.:36:. Mondmal

„Wolltet ihr nicht bei deinem Vater bleiben?", erkundigte sich Raphael überrascht.


Wortlos schüttelte Eleasar seinen Kopf. Isla musterte ihn nachdenklich. Wie ihr Gemahl, so wirkte auch der Prinz merkwürdig müde und gestresst. Zwar hatte er immer noch eine beeindruckende Präsenz, die er vor allem in Gegenwart seiner Gemahlin ausstrahlte, aber seine Souveränität schien zu bröckeln. Im Gegensatz zu ihm wirkte Ria sehr sicher. Es schien, als hätten sie plötzlich die Rollen getauscht.

„Wir müssen Sem sprechen", verkündete die junge Schattenseele entschieden. Prompt fiel sie aus allen Wolken.

„Willst du das nicht lieber den anderen überlassen?" Ein Verhör fiel nun wirklich nicht in ihren Zuständigkeitsbereich.

Raphael musterte Ria mit verschlossener Miene. Isla konnte spüren, dass ihr Mann sich mental mit seinem möglichen Nachfolger unterhielt. Wahrscheinlich klopfte er gerade ab, was es mit dem Gesuch der beiden auf sich hatte. Immerhin war Sems Verhör Raphaels Aufgabe. Aber der hatte keine Zeit dazu, da er sich quasi pausenlos mit den aktuellen Problemen in den Grenzbereichen und möglichen Unruhen auseinandersetzen musste. Mit auf einmal ziemlich irritierter Miene ließ er sich von Eleasar das Nachfolgermal zeigen. Neugierig beugte auch sie sich vor und sog scharf die Luft ein. Aus dem wunderschönen Halbmondmuster war ein von Nebel umhüllter Vollmond geworden. Sie kannte einen Teil des Musters nur zu gut. Auch Raphael trug einen Vollmond. Allerdings war der seine nicht vom Nebel umgeben, sondern von Dornenranken.

„Es ist noch nicht ausgereift", murmelte ihr Mann leise und fuhr andächtig über das sich noch im Werden befindende Mal. Sie konnte deutlich spüren, wie eine tiefsitzende Anspannung von ihm abfiel. Ich muss seine Entwicklung beobachten. Rorys Mal verschwindet, Eleasars hingegen scheint sich zu festigen.

Überrascht trat sie an ihren Mann heran. Sie hatte nicht gemerkt, dass er sich wegen seiner Nachfolger sorgte. Aber es passte zu ihm. Er musste immer alles zu seiner Zufriedenheit regeln, da machte er wohl auch vor der Zukunft keine Ausnahme.

Andächtig nickte Raphael. „In Ordnung. Ihr dürft mit Sem reden - solange ihr mir eure Erkenntnisse mitteilt." Ernst sah er seinem Nachfolger in die Augen. „Ich kann nicht mehr dulden, dass du dich zurückziehst." Bedeutungsschwer sah er auf das Mal des Prinzen hinab. „Du wirst andere Aufgaben übernehmen müssen."

Eleasar verspannte sich, schien sich unter Rias Berührung - sie legte ihm mitfühlend eine Hand auf den Oberarm - dann jedoch so weit zu fassen, dass er mit ausdrucksloser Miene nickte. „Wir wollen Eilean vorerst bei meinen Eltern lassen", teilte er ihnen anschließend mit erstaunlich ruhiger Stimme mit. Aus Raphaels Erzählungen wusste sie, dass ihr Gemahl damals alles andere als begeistert oder annähernd so ruhig reagiert hatte, als man ihn als zukünftigen Kaiser identifiziert hatte. Soweit sie sich recht erinnerte

Seine Worte ließen sie überrascht aufhorchen. Die Kleine war nicht hier? Sie fragte sich, warum die beiden sich in einer solchen Zeit von ihrer kleinen Tochter trennten und sie aus dem Herzstück des Reichen fortbrachten. Wussten sie etwas, was Raphael und ihr nicht bekannt war? Es sah Eleasar nicht ähnlich, irgendwelche Geheimnisse vor ihnen zu haben, wenn es um Regierungsangelegenheiten ging. Andererseits schien Ria nun die Führung übernommen zu haben. Würde sie ihnen etwas Wichtiges verschweigen? Die verstörende Antwort war: Sie hatte keine Ahnung. Das Mädchen hatte viel durchgemacht und war dabei immer auf sich alleine gestellt gewesen. Sie konnte nur hoffen, dass sie in den letzten Jahren gelernt hatte, zu vertrauen. Nicht recht wissend, was sie von der Situation halten sollte, schüttelte sie leicht ihren Kopf. „Hier ist Eilean sicher. Dein Vater wird demnächst wahrscheinlich in kriegerische Auseinandersetzungen verstrickt sein." Sie konnte sich nicht vorstellen, dass die Kleine, die ihr wie eine Enkelin war bei König Marjan sicherer sein sollte als im Kaiserpalast.

Entschieden schüttelte Ria ihren Lockenkopf, sodass ihre Haare wild durch die Luft flogen. „Wir haben die Befürchtung, dass Sems Partner auftauchen könnten. Er hat nicht alleine gearbeitet." Die junge sah zu Eleasar auf und gemeinsam verabschiedeten sie sich vorerst von ihnen in der Absicht, sich sofort mit Sem auseinanderzusetzen.

Abwartend sah Isla zu ihrem Mann. „Was hältst du davon?"

Raphael zuckte nur unbestimmt mit den Schultern. „Eleasar hat mir gezeigt, was vorgefallen ist. Die beiden haben etwas gefunden, das wahrlich beunruhigend ist und wollen diese Spur nun verfolgen. Er hat vor allem Angst um seine Familie. Du kennst ihn und weißt ebenso gut wie ich, dass er nicht gut mit derartigen Gefühlen umgehen kann. Ria hingegen kann es, deshalb wirkt sie jetzt viel souveräner. Traurigerweise ist das in ihrer Vergangenheit begründet." Andächtig schloss er sie in seine Arme. Es war ein schönes Gefühl, endlich einmal wieder seine Nähe zu genießen. Das war ihr in den vergangenen Tagen leider nicht vergönnt gewesen. Daher war sie fest entschlossen, diesen Moment bis zur letzten Sekunde auszukosten und alles zu tun, damit er nicht so schnell endete. Als Raphael sprach, konnte sie seine Lippen an ihrer Schläfe spüren. „Die beiden gehen ihren Weg, sie werden das schon schaffen."

Ja, davon war sie überzeugt. „Dann lass uns jetzt unseren gehen, der uns ins Bett führt. Wir können beide eine Mütze Schlaf gebrauchen." Mit diesen Worten manövrierte sie ihn gezielt ins Schlafzimmer.

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