.:1:. Ungebetener Besuch
Menschenwelt
Ruckartig zog Aleix das Messer aus dem noch warmen Körper des Mannes. Schon der dritte innerhalb von drei Wochen. Langsam wurde es ihm zu bunt.
„Wir werden einen Weg finden." Beruhigend legte seine Frau ihm eine Hand auf die Schulter. Vorsichtig nahm sie ihm das Messer aus der Hand und steckte es in die dazugehörige Scheide. „Aber es bringt nichts, wenn du diesen Mann noch zehnmal erstichst. Er ist bereits tot." Beide Arme um ihn schlingend kuschelte sie sich an ihn. Auch sie war es leid gejagt zu werden, doch daran konnten sie momentan nichts ändern.
Er zwang sich dazu, einmal tief durchzuatmen. Während er Suzi liebevoll durchs kurze Haar strich, überlegte er krampfhaft, wie er dem Ganzen Einhalt gebieten konnte. Noch nie zuvor hatte er mit einem derartigen Problem zu tun gehabt. „Wenn wir wenigstens wüssten, woher die kommen."
Seufzend legte sie ihm einen Zeigefinger auf die Lippen. „Ich habe keinen blassen Schimmer und selbst wenn wir eine Ahnung hätten - ohne Schlüssel kommen wir nicht rüber."
Missfallend brummte er. „Wir könnten..."
Noch bevor er zu Ende sprechen konnte, schlug sie ihm ihre Hand vor den Mund. „Vergiss es. Wir zwei gehen jetzt nach Hause. Deine Nichte hat sich schon wieder angemeldet." Abrupt löste sie sich von ihm. „Also komm." Mit einer schwungvollen Bewegung hob sie ein weiteres Messer auf und verstaute auch dieses wieder. Als sie alles eingesammelt hatte, hatte Aleix den Leichnam bereits entsorgt. Gut, dass er durch seine Arbeit bei der Polizei mit diesen Dingen vertraut war. Das ersparte ihnen unnötiges Theater.
Auf dem Weg zu ihrer Wohnung kam Suzi ins Grübeln. Dieses Wesen hatte zwar sie beide angegriffen, doch war sein Ziel unübersehbar Aleix gewesen. Was hatte ihr Mann bloß verbrochen, um in den Fokus eines Wesens aus Anderswelt zu kommen? Ihn verband doch nichts damit, abgesehen von ihr selbst. Doch auch sie hatte so ziemlich alle Bande dorthin abgebrochen. Einzig und allein ihre Schwester kam manchmal herüber, um sie zu besuchen. Mehr Kontakt gab es nicht. Oder etwa doch? Hatte sie etwas übersehen?
Ein Arm legte sich um ihre Taille und Aleix zog sie unerwartet an sich heran. „Worüber zerbrichst du dir deinen hübschen Kopf?"
Schwer seufzend schüttelte sie ebendiesen. „Ich habe mich gefragt, wer es auf uns abgesehen haben könnte."
Ihr schweres Seufzen imitierend ließ er sie los. „Es gibt nur eine einzige Person, der ich das zutrauen würde."
Entrüstet schnappte sie laut nach Luft. „Das würde meine Schwester nicht zulassen!"
Begütigend legte er seiner Frau die Hände auf die Schultern. „Ich weiß, dass Ria ihn im Griff hat." Das hatte sie tatsächlich. Wer hätte gedacht, dass diese quirlige kleine Jägerin eines der gefährlichsten Wesen Sidhes bändigen könnte.
Als Suzi Aleixs Blick sah, verdrehte sie die Augen. „Jetzt tu mal nicht so. Eleasar ist kein schlechter Kerl."
Aleix starrte an ihr vorbei und brummte unverständlich vor sich hin. Schließlich zuckte er resignierend mit den Schultern. „Wie auch immer. Wir werden schon noch einen von ihnen lebendig erwischen."
Dass er selbst nicht daran glaubte, konnte sie an seinem Tonfall erkennen. Wann immer diesen Attentätern klar wurde, dass sie keine Chance hatten, brachten sie sich selbst um. Eine lästige Angewohnheit, die ihnen die Sache nur unnötig erschwerte. Taten sie das freiwillig oder standen sie unter irgendeinem Bann? Das konnte Suzi beim besten Willen nicht beurteilen. Verglichen mit ihrer kleinen Schwester war sie nur durchschnittlich stark. Ihr Mann machte ihr deswegen keine Vorwürfe. Im Gegenteil - sie hatte den Eindruck, dass er es bisweilen genoss, sie beschützen zu können. Ihr war es nur recht. Solange er sich bei seinen sogenannten „Außeneinsätzen" nicht verletzte, war damit sie zufrieden, sich um den Papierkram zu kümmern. Aber seit diese Wesen aufgetaucht waren, ließ sie ihn nur noch ungern alleine ziehen. Zwischenfälle wie den von vorhin bestätigten sie in ihrer Annahme, dass es besser war, Aleix nicht ohne Begleitung durch die Straßen wandern zu lassen. Leider hatte sie zu spät bemerkt, dass er sich in Gefahr befand. Ein solcher Fehler durfte ihr nicht mehr unterlaufen. Das nächste Mal waren es vielleicht mehr Angreifer oder er wurde dermaßen überrascht, dass es ihm nicht mehr möglich war, sich selbst zu verteidigen. Wenn ihm etwas geschehen würde... Energisch schüttelte sie ihren Kopf, um diese trostlosen Gedanken loszuwerden. Von nun an musste sie einfach doppelt so wachsam sein. Nur so konnte sie ihm helfen.
Nachdenklich musterte Aleix die bedrückte Miene seiner Frau. Dass sie so schnell am Ort des Geschehens aufgetaucht war, hatte ihn überrascht. Normalerweise machte sie sich nicht so viel daraus, wenn er in den einen oder anderen Kampf verwickelt wurde. Selbst den Umstand, dass er gelegentlich mit Schusswaffen bedroht wurde, machte ihr nicht halb so viel aus, wie es eigentlich sollte. Aber dieser Angriff... Was hatte sie so aus der Fassung gebracht? Dachte sie etwa, er wäre geschwächt oder seinen Gegnern nicht gewachsen? Das konnte nicht sein, sie vertraute seinen Fähigkeiten bedingungslos. Der Ausdruck blanker Furcht auf ihrem Gesicht, als er sie erblickt hatte, wurmte ihn noch immer. Wovor fürchtete sie sich so? Bislang hatte es noch kein Problem gegeben, dass sie nicht zu lösen vermocht hatten. Und dieses würde ganz sicher nicht das erste ungelöste Rätsel sein. Irgendwann würde ihr Gegner einen Fehler machen und sich verraten, dessen war er sich sicher. Bis dahin hieß es Augen und Ohren offen halten.
„Wir werden schon dahinter kommen", sprach er sanft und griff nach ihrer Hand. „Jetzt müssen wir erst einmal Ellena empfangen."
Er spürte, wie seine Frau sich anspannte. Ellena und Suzi kamen nicht besonders gut miteinander aus. Seine Nichte hatte kein Verständnis dafür, dass er nicht mehr so viel Zeit für sie erübrigen konnte und vor allem wollte. Immerhin war sie mittlerweile alt genug, um auf sich selbst aufzupassen. Ihre erste gescheiterte Ehe mit einem Menschen hatte sie schon hinter sich und war mit einem unverschämt großen Vermögen entlohnt worden. Verstand einer das menschliche Scheidungssystem.
„Können wir deine Nichte nicht einfach nach Sidhe schicken? Das könnte sie in ihre Schranken weisen."
Ein Lachen bildete sich in seiner Brust und stahl sich leise nach draußen. Ellena nach drüben zu schicken würde bedeuten, sie Ria vor die Nase zu setzen. Wenn sie immer noch so war, wie zu dem Zeitpunkt, als er sie das letzte Mal gesehen hatte, hätte seine Nichte wirklich nichts zu lachen. „Sie nimmt sie auseinander, sobald sie auch nur einmal zu jammern anfängt."
Suzi lächelte ihn belustigt an. „Sie ist erwachsen geworden. Immerhin hat sie die letzten Jahre damit verbracht, ein Kind großzuziehen."
Aleix schnaubte. „Das Kind wird genauso werden wie ihre Mutter." Rias Temperament hatte er noch immer nicht vergessen. Sie war das Leben selbst, mit einem Hauch Todesengel. Ihr wollte man nicht in die Quere kommen, wenn sie schlecht gelaunt war. Und ihrem Mann... er wollte sich gar nicht erst vorstellen, wie seine jüngste Nichte war.
„Ich würde sie gerne wieder einmal treffen", gestand seine Frau leise. „Eilean und meine Schwester."
Wenig begeistert lächelte er sie an. „Wenn das hier vorbei ist." Er musste jetzt nicht auch noch seinem Schwager über den Weg laufen.
Vor der Haustür wurden sie bereits erwartet. Ungeduldig mit einem Stöckelschuh auf den Boden tippend stand Ellena mit vor der Brust verschränkten Armen am Eingang. Missmutig musterte sie die beiden ankommenden Jäger.
„Da seid ihr ja endlich. Warum wart ihr nicht da? Ich habe mich für vor fünf Minuten angekündigt!"
Innerlich seufzte Aleix laut auf. Das konnte ja heiter werden. Wie gut, dass seine Frau alles andere als temperamentvoll war. Auf Suzis Ruhe und Freundlichkeit war immer Verlass.
Auch dieses Mal bewies sie ihre guten Manieren und begrüßte die andere Frau freundlich. „Hallo Ellena. Bitte entschuldige unsere Verspätung, es gab einen kleinen Zwischenfall. Komm doch rein." Zu seiner unermesslichen Erleichterung gelang es seiner Frau, seine Nichte zu besänftigen und sie so lange hinzuhalten, bis er sich ausgehfertig gemacht hatte.
Während Suzi unter der Dusche stand, baute er sich mit ernster Miene vor seiner Nichte auf. „Findest du das in Ordnung? Deine Tante so herum zu schubsen?"
Mit einem gleichgültigen Schulterzucken lümmelte Ellena sich im Sessel. „Sie scheint damit kein Problem zu haben."
„Aber ich", entgegnete er scharf. „Als sie gerade hier eingezogen ist, hätte ich dein Verhalten nachvollziehen können. Da kanntest du sie immerhin nicht. Aber nach fast sechs Jahren? Du bist kein kleines Kind mehr, also reiß dich gefälligst zusammen."
Ellenas Miene wurde undurchdringlich. „Du hast versprochen, immer für mich da zu sein! Aber du bist es nicht. Deine Frau beansprucht dich von vorne bis hinten! Wann haben wir denn das letzte Mal etwas gemeinsam unternommen? Ohne sie."
Er glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. „Suzi ist ein Teil von mir. Du wirst das verstehen, wenn dir jemand begegnet, der zum Zentrum deiner Existenz wird."
Sie schnaubte verächtlich. „Ach ja, richtig. Die Liebe. Seit du deinem Weib begegnet bist, hast du ja deine romantische Ader entdeckt." Ellena verstand einfach nicht, was er an dieser Frau fand. Und sie verstand nicht, weshalb ihr ruhiger und vernünftiger Onkel sich wie ein liebeskranker Jüngling aufführte, seit diese... Person ihm über den Weg gelaufen war. Für sie war Liebe nichts weiter als ein Hirngespinst. Etwas, das hoffnungslose Romantiker erfunden hatten um ihre Obsession mit anderen Menschen zu erklären.
Finster starrte Aleix seine Nichte an. Sie war noch nie einfach gewesen und er hatte es in den meisten Fällen dem frühen Tod ihrer Mutter zugeschrieben. Ihre kakaobraunen Augen und die immer leicht geröteten Wangen erinnerten ihn immer wieder an seine verstorbene Schwester. Doch Ellena war nicht Carmen. Das stand ihm in diesem Moment überdeutlich vor Augen. Carmen hatte sich stets gewünscht, er würde glücklich werden. Ellena hingegen arbeitete daran, Suzi - und damit auch ihn - unglücklich zu machen. Entschlossen beugte er sich vor. „Nach diesem Abend hast du genau zwei Möglichkeiten. Entweder, du findest dich damit ab, dass ich ein Privatleben habe, das sich nicht mehr um dich, sondern um meine Frau dreht, oder du weigerst dich und bist ab dem morgigen Tag ein einfaches Mitglied meines Clans. Keine familiären Sonderrechte mehr." Seine Stimme klang gefährlich rau und leise. Es war unmissverständlich, dass ihm diese Sache bitterernst war.
Zuerst wurde Ellena kalkweiß. Dann, sie schien sich langsam wieder zu fassen, trat ein schwaches Lächeln auf ihre Lippen. „Du entscheidest dich also für deine Frau." Nachdenklich stützte sie ihr Kinn auf ihren Händen ab. „Okay, ich werde versuchen, mich mit ihr anzufreunden."
Zufrieden griff er nach seinem Mantel. Hoffentlich hatte sie verstanden, wie ernst ihm diese Angelegenheit war und ließ Suzi von nun an in Ruhe.
„Ich brauche eine neue Bleibe."
Abrupt hielt er inne. „Warum?" Sie besaß doch schon zwei Häuser.
„Weil bei mir eingebrochen wurde", erklärte sie spitz.
Seufzend schüttelte er seinen Kopf. Er hatte ihr damals gesagt, dass ihre Wohngegend für die vielen Kleingangster bekannt war, die dort ihr Unwesen trieben. Wer nicht hören wollte, musste eben fühlen. „Du weißt genau, wie du dir eine besorgen kannst. Geh zum Makler. Vorerst kannst du ja in einem Hotel übernachten." Eingeschnappt sah sie zu ihm auf. Daher wehte also der Wind. Sie hatte nur so schnell zugestimmt, seine Frau in Ruhe zu lassen, weil sie etwas von ihm wollte. Verärgert starrte er sie an. „Die Häuser fallen in Suzis Gebiet. Frag sie. Du solltest nur daran denken, dass viele männliche Jäger dort leben."
Er konnte ihr dabei zusehen, wie sie sich für ein Hotel entschied. Belustigt wandte er sich ab, um seine große Liebe abzufangen, die gerade zu ihnen ins Wohnzimmer trat.
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