.:14:. Probleme

Menschenwelt

Niedergeschlagen hockte Suzi neben ihrem Mann auf dem Sofa. Ihr Wiedersehen mit ihrer Schwester hatte sie sich ganz anders vorgestellt. Irgendwie herzlicher. Sicherlich rührte ihre unterkühlte Art daher, dass sie darauf vorbereitet wurde, einmal Herrscherin über ein großes Reich zu sein. Zumindest hatte sie das gedacht. Dann war ihre Nichte aufgetaucht und sowohl der Prinz als auch ihre Schwester hatten sich völlig verändert. Der Kleinen gegenüber war keine Spur der Kühle zu spüren gewesen. Das Glück, das die drei teilten, war deutlich zu spüren gewesen und hatte in ihr den Wunsch geweckt, ebenfalls Teil dieser Familie sein zu wollen.

„Schatz?" Besorgt griff Aleix nach ihrer Hand. Er hatte sich noch nicht vollständig von dem Angriff erholt. Zwar hatte ihre Schwester ihn geheilt, aber vollständig bei Kräften war er noch immer nicht. Oft genug zuckte er leicht zusammen, wenn eine seiner Bewegungen an seiner verheilenden Wunde zerrte. Das alleine war schon ein sehr deutliches Indiz dafür, dass er noch lange nicht geheilt war. Da musste sie nicht einmal erwähnen, wie sein Oberkörper aussah. „Was bedrückt dich?"

Nur widerstrebend gab sie ihre Gedanken preis. „Sie schien glücklich, findest du nicht auch?" Sie bemühte sich um ein erfreutes Lächeln, doch ihre Unterlippe zitterte verräterisch.

„Ria hatte viel um die Ohren, Liebste. Du hast doch gesagt, ihr hättet euch gut unterhalten, während ich geschlafen habe." Sanft strich er ihr die Sorgenfalten von der Stirn.

„Schon, aber heute war sie so anders."

„Sie hat sich mit ihrem Mann gestritten. Hast du das nicht gespürt?"

Irritiert sah sie ihren eigenen Mann an. „Nein. Die haben öfters so miteinander gesprochen. Das ist ihr ganz normaler Umgangston."

Aleix bezweifelte, dass der Prinz diese Form der Behandlung lange duldete. Ria war zwar durchsetzungsstark, aber das war selbst für sie ein Ding der Unmöglichkeit. Seufzend drückte er ihr einen Tee in die Hand. „Deine Schwester geht ihren eigenen Weg. Ich hatte nicht den Eindruck, dass es ihr schlecht geht."

„Aber sie wirkte so kalt." Gekränkt klammerte sie sich an seine Hand und ihre Tasse. „Kein Wort des Abschieds."

„Ria war noch nie gut, was Abschiede anging. Wer weiß, vielleicht weiß sie ja Dinge, die wir nicht wissen. Vielleicht war sie in Gedanken auch einfach ganz woanders. Immerhin scheint die Kleine ja ein ganz schöner Wirbelwind zu sein." Gesehen hatte er von seiner Nichte wenig, dafür aber einiges gehört. Beispielsweise tanzte sie dem Kindermädchen immer auf der Nase herum, wenn Ria oder sein Schwager nicht anwesend waren.

Das war eine Erklärung, mit der Suzi leben konnte. Ihre süße kleine Nichte. Sie hatte sie schon damals ins Herz geschlossen, als Ria und der Prinz plötzlich bei ihnen aufgetaucht waren, um ihnen die Kleine vorzustellen. Es musste schwer sein, ein Kind vor all den Gefahren zu schützen. Gefahren... Bei diesem Stichwort nahm ihr Gedankengang eine Wendung. Das Duell! Erschrocken sprang sie auf.

„Wer tritt denn jetzt gegen die Herausforderer an?"

Ein wenig gekränkt deutete Aleix auf sich. „Ich werde kämpfen, das habe ich dir doch gesagt." Sie konnte ihm ruhig vertrauen.

Ungläubig starrte sie ihren Mann an. „Das ist Selbstmord und das weißt du! Ich werde jetzt erst einmal dafür sorgen, dass keiner von uns ohne Schutz ist."

„Hast du die Wesen nicht bemerkt, die unsere Wohnung bewachen?" Ihm gefiel das ganz und gar nicht. Ganz abgesehen davon, dass er seinen Schwager nicht ausstehen konnte und seine Hilfe nicht wollte, gebot ihm alleine sein Stolz, selbst für die Sicherheit seiner Frau zu sorgen. Wozu leiteten sie beide sonst die europäischen Clans? Er hatte genug Männer, die er mit Suzis Schutz betrauen konnte - für den Fall, dass er dazu nicht mehr in der Lage war. Aber dafür müsste er schon tot sein. „Wir sind bestens geschützt."

„Ria hat gesagt, wir sollen unsere eigenen Leute um uns herum haben." Für sie bestand da gar kein Diskussionsbedarf.

„Aber Ria ist weder Clanmeisterin noch irgendwie befugt, uns Befehle zu erteilen."

„Sie ist kaiserliche Prinzessin. Natürlich hat sie das Recht." Kopfschüttelnd ließ sie sich mit Andreas verbinden. Manchmal war ihr Liebster wirklich schwer von Begriff.

„Sie haben in dieser Welt keine Macht", grummelte er und begab sich in die Küche, um dort das Abendessen vorzubereiten. Während Suzi telefonierte und er sich um das Essen kümmerte, wanderten seine Gedanken zu Rias abschließender Bemerkung. In Suzis kurzer Abwesenheit war seine ehemalige Schülerin an ihn heran getreten und hatte ihn gefragt, ob er eventuell bereit wäre, demnächst auf seine Nichte aufzupassen. Dass damit nicht Ellena gemeint war, war klar. Aber warum sollte sie einen Grund haben, in die Menschenwelt zurückzukehren? Ihr Lebensmittelpunkt lag doch drüben. Zwar konnte er nicht behaupten, den Prinzen zu mögen, doch war nicht von der Hand zu weisen, dass es Ria und ihrer Tochter sehr gut zu gehen schien. Was also zog sie zurück? Vor allem sieben Jahre nachdem sie diese Welt für immer verlassen hatte - und dann auch noch mit ihrem Kind. Ihr Verhalten gab ihm Rätsel auf.

„Aleix?"

Er parkte den Kochlöffel in der Reispfanne und gesellte sich zu Suzi ins Arbeitszimmer. Auf ihrem Laptop waren mehrere Bilder geöffnet. „Kennst du zufällig einen von ihnen?"

Aufmerksam studierte er die Gesichter und Namen. Es waren die Daten ihres Herausforderers und seiner Freunde. „Nein, tut mir leid." Aufmunternd legte er ihr einen Arm um die Schultern und drückte sie an sich. „Wir werden das schon hinkriegen."

Nicht wirklich optimistischer gestimmt klappte seine Frau ihren Computer zu. „Was passiert denn, wenn der Kerl gewinnt?"

„Er wird dir den Clan nicht nehmen, mein Schatz." Nicht, wenn er es verhindern konnte. Er hatte seinen Leuten befohlen, den Mann keine Sekunde aus den Augen zu lassen, sobald er von Suzis Stellvertreter den Namen erfahren hatte. Christian Epureanu. Warum kam diese Herausforderung ausgerechnet jetzt - nach sechs Jahren?

Ein eigenartiger Geruch zog herüber. Etwas, das nicht hergehörte. Das Essen! Hastig kehrte er in die Küche zurück, um das Abendessen am Verbrennen zu hindern. Gerade noch rechtzeitig, ansonsten hätte er noch einmal von Vorne anfangen müssen.

.

Anderswelt

Unruhig schritt Raphael im Gang seines Besprechungszimmers auf und Ab. In seinem Land kam es zu immer größeren Unruhen und er war einfach nicht in der Lage, sie einzudämmen. Vor wenigen Minuten hatte Nathan ihn verlassen, um wieder an Tilias Seite zurückzukehren. War der Widerstand gegen die neue Herrscherin noch vor wenigen Wochen dem Ersticken nahe gewesen, hatten sie nun wieder mit heftigen Intrigen zu kämpfen. Und nicht nur das. Im ganzen Reich fanden ungenehmigte Reisen in die andere Welt statt, Berichte von Überfällen häuften sich und die außenpolitischen Beziehungen zu den beiden anderen Weltreichen waren auch nicht mehr die besten. Aber wann hatte der Verfall begonnen? War seine Zeit vorbei? Sollte er abdanken und einem der Drei das Feld überlassen? Nathan war zwar geschickt, wenn es darum ging, einen Hofstaat zu etablieren und ihn stabil zu halten, aber er war kein Anführer. Rory hatte nur seinen eigenen Profit im Sinn und Eleasar... nun, sein Favorit unter den Kandidaten spielte lieber Familienvater und drückte sich vor ausführlicheren Aufgaben, wann immer er konnte.

„Du willst jetzt schon das Zepter aus der Hand legen? Friedenskaiser?"

Überrascht fuhr er herum. Ein Geist hatte sich hinter ihm materialisiert. „Haru." Achtungsvoll neigte er seinen Kopf. Was hatte einer seiner toten Vorgänger hier zu suchen?

„Ich bin genauso wenig tot, wie meine Enkelin." Die Geistererscheinung verschwand und wurde durch ein Wesen aus Fleisch und Blut ersetzt. „Jetzt tu nicht so verwundert, du hast Ria auch schon durch eine Felswand gehen sehen."

Er fragte sich, ob er wirklich wissen wollte, woher der Altkaiser das wusste. „Wenn Ihr nicht tot seid, warum habt Ihr es der Welt Glauben gemacht?"

Haru wischte die Frage mit einer desinteressierten Handbewegung beiseite. „Alles hat seine Zeit. Meine Zeit in diesem weltlichen Körper ist auch nur noch begrenzt." Würdevoll verschränkte er die Arme hinter seinem Rücken und sah sich im Besprechungsraum um. „Nett. Zu meiner Zeit war nichts vor dem Einrichtungswahn meiner Frau sicher." Ein wehmütiges Lächeln huschte über seine Züge.

Raphael wusste aus Rias Schilderungen, dass es besser war, ihn ausreden zu lassen. Anscheinend hatte sein Vorvorgänger einige Eigenarten.

Die Lippen des Altkaisers kräuselten sich vergnügt. „Meine Enkelin ist beeindruckend, nicht wahr? Sie verändert deinen Nachfolger. Und auch ihre Tochter wird ihre Spuren hinterlassen."

„Dann ist Eleasar mein Nachfolger?"

Desinteressiert zuckte der ehemalige Geist mit den Schultern. „Hab mehr Vertrauen in die Frauen deiner Familie. Ich habe lange genug mit meiner Enkelin gearbeitet, um sicherzustellen, dass sie demnächst erwacht."

Damit gab er zu, Ria manipuliert zu haben. Ob sie davon wusste? Vermutlich, denn sie traute ihrem Vorfahr kein Stück über den Weg, wenn es nicht um Familie ging.

„Ja, ein kluges Mädchen, die Kleine. Ich an ihrer Stelle würde mir auch nicht trauen. Vielleicht sollte ich ihr den Gefallen tun und mir aktuellere Kleider zulegen. Sie fühlt sich immer in irgendeine Zeit aus der Menschenwelt zurückversetzt, wenn sie mich sieht. Mittelalter, wenn ich das richtig in Erinnerung habe."

„Sind irgendwelche Gedanken vor Ihnen sicher?"

Haru lachte abwertend. „Erfahrung und Psychologie. Gedankenlesen ist im Grunde genommen nicht einmal Rias Fähigkeit. Sie ähnelt einfach nur ihren natürlichen Talenten. Und was deine anderen möglichen Nachfolger angeht... Sind sie denn alle noch welche?"

Nachdenklich betrachtete Raphael den ehemaligen Kaiser. Charakterliche Unfähigkeit war ein Grund, weshalb die Zeichen sich zurückentwickelten. Nathan trug seins noch, das hatte er gerade eben erst gesehen. Rorys Zeichen hatte ebenfalls begonnen, sich zu verändern, aber ob es schwand oder eine ähnliche Wandlung nahm wie Eleasars, war schwer zu sagen.

„Entspann dich. Lass geschehen, was unweigerlich geschehen muss. Wir werden uns wiedersehen."

Er war sich nicht sicher, ob er den Anderen jemals wieder sehen wollte. Haru war eine sehr eigene Persönlichkeit. Er schrie geradezu danach, mehr Geheimnisse zu haben als gut für ihn war.

Mit einem wissenden Lächeln auf den Lippen verschwand der Altkaiser. Sofort kam Leben in Raphael. Wenn Ria der Fixpunkt in Harus Plan war, musste mehr dahinterstecken als er angenommen hatte. War es am Ende von Marjan und Haru geplant gewesen, sie in diese Welt zu holen, sobald sie wusste, was sie war? Er schnappte sich den erstbesten Dienstboten und sandte ihn zu Marjan. Er wollte Antworten und die würde der Vampir ihm geben.

Du bist unruhig. Die besorgte Stimme seiner Frau erklang in seinen Gedanken. Noch unruhiger als sonst.

Ich hatte eben eine merkwürdige Begegnung. Kein Grund zur Sorge.

Isla lachte leise. Mein Liebster, ich sorge mich immer um dich. Das Leben hier hat uns verändert. Die größten Tribute fordert es von dir.

Wortlos betrachtete er das Mal seiner Herrschaft auf seinem linken Unterarm. Sie hatte recht. Seine Herrschaft verlangte ihm so vieles ab. Ich kann keinem dieses Chaos übergeben.

Nein, das wärst nicht du. Deine Zeit, den Frieden zu verwalten, ist vorüber. Wer weiß, was uns die Zukunft bringt?

Ich kann nicht einfach stillsitzen und zusehen, wie das Reich in den Zustand verfällt, in dem ich es übernommen habe.

Aber deine Methoden wirken nicht mehr. Eine simple Feststellung, die ihm verdeutlichte, wie machtlos er angesichts der Situation war, obwohl er das mächtigste Wesen im ganzen Reich war.

Du kannst nicht alles alleine retten. Du hast Ria und Rory, die sich beide gerne in Abenteuer stürzen, Eleasar, der ein Meister darin ist nichts zu tun und die Situation zu beobachten, um dann im richtigen Moment die entscheidenden Akzente zu setzen und Nathan. Er ist gut im Aufspüren von Intrigen. Nutze deine Ressourcen, Liebster. Auf diese Personen kannst du dich verlassen.

Ria und Eleasar werden Eilean nicht sich selbst überlassen.

Er konnte spüren, wie seine Frau ihren Kopf schüttelte. Es gibt mehr als einen Ort, an dem sie ihre Tochter in Sicherheit bringen können. Egal ob hier oder in der Menschenwelt.

Die Menschenwelt. Er konnte noch immer nicht nachvollziehen, was einige Wesen an dieser Welt fanden. Sie war laut und wenngleich technisch fortgeschrittener als er angenommen hatte, immer noch primitiv. Ich warte auf Marjan. Erst wenn ich von ihm einige Informationen habe, werde ich entscheiden, wie es weitergehen soll.

Marjan? Wie kommt es, dass du ihn sprechen willst?

Ich befürchte, dass dieses ganze Theater vor mehr Jahren begonnen hat als wir ahnen.

Verständnis strömte ihm durch ihr Band entgegen. Zerbrich dir nicht zu sehr den Kopf.

Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihre mentale Kommunikation. Der Dienstbote war zurück, im Schlepptau ein wenig begeistert aussehender vampirischer König.





Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top