.:12:. Taxiservice ?!
Anderswelt
Ein aufgebrachtes „Spinnst du?" war das erste, was Suzi hörte, sobald ihre Sinne wieder funktionierten. Sie konnte ihren Augen kaum trauen. Ihre kleine Schwester stand neben ihnen und funkelte den Prinzen böse an.
„Elea, das kann nicht dein Ernst sein! Siehst du nicht wie schwer er verletzt ist?"
„Bitte, tu dir keinen Zwang an, ihn zu heilen."
„Ria", flüsterte Aleix schwach.
„Halt die Klappe", fauchte sie und beugte sich besorgt zu ihm herunter. „Giftklauen. Na, da hast du dich ja mit einem Wesen geprügelt. Wie kam das überhaupt rüber?" Ihre letzte Frage richtete sie an ihren Mann.
„Frag Raphael."
Entnervt verdrehte Ria ihre Augen. Manchmal war ihr Mann wirklich anstrengend. „Geh und pass auf, dass deine Tochter nicht rein kommt. Sie ist aufgewacht."
„Kein Wunder, bei dem Lärm, den du veranstaltest." Eleasar gefiel gar nicht, dass seine Frau sich alleine um seinen ungeliebten Schwager kümmern wollte. Er mochte ihn nicht und das zeigte er deutlich.
„Raus!"
Suzi hatte den Wortwechsel der beiden mit Staunen verfolgt. Sie hatte immer gedacht, dass zwischen den beiden heile Welt herrschte.
„Beachte den Idioten einfach nicht, Suzi." Geschäftsmäßig besah Ria sich die Wunden der männlichen Schattenseele. „Sie haben dich böse erwischt. Warum hat der Idiot euch denn nicht gleich ins Bad gebracht?" Fluchend machte sie sich daran, Aleix sein Hemd auszuziehen. Mit Suzis Hilfe gelang es ihr, ihn von dem Flur in ein Gästezimmer zu bringen, wo sie sich in Ruhe um seine Wunden kümmern konnte.
Erschöpft und ausgelaugt verschloss Ria den letzten Verband. „Er wird es überleben." Ermutigend drückte sie die Hand ihrer Schwester. „Ich nehme an, du möchtest an seiner Seite schlafen. Sollte etwas sein, ruf einfach. Irgendjemand wird dich hören. Gute Nacht." Gähnend ging sie zur Tür. Zwar waren die Umstände alles andere als rosig, dennoch freute sie sich aufrichtig, ihre Schwester und Aleix wiederzusehen.
Draußen im Flur wartete Eleasar bereits auf sie. Deine Schwester sollte entführt werden.
Sie war zu müde, um echte Verwunderung zu empfinden. Sem hat sie eingesperrt, nachdem sie Aleix getroffen hat.
Und warum erfahre ich davon erst jetzt?
Finster sah sie zu ihm auf und fauchte: „Vielleicht, weil ich hochschwanger war und anderes im Kopf hatte?"
Er sah, wie die Erschöpfung an ihr zerrte. Sie hatte zu viel Energie aufwenden müssen, um den Mann zu heilen. Ihr Halt gebend schloss er sie in seine Arme. Ich hoffe, du kannst mehr aus deiner Schwester heraus bekommen. Ich möchte wissen, was zwischen ihr und Sem vorgefallen ist.
Mit großen Augen starrte sie ihn an. Meinst du, er versucht es schon wieder?
Ihre Worte erinnerten ihn an etwas, das Aram, sein engster Freund, ihm vor einiger Zeit erzählt hatte. Ich werde Aram und meinem Vater schreiben. Vielleicht können sie bei der Aufklärung helfen.
Ria wusste nicht recht, was sie darauf antworten sollte. Inwiefern sollten ihnen die Vampire helfen können? Marjan war bislang nicht besonders auskunftsfreudig gewesen.
Ohne großen Aufwand überredete Eleasar seine Frau dazu, etwas zu essen und sich anschließend hinzulegen. Es war eine unerwartet anstrengende Nacht für sie gewesen. Während sie einschlief, nahm er einen Zettel zur Hand und schrieb eine kurze Nachricht, die er per Portal an seinen Vater schickte. Anschließend verfasste er einen Bericht an Raphael, mit dem Vermerk, dass er der Sache nachzugehen gedachte. Kurz darauf erhielt er die Genehmigung. Jetzt hieß es Abwarten und Tee trinken.
.
Aleix schlief zwei ganze Tage durch. Die ganze Zeit über saß Suzi an seinem Bett und hielt besorgt seine Hand. Nur gelegentlich ließ sie sich zum Essen entführen. Nicht einmal Eilean konnte sie von ihrer Krankenwache loseisen.
Als der Patient wieder soweit genesen war, dass er aufstehen konnte, sah Ria keinen Anlass mehr, die beiden mit Samthandschuhen anzufassen. „So." Mit verschränkten Armen baute sie sich vor der geschlossenen Zimmertür in ihrem Rücken auf. „Ihr werdet euch vielleicht ärgern, aber diese Angelegenheit mit den Attentätern ist nun nicht mehr eure Privatangelegenheit. Eleasar hat Hinweise bekommen, denen wir nachgehen werden." Demonstrativ hielt sie einen Schlüsselbund in die Höhe. „Sobald ihr gegessen habt, werdet ihr zurück in die Menschenwelt reisen. Macht keine unbedachten Sachen. Keiner von euch geht alleine außer Haus." Eindringlich sah sie ihrer Schwester in die Augen. „Besonders du nicht. Immer zwei Leute, die ein Auge auf dich haben. Mindestens."
„Ria." Eleasars Ruf hallte durch die Tür.
So schnell, wie Suzi und Aleix es nicht für möglich gehalten hätten, war Ria verschwunden.
Unten warteten Eleasar und überraschenderweise auch Raphael auf sie. Der Kaiser trug einen ungewöhnlich ernsten Gesichtsausdruck zur Schau.
„Ich brauche deine Dienste."
Irritiert sah sie zu ihrem Mann, der nicht viel mehr Ahnung zu haben schien als sie. „Um was geht es denn?"
Der Kaiser zog ein Schreiben aus seiner Tasche. Ohne es zu öffnen oder aus der Hand zu geben erklärte er: „Um ein Dorf, das von merkwürdigen Phänomenen heimgesucht wird."
Sie nahm ihm das Schreiben ab und überflog die genannten Auffälligkeiten.
Klingt ganz nach meinen Kindern, bemerkte Ragnarök mit einer ordentlichen Prise schwarzen Humors. Ich habe auch schon gehört, dass es einige Unruhen geben soll.
Solltest du nicht aufpassen, dass meine Kleine nicht verrückt wird?, fragte Ria scharf.
Eilean ist sicher. Sie degeneriert nicht so schnell wie ihr befürchtet habt. Ich finde, wir sollten der Sache nachgehen.
Weißt du, wie ewig lang die Reise dahin dauert?
Frag doch deinen Mann, ob er dich hinbringt.
Elea ist kein Taxiservice.
Was nicht ist, kann ja noch werden.
Wütend drückte sie Raphael den Brief zurück in die Hand. „Mein Quälgeist will, dass wir uns das ansehen. Passt gut auf Eilean auf." Und dabei hatte sie gehofft, die nächste Zeit zuhause verbringen zu können. Auf den Zufall und das Universum wütend machte sie sich auf den Weg ins Schlafzimmer, um ihre Reisetasche mit dem Nötigsten zu füllen. Von dort aus sprang sie aus dem Fenster in den Garten.
Wenig begeistert fing Eleasar seine Frau auf. Es war nicht schwer gewesen zu erraten, welchen Weg sie nehmen würde. „Kannst du nicht einmal den richtigen Ausgang nehmen?"
Besänftigend hauchte sie ihm einen Kuss auf die Lippen. „Vielleicht irgendwann einmal."
Ragnarök nahm gerade Gestalt an, da schrumpfte er von seiner normalen Gestalt auf sein Taschenformat zusammen. „Was zur Hölle...?" Finster starrte sie zu Raphael, der ebenfalls im Garten anwesend war. Er hatte ihren geliebten Schattendrachen schon einmal auf sein Taschenformat schrumpfen lassen, damit sie nicht fortgehen konnte.
„Ich werde dich begleiten", erklärte er und kurz darauf erschien ein Portal auf dem Boden. „Bereit, wenn du es bist."
Bekam sie jetzt schon einen Wachhund an die Seite gestellt? Konnte es dann nicht wenigstens ihr eigener Mann sein? Missmutig verabschiedete sie sich von Elea und hakte sich beim Kaiser unter.
Kaum waren sie an ihrem Ziel - einer sehr idyllischen Umgebung - angekommen, stellte sie ihn zur Rede. „Also, weshalb brauchst du mich?"
Seufzend deutete Raphael auf die Umgebung. „Ich habe nicht deine Fähigkeiten. Du kennst dich besser mit der Geisterebene aus als ich."
Geisterebene. Sie konnte sie zwar wahrnehmen, doch wenn sie sich zu sehr darauf konzentrierte, vergaß sie ihre Umgebung. Aber wenn er wollte, dass sie hier nach markanten Spuren suchte, musste es ernst sein. Ansonsten hätte er sie nicht persönlich aufgesucht, sondern nach ihr geschickt. „Sollte ich irgendwelche halsbrecherischen Routen nehmen, halte mich auf. Ich denke, ich werde diese Ebene hier nicht mehr allzu deutlich wahrnehmen können."
Raphael nickte. Schon am Hafen war ihm aufgefallen, dass sie noch damit überfordert war, beide Ebenen gleichwertig wahrzunehmen. „Konzentrier du dich darauf herauszufinden, was vorgefallen ist. Ich werde dir Rückendeckung geben."
Sie zögerte kurz, dann löste sich der Schattendrache in Luft auf, ihre Augen begannen von innen heraus zu leuchten und er konnte schwören, dass ihre Konturen ein wenig zu verschwimmen begannen. Er wusste wie sie aussah, aber von ihrer Erscheinung her hätte er sie nicht mehr beschreiben können.
Ohne Vorwarnung begann sie sich mit einer unerwartet hohen Geschwindigkeit zu bewegen. Er hatte Mühe, mit ihr mitzuhalten. Sie jagten über Wiesen, durch ein dichtes Waldstück und schließlich ein kleines Gebirge entlang. Was auch immer Ria gefunden hatte, es hatte eine lange Spur hinterlassen. Direkt vor einem Felsen wollte er nach ihr greifen, erwischte aber nichts. Stumm vor sich hin fluchend musste er sich einen Eingang suchen. Wie hatte sie das gemacht? Noch nie zuvor hatte er von einem derartigen Phänomen gehört. Es dauerte lange bis, er einen Weg in das Gesteinskonstrukt fand.
In einer dunklen Höhle kam Ria wieder zu sich. Wie um alles in der Welt war sie hergekommen? Sie konnte sich nicht entsinnen, eine Höhle betreten zu haben. Allerdings konnte sie sich auch an nichts anderes erinnern, als dieser einen Spur gefolgt zu sein. Orientierungslos tastete sie nach einer Wand. Ragna, kannst du was sehen? Schattendrachen waren für ihre hervorragenden Sinne bekannt. Sehen gehörte da jetzt nicht unbedingt zu, aber wozu hatte er sonst eine gute Nase?
Du weißt ganz genau, dass ich in der Dunkelheit nicht viel mehr sehen kann als du, grollte er und begann zu schnüffeln.
Da bleibt uns wohl nur übrig als auf Raphael zu warten. Wo steckt der eigentlich? Wollte der uns nicht direkt auf den Fersen bleiben? Frustriert ließ sie sich auf den Boden sinken. Hoffentlich hat er irgendeinen Feuertrick auf Lager.
Was ist denn jetzt mit der Spur? Verfolgen wir die weiter?
Ohne meinen Bodyguard? Ragna, ich verlaufe mich.
Hab ein wenig mehr Vertrauen in deinen treuen Geist.
Das muss ich mir nochmal überlegen, grummelte sie und konzentrierte sich wieder auf die Spur. Mit jedem Meter wurde die Spur frischer. Auf einmal tauchte ein Schatten vor ihr auf. Was tat denn ein Schatten in einer Geisterebene? Bevor sie eine Antwort darauf finden konnte, griff das Etwas sie an. Ein harter Schlag traf sie in die Magengrube, bevor sie ausholen und ihm den Arm auskugeln konnte. Das Wesen gab einen hässlichen Kreischlaut von sich, der ihr in den Ohren schmerzte.
Konzentrier dich, fauchte Ragna und materialisierte sich neben ihr. Ich gebe dir Rückendeckung. Kämpfe wie im normalen Leben und bleib auf die Energie deines Gegners konzentriert, sonst verlierst du ihn aus den Augen.
Ria gab ihr Bestes, den Anweisungen ihres Gefährten gerecht zu werden, doch machte sich ihre mangelnde Erfahrung in solchen Kämpfen schnell bemerkbar. Es gelang ihr, zwei gute Treffer zu landen, bevor sie erschöpft zu Boden sank. Die Welt um sie herum veränderte sich. Sie hörte Ragnas böses Knurren und Fauchen, bevor sie diese Ebene verließ und sich in der materiellen Ebene wiederfand. Ein leises Wimmern erregte ihre Aufmerksamkeit. Schwer atmend und mit schmerzenden Gliedern schleppte sie sich zu der Stelle, von der das leise klägliche Geräusch kam. Vorsichtig tastete sie in der Dunkelheit nach dessen Quelle. Ihre Hände erfühlten etwas Pelziges. Ein Tier. Etwas Warmes blieb an ihren Fingern haften. Neugierig roch sie daran. Blut. Das arme Tier war schwer verletzt! Leider ging es ihr auch nicht besser.
Ruh dich aus, kommandierte Ragnarök und hüllte sie in einen schützenden Rauch.
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