.:28:. Eleas Dilemma
In Rias Wohnung angekommen, legte Eleasar seine Frau aufs Bett und deckte sie behutsam zu. Dieser Vorfall hatte viele tief vergrabene Erinnerungen wieder nach oben befördert. Wortlos lag er neben ihr und beobachtete, wie sie unruhig die Augen zusammenkniff und hin und wieder zusammenzuckte.
Rauch bildete sich vor seinem inneren Auge. Es war einer der seltenen Momente, in denen Ragnarök direkt mit ihm in Verbindung trat. Ihr Ziehvater kann dir mehr erzählen als sie. Wenn du herausfinden willst, was Blake mit ihr angestellt hat, solltest du die Jäger aufsuchen.
Jäger. Unwillig verzog er die Mundwinkel. Jäger waren nur zur Hälfte Schattenseelen. Da sie unfähig waren, Emotionen direkt aus den sie umgebenden Wesen aufzunehmen, mussten sie Blut trinken. Was sollte mir das bringen?
Der Drache schnaubte. Dadurch traten Nebelschwaden in sein Sichtfeld, die sich recht schnell wieder verflüchtigten. Kemal kann dir Bilder dessen zeigen, was Ria angestellt hat. Vielleicht verstehst du dann besser, weshalb sie mit diesem Kapitel ihres Lebens nichts mehr zu tun haben will.
Sie hat damit abgeschlossen. Es stimmte. Ria hatte zwar nicht alles verarbeitet, aber solange nichts Bahnbrechendes geschah, waren all die Erinnerungen komprimiert in einem Winkel ihres Selbst eingeschlossen.
Aber du nicht.
Damit hatte der Schattendrache recht. Für ihn war es noch immer ein Rätsel, was genau geschehen war. Er hatte zwar schon einiges mitbekommen und auch Bilder ihrer damaligen Auftragsmorde gesehen, doch den genauen Umfang dessen kannte er nicht. Ich kann den Verantwortlichen nicht mehr zur Rechenschaft ziehen.
Bedauern wehte ihm entgegen. Ria würde das auch nicht zulassen. Wenn sie nicht schleunigst ihren eigenen Gedanken entkommt, wird der verräterische König bald nicht mehr unter euch weilen. Am Stück wird er dann vermutlich auch nicht mehr sein.
Die düstere Prophezeiung des Geistes brachte ihn zum Nachdenken. Vermutlich war es besser, sich ein genaues Bild zu machen. Um jetzt nicht weiter darüber nachdenken zu müssen, wechselte er das Thema. Wie seid ihr hergekommen? Und warum?
Ragnarök seufzte leise. Suzi hat Ria eine Nachricht geschickt. Sie hatte Angst, dass Aleix bei diesem Duell sterben könnte. Immerhin ist er noch nicht ganz genesen.
Suzi also. Natürlich hatte Ria es nicht lassen können, ihrer Schwester zur Hilfe zu eilen. Ich bezweifle, dass Isla euch geschickt hat.
Bestätigend prustete der Drache los. Nein. Ria hat Eilean bei der Cait Sith und der Kaiserin gelassen.
Cait Sith? Er hörte zum ersten Mal etwas davon. Wie kommt ein Göttergeist ohne mein Wissen in mein Haus?
Ich bin auch eines. Die Stimme des Geistes kam einem eingeschnappten Fauchen gleich. Die Katze, die Ria angeschleppt hat. Ceres und Lin verstehen sich gut. Jedenfalls ist ihr eingefallen, dass ich dich damals benachrichtigen konnte, als sie im Krankenhaus lag.
Das stimmte. Es hatte ihn gewundert, auf einmal den Drachen in seinem Wohnzimmer sitzen zu sehen. Ich nehme an, sie hat herausgefunden, dass die Geisterebene die Verbindung zwischen den Welten darstellt.
Ragnarök brummte zustimmend. Ich habe noch nicht auf alle Fragen eine Antwort gefunden, aber es sieht so aus, als wären die Portale nicht zufällig zusammengebrochen. Jedenfalls, beendete er seine Ausschweifungen und kehrte zum eigentlichen Thema zurück, haben wir es nach einigem Hin und Her geschafft. Es hat uns beiden eine Menge Energie gekostet.
Das war nur verständlich, wenn man bedachte, wie jung und unerfahren die beiden noch waren. Mit der Zeit wird es leichter.
Belustigung huschte durch ihre temporäre Verbindung. Damit hast du mir gesagt, dass Ria regelmäßig her reisen und den Rest ihrer Familie besuchen kann.
Eleasar seufzte schwer. Das hättet ihr euch auch denken können.
Du scheinst viel mehr zu wissen als du Ria glauben lässt.
Angespannt betrachtete er seine schlafende Frau. Es ist besser, wenn sie gewisse Dinge nicht weiß.
Deine intensive Arbeit in letzter Zeit... Ria denkt zwar, dass es wie üblich nur Verwaltungsangelegenheiten sind, aber...
Sind es nicht. Und ich wäre dir sehr verbunden, wenn du es ihr nicht gleich auf die Nase bindest. Sanft fuhr er seiner Frau durchs Haar. Er musste sie beschützen. Es gab Dinge, die ihr keine Ruhe lassen würden, wenn sie davon erführe.
Wenn sie dahinter kommt, wird sie nachtragend, warnte der Drache ihn.
Unwillkürlich musste er lächeln. Wenn du schweigst, sitzen wir im selben Boot.
Grummelnd beendete der Schattendrache ihr Gespräch.
Eleasar wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, doch als es an der Haustür klopfte, schauten bereits die ersten Sonnenstrahlen durchs Fenster hinein. Ria schlief noch immer unruhig in seinen Armen. Mit der Gewissheit, dass der Schattendrache über sie wachte, erhob er sich und ging zur Tür. Wenig begeistert blickte er in die Gesichter von Rias Ziehvater und ihrem ehemaligen Stellvertreter. „Ria ist nicht zu sprechen."
„Warten Sie." Der Mann mit der dunkleren Haut, Ria hatte ihn Paps genannt, legte seine Hand auf die Tür. „Wir würden gerne mit Ihnen reden. Aleix meinte, wir könnten Ihnen helfen."
Er bezweifelte, dass das tatsächlich der Fall war. „Und inwiefern?" Er hatte keine große Lust, sich mit Jägern abzugeben.
„Blake", entgegnete der andere Mann ernst. „Ich bin mir sicher, Ria hat nicht über ihn gesprochen."
Hätte Ragnarök nicht angedeutet, dass es wichtig wäre, um Rias kommende Reaktionen besser zu verstehen, hätte er sie nach Hause geschickt. So ließ er sie missmutig ein. „Getränke müssen Sie sich selbst organisieren." Die menschlichen Küchen waren ihm noch immer suspekt. Davon abgesehen war er nicht der Diener dieser Leute. Nachdem er ein letztes Mal nach seiner Frau gesehen hatte, gesellte er sich zu den beiden Jägern.
„Wir sind uns nur flüchtig vorgestellt worden", begann der hellhäutige Jäger. Ria hatte ihn Andreas genannt. „Mein Name ist Andreas und das hier", er wies mit der Hand auf den anderen Mann, „ist Kemal. Gemeinsam sind wir Suzis Stellvertreter. Kemal ist auch Rias Ziehvater."
Letzteres wusste er bereits. „Und was wollen Sie?"
Die beiden Jäger wechselten einen wenig begeisterten Blick. Schließlich räusperte sich Kemal. „Ehm, wir wüssten gerne, mit wem wir es zu tun haben."
Dir Haustür fiel erneut ins Schloss. Eleasar schloss kurz die Augen. Das hatte ihm noch gefehlt. Natürlich hatte er einen Schlüssel zur Wohnung. Kurz darauf erschien Aleix im Türrahmen. „Das, meine Herren, ist Rias Mann Eleasar. Ihr solltet nicht so dumm sein, euch mit ihm anzulegen."
Auf den Gesichtern der Jäger spiegelte sich kurzzeitig Furcht. „Sind sie ein Mafiaboss?"
Fragend sah der Prinz zu Aleix. Die männliche Schattenseele schüttelte leicht den Kopf. „Ich muss wohl weiter ausholen. Geborene Jäger sind für euch ein Begriff?" Auf das Nicken der beiden hin fuhr er fort. „Ihr kennt auch die Legende über die Mystische Welt?"
„Das ist ein altes Märchen", warf Kemal verärgert ein. „Du verschwendest unsere Zeit."
Unbeirrt deutete er auf den Wohnzimmertisch. „Das ist ein Portal. Die kleinen Anhänger, die Ria euch zum Überbringen der Nachrichten hinterlassen hat, sind Schlüssel, um Botschaften zu versenden. Wir geborene Jäger stammen aus dieser Welt."
Jetzt schüttelte Kemal ungläubig seinen Kopf. „Ria ist nicht geboren. Blake hat sie erschaffen, um sie an sich zu binden."
An dieser Stelle schnaubte Eleasar verächtlich. „Sie ist reinblütig." Seine Frau geschaffen... noch unglaublicher ging es wohl nicht.
Irritiert sah Andreas ihn an. „Und das wissen Sie woher?"
Aleix seufzte schwer. „Weil Ria ebenso wie ich über Fähigkeiten verfügt, die ihr nicht habt." Mit müden Bewegungen entledigte er sich seines Mantels und legt ihn sich über den Arm. „Was glaubt ihr, woher Suzi kommt? Kemal, du warst jahrelang mit Liam befreundet, aber du weißt auch, dass er und Mei häufiger für längere Zeit verschwanden."
Da Kemal ihm nicht widersprechen konnte, senkte er seinen Blick. „Diese mystische Welt gibt es dennoch nicht."
Aleix setzte an, um ihm zu widersprechen, doch Eleasar schnitt ihm das Wort ab. „Schon gut. Nicht jeder verfügt über die nötige Offenheit, diese Option für möglich zu erachten."
„Und wie soll man denen beibringen, dass du einer der künftigen Herrscher bist?"
Gleichgültig zuckte er mit den Schultern. „Was interessiert es sie? Wenn meine Frau wieder wach ist, verschwinden wir. Es gibt keinen Grund für Ria, jemals wieder in diese Welt zu kommen." Herausfordernd begegnete er Aleixs Blick. Dieser schwieg eisern. Wer jedoch reagierte, war Kemal. Er sprang auf und funkelte Eleasar böse an.
„Sie können uns Ria nicht wegnehmen! Sie gehört zu uns."
„Setzen." Ragnarök hatte sich im Raum materialisiert. Drohend stand der Schattendrache im Türrahmen. Eleasar spürte, wie Ria Energie entzogen wurde. Er warf dem Drachen einen mahnenden Blick zu, der ihn entschuldigend ansah. Anscheinend hatte er was klarzustellen. Damit Ria nicht noch mehr Belastungen zu tragen hatte, sandte er ihr einen Teil seiner Energie.
Verdattert starrten die beiden Jäger das Geschöpf an. Ragnarök funkelte Rias Ziehvater aus seinen roten Augen böse an. „Blake hat Ria nur mit den nötigsten Informationen versorgt. Es war Aleix, der ihr das meiste über ihre Art beigebracht hat. Das einzige, was er für meine Süße getan hat, war sie für die Auftragsmorde zu entlohnen. Die einzigen, die Ria wirklich schützen sind Aleix und Eleasar."
Aleix räusperte sich leise. „Nicht mehr. Meine Aufgabe war erledigt, als sie sich für den Prinzen entschieden hat."
Kemal löste seinen erschrockenen Blick von Ragnarök und starrte dann Aleix an, bevor sein Blick zu Eleasar wanderte. Der massige Drachenkörper löste sich in rauchige Schwaden auf und verschwand schließlich ganz. „Okay, angenommen das stimmt. Dieses Geschöpf behauptet, ihr beide wärt aus einer anderen Welt. Suzi auch. Und Ria lebt jetzt da?"
Verstimmt stand Eleasar auf. Das war unnötig. „Das hat nichts mit Rias Vergangenheit hier zu tun."
„Bitte, Eleasar. Setz dich. Kemal hat die Akten dabei." Aleix deutete auf den Sessel, aus dem er gerade aufgestanden war. Anschließend wandte er sich an den Jäger. „Eleasar ist Rias Mann. Akzeptiere das und jetzt rück die Akten raus. Denk daran, dass dein eigenes Leben auf dem Spiel steht."
Augenblicklich wurde der Jäger bleich. „Entschuldige." Hastig kramte er etwas aus der von ihm mitgebrachten Tasche hervor. Es waren Akten. „Alles, was wir über Ria haben."
Er erinnerte sich daran, dass Ria ihm erzählt hatte, ihren Ziehvater beinahe umgebracht zu haben. Es war gut, dass diese Männer Respekt vor seiner Frau hatten. Wortlos nahm er die Umschläge an sich. Darin lagen eine Menge Fotos. Mit gerunzelter Stirn betrachtete er sie der Reihe nach. Ein Mann, der quicklebendig aussah, abgesehen davon, dass seine Augen leer wirkten. Das nächste war ein Mann auf einer albern wirkenden Sitzgelegenheit. Er hatte keinen blassen Schimmer, was das sein sollte. Ein Bild weiter eine Gruppe übel zugerichteter Jugendlicher. Auf dem folgenden war ein Mann abgelichtet, der fast gänzlich eingeschnürt war und von dem nur wenige Stücke Haut aus dem blauen Seil hervor lugten. Das, was noch von der Person zu sehen war, war entweder blau oder rot. Hinzu kam, dass er in einer geradezu unmöglich anmutenden Position in der Luft hing. In ihm wurde etwas eiskalt. Das sollte seine Frau gewesen sein? Emotionslos besah er sich die anderen Bilder. Bei einem der letzten blieb er hängen. Es war ein makabres Familienbild.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top