichkeit enden. Denn genau das hatte sie Rory angedroht.
Kopfschüttelnd blieb sie stehen. Das ist Jahre her. Auf einmal verharrte sie angespannt. Hier kommt mir was bekannt vor.
Interessiert sah er sich um. Er konnte beim besten Willen nichts Ungewöhnliches feststellen. Ria war noch nie zuvor in einem von Sems Schlössern oder Residenzen gewesen. „Was spürst du?"
Ohne Vorwarnung rannte sie los, schnappte sich seine Hand und riss ihn mit sich. Mehrmals stoppte sie haarscharf vor Mauern, als dürften diese nicht im Weg sein. Das ein ums andere Mal musste er sie auch vor einer solchen zurückreißen, damit sie keine vertiefende Bekanntschaft mit dem Gemäuer schloss. Nach unzähligen Umwegen kamen sie draußen an, wo Ria frustriert auf den Boden schlug. Er wartete ruhig, bis sie sich ausgetobt hatte, ehe er sie an sich zog und auf eine Erklärung wartete.
„Sie sind hier gewesen", flüsterte sie knurrend. „Es waren die gleichen Spuren wie die, die ich schon einmal wahrgenommen habe. Damals habe ich Ceres gefunden."
Eileans kleine Freundin musste in einem desolaten Zustand gewesen sein, als seine Frau sie gefunden hatte. Ansonsten hätte sie sie nicht zum Heilen zur Kaiserin gebracht. Aber passte es zu ihrem Feind, sich an kleinen Geisterwesen zu vergreifen? Diese Bedenken teilte er ihr auch mit.
„Nach dem, was wir herausgefunden haben, bin ich mir sicher, dass es sich dabei um dieselben Leute handelt. Leider verschwindet die Spur hier draußen." Mit finsterer Miene ließ sie ihren Blick noch einmal über die Umgebung wandern. Aufgrund der Dunkelheit konnte sie fast nichts sehen, was für weitere Frustration sorgte.
Beruhigend zog er sie in seine Arme. „Ich habe nicht erwartet, dass wir hier fündig werden. Gut möglich, dass wir dieses Erlebnis noch häufiger haben werden." Offen gestanden verwunderte es ihn, dass sie bereits hier etwas gefunden hatte. Wobei das vermutlich dem unglücklichen Zustand zu verdanken war, dass Ria schon einmal mit einer derartigen Spur in Berührung gekommen war. „Uns bleibt nur zu hoffen, dass wir irgendwann eine Spur finden, die uns zu den richtigen Personen führt."
Ria knurrte aus tiefer Kehle. Es war ein ungewöhnlicher Laut, der ihn kalt erwischte. Etwas stimmte nicht mit ihr und er musste herausfinden, was es war. Bestimmt hob er ihr Kinn an und zog ihre Kapuze nach hinten. Das, was er sah, ließ ihn angespannt die Luft anhalten. Schon wieder hatte sich ihre Haut verfärbt. Sie war jetzt leicht gräulich, als würde sie versuchen mit der Nacht zu verschmelzen. Leider war das nicht die einzige Veränderung an ihr. Ihre Augen leuchteten, als würde die orangene Naturfarbe von innen von einem rötlichen Licht erhellt werden. Dass sie sich jetzt schon wieder veränderte, machte ihm - gelinde gesagt - Angst. Sanft fuhr er ihr über die Wange, die merkwürdig warm war. Alles in ihm schnürte sich zusammen. Und dann kam auch noch die Erinnerung an den Zwischenfall mit Raphael hoch. Ria war angeblich einfach in einem Berg verschwunden. Gerade eben hatte sie bewiesen, dass sie den Blick für die Realität verlor, sobald sie sich auf ihre Spuren konzentrierte.
„Gehen wir nach Hause." Seine Stimme klang belegter als ihm lieb war.
Rias Knurren wurde leiser und auch das Leuchten ihrer Augen ließ nach. Sie blinzelte und dann war plötzlich alles wieder normal. „Du hast Angst", stellte sie mit großen Augen fest, woraufhin sie ihn eng an sich zog. „Was hat dir Angst gemacht?"
Sie tief in seinen Armen vergrabend brachte er sie zurück in sein Haus. Für diese Nacht machte es keinen Sinn mehr, zu suchen. Im Schlafzimmer musste er sich erst einmal davon überzeugen, dass es ihr gut ging und sie wieder normal war. Nirgendwo waren graue Flecken zu sehen und ihre Augen behielten ihre klare orangene Färbung. Erleichterung durchflutete ihn und er zog sie wieder eng an sich. „Verlass mich nicht, mein Herz."
Aus unerfindlichen Gründen hatte er das Gefühl, dass ihre Entwicklung sie ihm wegnehmen würde. Das war Schwachsinn, das wusste er selbst. Ria gehörte zu ihm wie das Blut in seinen Adern. Daran würde niemand etwas ändern können. Dennoch ließ ihn dieser Gedanke nicht los. Wie eine Klette klammerte sich diese Angst an ihn, grub sich tiefer in ihm ein und baute sich ein beschauliches Nest in seiner Brust.
Wortlos schmiegte Ria sich an ihn. Anscheinend hatte sie gemerkt, dass er jetzt ihre Nähe brauchte. Er war ihr dankbar für ihr stummes Verständnis, war sie doch nicht immer die einfühlsamste Person. Aber wenn es wirklich darauf ankam, dann war seine Frau der größte Schatz. „Ich lass dich heute nicht mehr los."
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