.:38:. Unruhen und Spuren
Eilean saß neben Sara auf dem Boden und las mit ihr in einem Buch. Seine Partnerin mit ihrer gemeinsamen Enkelin zu sehen, hatte etwas Beruhigendes an sich. Langsam ließ Marjan die Tür hinter sich ins Schloss fallen. Augenblicklich richteten sich zwei paar blauer Augen auf ihn. Das eine strahlendklar und so hell, dass selbst der Himmel dieses unbeschreibliche Wesen um seine Augenfarbe beneidete, das andere so dunkel, dass er sich unweigerlich an einen Sternenhimmel erinnert fühlte.
„Opa!" Der kleine Wirbelwind sprang auf und rannte vergnügt lachend auf ihr zu. Ungestüm fiel sie ihm um die Beine. Es war erstaunlich, dass die natürlichen Instinkte, die die meisten Wesen vor ihm warnten, bei ihr nicht vorhanden zu sein schienen. Selbst ihre Mutter spürte seine Aura und verhielt sich dementsprechend. Unwillkürlich musste er lächeln. Die Mutter der Kleinen war eine Klasse für sich. Und Eilean war es ebenfalls.
„Lin." Vorsichtig zerzauste er ihre Haare. Bei so jungen Wesen wie ihr, musste er vorsichtig sein. Schließlich wollte er sie nicht aus Versehen zerbrechen. In solchen Belangen war es nicht gerade vorteilhaft, ein Vampir zu sein und dazu noch so alt wie er.
Neugierig sah sie zu ihm auf. „Wo sind Mama und Papa? Sie wollten doch nur kurz weg."
Betrübt beugte er sich zu ihr hinunter und nahm sie behutsam auf den Arm. „Der Kaiser braucht ihre Hilfe. Sie kommen wieder, sobald sie Zeit haben." Es missfiel ihm, dass der Kaiser seinen Sohn und seine Schwiegertochter beschlagnahmte. Anscheinend war die Kleine in den Augen der Politik nur ein Hindernis. Er selbst kannte es nur zu Genüge, hatte allerdings immer die Mütter seiner Kinder gehabt, die sich um den Nachwuchs sorgten. Eilean hatte nicht das Glück, denn Ria war von Anfang an die Landespolitik verwickelt gewesen. Sie würde nie einfach nur nebenbei stehen und seinem Sohn zuhause den Rücken freihalten.
Mit beleidigt vorgeschobener Unterlippe schmiegte sie ihren Lockenkopf an seine Schulter. „Warum braucht Opa Raphael denn Mama und Papa?" Ihre großen dunklen Augen werden riesig. „Ist es, weil Papa so stark ist und alles kann?"
Saras glockenhelles Lachen plätschert samtweich durch den Raum. „Auch ein Kaiser kann nicht alles, Schatz. Du hilfst doch sicher auch manchmal, oder?"
Nachdenklich schüttelt sie ihr hübsches Köpfchen. Für seinen Geschmack war sie mit ihrem zarten Alter schon viel zu scharfsinnig und nachdenklich. Und dabei gaben ihre Eltern ihr Bestes, ihr eine schöne Kindheit zu geben. Dass sie in diesen Zeiten abwesend waren, gefiel ihm gar nicht, war aber wohl nicht zu ändern. Er hatte seine Kinder auch niemals in der Schusslinie wissen wollen. Selbst bei Eleasar sah er es nur ungern. „Papa braucht ja nie Hilfe und die andern lassen mich nicht. Sagen, ich soll das nicht."
Leise lächelnd trat Sara an sie heran. „Jeder braucht einmal Hilfe, Engelchen. Möchtest du Opa erzählen, was du gerade gelernt hast?"
Neugierig sieht er seine Enkelin an und blickt in einen Sternenhimmel. „Ihr habt gelernt?"
Mit einem entschiedenen Nicken strampelt sie sich aus seinen Armen und rennt zu dem Buch, was noch aufgeschlagen auf dem dicken Teppich ruht. „Oma hat mir die Geister gezeigt. Aber Ceres sagt, in den Büchern steht nur Müll."
„Ceres?" Soweit er wusste, hatte seine Enkelin sich noch an keinen Geist gebunden.
„Sie sieht aus wie Cora." Begeistert begann sie ihnen von der Cait Sith zu erzählen und davon, was dieser Geist zu den im Buch stehenden Geisterwesen zu sagen hatte. Sie erzählte ihnen auch, dass Ceres gerade nicht hier war und sich stattdessen lieber in der Umgebung umsah und jagen wollte. „Sie ist meine beste Freundin", schloss sie ihre Ausführungen mit einem freudestrahlenden Gesichtsausdruck ab.
Gerne hätte er sie noch weiter zu dem Geisterwesen befragt, doch leider war ihnen die Ruhe nicht vergönnt. Ein Bediensteter klopfte an die Tür und richtete ihm aus, dass er von seinen Heerführern erwartet wurde. Anscheinend gab es bereits die ersten Konflikte im Grenzgebiet. Viel früher als erwartet. Bedauernd entschuldigte er sich bei den beiden Damen und machte sich auf den Weg nach unten.
In seinem Thronsaal wurde er bereits von seinen obersten Heerführern erwartet. „Mein König." Demütig verneigten sie sich vor ihm.
Mit unbewegter Miene nickte er den einen der drei zu sich. „Was ist denn so wichtig?"
„Herr." Angespannt breitete der Soldat vor ihm eine Karte seiner Grenzen aus und deutete auf zwei kleine Städte. „In Zaronn und Aliêt haben kleine Kämpfe stattgefunden. Wilde Banden aus dem angrenzenden Reich. Meine Leute schreiben, dass die Wesen allesamt heruntergekommen aussehen. In Cern-Zah haben Truppen Flüchtlinge aufgegriffen, die Asyl ersuchen."
Cern-Zah war eine der äußersten Städte seines Reiches. Klein, beschaulich, an sich recht idyllisch - und vor allem nicht für den internationalen Handel bekannt. Eine kluge Wahl für einen Fluchtort. Dennoch gefiel ihm gar nicht, dass die Unruhen und endgültig ins Reich schwappten. Verärgert ballte er die Hand zur Faust. „Unser Befehl lautet, die Grenzen zu sichern. Die Flüchtlinge, die es bislang über die Grenzen geschafft haben, sollen sich eingliedern. Haltet die problematischen Fälle im Auge. Ab sofort ist alles dicht. Keine Flüchtlinge, keine Überfälle. Ich will über jeden Vorfall informiert werden." Verstimmt wandte er sich ab, um sich in sein Arbeitszimmer zurückzuziehen und seinem Kaiser von der Lage zu berichten.
Als er wesentlich später in seine Räume zurückkehrte, fand er seinen Sohn in der Türschwelle zum Kinderzimmer lehnend. „Ich hatte gehofft, dir beistehen zu können."
Eleasars Stimme klang so bedrückt, dass er neben ihn stellte und einen kurzen Moment seiner Enkelin ebenfalls beim Schlafen zusah, ehe er seinen Sohn bestimmt ins Wohnzimmer schob. „Ihr beide würdet sie nicht zurücklassen, wenn es nicht wichtig ist. Und was das andere angeht... Nun, du bist nun einmal mehr als nur mein Jüngster." Scheinbar entspannt nahm er auf dem Sofa Platz und unterzog seinen Jungen einer eingehenden Musterung.
Abgespannt und sichtlich genervt fuhr der sich durch die semikurzen braunen Haare. Irgendetwas bedrückte ihn, das war nicht zu übersehen. Wahrscheinlich focht er grade einen inneren Kampf darüber aus, ob er es ihm sagen sollte oder nicht. Anscheinend gewann das Redebedürfnis, denn sein Sohn ließ einen bodenlosen Seufzer vernehmen und sah ihn beinahe ausdruckslos an. „Ria und ich werden das Reich durchsuchen müssen. Dieser Konflikt umspannt die ganze Welt und hat das Ziel, sie in Chaos zu stürzen. Sem hat geplaudert und obgleich er nicht viel wusste, hat es doch gereicht, um zumindest einen Teil der Geschehnisse der letzten Jahre aufzudecken." Frustriert raufte Eleasar sich das Haar. „Um ein Haar hätten sie Ria in die Hände bekommen, bevor Aram sie her bringen konnte." Der brennende Zorn in seinen Worten veränderte die Atmosphäre im Raum. Auf einmal war die vorherrschende Entspannung dahin, nun hatte man das Gefühl, Teil einer Explosion zu sein.
„Denk an deine Tochter", mahnte Marjan ihn sanft. Er erkannte das Dilemma, das seinen Sprössling so beschäftigte. Beinahe wären ihm Frau und Kind genommen worden. Selbst jetzt schien das Leben der beiden noch bedroht zu sein. Andernfalls hätte Eleasar etwas Gegenteiliges gesagt. Dass er seine Gemahlin in dieser Zeit alleine zurückließ, bedeutete, dass der Grund seines Erscheinens wichtig war.
Dunkelblaue Augen, die ein deutliches Zeichen der Ähnlichkeit von Vater und Tochter waren, sahen ihn gequält und zugleich grimmig-entschlossen an. „Wir werden alles unternehmen, um diese feigen Verräter aus dem Weg zu räumen."
Beschwichtigend hob Marjan seine Hand. „Mein Junge, ich komme nicht mehr ganz mit."
Kurz huschte ein entschuldigender Ausdruck über die Züge des Prinzen. „Du hast recht, ich sollte vorn beginnen."
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