.:13:. Machtworte

Als Raphael sie schließlich fand, begegnete er zuerst den glühendroten Augen des Schattendrachen. In seiner vollen Größe war er äußerst beeindruckend und erinnerte ihn daran, dass er gut daran tat, diese Art zu meiden.

„Du kommst spät." Die rauchig-tiefe Stimme hallte vorwurfsvoll durch die Höhlen.

„Wenn ihr durch Wände geht, kann ich euch schlecht folgen", entgegnete er und beschwor ein Portal herauf. Im schwachen Lichtschein konnte er, abgesehen vom schwarzen Drachenkörper, nichts erkennen. „Wo ist Ria?"

„Bring sie nach Hause, Kaiser. Sie hat zu viel Energie verbraucht. Hier treiben Leute ihr Unwesen, mit denen sie es in diesem Stadium nicht aufnehmen kann." Mit langsamen, trägen Bewegungen faltete der Drache seine Flügel zusammen und gab den Blick auf Ria frei, die zusammengekauert auf dem Boden hockte und ein verletztes Tier in den Armen hielt.

Bestürzt ging er vor ihr in die Knie. Hatte die Suche sie so viel Energie gekostet? „Ria?"

Ihre orangenen Augen funkelten im schwachen Licht. „Du hast dir ja ordentlich Zeit gelassen. Hier war jemand. Jemand, der dieses arme Tier so übel zugerichtet und hier abgelegt hat. Er ist auch für die Unruhen in der Gegend verantwortlich. Ich habe versucht, das Tier zu heilen, aber es ist zu schwer verletzt. Ich nehme es mit." Ihre Worte waren kaum mehr als sein seichtes Flüstern.

„Komm." Er half ihr beim Aufstehen und stützte sie, bis sie sich auf dem Portal befand. „Mach die Augen zu, wir reisen in den Palast. Dort kann Isla sich um dich und das Tier kümmern."

„Ich muss nur was essen und wieder unter Leute." Trotz ihrer Worte lehnte sie sich erschöpft an ihn, wobei sie vorsorglich ihre Augen schloss. Ragnarök löste sich rechtzeitig auf, bevor Raphael das Portal aktivierte und sie aus der Höhle fort brachte.

Kurz nach ihrer Ankunft im privaten Wohnzimmer des Kaiserpaares betrat Isla den Raum. Besorgt musterte sie die vor sich hin dösende Ria. Nach einer kurzen Bestandsaufnahme war klar, dass sie nur wieder zu Kräften kommen musste. Dem armen Tier hingegen ging es erschreckend schlecht. Als sie erkannte, um was es sich handelte, sog sie scharf die Luft ein. „Ein Götterwesen."

Irritiert sah Ria sie durch halb geschlossene Lider an. „Götterwesen?"

Isla nickte. „Du hast dich noch immer nicht ausreichend mit der Landesgeschichte auseinandergesetzt, oder?"

Schuldbewusst nahm die junge Schattenseele Raphael das Glas ab, das er ihr anbot. „Kommt drauf an, wie weit zurück."

„Es ist eher ein alter Mythos", begann der Kaiser und deutete einladend auf einen Sessel. „Früher gab es sehr starke Geister. Viele verehrten sie als Götter und brachten ihnen regelmäßig Opfer dar. Diese ursprünglichen Götter gibt es schon lange nicht mehr, es sind nur noch Geisterarten übrig, die mit ihnen verwandt sind. Schattendrachen stammen auch von diesen Göttergeistern ab."

„Das steht in euren Geschichtsbüchern?" Ungläubig nippte sie an ihrem Getränk. Sie würde sich definitiv daran erinnern, wenn sie über ein so interessantes Kapitel gestolpert wäre.

Raphael lächelte schwach, während seine Frau in herzhaftes Lachen verfiel. „Nein, sie wollte nur wissen, wie weit du gekommen bist."

Verlegen kratzte sie sich am Hinterkopf. „Naja, meistens erklären Haru oder Elea mir die ganzen Sachen."

Isla lachte noch lauter. „Du lässt dir die Politik von einem toten Kaiser erklären?"

„Wenn du das so sagst, klingt das irgendwie... weniger klug."

Jetzt lachte auch der Herrscher. „Gut, dass du die Ausrede der Jugend hast." Er erhob sich. „Lass dich nach Hause bringen, wenn Isla dich als fit genug einstuft."

„Sie kann gehen", bemerkte seine Gemahlin belustigt ihren Kopf schüttelnd und wandte sich wieder dem Fellknäuel zu. „Wenn ich mit dem Göttergeist fertig bin."

Wehmütig starrte Ria dem Kaiser hinterher. Nur zu gerne wäre sie jetzt bei sich zuhause und würde ein Bad nehmen.

„Göttergeister, hm?" Nachdenklich nippte sie an ihrem Glas. „Können die irgendwelche abgefahrenen Dinge?"

„Warum fragst du nicht deinen eigenen Geist?"

„Der lacht mich aus." Rangaröks vergnügtes Lachen ging ihr jetzt schon ziemlich auf die Nerven. Aus für sie unerfindlichen Gründen schien diese Situation ihn zu erheitern. Lach ruhig weiter und du bekommst ordentlich Probleme.

Sein Lachen wurde nur noch lauter. Grummelnd schlug sie ihm die mentale Tür vor der Nase zu.

Leise lächelnd drückte die Kaiserin ihr das Fellknäuel in die Arme. „Eine Cait Sith. Ein ganz junges Tier."

„Die Mutter und Geschwister wurden getötet." Ragnarök hatte ihr das mitgeteilt. Er hatte sich mit dem Geist unterhalten, nachdem sie es stabilisiert hatte.

Ihr Name ist Ceres, klärte der Drache sie auf. Anscheinend hatte er sich von seinem Lachanfall beruhigt.

„Na, dann wollen wir mal nach Hause gehen. Ich bin gespannt, was Elea zum Familienzuwachs sagen wird."

Isla brachte sie bis zum Privatausgang, wo bereits eine Fahrgelegenheit auf sie wartete. „Melde ich, wenn es der Kleinen wieder schlecht geht."

.

Wenig begeistert starrte Eleasar die Katze an. „Meinst du nicht, du hast genug Tiere mitgebracht?" Damit bezog er sich auf ihre Katze Cora, Ragna und jetzt Ceres.

„Ich bin nicht scharf darauf, okay? Ich konnte das arme Ding ja schlecht verrecken lassen."

Seufzend gab er sich geschlagen. „Was hast du denn herausfinden können?"

„Abgesehen davon, dass Raphael eine lahme Ente ist?"

„Lahm?" Irritiert sah er seine Frau an. „Ria, Raphael ist eines der mächtigsten Wesen in diesem Land. Langsam ist er ganz bestimmt nicht."

„Doch, er hat ewig gebraucht, um mir in die Höhle zu folgen."

Nachdenklich musterte er seine Frau. „Du warst jagen?"

Jagen, so nannten sie es, wenn sie Spuren folgte, die er nicht sehen konnte. Eigentlich Blödsinn, denn wenn sie genau darüber nachdachte, folgte sie genaugenommen einer Spur ebenso schlicht wie man eine Straße entlangging. Sie nickte. „Ja, deshalb hat er mich doch mitgenommen."

„Vielleicht bist du mittlerweile schneller", schloss er schulterzuckend. Er wollte seinen Verdacht nicht mit ihr teilen. Etwas, das Haru in der Ahnenhalle zu ihm gesagt hatte, ließ ihn nicht mehr los. Es hatte etwas mit Rias wahrem Wesen zu tun. Doch was war ihr wahres Wesen? Seine Frau war immer noch im Werden. Sie entwickelte weiterhin ihre Fähigkeiten, nachdem sie die letzten Spuren der Menschenwelt von sich hatte abschütteln können. Wann war es vorbei?

„Ich gehe nach Eilean sehen und mache sie mit Ceres bekannt." Sie verschwand aus dem Raum, zurück blieb ihr Schattendrache.

Aus seinen beeindruckenden roten Augen sah er ihn ernst an. „Hör auf, über sie nachzudenken. Unser neuer Vertrag färbt auf sie ab. Sie wird zu dem, was sie eigentlich ist. Ein Wesen, das auf zwei Ebenen lebt. Lass zu, dass sie ihre Natur entdeckt. So wird es einfacher, eurer Tochter zu zeigen was auch in ihr steckt." Nach diesen kryptischen Andeutungen verschwand der Drache und ließ ihn mit mehr Fragen als Antworten zurück. Eines wusste er aber mit Bestimmtheit: Ria war noch lange nicht am Ende angelangt. Wenn Ragnarök recht behielt, folgte nun der nächste Entwicklungsschub. Wieder einmal fragte er sich, ob es nicht zu früh gewesen war, als er sie an sich gebunden hatte. Er hätte noch ein paar Jahre warten sollen. Nein, das hätte er nicht. Er hatte es schon damals nicht geschafft. Hätte er sie verlassen, ohne sie an sich zu binden, wäre er kurz darauf zurückgekommen, um das nachzuholen. Gleich zwei so junge Wesen um sich zu haben, machte die Sache für ihn nicht gerade leichter.

Ein Kribbeln auf seinem Unterarm ließ ihn seinen Ärmel hochkrempeln. Das Zeichen, das ihn als Anwärter auf den Kaiserthron auswies, hatte sich schon wieder verändert. Zwei der Halbmonde standen sich gegenüber und schienen einen Vollmond zu bilden, der jedoch nicht ganz ausgemalt war. Schwarze Linien schlängelten sich um ihn herum. Stirnrunzelnd betrachtete er es. Was hatte seine mögliche Herrschaft mit Rias Entwicklung zu tun? Denn dass es sich ausgerechnet dann änderte, als sich ihr neuer Entwicklungsschub ankündigte, war nicht von der Hand zu weisen.

Ein Klopfen an der Tür ließ ihn sein Hemd wieder ordnen und sich hinter seinen Schreibtisch setzen. Aleix und Rias Schwester Suzi betraten den Raum.

„Ihr wolltet uns sprechen?", fragte seine Schwägerin unsicher.

Er deutete auf die beiden Stühle ihm gegenüber. „Ihr werdet jemanden an die Seite gestellt bekommen, der euch bewacht. Sollten sich noch Fragen ergeben, werden wir uns bei euch melden."

Aleix hob zweifelnd eine Augenbraue. „Warum solltet ihr euch für Angelegenheiten in der Menschenwelt interessieren?"

Verstimmt beugte Eleasar sich vor. „Das tue ich nicht. Seine Majestät kann nicht akzeptieren, dass jemand ungenehmigt die Welten wechselt. Das interessiert ihn." Als ob er sich freiwillig mit den Problemen dieses Mannes herumschlagen würde.

„Aleix, bitte. Sei doch froh, dass wir jetzt nicht mehr alleine herausfinden müssen, wer das ist." Suzi bemühte sich sichtlich um eine weniger feindselige Atmosphäre.

Eleasar überlegte gerade ihr mitzuteilen, dass sie auf verlorenem Posten kämpfte, da wurde seine Bürotür aufgestoßen und Eilean rannte atemlos auf ihn zu. „Papa!" Die Fremden ignorierend sprang sie auf seinen Schoß und klammerte sich an ihn. „Beschütz mich!"

„Beschützen?" Zwischen Irritation und Belustigung hin und her schwankend, sah er zur Tür, wo Ria entspannt im Rahmen lehnte.

„Papa kann dich auch nicht retten, Engel."

„Doch. Papa ist stark."

Das warme Lachen der Schwarzhaarigen erfüllte den Raum. „Dein Papa ist nicht dazu in der Lage, mir auch nur ein Haar zu krümmen."

„Dann nimmt er halt zwei Haare."

Ria blinzelte kurz verwundert, hatte sich aber schnell wieder gefangen. Mit einer derartigen Reaktion hatte sie nicht gerechnet. „Achte auf die Syntax. Wenn er es nicht einmal bei einem schafft, sind zwei unmöglich."

Stur setzte Eilean sich rittlings auf Eleasars Schoß und verschränkte störrisch die Arme vor der Brust. „Oma sagt, Papa ist ganz stark."

Verwundert horchte Eleasar auf. Das hatte Isla über ihn gesagt? Warum?

Ria hatte schnell eine Erklärung parat. Linchen hatte Angst um dich, ist das nicht niedlich?

Warum seid ihr hier?

Rias Lächeln schwand. Sie wollte ihre Tante sehen.

Den Onkel muss ich ihr nicht vorstellen?

Seine Frau schnaubte abfällig. „Manchmal bist du einfach ein Idiot."

Mit einem angedeuteten Lächeln verneigte er sich leicht. „Ich nehme das Kompliment mit Freuden an."

„Etwas anderes habe ich auch nicht erwartet."

Entgeistert starrte Suzi ihre kleine Schwester an. „Ria, so kannst du doch nicht mit deinem Mann sprechen." Sie sollte ihn unterstützen und nicht aufziehen.

Rias Augenbrauen wanderten skeptisch nach oben. „Nicht? Wenn es ihm nicht gefällt, kann er sich ja eine andere suchen."

„So sind Mama und Papa."

Die seufzende Bemerkung der Kleinen machte ihre Eltern wieder einmal sprachlos.

„Ich glaube, du warst zu lange bei deinen Großeltern", brummte Ria schließlich.

„Ich bezweifle, dass wir das den beiden zu verdanken haben", entgegnete Eleasar und tätschelte liebevoll Eileans Kopf. Ich denke vielmehr, dass das Ragnaröks Verdienst ist.

Das war eine durchaus plausible Erklärung. Ich bring ihn nachher um die Ecke.

Ich befürchte, dazu ist es zu spät. Die Flausen hat er ihr bereits in den Kopf gesetzt.

Mit einem nicht wirklich besorgten Schulterzucken verschwand Ria aus dem Raum. Unten im Haus gab es eine Auseinandersetzung zwischen zwei Angestellten, die sie zu schlichten gedachte. Nachdem sie verschwunden war, herrschte kurz eine ratlose Stille, bis Suzi das kleine Mädchen ansprach. „Du bist also Eilean. Wie groß du geworden bist."

Sie wollte ihre Hand ausstrecken, aber die Kleine verkroch sich in den Armen ihres Vaters. „Ich rede nicht mit Fremden", flüsterte sie leise.

Eleasar sprang erklärend ein. „Engel, das ist deine Tante Suzi. Mamas Schwester."

Mit großen Augen sah Eilean zu Suzi herüber. „Wie Tante Lisha?"

Ihr Vater nickte aufmunternd. Mit einem breiten Lächeln hüpfte sie von seinem Schoß und blieb in einem knappen Meter Entfernung vor der unerwarteten Verwandten stehen. „Du siehst Mama gar nicht ähnlich."

„Ich sehe unserem Vater ähnlich, Ria unserer Mutter." Einladend streckte Suzi ihr eine Hand entgegen, die die Kleine nur ratlos musterte. „Und das", fügte Suzi kurz darauf hinzu, „ist dein Onkel Aleix."

Misstrauisch musterte die Kleine die männliche Schattenseele. „Papa und du, ihr mögt euch nicht."

Beeindruckt nickte Aleix. „Das stimmt." Für ihr Alter besaß die Kleine eine bemerkenswerte Beobachtungsgabe.

Skeptisch musterte Eilean ihren Onkel. Etwas an ihm kam ihr merkwürdig bekannt vor.

Ein körperloses Lachen erfüllte den Raum. „Du kennst meinen Sohn schon so gut, dass du mich spürst?"

Von einem Augenblick auf den nächsten änderte sich die Situation im Raum schlagartig. Es gelang Eleasar gerade eben noch rechtzeitig, seine Tochter und seine Unterlagen in Sicherheit zu bringen, bevor Ragnarök sich materialisiert hatte. Er stieß ein drohendes Fauchen aus und drückte einen zweiten Drachen zu Boden. „Niemand rührt die Kleine an", grollte er seinem Vater entgegen.

„Du bist also zum Wachhund degradiert worden", warf der seinem Sohn an den Kopf.

„Du hast nicht den Hauch einer Ahnung!"

„Und du scheinst noch immer der gleiche Nichtsnutz zu sein wie damals."

Bevor Ragnarök sich eine Antwort überlegen konnte, kippte die Stimmung im Raum erneut. „Storm. Du weißt doch, wenn man nichts Nettes zu sagen hat, hält man die Klappe." Ria war im Türrahmen erschienen und sah den älteren Schattendrachen vorwurfsvoll an.

Dieser musterte seine alte Bekannte aufmerksam. „Ria. Unter all den Wesen, die zweifelsohne gerne einer Schönheit wie dir dienen würden, klammerst du dich weiterhin ausgerechnet an den, der dir am wenigsten nützt."

„Das zu beurteilen, steht dir nicht zu." Wie Eis rollten ihr die Worte über die Lippen. „Und jetzt hört gefälligst beide auf, hier den Dicken zu markieren."

Mit einem letzten drohenden Brummen kam Ragna ihrer Aufforderung nach. Nachdem die Sache geklärt war, wandte Ria sich an ihre Tochter. „Komm, Engel. Tante und Onkel gehen jetzt nach Hause. In ihre Welt."

Mit einem zurückhaltenden „Tschüss" folgte die Kleine ihrer Mutter aus dem Raum. Draußen fragte sie neugierig: „Warum kann Ragna seinen Papa nicht leiden?"

Mit einem traurigen Seufzen zog Ria ihre Tochter mit sich ins Schlafzimmer und auf ihr Bett. „Storm hat Vorstellungen von einem Sohn, die Ragna nicht erfüllt." Zärtlich strich sie ihrer Tochter übers Haar. „Nicht alle Familien sind harmonisch und halten zusammen."

„Und warum mögen Papa und Onkel Aleix sich nicht?"

Ihre Kleine begann Fragen zu stellen, die für den Geschmack ihrer Mutter weit über ihr zartes Alter hinaus gingen. „Das ist eine Geschichte, die dein Papa dir erzählen muss."

Da alle ihre Fragen geklärt waren, hüpfte Eilean munter vom Bett. „Ich gehe zu Cora."


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