.:24:. Ein schiefer Haussegen
Er antwortete ihr nicht. Selbst wenn er gewollt hätte, hätte sie seine Antwort nicht gehört, da sie schon wieder in Richtung Kampfplatz rannte. In der Mitte des Platzes befanden sich ihre Schwester und ihr Schwager. Auf dem Weg zu den beiden beförderte sie den einen oder anderen ins Jenseits. Er musste zugeben, dass sie ungemein geschickt war. Es war offensichtlich, dass das nicht ihr erstes Mal auf einem Schlachtfeld war. Diese Erkenntnis war für ihn gleichermaßen beruhigend wie beunruhigend. Beruhigend, weil sie nicht unerfahren war. Beunruhigend, weil sie innerhalb ihrer ersten zwanzig Lebensjahre schon Schlachten hatte schlagen müssen.
Ria war bei ihren Verwandten angekommen und gemeinsam mit ihrem Schwager nahm sie ihre Schwester in die Mitte. Als er sah, dass die beiden eingespielt waren, suchte er nach Eleasar. Ihm dürfte der Anblick ganz und gar nicht gefallen. Sein Schützling stand mit Sem am Rande der Auffahrt und beobachtete das Treiben genauestens. Seine Augen fixierten den Hauptkampf in der Mitte. Es schien, als wollte er alle umbringen, die auch nur in die Nähe seiner Frau kamen. Auf Sems Gesicht hingegen spiegelte sich perverse Freude.
Mit Ria auf dem Schlachtfeld schien die Moral der verteidigenden Partei zu steigen. Der zuvor recht ausgeglichene Kampf wandelte sich und es dauerte keine Viertelstunde, da waren alle Feinde besiegt oder eingekesselt.
Wortlos trat Ria zu ihrer Schwester, die blass in den Armen ihres Mannes lehnte. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass es ihren Familienangehörigen gut ging, ließ sie ihren Blick über die am Boden hockenden Gefangenen schweifen. Es hatten nicht sonderlich viele überlebt. „Nicht alle sind Menschen."
Aleix nickte ernst. „Ich habe keine Ahnung, wie mit ihnen zu verfahren ist."
„Ich schon." Ohne den Hauch einer Gefühlsregung zog die Schwarzhaarige eine weitere Waffe aus ihrem Mantel. Ein Schuss ertönte, dann noch einer. Es folgten noch zwei weitere. „Jetzt hat sich das Problem erledigt."
„Ria!" Entsetzt schlug Suzi die Hände über ihrem Kopf zusammen. „Du kannst sie doch nicht einfach erschießen!"
„Siehst du doch." Die Hysterie ihrer Schwester empfand sie als vollkommen unangebracht. „ihre Schuld, wenn sie meinen herkommen zu müssen."
Plötzlich veränderte sich die Atmosphäre. Erschöpfung und Erleichterung ebenso wie Bedauern wichen einer eisigen Kälte. „Es war nicht an dir, über ihr Schicksal zu urteilen."
Alle Anwesenden wichen einige Schritte zurück, als jemand hinter sie trat. Ria hingegen zog erneut ihre Waffe, richtete sie auf einen Punkt über ihrer Schulter und drückte ab. „Mein Haus, meine Regeln."
Unnachgiebig legten sich große Hände um ihre Handgelenke und verschränkten ihre Arme so hinter ihrem Rücken, dass sie sich nicht mehr bewegen konnte. Die Waffe verschwand aus ihren Händen und baumelte kurz darauf vor ihrer Nase herum. „Sagtest du nicht, diese Dinge wären sehr gefährlich? Warum spielst du dann mit ihnen herum?"
Sie schwieg. Ihr war absolut nicht danach mit diesem Mistkerl zu sprechen. Nicht für das, was er sich offensichtlich geleistet hatte. Dass die beiden einfach so in diese Welt gewechselt waren, kam einem Verrat gleich.
„Und warum", seine Stimme bekam einen schneidenden Ton, „schießt du auf mich?"
Bevor sie antworten konnte, ertönte ein erstickter Schrei. Suzi sank in Aleixs Armen in sich zusammen. „Ich komme nicht mit", flüsterte sie manisch vor und zurück wippend immer wieder vor sich hin.
Rias Blick folgte dem ihren. Sem. Ein unermesslicher Groll schwoll in ihrer Brust heran. Sie hatte also richtig vermutet, dass er hinter alledem steckte. Würde sie nicht festgehalten werden, wäre er jetzt einen Kopf kürzer. Sozusagen zurechtgestutzt. Der König trat auf ihre Verwandten zu, ein überhebliches Grinsen im Gesicht. Diese fiese Grimasse gehörte ausgelöscht. Und zwar pronto.
„Lass mich los", knurrte sie wütend und zerrte an ihren lebendigen Fesseln.
„Und zusehen, wie du dich in Gefahr begibst?" Ihre Waffe fiel zu Boden, als er sie losließ, um einen Arm um sie zu legen. „Ria, werd vernünftig." Eleasar ließ von ihr ab und überließ es Raphael, seine Frau zurückzuhalten.
Mit ernster Miene drückte der Kaiser Ria an sich. „Eleasar weiß, was er tut. Vertrau ihm."
„Und du?"
Raphael seufzte schwer. „Vertrau ihm einfach."
In der Ferne heulten Sirenen auf.
„Ria!" Aleix tauchte vor ihr auf. „Nimm Suzi und verschwindet. Ich sorge dafür, dass hier nicht zu viel herumgeschnüffelt wird." Er vermied es absichtlich, den Kaiser anzusehen. Dieser Mann wusste, wie er seinen Willen durchsetzen konnte. Dass er Ria davon abhalten konnte, auf ihren Mann loszugehen, war der beste Beweis. Der Prinz hingegen starrte seine Frau noch immer mit finsterem Blick an. Anscheinend war sie auf etwas gestoßen, das sie besser nicht hätte sehen sollen. Also hatte er doch recht gehabt. Eleasar war es, der die Attentäter hergeschickt hatte.
Geschickt entwand Ria sich dem Griff des Kaisers und sprang hinter ihrem Schwager in Deckung. Bloß weg von Raphael. Sie konnte ihn und Elea später fragen, was das zu bedeuten hatte. Sem war der Böse und er hatte es auf ihre Schwester abgesehen. „Kemal!"
Ihr Ziehvater erschien neben ihr. Sein linker Ärmel war aufgerissen und mit Blut durchtränkt, doch ansonsten schien er unversehrt. „Kleines?"
Daraufhin schenkte sie ihm ein verächtliches Lächeln. „Kleines ist meine Tochter. Autoschlüssel."
Auf Kemals Gesicht zeichnete sich offene Überraschung aus. „Tochter?"
Ein böser Blick von Ria und Kemal deutete auf das Haus. „Am üblichen Ort", antwortete er prompt. „Ich will nachher mit dir reden."
Sie bedachte ihn mit einem eindringlichen Blick. „Vielleicht." Mit wehendem Mantel eilte sie zum Haus. Drinnen rannte sie durchs Wohnzimmer, vorbei an der Küche und durch die automatische Glasschiebetür, die Flur und Wohnküche voneinander trennte. Neben der Tür schlug sie auf eine Stelle in der Wand, woraufhin sich ein verstecktes Fach öffnete, das eine ordentliche Auswahl an Autoschlüsseln enthielt. Ohne zu zögern griff sie zu. Sie musste Suzi wegbringen und das bevor die Polizei eintraf. Mit dem Schlüssel bewaffnet, stürmte sie die nahegelegene Kellertreppe hinab, an den verschiedenen Zellen und Lagerräumen vorbei bis hin zur Garagentür. Inständig hoffend, dass die Ordnung noch immer dieselbe war, öffnete sie die schwere Eisentür. Anschließend betätigte sie den Lichtschalter. Unter dem Aufflackern der Neonröhren atmete sie erleichtert auf. Die Autos waren immer noch nach Wertigkeit geordnet. Zum Glück. So schnell sie konnte, rannte sie auf das hinterste Auto zu. Schon im Laufen betätigte sie die automatische Türverriegelung. Die Lichter hatten noch nicht aufgehört zu blinken, da saß sie schon hinterm Steuer.
Bringt nichts, Sem hat sie, flüsterte die eiskalte Stimme ihres Mannes in ihren Gedanken.
Laut fluchend trat sie aufs Gas. Ist er noch in dieser Welt oder hast du ihn gehen lassen?
Eleasar schnaubte verächtlich. Sicher nicht. Du solltest nicht hier sein.
Echt jetzt? Wollte er jetzt ernsthaft mit ihr streiten? Das, mein Lieber, klären wir, wenn wir wieder zuhause sind und deine Tochter dich gesehen hat. Sie soll die Möglichkeit haben, sich von dir zu verabschieden, bevor ich höchstpersönlich dafür sorge, dass dein nächster Auftrag lebenslänglich dauern wird. Sie war wütend, weil er ihr nichts von der Sache erzählt hatte. Sie hätte ihm helfen können! Von ihnen beiden war sie diejenige, die sich in dieser Welt auskannte. Er hatte höchstens ihre Erinnerungen lesen können.
Reg dich ab, du hast hier nichts zu suchen.
Mit quietschenden Reifen fuhr sie los. Einer der Jäger hatte mitgedacht und ihr das Garagentor geöffnet. Demonstrativ ließ sie den Wagen aufheulen und hielt nur wenige Zentimeter vor ihrem Mann, der mit vor der Brust verschränkten Armen im Weg stand. Raphael stand ein wenig weiter abseits und hielt Aleix im Schach, der wie wild geworden nach einem Ausweg aus dem Klammergriff des Kaisers suchte. Kemal und Andreas standen betroffen daneben. Sie wirkten, als hätten sie mit Raphaels wenig kompromissbereiter Seite Bekanntschaft geschlossen. Von ihrer Schwester und Sem war weit und breit keine Spur zu sehen.
Ragna, finde Suzi, wies sie ihren Gefährten an und stieg halb aus. Mit einem Bein auf der Auffahrt lehnte sie sich an den Türrahmen. „Ladies, wir finden die beiden nicht, wenn wir hier rumstehen und dumm in die Gegend starren.
Mit trauriger Miene trat Kemal auf sie zu. „Ria, Süße."
Augenblicklich stand Eleasar vor ihm. „Meine Frau ist nicht Ihre Süße."
Zornig funkelte Ria ihren Mann an. „Elea! Beweg deinen Hintern da weg und komm her. Entweder du spielst meine Spürnase oder ich muss mich auf Ragna verlassen. Er hilft mir nämlich, wenn ich ihn darum bitte und lässt mich nicht absichtlich im Dunkeln tappen."
Seelenruhig sah er sie aus seinen tiefblauen Augen an. Ihre Ungeduld und Sorge um ihre Schwester waren durch ihr Band deutlich zu spüren. „Du solltest nicht hier sein. Warte hier und lass mich meine Aufgabe erledigen."
„Warten?" Ungläubig starrte sie ihn an. Die Sirenen waren schon recht nah. Das bedeutete, ihnen lief die Zeit davon. „Die erwischen uns und buchten uns ein!" Wütend deutete sie auf Raphael, der kurz davor war, Aleix auszuknocken. „Aleix ist der einzige, der hier genug Einfluss hat, um die Sache zu regeln. Lass ihn verdammt nochmal gehen. Das hier ist nicht Anderswelt. Hier herrschen andere Regeln, denen ihr euch zu beugen habt. Ihr könnt nicht einfach her kommen und meinen, euch liegt alles zu Füßen."
Ewigkeiten schienen zu vergehen, ehe Eleasar nickte und Raphael Aleix losließ. „In Ordnung", willigte der Kaiser schließlich ein. „Wir bleiben hier und ihr", er deutete auf Eleasar, Ria und die beiden ihm fremden Jäger, „werdet deine Schwester suchen."
Schneller als Ria blinzeln konnte, stand ihr Mann neben ihr. „Lass mich fahren."
Entrüstet zeigte sie ihm einen Vogel. „Du tickst nicht mehr ganz sauber. Steig auf der anderen Seite ein, bevor Kemal dir den Platz wegnimmt." Das wirkte. In kürzester Zeit saß er auf dem Beifahrersitz. Andreas und Kemal nahmen artig hinten Platz. Kaum waren die Türen zu, trat Ria das Gaspedal durch. Mit quietschenden schlitterte der Wagen vom Hof.
„Was soll das?", fauchte Eleasar, der sich reflexartig an die Autotür klammerte. „Willst du uns umbringen?"
Sie schenkte ihm ein ironisches Lächeln. „Wäre nicht das erste Mal, oder?"
„Nein", entgegnete er schlecht gelaunt. „Du bringst dich andauernd in Gefahr."
„Dafür habe ich meinen Helden in strahlender Rüstung geheiratet", erwiderte sie süffisant.
Er grollte. „Wenn wir zurück sind, wirst du die Konsequenzen tragen müssen."
„Du hast was vergessen", erklärte sie ihm unbekümmert und fuhr scharf um eine Kurve. Dabei hob der Wagen mit der rechten Seite ab. Noch bevor ihr Mann sich über ihren unmöglichen Fahrstil beschweren konnte, fügte sie hinzu: „Dass ich dir Rede und Antwort stehen muss."
„In der Ahnenhalle, wenn Eilean uns besucht", grummelte er und warf seiner Frau einen bösen Blick zu. „Wie deine Eltern."
Schulterzuckend hielt sie vor einer Ampel. „Wäre doch mal was Neues für die Kleine. Mama und Papa streiten schließlich nie."
Eleasar seufzte schwer. Wenn sie geladen war, war es unratsam, mit ihr zu diskutieren. „Ich nehme an, Isla spielt Kindermädchen?"
„Sie ist Kaiserin", bemerkte Ria gereizt und gab Gas, als die Ampel auf Rot-Gelb schaltete.
„Als ob dich das stört."
Auf der Rückbank hüstelte jemand. „Ehm, ich will ja nicht stören, aber weißt du, wo du hin fährst?"
Kemal erntete einen bitterbösen Blick durch den Rückspiegel. „Sem hat einen normalen Audi, ich Blakes Ferrari. Was meinst du wohl, wie groß sein Vorsprung ist?"
„Er hat nach der Route gefragt", erinnerte der Prinz seine Frau.
„Weibliche Intuition", behauptete diese und nahm die nächste Kurve wesentlich schärfer als nötig.
Scharf sog Eleasar Luft ein. „Ria! Wie willst du deine Schwester retten, wenn du uns umbringst?"
„Du gehst schon nicht drauf."
Allmählich riss ihm der Geduldsfaden. „Krieg dich wieder ein. So hilfst du deiner Schwester nicht."
„Vielleicht will ich ihr auch gar nicht helfen." Stur fixierte sie die dunkle Straße. Sie befanden sich auf einer Landstraße, die aus der Stadt führte. Dank ihres Fahrstils hatten sie die Außenbezirke schnell hinter sich gebracht.
„Jetzt bist du kindisch."
„Na und? Ich bin ja auch zu jung."
Schon wieder diese alten Vorbehalte. Er freute sich nicht wirklich auf die bevorstehende Zeit. War das eine Nebenwirkung von dieser Welt? Dass sie durchdrehte und zurück in solch kindische Verhaltensweisen verfiel? „Wenn du dich so verhältst."
Mit quietschenden Reifen hielt sie direkt auf der Straße. „Weißt du was? Wenn du dich wie Mister Ich-kann-alles-besser verhältst, dann beweise es." Sein Verhalten ging ihr gehörig auf die Nerven. Warum konnte er nicht einfach die Klappe halten? Wenn er ihr schon nicht half, ihre Schwester zu finden, konnte er sich wenigstens nützlich machen.
„Fahr." Ihm war klar, dass es wie ein Befehl klang, aber so war es auch gemeint. Sie musste sich wieder einkriegen, ansonsten würde Sem leichtes Spiel mit ihr haben.
„Nein." Störrisch verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Du bist doch so toll in allem."
„Das hat nichts damit zu tun. Fahr jetzt. Die beiden sind nicht mehr weit." Entschieden deutete er auf die Straße. „Denk an deine Schwester."
Grummelnd fuhr sie wieder an. „Wo lang?" Mit einem triumphierenden Lächeln auf den Lippen wies er ihr den Weg.
Hinten im Auto wechselten Andreas und Kemal irritierte Blicke. Rias Verhalten hatte etwas von einem störrischen Kind, während ihr Mann eher als überlegene Person agierte, denn als Partner. Beide erkannten die junge Frau nicht mehr wieder. Wann war Ria jemals so offen gewesen? Früher hatte sie immer ihre kühle Fassade gewahrt und jemanden einfach umgebracht, wenn er ihr dumm kam. Einen solchen Streit wie eben hatte noch keiner von beiden mit ihr erlebt.
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