.:3:. Ein Sturm zieht auf

Ein Donnern jagte durch die Höhle, wie er es nur selten gehört hatte. Ihm war klar, dass es keine natürliche Ursache hatte, dafür war es zu elementar. Dieses hatte eine gänzlich andere Quelle. Eine, der er schon einmal begegnet war. Eine unheilvolle Vorahnung ergriff von ihm Besitz. Hoffentlich trugen seine Mühen Früchte.

*****

Nachdenklich starrte Eleasar in den heftigen Regen. Was für ein verregneter Sommer. Ob seine Frau wohlauf war? Automatisch wanderte sein Blick zu Eilean, die friedlich in seinem Bett schlummerte. Das Gewitter hatte sie vor wenigen Stunden geweckt und sie so verängstigt, dass sie zu ihm ins Bett gekrochen war. Ihre braunen Locken hatten sich auf abenteuerliche Weise um sie gelegt. Es wirkte, als wäre ihr über Nacht eine Mähne gewachsen.

Mit einem Seufzen wandte er sich vom draußen tobenden Sturm ab und deckte seine Kleine liebevoll zu. Sie hatte die Angewohnheit ihrer Mutter, sich nachts frei zu strampeln adaptiert. Manchmal fragte er sich, was sie, abgesehen von ihrem Aussehen, wohl von ihm geerbt hatte. In puncto Temperament eiferte sie Ria erfolgreich nach. Sanft strich er ihre Haare zurück und betrachtete ihre Seele. So langsam zeigten sich die ersten Erscheinungen, ihres Wesens. Ihr Geist bekam leichte risse. Wenn er den Informationen trauen konnte, die seine Frau gesammelt hatte, musste Eilean sich binden, sobald ihr Geist ihre Seele nicht länger ausreichend schützte. Wann das sein würde, konnte niemand vorhersagen. Ria hatte schon in jungen Jahren ihren Geistvertrag geschlossen, ihre Schwester erst mit zwanzig. Insgeheim hegte er die Hoffnung, dass sein kleiner Engel erst dann einen Vertrag würde schließen müssen, wenn sie ihre Drachenobsession hinter sich gelassen hatte. Während er sie beim Schlafen beobachtete, fragte er sich, wie es die Eltern anderer Schattenseelen bloß aushielten. Im Gegensatz zu der Mehrheit aller Wesen verfügte er über die Fähigkeit, den Geist und die Seele anderer zu sehen. Wie bemerkte man, dass es an der Zeit war, sich einen Geistgefährten zu suchen? Dummerweise hatte Ria ebenso wenig Ahnung davon wie er.

Krachend flog plötzlich die Haustür auf. Eilean zuckte im Schlaf zusammen, wachte jedoch nicht auf. Mit einem erstaunten Lächeln auf den Lippen verließ er das Schlafzimmer und ging dem Ankömmling entgegen. In der Eingangshalle stand eine von oben bis unten durchnässte Person. „Ich hatte nicht gedacht, dass du dich bei diesem Wetter auf Reisen befindest."

Das klitschnasse Stoffbündel schüttelte sich, dann klappte die Person die Kapuze ihres langen Mantels zurück und funkelte ihn aus orangefarbenen Augen böse an. „Dieses Dreckswetter hat mich überrascht." Mit geschickten Bewegungen zog sie ihren nassen Mantel aus, der mit einem lauten Klatschen zu Boden fiel. Dann sah sie sich verstohlen um und entledigte sich kurzerhand ihrer restlichen nassen Kleidung.

Kopfschüttelnd verschränkte er die Arme vor der Brust. „Was sollen denn bitte die Angestellten nachher denken?"

Schulterzuckend setzte seine Frau sich in Bewegung und stieg die Treppe zu ihm hinauf. Vor ihm angekommen, schlang sie ihre Arme um ihn. „Ist ja keiner da."

Er gab seine abwehrende Haltung auf und schloss sie erleichtert in seine Arme. „Ein Glück, dass dir nichts passiert ist."

Unerwartet heftig klammerte sie sich an ihn. „Es tut mir so leid, dass es länger gedauert hat."

Überrascht strich er ihr über den nassen Rücken. Er war so unendlich erleichtert, sie wohlbehalten wieder in seinen Armen zu haben. Jedes Mal quälte ihn die Angst, sie könne verletzt werden oder gar sterben. „Ich dachte, du bist gerne unterwegs."

Er geriet noch weiter ins Staunen, als sie vehement ihren Kopf schüttelte. „Nicht mehr. Zu Anfang hat es Spaß gemacht und war befreiend, aber jetzt will ich nicht mehr. Ich sehe Eilean gar nicht aufwachsen und dich auch nur noch selten. Würde Ragna nicht darauf bestehen..."

„Bestehen?" Er hörte zum ersten Mal davon, dass der Schattendrache der Initiator der Ausflüge war. Es missfiel ihm, dass sie Geheimnisse vor ihm hatte. Warum fing sie plötzlich damit an? „Gibt es sonst noch Dinge, die du mir nicht erzählt hast?"

Unter seinem scharfen Ton zuckte sie zusammen. Damit hatte sie nicht gerechnet. Automatisch verschloss sie sich vor ihm und löste sich aus seiner Umarmung. „Ich hätte dich darüber informiert, hättest du mich ausreden lassen", fauchte sie verletzt und verschwand in einem der Badezimmer.

Resigniert schloss er die Augen. Wenn sie so drauf war, konnte es heiter werden. Solange sie ihre schlechte Laune von der Kleinen fernhielt, konnte er sich damit abfinden. Da ihre Tochter friedlich schlief und seine Frau wütend unter der Dusche stand, beschloss er nach unten zu gehen, um den Tisch zu decken. Währenddessen kehrten seine Gedanken zu der merkwürdigen Tatsache zurück, dass Ria gar nicht auf Reisen gehen wollte, sondern ihrem Gefährten einen Gefallen tat. Seit wann benötigte der Schattendrache ihre Hilfe? War es nicht immer andersrum gewesen?

Wütend schlug Ria auf die Duschwand vor sich ein. Dieser blöde Elea! Konnte er ihr nicht einfach sagen wie froh er war, sie wiederzusehen? Nein, stattdessen musste er ihr gleich Vorwürfe machen. Idiot! Was war denn so schlimm daran, Ragna zu helfen? Er machte sich doch nicht unbegründet solche Sorgen, dass er sie bat, gewissen Dingen nachzugehen! Sie hatte ja nicht erwartet, dass ihr Mann viel Verständnis dafür aufbringen würde, aber dass er sie so anfuhr, nur weil sie vergessen hatte, ihn darüber in Kenntnis zu setzen, dass ihr Drache sie um die letzten Reisen gebeten hatte, damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. Er wurde doch jetzt nicht etwa eifersüchtig auf Ragna? Das war unwahrscheinlich, bedachte sie, dass er damals dafür gewesen war, ihren Vertrag mit Ragnarök zu erneuern, als sie ihn kurzzeitig aufgelöst hatten. Seufzend stellte sie das Wasser ab. Das Rätsel Eleasar würde sie wohl später lösen müssen. Zuerst einmal galt es, die kryptischen Andeutungen Varlets und die merkwürdigen Ereignisse, denen Ragna unbedingt auf den Grund hatte gehen wollen, in Zusammenhang zu bringen. Und dazu noch die Ereignisse, die sie im Auftrag des Kaisers hatte untersuchen sollen. So langsam war es an der Zeit, ihren Mann einzuweihen. Vielleicht sah Elea Muster und Zusammenhänge, wo sie keine fand. Allerdings setzte das ein Gespräch voraus und in dieser Hinsicht wollte sie ihre Hand nicht für ihn ins Feuer legen, dass es überhaupt dazu kommen würde. Sie fühlte, dass er noch immer sauer auf sie war. Besser, sie ließ ihn eine Weile in Ruhe. Die Erinnerung an ihr missglücktes Wiedersehen versetzte ihr einen Stich ins Herz. Die traurige Erkenntnis war, dass sie verdient hatte, von ihm gemieden zu werden. Vieles hatte sie vor ihm verborgen gehalten. Nicht absichtlich, aber dennoch.

Beim Betreten des Schlafzimmers fiel ihr das schlafende Kind auf dem Bett auf. Augenblicklich wurde ihr warm ums Herz. Eilean schlief tief und friedlich, begraben unter einem Berg Decken. Sie musste schmunzeln, als ihr Eleas Angewohnheit einfiel, sie beide gleich unter mehreren Lagen Decke zu begraben, sobald er wach war. Als hätte er Angst, sie könnten im Schlaf erfrieren. Ihr kleiner Engel gähnte im Schlaf. Einem Impuls folgend schlug sie die Decken zurück und kuschelte sich an ihre Tochter. Neben Elea war sie ihr Ein und Alles.

Als Ria nach einer Stunde ihr Schlafzimmer noch immer nicht verlassen hatte, entschied Eleasar nachzusehen. Sie begann doch nicht etwa, sich kindisch zu verhalten und einen auf eingeschnappt zu machen? Dann wusste er wirklich nicht mehr, was er mit ihr anfangen sollte. Verwundert blieb er im Türrahmen stehen und betrachtete er seine beiden Frauen. Eilean hatte sich in die Arme ihrer Mutter gekuschelt und klammerte sich an ihren Pullover. Ria hatte sich so um sie geschlungen, dass es unmöglich war, die Kleine unbemerkt aus ihren Armen zu befreien. Es war ein Bild, wie er es schon lange nicht mehr gesehen hatte. Rias Bedauern, als sie ihm zuvor im Flur eröffnet hatte, ihre Tochter gar nicht mehr zu sehen, war echt gewesen. Warum nur war sie dann fort gegangen? Was gab es so Wichtiges, das sie diesen Kummer in Kauf nahm? Er war schwer versucht, ihre Erinnerungen zu durchforschen. Leider hatte er ihr versprochen, das nicht ohne ihr Einverständnis zu tun. Ihm blieb wohl nichts anderes übrig, als sie zur Rede zu stellen.

Eingepackt in einen Haufen Decken kam Ria wieder zu sich. Sie konnte sich ein Grinsen nicht ganz verkneifen. Eleasar war hier gewesen, das war offensichtlich. In ihren Armen bewegte sich etwas. Es war Eilean. Schlief die Kleine außergewöhnlich lange oder hatte sie weniger lange geschlafen als sie dachte?

„Guten Abend", ertönte es von der Seite.

Erschrocken fuhr sie herum. Eleasar saß am Fußende des Bettes und musterte sie belustigt. „Erschreck mich nicht."

Leise lächelnd klappte er sein Buch zu. „Wieso hast du dich auf deiner Reise nicht ausgeruht? Du hast eineinhalb Tage geschlafen." Er deutete auf Eilean, die friedlich in den Armen ihrer Mutter schlummerte. „Sie hat sich geweigert, von deiner Seite zu weichen."

Liebevoll drückte sie ihre Tochter an sich. Es erfüllte sie mit überquellendem Glück, sie so wohlbehalten in ihren Armen halten zu können. Zärtlich strich sie ihr durch ihre braunen Locken. „Ich habe sie auch sehr vermisst", flüsterte sie mit belegter Stimme. „Und dich auch", fügte sie schwach hinzu, wobei sie es mied, ihn anzusehen. Sie konnte schlecht einschätzen, ob er noch sauer auf sie war oder nicht. Vermutlich schon, denn er hatte seine Antworten noch nicht bekommen.

Die Matratze bewegte sich, als er aufstand. „Ich bring die Kleine in ihr Bett. Zieh dich an, wir treffen uns unten." Er sprach sachlich, war offenkundig darum bemüht, sie nicht anzufahren.

Mit einer gehörigen Portion schlechten Gewissens nickte sie und half ihm, Eilean hochzuheben. Seit fünf Jahren hatten sie sie nun schon bei sich und noch immer empfanden beide es als großes Wunder, sie zu haben. Im Schlaf klammerte sie sich an Rias Kleidung. Es war schwer, ihre kleine Hand zu lösen. Erstaunlich, wie viel Kraft schon in so kleinen Fingern steckte. Kaum war Eleasar zur Tür hinaus, entfuhr ihr ein schweres Seufzen. Ihr Mann war definitiv sauer. Kleinlaut und zugleich traurig-enttäuscht machte sie sich daran, seiner Aufforderung nachzukommen. War er denn gar nicht froh, sie zu sehen? Ja, sie schuldete ihm eine Antwort - oder vielleicht auch zwei, drei -, aber das rechtfertigte sein Verhalten noch lange nicht.



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