.:39:. Die Vierte Union

Der König wartete geduldig, bis sein Jüngster sich wieder gefangen hatte. Jemand, der Eleasar nicht gut kannte, würde die Zeichen seines Zustands übersehen und meinen, er dächte konzentriert nach. Er aber wusste es besser. Die unnatürlich stille Haltung seines Sohnes bedeutete, dass er Mühe hatte, seine Emotionen für sich zu behalten. Vermutlich war Ria die einzige, die wissen konnte, wie es wirklich in ihm aussah.

„Unser Feind nennt sich Die Vierte Union und ist angeblich ein Zusammenschluss unter der Leitung astralweltaffiner Wesen, die sich vorgenommen haben, die Weltherrschaft an sich zu reißen. Sem haben sie mit dem Versprechen nach Macht geködert. Sie agieren weltweit und stiften seit Jahren Unruhe. Dass Sem damals so an den Jägern und ganz besonders an meiner Gemahlin interessiert war, hatte den Grund, dass diese Verräter im Gegenzug für ihre Leistungen eine Schattenseele forderten. Rias Schwester war nicht stark genug, daher hat er Jagd auf die Jüngere gemacht."

Das ergab Sinn. Damals war Sem ja sehr schnell zur Stelle gewesen mit seinen Anschuldigungen. Verärgert strich der König sich eine Strähne seines langen Haares nach hinten. Manchmal konnte dieser Kopfschmuck einfach nur lästig sein.

Aufgewühlt starrte Eleasar auf den dunkelgrauen Fußboden. Um ein Haar wäre Ria den Feinden in die Hände gefallen. Und er hatte sie auch noch zweimal in der Menschenwelt gelassen, wo sie sie hätten schnappen können. Das war einfach unverzeihlich. Mit unüberhörbarem Grollen in der Stimme fuhr er fort. „Sie haben viel Unruhe gestiftet und so langsam beginnt das Ausmaß dessen für die Herrscher außer Kontrolle zu geraten. Die anderen beiden Reiche sind bereits so gut wie gefallen und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis hierzulande die ersten Aufstände stattfinden."

Das klang gefährlich. Aufgebrachte Mobs vielerorts konnten eine gefährliche Eigendynamik entwickeln. Wesen brauchten einen Führer, der sie zusammenhielt. Die unzivilisierten Tage dieser Welt waren eigentlich vorüber und doch schien es jetzt wieder auf Zustände der alten Zeit hinaus zu laufen. Diese Welt würde ein äußerst rauer Ort werden, wenn niemand etwas dagegen unternahm. „Und wo halten sich diese Feiglinge auf?"

Ratlos hob sein Sohn die Schultern. „Sem wurde immer nur von denen kontaktiert. Deshalb reisen Ria und ich jetzt zu den Orten, an denen das geschah und suchen dort nach Hinweisen." Ein dunkler Schatten legte sich über seine vor Zorn scharfen Züge, als er seinen Ärmel hochkrempelte und ein deutlich verändertes Mal zutage beförderte. „Raphael will, dass ich mehr Aufgaben übernehme. Am Hof. Ich denke, er will herausfinden, was diese Veränderungen zu bedeuten haben."

Eine Pause trat ein, in der jeder seinen eigenen Gedanken nachhing. Marjans Gedanken waren erfüllt von gemischten Gefühlen über die Veränderung seines Sohnes und Sorgen über die von der Vierten Union ausgehenden Gefahr. Schließlich brach Eleasar das Schweigen. „Ich kann Eilean nicht mitnehmen. Sollten Unruhen aufkommen, ist der Kaiserpalast der erste, der brennt."

Beruhigend hob Marjan die Hände. „Sie kann solange hier bleiben, wie es sicher ist." Das Gehörte überraschte den Vampir nicht sonderlich. Es gab immer Individuen, die meinten durch ein wenig Chaos etwas Macht zu erlangen. Die Ausmaße dessen waren allerdings bemerkenswert. Zwei von drei Weltreichen befanden sich in Anarchie und drohten das dritte ebenfalls mit ins Verderben zu reißen. Ein Glück, dass der amtierende Kaiser ein äußerst fähiger Mann war, sonst würde die landesinterne Situation sicherlich anders aussehen. Was ihm am allerwenigsten gefiel war, dass sein Sohn und seine Schwiegertochter mitten im Geschehen standen. Da war es wenig beruhigend zu erfahren, dass der Kaiser seinem Sohn mehr Aufgaben aufzuerlegen gedachte.

Eleasar nickte scheinbar unbeeindruckt. „Wir danken dir." Leise seufzend holte der Prinz einen Umschlag hervor, auf dem das kaiserliche Siegel prangte. „Seine Majestät wünscht, dass du einen Teil von Sems Grenzen ebenfalls absicherst, bis Rory vorläufig die Befehlsgewalt an sich genommen hat." Es war ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt. Kurz vor einem Krieg eine elementare Führungsposition auswechseln zu müssen, schwächte das interne System und stellte eine unnötige Komplikation der Abläufe dar. Dennoch war es unumstößlich, Sem zu ersetzen.

Andächtig nahm Marjan das Schreiben an sich und überflog es. Wie sein Sohn gesagt hatte, beinhaltete sie die von ihm vorgetragene militärische Anweisung. Darunter befand sich die Einladung zur Hinrichtung eines Verräters. Alle Herrscher hatten anwesend zu sein. Er musste nicht raten, um zu erkennen, dass es eine Machtdemonstration des Kaisers war. Er an seiner Stelle hätte dasselbe getan. Mit ein wenig Glück konnte man bei der Gelegenheit sogar den einen oder anderen weiteren Verräter enttarnen oder wenigstens unschlüssige Geister daran erinnern, wem ihre Treue zu gelten hatte. „Werdet ihr anwesend sein?" Er würde Eilean nur ungern alleine im Schloss zurücklassen.

„Ich habe keine Ahnung. Hängt vermutlich davon ab, wie schnell wir die Verräter finden." Bedauern spiegelt sich in Eleasars Blick, mit der er seinen Vater kurz entschuldigend ansieht. Es gefiel ihm nicht, seine Tochter abschieben zu müssen. Er sollte für sie da sein und sie beruhigen, sie beschützen. Aber das ging nicht. Verärgert ballte er die Hand zur Faust, stand auf und verschwand in Eileans Zimmer. Als er zurückkam, stand Abschied in seiner Miene. „Ria sagt, es wird Zeit. Wir werden heute noch Sems Gebiet durchsuchen." Nachdem seine Frau bereits im Anschluss an Sems Verhör und ihrem Bericht an Raphael erfolglos die Hauptresidenz des Verräters abgesucht hatte, würden sie nun eine Liste aller möglichen Orte abarbeiten und nicht eher ruhen, ehe sie auf ihrer Suche nicht jeden Stein dreimal umgedreht hatten. Irgendwo musste es eine Spur zu den Verrätern geben und die würden sie finden - definitiv.

Schwermut ergriff vom Vater Besitz und veranlasste ihn dazu, die Hand solidarisch auf die Schulter seines Sohnes zu legen. „Gebt gut auf euch Acht."

Ein knappes Nicken, dann war Eleasar verschwunden. Wenig begeistert machte Marjan sich auf, Sara über die neueste Entwicklung in Kenntnis zu setzen. Es würde ihr das Herz zerreißen, wie schon vor über hundertfünfzig Jahren.

Wie erwartet fasste seine Geliebte diese Nachricht alles andere als gut auf. Am Boden zerstört lag sie in seinen Armen und ließ sich trösten. „Noch weilen sie beide unter uns", entgegnete er ein wenig entrüstet auf die Frage, wie sie Eilean den Tod ihrer Eltern erklären sollten.

Zwischen heftigen Schluchzern stammelte sie verzweifelt: „Sie... sind... doch no...ch Kinder."

Auf ihre Schwiegertochter mochte das vielleicht alterstechnisch zutreffen, mehr aber auch nicht. Tröstend drückte er sie an sich. „Beide haben sie zuvor schon Schlachten geschlagen. Sie sind stark, vor allem gemeinsam."

„Mögen deine Worte vom Schicksal erhört werden", murmelte sie heiser, ehe sie sich von ihm löste und in Eileans Zimmer verschwand.

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