.:27:. Verrückt machende Kerle

Starke Arme hielten sie fest umschlossen, jemand strich ihr über die Stirn und über ihr Haar. Ihr Knöchel pochte schmerzhaft. Plötzlich intensivierte sich der Schmerz und sie zuckte wimmernd zusammen.

„Sch, alles wird gut." Die tiefe Stimme kam ihr bekannt vor. „Alles ist in Ordnung, mein Schatz."

Langsam sickerte die Erkenntnis in ihr vernebeltes Bewusstsein. Diese Stimme, das war ihr Mann. Sie bemühte sich, ihre Augen zu öffnen. Langsam, ganz langsam drang ein wenig Licht an ihre Augen. Es blendete sie überraschenderweise nicht. Warum? Irritiert blinzelte sie.

Eine Hand legte sich über ihre Augen. „Nicht."

Warum durfte sie nicht aufsehen? Die Benommenheit war nun fast vollständig aus ihren Gliedern verschwunden. „Wieso?" Ihre Stimme klang wie ein Krächzen. Sie musste dringend etwas trinken.

Sie hörte ihren Mann tief durchatmen. „Es ist besser, wenn du uns erst deinen Fuß verbinden lässt." Behutsam veränderte er ihre Position. „Kemal ist hier und wird jetzt deinen Fuß verbinden. Du musst noch ein wenig länger mutig sein." Fürsorglich streichelte er ihre Wange. „Ich bin so stolz auf dich", flüsterte er ihr sanft ins Ohr. Es stimmte. Er war stolz darauf, wie tapfer sie diese schreckliche Situation überstanden hatte.

Während Kemal ihren geschundenen Knöchel reinigte und verband, zuckte Suzi mehrfach wimmernd zusammen. Mit jedem Wimmern wuchs in Aleix der Wunsch ihrem Peiniger noch viel schlimmere Qualen erleiden zu lassen.

Eine Hand legte sich sanft auf seine Schulter. „Halte ihr zuliebe deinen Zorn im Zaum", flüsterte Ria ihm ins Ohr.

Verständnislos sah er sie an. An ihren zusammengenkiffen Lippen war zu erkennen, dass sie selbst vor Wut schäumte. Hinter ihr, sie nicht aus den Augen lassend, stand Eleasar. Er wirkte ebenfalls nicht sonderlich begeistert. Langsam senkte er den Blick und starrte seine Frau an. Suzi war unglaublich bleich.

„Fertig", verkündete Kemal. Im selben Augenblick nahm Ria ihre Hand von seiner Schulter. Kurz darauf öffnete Suzi ihre Augen. Schmerz und Erleichterung spiegelten sich darin wieder - und Liebe.

Ria trat einen Schritt zurück und sofort spürte sie Eleasars Wärme in ihrem Rücken. Ihr Mann war da. Sicher in seinen Armen geborgen sah sie ihrer Schwester dabei zu, wie sie sich von Aleix aufhelfen ließ. Dieser Mistkerl von König hatte ihr ganz schön zugesetzt. Hätte Eleasar sie nicht daran erinnert, dass Suzi verletzt war und Sem lebendig gebraucht wurde... Zorn wallte in ihr auf und sie musste ihre Hand zur Faust ballen, um nicht auf irgendetwas - vorzugsweise Sem - einzuschlagen. Ein Glück für den Irren, dass er nicht mehr hier war. Sanft fuhr ihr Mann ihr mit dem Daumen über den Rücken. Eine stumme Erinnerung daran, dass sie sich zusammenreißen musste. Mit mahlendem Kiefer beobachtete sie, wie Kemal und Aleix ihre Schwester in ihre Mitte nahmen und sie zum Auto führten. Sie humpelte stark. Warum riefen sie denn keinen Krankenwagen? Der Wagen und der tote Lakai Sems waren doch Erklärung genug. Man konnte einfach eine Entführung angeben. Nun, im Grunde genommen war es das schließlich auch gewesen. Den aus Sicht der Menschen übernatürlichen Teil der Geschichte konnte man problemlos auslassen.

„Ria?"

Nur zögerlich konnte sie sich von dem Anblick ihrer verletzten Schwester lösen. Beinahe wären sie zu spät gekommen. Und das, wo sie sie doch vor allem hatte beschützen wollen. So leid es ihr auch tat, das sagen zu müssen, im Kampf war ihre einzige noch lebende Blutsverwandte einfach nutzlos. Aus ebendiesem Grund war es für sie so wichtig, dass Eilean das Kämpfen schon von klein auf lernte. Als Prinzessin - ihr grauste noch immer bei dieser Bezeichnung - stand ihre Kleine nun einmal im Fokus der Öffentlichkeit.

Andreas stand neben ihnen und musterte sie besorgt. „Mit dir alles okay?"

Sie spürte, wie Eleasar sich anspannte und legte ihm beschwichtigend eine Hand auf die Brust. Er macht sich nur Sorgen. Dann wandte sie sich dem Jäger zu und lächelte ihn freundlich an. „Mir geht es bestens. Ich mache mir nur Sorgen um Suzi." Ihre Schwester saß mittlerweile im Wagen. Oder besser formuliert: sie lehnte fix und fertig einem nassen Sack gleich in einem der Rücksitze. Aleix kniete vor ihr und redete auf sie ein. Was auch immer er sagte, sie wirkte nicht sonderlich begeistert.

„Ehm", verlegen kratzte sich der Jäger am Kopf. „Ich... ich meine wir würden gerne wissen, ob du bleibst. Suzi ist noch recht fertig und Aleix hat genug um die Ohren. Wir könnten eine strenge Hand gebrauchen."

„Sie bleibt nicht", antwortete Eleasar scharf. Demonstrativ zog er seine Frau enger an sich.

Hinter geschlossenen Lidern verdrehte Ria ihre Augen. Ihr Mann knuffte ihr leicht in die Seite. Er wusste also, was sie gedacht hatte. Oder er kannte sie einfach zu gut. Vermutlich letzteres. Manchmal bist du ein Blödmann, fauchte sie ihm mental entgegen.

Ich teile dich nicht. Seine Antwort hatte einen äußerst endgültigen Zug an sich.

Erneut verdrehte sie ihre Augen. Ich habe nicht vor, mich auf einen anderen Kerl einzulassen. Du bist so anstrengend, wie eine ganze Horde Männer.

Eine Horde? Wieder war sein Tonfall scharf, doch hatte sich nun eine amüsierte Note eingeschlichen. Ich wüsste gerne, wann du diese Erfahrung gemacht hast.

Sie seufzte schwer. Männer.

„Das ist wirklich schade." Aufrichtiges Bedauern zeigte sich auf Andreas' Gesicht. „Wie lange bleibst du denn?"

Wieder war es Eleasar, der antwortete. „Wir reisen gleich ab."

Genervt stieß sie ihm ihren Ellenbogen in die Rippen. „Mein Mann möchte gleich abreisen, ich für meinen Teil weiß es noch nicht genau."

Mahnend drückte er sie. Du wirst dich nicht länger hier aufhalten als unbedingt nötig.

Ich muss wissen, dass es Suzi gut geht.

Sie lebt, lautete die überaus schroffe Antwort.

Fassungslos drehte sie sich aus seinen Armen. Du weißt ganz genau, dass mir das nicht ausreicht.

Und du weißt genau, dass du nicht hier sein darfst, entgegnete er kalt.

Wütend funkelte Ria ihren Mann an. Und du genauso wenig.

Ich brauche meine Maßnahmen während eines Auftrags nicht zu rechtfertigen.

Sie schnaubte verächtlich. „Du bist ein verdammter Idiot, Elea! Wir haben uns Sorgen um dich gemacht! Du hast dich tagelang nicht gemeldet und dann war deine Anwesenheit einfach weg. Kannst du dir vorstellen, was ich durchmachen musste?! Und du sagst, du musst dich nicht rechtfertigen?" Tränen brannten ihr in den Augenwinkeln, so zornig war sie. Dieser Blödmann! Konnte es denn noch unsensibler gehen? Nach sieben Jahren Ehe sollte er doch eigentlich wissen, dass sie austickte, wenn sie nicht wusste, wie es ihm ging. Sie nahm sich fest vor, sich bei Gelegenheit zu revanchieren.

Eine leichte Falte bildete sich zwischen seinen Augenbrauen. Das war ein untrügliches Zeichen dafür, dass er sauer war. Richtig sauer. Für diese Feststellung musste sie seine Emotionen nicht einmal durch ihr Band spüren. Ansonsten blieb seine Miene allerdings völlig ausdruckslos. „Das hat hier nichts zu suchen."

Fassungslos öffnete sie ihren Mund und schloss ihn sogleich wieder. Das hatte er gerade nicht wirklich gesagt.

Neben ihr ertönte ein Räuspern. Kemal stand neben Andreas. Beide musterten sie besorgt. „Alles okay?"

Jetzt fehlten ihr erst recht die Worte. Waren alle Männer so abgrundtief dämlich? In diesem Fall waren wohl alle Wesen dem Untergang geweiht. Vielleicht sollte sie Raphael überreden, demnächst weibliche Anwärter zuzulassen. Wenn alle einflussreichen Männer so waren wie ihrer, dann fragte sie sich, wie die Welt bis zum heutigen Tag hatte überleben können. Kein Wunder, dass momentan alles drunter und drüber ging. Vielleicht hatte sich ja irgendwo eine Gruppe verschmähter Ehefrauen oder Geliebte zusammengeschlossen mit dem Ziel, die dem Untergang geweihte Herrschaft der Männer aus dem Weg zu räumen. Sie sollte sie ausfindig machen und ihnen beitreten. Das Patriarchat hatte sie schon immer für überholt empfunden.

Eleasar hob abschätzig eine Augenbraue. „Das glaubst du doch nicht ernsthaft."

Er hatte also ihre Gedanken gelesen. Wenn sie wütend wurde, gelangte er spielend leicht in ihre Gedanken. Verfluchter Mistkerl.

Seine andere Augenbraue wanderte ebenfalls nach oben. „Ich fühle mich immer wieder geschmeichelt."

„Ria. Komm her." Kemal streckte ihr eine Hand hin. „Du brauchst Ruhe."

„Stimmt", fauchte sie und warf ihrem Mann einen bitterbösen Blick zu. „Ruhe habe ich bitter nötig." Mental nahm sie Kontakt zu Ragnarök auf und bat ihn, sie von ihrem Mann abzuschirmen. Mit größtem Vergnügen kam er ihrer Bitte nach. Es tat gut, jemanden zu haben, der einem gegen den hirnverbrannten Ehemann beistand. Fast so wie eine allerbeste Freundin. Nur dass Ragna dem sich selbst maßlos überschätzenden Geschlecht angehörte und ihre beste Freundin Adele sich in Wahrheit eher auf die Seite ihres Mannes gestellt hätte. Schließlich war er der hart arbeitende Part in der Beziehung. Haha. Eleasar hatte nur ein paar günstige Investitionen getätigt und ließ diese nun für sich arbeiten. Das einzige was er tat, war das Verwalten seines Vermögens. Von wegen harter Arbeit.

Das Gesicht ihres Mannes wurde nun gänzlich ausdruckslos. Das war ein ganz schlechtes Zeichen. Dennoch hatte sie es darauf angelegt. Schließlich war sie wütend. Stocksauer. Davon abgesehen war sie fertig mit ihm- für heute.

„Nein Paps. Ich glaube, ich möchte heute einmal die alten Zeiten wiederaufleben lassen." Sie schenkte Kemal ein strahlendes falsches Lächeln. Sie hatte nicht die geringste Lust, in alten Erinnerungen zu schwelgen. Suzi in Sems Gewalt zu finden, hatte genug unwillkommene Erinnerungen in ihr geweckt. Blake war ähnlich gewesen. Blake. Alles in ihr verkrampfte sich. Dass Suzi fast ähnliches widerfahren war, machte sie ganz krank.

Sie hörte Ragnas bedrohliches Knurren in ihrem Kopf und reagierte prompt. Reflexartig griff sie hinter sich und machte eine Rückwärtsdrehung. Leider war sie einen Moment zu spät. Eine ungeheure Kraft riss sie nach hinten an eine harte Brust - Eleasars Brust. Sie hasste es, wenn er die Kraftkarte ausspielte. Ragna, knurrte sie. Mehr brauchte sie nicht zu sagen, der Schattendrache verstand auch so. Kurz darauf spürte sie, wie neue Kraft sie durchströmte. Der Blödmann sollte bloß nicht denken, dass er schon gewonnen hatte. Im Gegensatz zu ihm wusste sie, wie Ragnas Fähigkeiten in der Menschenwelt funktionierten. Der sollte noch sein blaues Wunder erleben.

Ein erbarmungsloses Gerangel entbrannte. Ria darauf bedacht, ihm etwas auszuwischen, Eleasar hingegen darauf, sie bewegungsunfähig zu machen. Nach einigen Minuten hatte er genug.

Kemal sprang auf, als er sah, wie Ria plötzlich in sich zusammensackte. Dieser komische Mann musste ihr etwas angetan haben. Doch bevor er ihren angeblichen Ehemann erreicht hatte, vertrat Aleix ihm den Weg. „Nicht." Er klang todernst und schüttelte bestimmt den Kopf. Nachdenklich runzelte Kemal die Stirn. Dass Suzis Mann deswegen die Seite seiner Frau verließ, war verwunderlich. Wer war der Kerl, den Ria ihren Mann nannte? Da schien zwar etwas Tiefes zwischen ihnen zu sein, aber die meiste Zeit schienen sich die beiden zu streiten, wobei er sie immer wie ein kleines Kind behandelte. Ria handelte zwar meistens launenhaft, aber sie war nie kindisch. Dass dieser Mann sie so darstellte, machte ihn rasend.

„Lass ihn doch." Eleasar trat mit Ria im Arm neben Aleix. „Er denkt, ich würde sie nicht gebührend behandeln." Ein leicht spöttischer Zug umspielte seine Mundwinkel. „Ihr leiblicher Vater scheint da allerdings anderer Meinung zu sein."

Ungläubig schüttelte Rias Ziehvater seinen Kopf. „Liam ist tot. Sie können ihn nicht kennen. Wir haben Ria damals aus der Wohnung geholt."

„Wie Sie meinen", entgegnete Eleasar gleichgültig. „Aleix, wie geht es Suzi?"

Die männliche Schattenseele sah den Prinzen verblüfft an. Es war das erste Mal, dass er ihn mit Namen ansprach. „Sie wird wieder. Ich bringe sie gleich ins Krankenhaus. Ihre Verletzung ist nicht lebensgefährlich." Sein Blick wanderte zu Ria und ihm entwich ein schwerer Seufzer. „Ich habe sie erst kennengelernt, als es zu spät war." Bedauern tränkte seine Stimme und ließ ihn leise sprechen. „Ich habe nicht besonders viel mitbekommen, aber das wenige erinnert mich an das, was Suzi widerfahren ist."

Eleasars Blick wurde frostig. „Ich habe schon einiges gehört." Mit gerunzelter Stirn sah er auf seine schlummernde Frau herab. „Ihre Erinnerungen sind sehr tief vergraben. Die an den Tod ihres Vaters sind leichter zugänglich."

Seine Offenheit überraschte Aleix. Das hatte er nicht erwartet. Obwohl sie verschwägert waren, hatte der Prinz nie einen Hehl daraus gemacht, dass er ihn nicht ausstehen konnte. Der Grund war, dass sein Vater Eleasars einstige Geliebte umgebracht hatte. Müde fuhr er sich mit der Hand übers Gesicht. „Warum gehen wir nicht zurück und besprechen alles in Ruhe?" Als er das unwillige Zögern des Prinzen bemerkte, fügte er hinzu: „Ich bin mir sicher, dass Ria sich noch verabschieden will."

Sein Gegenüber atmete tief durch. „Sie wird mir den Kopf abreißen, wenn ich sie jetzt aufwecke."

Aleixs Lippen kräuselten sich unwillkürlich. „Ein Temperamentbündel durch und durch."

„Davon habe ich zwei im Haus."

„Stimmt." Er hatte die Tochter der beiden ganz vergessen. Die zwei Male, die er seine Nichte gesehen hatte, waren nicht sonderlich einprägsam gewesen. „Wie geht es ihr?"

Zu seinem weiteren Erstaunen seufzte der Prinz plötzlich. Solch intensive Gefühlsregungen war man von diesem Mann sonst nicht gewohnt. „Sie kommt nach ihrer Mutter."

Verhalten lächelnd musste er an seine letzte Begegnung mit Eilean denken. „Sie scheint ein Vaterkind zu sein."

Auf einmal war wieder die typische nichtssagende Maske da. „Das hat wohl seine Gründe." Mit diesen Worten wandte Eleasar seine Aufmerksamkeit wieder seiner Frau zu, die begann, sich unruhig zu winden.

Aleix warf Kemal und Andreas, die beide wieder einen Schritt auf Ria zu machen wollten, einen warnenden Blick zu. Schließlich deutete er auf das Auto, das Ria genommen hatte. „Kemal und Andreas werden euch zu Rias Wohnung fahren."

Bestimmt schüttelte Eleasar seinen Kopf. „Nicht nötig. Sobald es ihr besser geht, wird sie mit euch in Kontakt treten." Mit diesen Worten löste er sich plötzlich vor den Augen der anderen in Luft auf.

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