.:2:. Kleines Leben

Anderswelt

Tappsende Schritte erklangen hinter ihm, bevor sich kleine Arme an sein Bein klammerten. „Hab dich!", verkündete eine der schönsten kleinen Stimmen, die er jemals gehört hatte, stolz.

Ein leises Lächeln stahl sich auf seine Lippen. „Da ist ja mein kleiner Engel." Schwungvoll hob er seine Tochter hoch und setzte sie auf seiner Hüfte ab. Vergnügt lachend schlang sie ihre Arme um seinen Hals.

„Papa, ich kann alleine stehen." Trotz ihres Tadels klang ihre Stimme munter.

Unwillkürlich zogen seine Mundwinkel sich nach oben. Seine Kleine war schon ein niedliches Kind. „Du hast mich so erschreckt, dass ich mich vergewissern musste, dass du nicht zu einem kleinen Monster geworden bist." Liebevoll vergrub Eleasar seine Hände in ihren kleinen Locken. Wieder kicherte sie vergnügt.

„Du bist blöd."

„Blöd?", wiederholte er milde lächelnd. „Wie kommst du denn darauf?"

„Ich bin doch kein Monster." Aus ihren wundervoll strahlenden dunkelblauen Augen sah sie ihn entrüstet an. „Siehst du?" Demonstrativ deutete Eilean auf sich.

„Hm." Forschend musterte er ihre kindlichen Züge. Ihre Augen wurden groß, als er ihr Haar zärtlich zerzauste. „Deine Mähne macht jeden Löwen neidisch."

„Nein." Eingeschnappt verschränkte sie ihre Arme vor der Brust. Es war eine süße Nachahmung des Verhaltens ihrer Mutter. Wann immer etwas geschah, was Ria nicht guthieß, nahm sie diese Position ein. In diesem Punkt war die Kleine leider wie ihre Mutter. Wie gut, dass ihm noch einige Jahre blieben, um ihr diese Unart auszutreiben.

Erneut ertönten Schritte hinter ihm und seine Tochter machte sich verdächtig klein. Offensichtlich war sie ihrem Kindermädchen wieder einmal davongelaufen. Bemüht, sein Schmunzeln zu unterdrücken, wandte er sich von der schönen Aussicht über bunten Dächer die kaiserliche Hauptstadt ab und der armen Frau zu, die schwer atmend einige Meter von ihm entfernt zum Stehen kam. „Verzeiht, mein Prinz. Ich werde darauf achten, dass es nicht wieder vorkommt."

Dass es nicht wieder vorkommt. Verstimmt presste er seine Lippen aufeinander. Für ihn war seine Tochter kein unnötiger Ballast. Sie war ihm willkommen, wann immer sie ihn sehen wollte. Abgesehen von wichtigen Besprechungen, konnte er alles verschieben, um sich um sie zu kümmern. „Eilean stört nicht", erklärte er kühl. „Sie müssen sich für nichts entschuldigen." Gedanklich überschlug er seinen Arbeitsplan. Nichts, was er nicht später erledigen konnte. „Gehen Sie nach Hause, Ihre Dienste werden nicht länger benötigt." Dass sie überhaupt jemanden brauchten, um auf sie aufzupassen, missfiel ihm. Aber es war ihm ebenso unmöglich, seine Frau an das Haus zu ketten, wie seinem kleinen Engel einen Wunsch zu verwehren. Was für ein Dilemma. Zwar hatte Eileans Geburt die bösen Gerüchte über ihre Beziehung zum Verstummen gebracht, doch war Ria seitdem alles andere als wirklich glücklich. Sie liebte die Kleine von ganzem Herzen, ertrug es aber auf der anderen Seite nicht, eingesperrt zu sein. Ihre Freiheit aufzugeben, das war für seine Frau ein Ding der Unmöglichkeit. Da war es kein Wunder, dass sie jede Gelegenheit wahrnahm, einen Ausflug zu unternehmen. Glücklicherweise legte sich ihr Drang nach ausgiebigen Reisen langsam. Er hatte den starken Verdacht, dass es eine für sie typische Trotzreaktion auf die Erwartung, sie würde zur Hausfrau werden, war.

Mit einer Verbeugung zog sich die Angestellte zurück. „Sehr wohl, mein Prinz."

Als sie außer Hörweite war, setzte er seinen kleinen Engel auf den Boden und sich gleich im Schneidersitz daneben. Wie eine kleine Schmusekatze krabbelte Eilean auf seinen Schoß und kuschelte sich an ihn. „Danke Papa."

Lächelnd drückte er sie an sich. „Was hat sie dieses Mal angestellt, dass du vor ihr geflüchtet bist?"

Siegessicher grinsend deutete sie auf ihre Schläfe. „Ich sollte lernen. Das war blöd."

Ein liebevolles Seufzen entfuhr ihm. „Du bist wie deine Mutter, weißt du das?"

Für einen kurzen Augenblick wurden ihre dunkelblauen Augen traurig. „Wo ist Mama?"

Zu sehen, wie sehr sie unter Rias Abwesenheit litt, machte ihm das Herz schwer. Es war an der Zeit, dem Treiben seiner Frau Einhalt zu gebieten. „Mami sucht die bösen Jungs und tritt ihnen in den Hintern."

„Aber so viele gibt es doch nicht!" Verständnislos schüttelte sie ihren Kopf, wobei ihre Haare wild um ihre Schultern tanzten. „Mama hat doch schon alle verhauen."

„Vielleicht lernen die einfach nicht, gut zu sein."

„Oder Mama findet keine mehr und hat sich verlaufen."

Ein Einwand, der gar nicht so unberechtigt war. Es war nicht unbedingt Rias Stärke, sich in den naturbelassenen Umgebungen zurechtzufinden. „Dafür hat sie ja Ragna."

Die Augen seiner Kleinen leuchteten begeistert auf. „Ragna. Ich will auch einen Drachen, wie Mami!"

Er wollte es sich nicht recht eingestehen, dennoch graute ihm schon jetzt vor dem Tag an dem sie losziehen und ihren eigenen Geist suchen musste. Für diesen Fall würde er seinen Neffen in die Pflicht nehmen, so viel stand fest. „Meinst du nicht, dass es noch viele andere Geisterwesen gibt, mit denen du dich anfreunden kannst? Drachen sind nicht einfach."

„Aber Ragna ist cool."

Cool? Wo hatte sie denn dieses Wort aufgeschnappt? Und warum begann sie plötzlich die Sprachen zu mischen? Musste wohl Cians Einfluss sein. Der Junge suchte sich aus den ihm bekannten Sprachen die Worte heraus, die ihm am besten gefielen und mischte diese dann kunterbunt durcheinander.

„Ja, Ragna ist toll, aber es gibt noch andere tolle Dinge." Ein Drache im Haushalt reichte ihm schon, da musste kein zweiter her.

„Ja. Zweimal Ragna."

Es gelang ihm einfach nicht, ihre Obsession für den Drachen in richtige Bahnen zu lenken. Da konnte wohl nur die Zeit helfen. So gesehen war es ein geringer Trost, dass die Drachen so gut wie ausgestorben waren.

.

Unglücklich betrachtete Ria die Mondspiegelung im See. Sie hatte bereits vor Tagen zurück sein wollen, nur hatte Ragna einen anderen Plan gehabt. Seine Drachengefährten waren so unruhig geworden, dass er sich erst einmal um seinen Nachwuchs kümmern musste. Jetzt saß sie hier auf der Insel, betrachtete den Sternenhimmel und wünschte sich nach Hause.

Ein kleiner schwarzer Schatten huschte an ihr vorbei, versuchte abzubremsen, scheiterte allerdings kläglich und rauschte mit ordentlich Karacho ins Wasser.

„Cordo." Mit einem tiefen Grollen tauchte Ragnarök, der Vater des unglücklichen Kleinen, hinter ihr auf. Halbwegs geschickt fischte er seinen Sohn aus dem See, der sich verdrießlich grummelnd auf den Boden setzen ließ. Prompt kletterte der Babyschattendrache auf Rias Schoß.

„Das wird dir auch nicht helfen", erklärte sie ihm lächelnd und kraulte ihn unterm Kinn. Wie ihre Katze Cora, begann auch Cordo zu schnurren und räkelte sich mit seinem nassen Schuppenkleid auf ihrem Schoß.

„Ria ist kein Spielzeug!", fauchte Ragna und schnappte sich seinen Sprössling. „Ab ins Nest." Aufgedrehter Haufen, brummte er ihr in Gedanken zu.

Meinst du, das dauert noch lange? Ihren treuen Gefährten zwar gestresst, aber im Grunde glücklich mit seiner Familie zu sehen, heizte ihre eigene Sehnsucht an.

Aus seinen roten Augen sah er sie bedauernd an. Ich fürchte, dass sich dieser Haufen hier nicht so schnell wieder bändigen lässt.

Kopfschüttelnd stand sie auf und klopfte sich ihre nassen Kleider glatt. Warum musstet du denn auch so viele Kinder zeugen? Eines hätte doch gereicht, aber nein, der Herr muss ja gleich vier haben.

Ich kann nichts dafür, dass es so viele geworden sind, verteidigte er sich nicht besonders reumütig.

Niedergeschlagen wandte sie sich von ihm ab und schlenderte zum Strand. Barfuß watete sie durch die Brandung, den Blick auf die weit entfernte kaiserliche Hauptstadt gerichtet. Zu weit, um die Distanz durch Schwimmen zu überwinden.

„Ria." Eine von Ragnaröks Gespielinnen, Varlet, gesellte sich zu ihr. „Du sehnst dich nach deiner Welt."

„Ich bin in meiner Welt", erklärte sie kurz angebunden. Ihr war jetzt nicht nach einem Pläuschchen zumute.

„Du willst zu deinem Mann."

„Welch unerwartete Sehnsucht." Genervt verdrehte sie ihre Augen. So gern sie die Drachen auch mochte, sie hatte jetzt keinen Nerv, sich mit einem von ihnen zu unterhalten. Eleasar dachte ohnehin schon, dass sie lieber außer Haus war, als sich um ihren kleinen Engel zu kümmern. Dabei stand ihr nur vereinzelt der Sinn nach Ausflügen. Es war Ragna gewesen, der vor etwa eineinhalb Jahren den Drang verspürt hatte, gewissen Dingen nachzugehen. Zuerst war ihr das wie eine gute Idee erschienen, ein geeigneter Vorwand, ihren eigenen vier Wänden zu entkommen. Mittlerweile war sie viel zu oft fort und wesentlich häufiger länger als ihr lieb war. Wenn das so weiter ging, sah sie ihre Kleine bald gar nicht mehr aufwachsen.

„Was ist los mit dir?"

Die Neugier des Drachens ging ihr gehörig auf die Nerven. „Lass mich bitte in Ruhe."

Varlet schüttelte leicht ihren rauchigen Kopf. „Die Welt befindet sich im Umbruch, Schattenseele. Du kannst es spüren, nicht wahr? Die Unruhe, die von dir Besitz ergreift, wenn du mit den Anzeichen in Kontakt trittst, ist eine Warnung."

„Spielst du jetzt schon Orakel?", fragte sie ein wenig schärfer als beabsichtigt.

Der weibliche Schattendrache lachte rau. „Wenn jemand so lange gelebt hat wie ich, fallen einem die subtilsten Veränderungen auf. Das Band zwischen dir und deinem Gefährten ist stark. Eines der stärksten, die ich je gesehen habe." Schnaufend ließ sie sich in den Sand sinken.

Ria setzte sich neben ihre Tatze, den Blick weiterhin aufs Meer gerichtet. Was sie da sagte, klang interessant. „Es ist Freundschaft. Nicht mehr und nicht weniger. Was gibt es denn sonst für Bande?"

Die steinalte Dame seufzte tief und traurig. „Ich habe viele Bande gesehen, die mehr aus einer temporären Notwendigkeit heraus dauerhaft geschlossen wurden. Die jeweiligen Partner kannten sich kaum oder es gab keine Wertschätzung. Ich habe einige sehr schwache Bindungen gesehen. In den meisten Fällen ist der Geistgefährte dabei schlechter weggekommen." Sie machte eine kurze Pause, in der sie Ria genau beobachtete. Ihr klares Profil hob sich von der Umgebung ab und ihr langes schwarzes Haar wehte in der leichten Brise. Das Beeindruckendste an der jungen Frau war jedoch ihre Fähigkeit, sich komplett anzupassen. Hier wirkte sie weniger wie ein menschenähnliches Wesen, sondern eher wie eine von ihnen. Ein Wesen, das sowohl in der Materiellen als auch in der Geisterebene existierte. Wenn sie es drauf anlegte, konnte sie sogar ihre Spuren verwischen. Ja, dieses Mädchen konnte etwas gegen das aufziehende Unheil ausrichten. Nur musste sie erst einmal verstehen, was auf sie zukam. „Euer Band beruht auf tiefem Vertrauen. Erinnere dich daran, wenn die Zeit gekommen ist. Wir werden an deiner Seite sein."

Irritiert sah Ria zu ihr auf. Das klang, als wäre sie mit sämtlichen existierenden Schattendrachen verbunden. „Was meinst du damit?"

Doch Varlet lachte nur leise. „Prinzessin, du hast uns ein verloren geglaubtes Mitglied unserer Gemeinde zurückgebracht. Wir stehen tief in deiner Schuld."

„Aber das stimmt doch gar nicht", begann sie zu protestieren.

Lachend erhob sich die imposante Schattengestalt. „Ria, dein Gefährte ist ein Segen für uns. Dass du ihn nicht zwingst, dir zu Diensten zu sein, hat uns für die nächste Generation gerettet."

Na klasse. Da vergnügte Ragna sich mit allen Ladys der Insel und wurde auch noch dafür gefeiert. Sie hatte das Gefühl, im falschen Film gelandet zu sein. Resignierend ließ sie sich in den Sand sinken und schloss ihre Augen. Hoffentlich hatte diese eigenartige Reise bald ein Ende. Schattenseelen, die ihre Geistgefährten unterdrückten oder zwangen? Was für ein Unsinn.


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