.:37:. Sems Verhör

Während sie durch die dunklen Gänge liefen, war Eleasar ungewöhnlich schweigsam und in sich gekehrt. „Was ist?", fragte Ria und angelte nach seiner Hand. Es war beruhigend sie zu halten. Das gab ihr das Gefühl, ihm ein Stückchen näher zu sein.

Bei Hautkontakt zuckte er leicht zusammen, lächelte sie daraufhin sofort entschuldigend an und drückte ihre Hand. „Schon gut, Liebes. Ich bin nur in Gedanken."

Sie spürte, dass es in ihm arbeitete. Raphaels Reaktion auf sein verändertes Mal hatte einiges in ihm in Aufruhr versetzt. Hoffentlich lenkte es ihn nicht zu sehr von ihrem Vorhaben ab. Sie brauchten dringend Informationen, um Sem und seinen Helfern, die hinter diesen abartigen Machenschaften steckten, das Handwerk zu legen. Zur Not würde sie auch alleine die nötigen Informationen bekommen, immerhin verfügte sie mittlerweile über ein beträchtliches Maß an Fähigkeiten. Dennoch war es ihr lieber, sich auf die Unterstützung ihres Mannes verlassen zu können. Tief in sich drinnen spürte sie, dass sie diesem Problem nur gemeinsam entgegen treten konnten. Auf sich alleine gestellt war jeder von ihnen zu machtlos.

Wild entschlossen, hier und jetzt die begehrten Antworten zu bekommen, stapfte sie in den Zellentrakt, wo Sem recht erschöpft auf einer wenig bequem anmutenden Matte hing. Sobald das Geräusch der sich öffnenden Zellentür erklang, hob der gestürzte König seinen Kopf. Bei ihrem Anblick verzog er seine Mundwinkel zu einem spöttischen Lächeln und richtete sich leicht auf.

„Sieh an, wer kommt mich denn da besuchen?", höhnte er verächtlich. „Ist es etwa eine zu große Schmach für den Kaiser, mich zu sehen?"

Ehe er zu neuem Gespött ansetzen konnte, hatte Ria ihn sich geschnappt und gegen eine Zellenwand gedrückt. „Hier wird nur geredet, wenn ich es sage", knurrte sie ihn forsch an. Sie hatte keinen Nerv, sich jetzt auch noch mit seiner überheblichen Art auseinanderzusetzen. Das würde er unter keinen Umständen überleben. Nicht, solange ihr Mann in dieser eigenartig abwesenden Stimmung war. „Warum hast du es auf Suzi abgesehen?"

Sems Lippen kräuselten sich leicht. „Sie gehört mir."

Krampfhaft unterdrückte sie den Impuls, ihm eine zu knallen. Die Bilder von Suzi, wie sie ängstlich und blutend in einer Ecke des kleinen Bades gekauert hatte, waren noch allzu präsent. Das verlockte sehr dazu, ihm nach allen Regeln der Kunst eine zu scheuern, dennoch hielt sie sich im Zaun. Es brachte nichts, wenn sie ihm zu sehr zusetzte. Dummerweise brauchten sie alle wichtigen Informationen, die er hatte. Das bedeutete jedoch nicht, dass sie ihn mit Samthandschuhen anfassen würde. Mit einem grimmigen Lächeln auf den Lippen, streckte sie vorsichtig ihre emotionalen Fühler nach dem Gefangenen aus und tastete nach seiner Aura. Sobald sie diese erreicht hatte, schüttelte sie sich angewidert. Was für eine schmierige Suppe. Doch es half nichts, sie musste da jetzt durch. Gezielt manipulierte sie seine Emotionen und versetzte ihn somit in Angst und Schrecken. Leider hatte das nicht den gewünschten Effekt, denn anstatt ihr zu antworten, begann Sem durchzudrehen. Ein Zittern ergriff den Körper des ehemaligen Königs und Tränen begannen unkontrolliert seine Wangen hinab zu laufen. Dabei faselt er lauter zusammenhangsloses Zeug vor sich hin, durchsetzt mit intensivem Flehen und Betteln.

Ich denke, er hat schon Bekanntschaft mit Manipulation gemacht. Das ist echte Panik, meldete sich Ragnarök alarmiert zu Wort. Er hatte mit einer uns verwandten Art zu tun.

Verärgert fegte sie jede Emotion von dem Gefangenen fort. Na klasse. Heißt das, die anderen haben auch eine Schattenseele, die beeinflussen kann?

Der Schattendrache knurrte böse. Ich denke nicht. Varlet sagt, ihr seid zu selten. Bekannt ist nur deine Familie und eine, die nicht hier in diesem Reich lebt. Es könnten andere astralweltaffine Wesen sein. Oder einfach nur Manipulatoren. Vielleicht irgendein Schlangenwesen, die können das auch.

Wenig begeistert schüttelte sie ihren Kopf. Okay, dann wollen wir es mal anders rum versuchen. Wenn Angst nicht die Zungen löst, dann vielleicht Euphorie.

Nach wenigen Minuten gab sie es auf. Sem war durch und durch verrückt. Keine Emotion hatte ihr die gewünschte Antwort gebracht. Frustriert ließ sie von ihm ab und sah sich nach Eleasar um. Der lehnte hinter ihr an der Wand und starrte nachdenklich ins Nichts. Hoffentlich lernte er mit den Umständen umzugehen. Leider wirkte er nicht so, als wäre er dazu in der Lage, sie zu unterstützen. Gerne hätte sie in seine Gedanken gelauscht und ihm geholfen, aber das musste warten. Sie hatte eine Aufgabe zu erledigen. Und wenn ihre bisherigen Methoden nicht fruchteten, musste sie eben zu drastischeren Maßnahmen greifen.

Mit einem kalten Lächeln auf den Lippen flüsterte sie dem gefallenen König zu: „Wenn du nicht reden willst, dann eben so."

Sems Augen wurden groß und er wollte etwas sagen, als ahne er, dass es nun schrecklich werden würde. Doch bevor ihm auch nur ein Wort über die Lippen kam, hatte Ragnarök die Zelle bereits in schwarzen Rauch gehüllt. Ria widerstrebte zu tun, was sie nun tun musste, aber es stand mehr als nur ein Leben auf dem Spiel. Haru hatte ihr gezeigt, wie sie ihre Informationen auch erzwingen konnte. Und genau das würde sie jetzt tun. Im Gegensatz zu ihrem Urgroßvater konnte sie Gedanken lesen, was ihr das Folgende erheblich erleichterte. Mit einem tiefen Atemzug blendete sie all ihre Gefühle aus und drang in Sems Aura ein, um sie zu vereinnahmen. Anschließend ließ sie die Barriere fallen, die sie davor bewahrte, ständig die Gedanken anderer zu hören. Als sie seinen Geist vollständig vereinnahmt hatte, stellte sie ihre Fragen erneut.

„Warum willst du meine Schwester?"

Eine tonlose Stimme antwortete: „Sie wollen eine Schattenseele, weil ihr stark seid. Suzi ist zwar schwach, aber du bist unerreichbar."

„Wer sind sie?"

„Die vierte Union. Sie wollen das vierte Reich gründen, das alle drei Weltreiche umschließt. Wir werden über diese Welt herrschen. Die Mühlen mahlen schon lange."

Verstimmt biss sie auf ihre Zunge. „Wie lange?"

Ein freud- und tonloses Lachen erklang. „Reiche gegeneinander aufzuhetzen benötigt Zeit."

„Wo und wie finde ich diese Gruppe?"

„Gar nicht."

Das war keine Antwort nach ihrem Geschmack. Leider bekam sie keine zufriedenstellenden Antworten mehr aus ihm heraus. Den Rest musste ihr Mann erledigen.

Ragna zog sich zurück und die Atmosphäre um sie herum normalisierte sich und so langsam kehrten die Emotionen in die Zelle zurück. Ungehalten stieß Ria Sem von sich. Was für ein mieser... Hund.

„Ria?" Ihr Mann erschien neben ihr und fing sie auf, ehe sie ihren Schwächeanfall als solchen registrieren konnte. „Was ist passiert?" Forschend sah er ihr in die Augen.

Beruhigend tätschelte sie seinen Oberarm. „Ein kleiner Nebeneffekt." Die kurzzeitig von Ragnarök geschaffene, emotionslose Atmosphäre hatte sie viel Kraft gekostet. „Ich hoffe, das muss ich so schnell nicht wieder machen." Es war jedes Mal schlimm sich von ihren Kraft- und Energiequellen abzuschließen, deshalb war es auch so schwierig und riskant, diese Methode anzuwenden. Ohne Elea in der Nähe hätte sie es sich auch nicht getraut. Kaum auszudenken, was hätte passieren können, wäre sie alleine mit Sem gewesen und hätte das Bewusstsein verloren. „An dieser Stelle musst du übernehmen." In Gedanken schilderte sie ihm, was sie hatte herausfinden können.

Vorsichtig führte er sie aus der Zelle und versicherte sich, dass sie wohlbehalten auf einer Bank an der Wand lehnte. Dann erst richtete er seine Aufmerksamkeit auf den Verräter. Er würde schon noch herausfinden, was seiner Liebsten entgangen war. In dieser Hinsicht ergänzten sie sich wunderbar. Wo ihre Kräfte aufhörten, fingen seine an.

Als Sems müde und irgendwie geschafft wirkende Augen auf seinen finsteren Blick trafen, wurde der König kreidebleich.

„Wir zwei verstehen uns bestens", brummte Eleasar zufrieden.

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