.:20:. Eine unerwartete Wendung
Wie sich herausstellte, war das Ziel nichts weiter als eine verlassene Lagerhalle. Die Söldner hatten bereits Teams gebildet und begannen mit dem Auffinden der Personen.
„Diese Halle haben meine Kontakte hier angemietet. Von hier aus werden wir die Personen finden." Sem deutete auf eine große Karte an einer Wellblechwand.
Die wenigen Male, die er bereits in dieser Welt verbracht hatte, hatte er schon stabilere Konstruktionen gesehen als diese hier. Aber das war ja nicht sein Problem. „Du hättest mich gleich fragen können, ob ich dir die Adresse verrate."
Gier glomm ins Sems Augen auf. Er hatte also keine Ahnung, wo genau die beiden wohnten. Kopfschüttelnd besah er sich die Karten genauer. Wie es aussah, hatten die vorherigen Attentäter schon einige Punkte auf der Karte markiert. Arbeit und möglicher Wohnort waren nur zwei der vielen kleinen Zettel. Interessiert besah er sich die kleinen Stationen. Die einzelnen Gruppen hatten einen ziemlich genauen Plan der Orte erstellt, die sein Schwager und seine Schwägerin regelmäßig frequentierten. Warum sie unfähig gewesen waren, deren genaue Adresse herauszufinden, war ihm schleierhaft.
Mit hinter dem Rücken verschränkten Armen trat Sem neben ihn. „Bis wir fertig sind, dauert es noch eine Weile. Warum seht Ihr Euch nicht um?"
Er musste sich nicht umsehen. Er wusste, wohin er wollte. „Ich bin in drei Stunden wieder da." Raphael ein mentales Zeichen gebend brachte er sich an sein Ziel.
Das Wohnzimmer in Rias ehemaliger Wohnung sah noch genauso aus, wie zu dem Zeitpunkt, als er das letzte Mal hier gewesen war. Eine lederne Sofagarnitur, der Tisch mit dem Portal und vollgestopfte Regale. Mit einem Schmunzeln erinnerte er sich an die Schränke, die nicht das beinhalteten, was man erwarten würde.
„Ist etwas in dem Schrank?"
Er drehte sich nicht um, schließlich war abgesprochen gewesen, dass sie sich in dieser Wohnung trafen. „Ich musste gerade daran denken, dass Ria hier ihre Waffen gelagert hat."
Ungläubig schüttelte Raphael seinen Kopf. „Deine Frau ist immer für eine Überraschung gut. Aber warum steht diese Wohnung leer?" Eleasars Schweigen war Antwort genug. „Ich hoffe, deine Frau hat sich entschieden."
„Du weißt, dass sie nicht frei zwischen den Welten reist."
„Aber sie könnte es."
Um genau das zu verhindern, hatte er diese Tatsache bislang vor ihr verborgen. „Du weißt ebenso, dass sie sich entschieden hat. Für sie hat es nie eine Wahl gegeben."
„Die hätte man ihr auch nicht zustehen können." Scharf sah Raphael ihn an. „Ich gebe keinen meiner möglichen Nachfolger her."
Seufzend fuhr Eleasar sich durch die Haare. Warum musste er dieses Gespräch führen? Die Dinge waren entschieden und damit war die Sache für ihn erledigt. Ria würde nie wieder in die Menschenwelt zurückkehren. Und schon gar nicht hier bleiben. Und warum bestand Raphael darauf, ihn begleiten zu können? Konnte er nicht jemand anderem nachstellen?
„Wie gedenkst du, vorzugehen?"
Sorglos zuckte der Kaiser mit den Schultern. „Das ist dein Auftrag. Du entscheidest."
Wenig überzeugt ließ er sich in einen Sessel sinken. „Sem misstraut mir."
„Wundert dich das?"
Daraufhin bedachte er Raphael mit einem bösen Blick. „Ich wollte damit sagen, dass wir nur begrenzt an Informationen kommen."
Sein Mentor nickte nachdenklich. „Du weißt, wo deine Verwandten wohnen?"
Um sich eine Erklärung zu sparen, stand er auf und holte etwas aus der Kommode im Flur - eine Karte und eine Liste mit Adressen. „Die hat Ria zusammengestellt, für den Notfall." Ob die Karte noch aktuell war, war fraglich.
Raphaels Augenbrauen wanderten nach oben.
„Das ist Jahre her", entgegnete er genervt. Kurz darauf fügte er erklärend hinzu: „Als ich sie hier gelassen habe." Etwa sieben Jahre lag dieser Tag jetzt zurück. Das genaue Datum war ihm egal. Für ihn zählte lediglich, dass seine Frau die Seine war und niemand anderes das Recht hatte, sie anzurühren. Ein halbes Jahr hatte sie hier alleine gelebt, bevor er die Trennung nicht mehr ausgehalten und sie endgültig zu sich geholt hatte. Damals hätte er Sem gleich ausschalten sollen, dann hätte er jetzt nicht so ein Theater mit dem König.
„Reg dich ab. Ich weiß, dass deine Frau sich an die Regeln hält." Raphael nahm ihm die Unterlagen aus der Hand. „Und hör endlich auf, dir Vorwürfe zu machen. Das passt nicht zu dir."
„Sie muss aufgrund meiner Entscheidungen leiden."
Sein Gegenüber wedelte ungehalten mit der Hand. „Sie wird es dir beizeiten zurückzahlen, sollte sie wirklich darunter leiden. Bislang hatte ich allerdings nicht den Eindruck."
Beide wussten, dass das nicht der ganzen Wahrheit entsprach. Für die beiden zeitweiligen Trennungen des Paares war Eleasar verantwortlich. Das eine Mal hatte er Ria zurückgelassen und beim zweiten Mal hatte er sie so sehr in die Ecke gedrängt, dass sie die Flucht ergriffen hatte. Danach hatte er sich sehr um sie bemühen müssen. In den Augen seines engsten Freundes Aram und dessen Frau war es ein Wunder, dass er das Widersehen nach der ersten Trennung überlebt hatte. Im Gegensatz zu ihm hatte es seine Frau damals über die Grenze des Erträglichen katapultiert. Jedem, der ihr auf die Nerven gegangen war, hatte sie entweder zusammengeschlagen oder gedroht. In den letzten Jahren hatten sein Freund und dessen Frau auf die eine oder andere Situation angespielt. Keine davon musste er wieder heraufbeschwören.
„Du hilfst Sem und ich halte mich im Hintergrund. Bevor er jemandem etwas antun kann, schreiten wir ein."
Raphaels Vorschlag entsprach seinem eigenen Plan. Mehr konnten sie nicht tun. Sem jetzt auszuschalten oder gefangen zu nehmen bedeutete, die Söldner aus den Augen zu verlieren. Das kam nicht infrage, denn sie mussten sie alle wieder mitnehmen.
„Bis dahin können wir uns noch ausruhen."
.
Einige Zeit später
So langsam begann er daran zu zweifeln, dass Sem sein Vorhaben recht bald in die Tat umsetzen konnte. Ursprünglich sah es so aus, als bräuchte er nur wenige Stunden, jetzt waren es schon Tage.
„Wenn er seine Aktion heute nicht durchführt, nehmen wir ihn gefangen und beseitigen alle Mitwisser."
„Überlass das doch den hiesigen Schattenseelen." Er war nicht sonderlich erpicht darauf, die Drecksarbeit zu erledigen.
„Das ist kein Aufwand." Raphael saß entspannt auf dem Sofa und nippte an seinem Getränk. Ihm schien das alles wenig auszumachen. Positiv war, dass er wieder zu sich selbst zu finden schien. Die Auszeit hier in dieser Welt, in der er keine Macht besaß, schien ihm gut zu tun.
Er hatte recht. Die bekannten Gesichter auszuschalten, war nicht sonderlich schwer. Doch warum hinter jemand anderem sauber machen?
„Das ist ein Befehl, Eleasar."
Innerlich aufseufzend gab er sich geschlagen. Einen direkten Befehl konnte er schlecht verweigern. „Dann lass uns zu Sem gehen und dafür sorgen, dass er das endlich durchzieht. Wenn alle auf einem Fleck sind, ist es leichter." Mit einem knappen Nicken leerte der Kaiser sein Glas. „Rias Wohnzimmer ist schön, aber ich möchte nicht ewig hier bleiben."
Rias Wohnzimmer war nicht sonderlich bequem. Kein Wunder, sie hatte hier auch nur eine sehr begrenzte Zeit gelebt. Er machte sich daran, die Fenster und Türen zu verschließen. Hierher würden sie bestimmt nicht mehr zurückkehren.
Vor dem Haus traf er auf Sem. „Mein Prinz." Der König lächelte ihn siegesgewiss an. „Unsere Vorbereitungen sind abgeschlossen. Kommt, heute Abend bekommen wir beide unseren Lohn."
Eleasar bezweifelte, dass dieser Lohn in Sems Sinne ausfallen würde. Er würde jedenfalls an sein Ziel kommen, denn sein einziges Bestreben war, endlich zu seiner Frau und seiner Tochter zurück zu kommen. Mit einem Seufzen stieg er in den wartenden Wagen. Überraschenderweise verfügte der irrgeleitete König über ein recht gutes Netz an menschlichen Handlangern. Diese nutzte er unter anderem, um ihn durch die Gegend zu chauffieren. Er war gespannt auf das, was Sem genau geplant hatte. Seiner Geheimniskrämerei nach zu urteilen, musste es etwas Großes sein.
Geschmeidig glitt der Wagen über die leerer werdenden Straßen. Mit jedem Meter sank die Sonne ein Stück tiefer und als sie am Zielort ankamen, war sie völlig verschwunden. Interessiert musterte Eleasar das Gebäude. Das große, von einer Tannenwand eingegrenzte Anwesen kam ihm vage bekannt vor. War er schon einmal hier gewesen?
„Ah, wir sind ein wenig zu spät für das Vorgeplänkel." Im Gegensatz zu seinen Worten wirkte Sem nicht die Spur betrübt. „Aber das Hauptereignis kommt ja noch."
Ein markerschütternder Schrei zerriss die Ruhe der Nacht. Wie es aussah, hatte der Showdown begonnen. Sem nicht aus den Augen lassend folgte er dem rothaarigen König ein Stück die Auffahrt hinunter bis zu einer Stelle, von der aus man in den Garten gelangen konnte. Der Anblick, der sich ihm bot, war unerwartet. Überall fanden kleine Kämpfe statt. Mal schienen die Wesen die Oberhand zu haben, Mal die Jäger. Einige wirkten recht erfahren. Das hatte er nicht erwartet. Für ihn waren diese Halbwesen ein unzivilisierter Haufen, der keiner Beachtung wert war.
„Ah, da ist ja mein Mädchen."
Nichts Gutes ahnend folgte er Sems Blick. In der Mitte des Rasens standen sein Schwager und seine Schwägerin. Letztere wurde von ihrem Mann beschützt und schien sich so klein machen zu wollen, wie nur irgend möglich. Zwei weitere Jäger standen ein paar Schritte entfernt und schienen ebenfalls bemüht, Suzi zu schützen.
„Was ist das?" Irritiert runzelte Sem seine Stirn. Er hatte eine Anomalie entdeckt.
Eleasars schlechte Vorahnung erwies sich als begründet. Gerade als jemand Suzi am Arm packen wollte, tauchte eine weitere Person aus dem Schatten auf und streckte den Fenoderee mit einer geschmeidigen Bewegung nieder. Eine Person, die er nur allzu gut kannte. In ihm brodelte es. Was hatte ausgerechnet diese Person hier zu suchen?
„Tja", bemerkte Sem beinahe glücklich. „Wie es aussieht, wurden die Karten soeben neu gemischt."
__________
Na, wen haben Elea und Sem da entdeckt? Irgendwelche Ideen?
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top