Das 4.Kapitel oder der endgültige Beweis, dass es mir an Einfallsreichtum fehlte

Ihre zügigen Schritten wurden von den Teppichen gedämpft, während sie mich eilig durch einen der Flure zog, den ich bis jetzt noch nicht betreten hatte. Nun ja, das war auch nicht besonders schwierig, bis jetzt hatte ich nicht gerade viel von diesem Gebäude gesehen.

Plötzlich stoppte sie abrupt, sodass ich fast gegen sie geknallt wäre und mich im letzten Moment noch davon abhalten konnte.

Mit einem Lächeln auf ihrem Gesicht drehte sie sich kurz zu mir um, um sich zu vergewissern, dass ich auch wirklich noch da war und sie nicht nur einen einzelnen, abgetrennten Arm durch die Gänge geschleift hatte.

Dann öffnete sie voller Elan die Tür und kümmerte sich nicht darum, dass diese gegen die Wand krachte und einen Teil des Verputzes zu Boden rieseln liess.

Mein Körper zuckte zusammen, aber für weitere Reaktionen blieb ihm keine Zeit, denn ich wurde schon durch die offene Zimmertür in den Raum gerissen. Natürlich musste das schreiende Mädchen die Tür wieder zuknallen, sobald wir den Raum betreten hatten und ich zuckte ein zweites Mal.

Sie aber war nicht besonders feinfühlig und bemerkte nichts davon. Freudig strahlend drehte sie sich zu mir um mir begann zu quasseln:
"Ach wie herrlich, ich wollte schon immer mal meiner Kreativität freien Lauf lassen und Sie geben mir die Gelegenheit dazu. Sie wissen gar nicht, wie dankbar ich Ihnen bin. Wenn ich berühmt werde, dann eröffne ich einen eigenen kleinen Laden und....."

Schon nach ein paar ihrer rasenden Sätze hatte mein Gehirn genug und schaltete den Ton aus, sodass ich also zwar ihre Lippenbewegungen, aber keinen Laut vernahm.
Herrlich.

Erst als ihre Lippen plötzlich stoppten und sie mich mit bis zum Haaransatz hochgezogener Augenbraue erwartungsvoll anstarrte, musste ich mich wieder aus meinem angenehmen Ich-höre-nichts-aber-rede-du-weiter-Konkon befreien.

"Wie bitte?", fragte ich, der Dame Manieren einmal den Vortritt lassend. Also jetzt konnte niemand mehr behaupten, Sarkasmus war kein Gentleman, dachte ich zufrieden und verpasste prompt noch einmal, welche Frage sie an mich gerichtet hatte.

Ich blickte sie entschuldigend an und zu meiner Überraschung verstand sie.

"Oh je, ich rede also wieder einmal zuviel. Entschuldigen Sie bitte."

Sie seufzte und sofort machten sich Schuldgefühle in mir breit.

"Ich wollte wissen, welches Kleid Sie denn bevorzugen. Wir haben keine grosse Auswahl, aber trotzdem sind es einige Möglichkeiten und ich masse mir nicht an, mich über sie zu hinwegsetzen und für sie zu entscheiden."

Und endlich war die Nachricht auch für mein Gehirn verständlich gewesen, Applaus!

Die Auswirkungen des Schokoladenentzugs waren mehr als beängstigend und ich hatte nun endgültig den Beweis, dass Schokolade ein Suchtmittel war. Verstohlen grinste ich. Die gesamte Menschheit war also von einer Droge abgängig.

Das Lächeln entging meinem Gegenüber natürlich nicht und unsicher fragte sie nun:
"Verzeihen Sie, habe ich etwas Falsches gesagt?"

Mein Kopf schnappte auf und ich schüttelte schnell den Kopf.

"Ich lege nur keinen Wert darauf, auszusehen wie ein Pfau, deswegen bevorzuge ich ein schlichtes Kleid, wenn möglich ohne Korsett."

Erst nachdem diese Wort meine Lippen verlassen hatten, bemerkte ich, dass ich damit wohl die meisten Damen, die in diesem Haus wohnten, beleidigt hatte und biss mir schnell auf die Lippe.

"Kein Korsett?!", fragte das Mädchen nun völlig überrascht und blickte mich einen Augenblick lang abwägend an. Dann redete sie weiter:
"Na gut, ich werde schon etwas Passendes für Sie finden, warten Sie einen Augenblick."

Mit diesen Worten verschwand sie in den Tiefen des Kleiderschranks, so, dass ich nur noch ihre weiten Röcke sehen konnte, ihr restlicher Körper wühlte sich gerade durch die riesigen Kleidermassen.

Mir war es ein Rätsel, wie sie sich dort drin zurecht finden wollte, aber offenbar war dies kein Problem für sie.

Nach einigen Sekunden tauchte sie wieder auf, einen stolzen Ausdruck auf ihrem Gesicht, mit einem Stück Stoff in ihrem Händen.

"Dieses Kleid schien mir das Passendste.", meinte sie und hielt es hoch.

Seine Farbe war eine undefinierbare Mischung aus blau und grau, aber es hatte kein Korsett.

Ich gab ihr nickend mein Einverständnis. Sogar dieses Kleid war ansehlicher als mein Rüschennachthemd und das wollte etwas heissen.

Mit raschen Schritten durchquerte das Mädchen den Raum und mir fiel auf, dass ich ihren Namen noch gar nicht wusste.

"Darf ich nach eurem Namen fragen?"

Sie schaute verblüfft auf.
"Natürlich, Miss, mein Name ist Emma.", nach einem kurzen Zögern fügte sie hinzu, "Lady Emma von Bristol."

Offenbar erwartete sie, dass ich irgendein negatives Ereignis mit ihrem Namen verband und schaute beschämt auf den Boden. Da ich mir aber beim besten Willen nicht vorstellen konnte, was ein Mädchen wie Emma angestellt hatte und die Anschuldigungen der High Society, zu der sie dann wohl gehören musste, gar nicht hören wollte, antwortete ich:

"Mein Name ist Helene, es wäre mir eine Freude, wenn wir das Siezen hinter uns lassen könnten."

Emma zuckte überrascht zusammen und schaute von ihren Fingernägeln, die vorhin ihre gesamte Aufmerksamkeit abbekommen hatten, auf.

"Meinen Sie das ernst? Ich denke, es würde sich nicht gehören, so mit mir zu verkehren, schliesslich bin ich-"

"Es spielt für mich keine Rolle, was geschehen ist. Die Vergangenheit kann man sowieso nicht mehr ändern."

Ich verdrehte wegen meinen eigenen Worten die Augen. Mir selbst zu widersprechen war schon immer eine Spezialität von mir gewesen. Was, wenn nicht die Vergangenheit ändern, tat ich hier denn gerade?

Sie nickte schliesslich zaghaft und lächelte.

"Also, Mi.. -Helene, soll ich dir helfen das Kleid anzuziehen? Es bereitet zwar nur die Hälfte der Arbeit, da du auf das Korsett verzichtest, aber ich denke, eine Dame wie du ist sich nicht gewöhnt, sic selbst anzukleiden."

Ohne mir eine Möglichkeit zur Antwort zu geben, begann sie an meinem Rüschenhemd zu ziehen und ersetzte es mit einem Unterkleid, das sie rasch über meinen Kopf zog.

Es war ein komisches Gefühl, dass mich jemand ankleidete und löste in mir ein Gefühl von Hilflosigkeit aus. Es war völlig ungewohnt für mich, dass mir jemand solch banale Sachen wie Ankleiden abnahm, das hatte ich immer selbst gemacht.

Als ob Louis sich je erbarmt hätte, mir auch nur mit dem Reissverschluss zu helfen. Wenn ich wirklich einmal Hilfe benötigte, hatte ich ihm meinen gesamten Schokoladenvorrat anbieten müssen und auch dann hatte er mich noch zappeln lassen.

Während Emma herumfuhrwerkte, überlegte ich weiter.
Warum hielten mich alle für eine Lady hohen Standes? Konnte ich nicht dem Landadel zugehören oder reichen Bürgerlichen?
Und warum benahm sich Emma derart unterwürfig und schüchtern? Sie war doch eine Lady, waren die nicht schon von Geburt an verpflichtet, auf andere herunterzuschauen?

Kurz hob ich meine nackten Füsse, damit Emma sie mir in ein Paar Schuhe stecken konnte.

Immer mehr Fragen nagten an mir, aber mir blieb keine Zeit, auch nur eine, meine Neugier verpackt in Naivität, zu stellen.

Eins musste ich Emma nämlich schon einmal anrechnen, sie war unglaublich schnell darin gewesen, mich herzurichten.

Hüpfend trat sie um mich herum, lächelte kurz und packte wie schon zuvor meine Hand.

Mit einem "Die anderen warten schon!" zog sie mich wieder aus dem Ankleidezimmer hinaus auf den Gang, während ich undamenhaft hinter ihr herstolperte.

Grazie und Eleganz, ähm....nein, so lief ich ganz bestimmt nicht. Ich sah wohl eher aus wie ein Bauerntölpel in einem Mehlsack von undefinierbarer Farbe. In Ordnung, so schlimm war das Kleid auch wieder nicht, dann trug ich eben einen Kartoffelsack.

Gänge flogen wieder an mir vorbei, während ich einige Male über meine eigenen Füsse fiel und mir einen amüsierten Blick von Emma einfing. Sie verlor langsam ihre Scheu mir gegenüber und ich wusste nicht, ob mir das gefiel.

Wieder blieben wir stehen, als hätte uns jemand uns ferngesteuert und schon wieder knallte ich beinahe in Emma's Rücken. Zum Glück bemerkte sie es nicht, denn meine Manieren hätten sich in Luft aufgelöst, wenn sie mir auch nur ein winziges, amüsiertes Lächeln zugeworfen hätte.

Die Tür wurde aufgerissen und die Dame mit dem schreiend gelben Kleid stand davor. Sie warf mir einen entsetzen Blick zu, den sie jedoch schnell hinter ihrer höflichen Maske versteckte und zur Seite trat, damit wir das Zimmer betreten konnten.

Emma hatte meine Hand immer noch fest in ihrer Gewalt und zog mich direkt auf die Mitte des grossen Esstisches, der in der Mitte des Raumes stand zu. Dort rückte sie einen Stuhl zurück und drückte mich darauf. Ich fühlte mich ein wenig wie damals, als ich und Louis Rudolf wieder einmal die Pralinen weggefuttert hatten und er uns danach eine Standpauke hielt.

"Guten Tag, Miss, das Essen kommt gleich!", rief eine ältere Frau mit grau meliertem Haar und strahlend weisser Schürze, ganz offensichtlich die Köchin, und verschwand zusammen mit der Dame im gelben Kleid durch die zweite Tür, die in diesen Raum führte.

Ich wusste nicht, wohin ich schauen sollte, denn alle wuselten um mich herum und mir wurde es langsam aber sicher zu viel. Im Mittelpunkt zu stehen war eines der Dinge, die mich dazu brachten, mich unwohl und unsicher zu fühlen, Gefühle, die ich verabscheute.

Alle Damen, ich konnte nicht zählen, wie viele es waren, sie huschten viel zu schnell um mich herum, setzen sich schliesslich zu mir an den Tisch und starrten mich an. Mein Unbehagen wuchs und anfangs liess ich mir noch nichts anmerken, aber je länger ich dort sass, desto unerträglicher wurden die starrenden Blicke und die stumme Neugier, die in der Luft lag.

Immer wieder wich ich ihren Blicken aus, aber trotzdem spürte ich, wie sie sich in mich hinein brannten.

Ich seufzte und fragte schliesslich:

"Nennt mich bitte Helene, in Ordnung? Was wollt ihr wissen?"

"Wie sind Sie -bist du in diesem Wald gelandet?", war die erste Frage, die mich erreichte und ich antwortete so schnell ich konnte, damit ich nicht von weiteren Fragen überfallen wurde.

Jetzt hiess es eine glaubwürdige Geschichte zu erfinden. Ich konnte ihnen ja schlecht eröffnen, dass mich der Switcher in der falschen Zeit und irgendwo in der Pampa ausgespuckt hatte, dann wäre es vorprogrammiert, dass ich in den nächsten Stunden von irgendeinem Priester auf teuflische Aktivitäten untersucht werden würde.

"Ich habe mich verlaufen. Zuvor bin ich auf einem mir unbekannten Weizenfeld aufgewacht und konnte mich nicht mehr erinnern. Also bin ich losgelaufen in der Hoffnung, jemanden anzutreffen, der mir sagen konnte, wo ich mich befand."

Tolle Geschichte, Helene, wirklich total glaubwürdig, dachte ich ironisch und machte mich schon auf misstrauische Gesichter und drängender Fragen gefasst, aber nichts dergleichen passierte.

Sie alle schienen mir zu glauben, auf ihren Gesichtern ein mitleidiger Ausdruck und Emma fragte plötzlich:

"Das heisst, du hast dein Gedächtnis verloren?"

Ich überlegte für einen Bruchteil einer Sekunde, dann nickte ich möglichst niedergeschlagen und dankte dem Zufall, dass er Emma mir diese Idee geliefert hatte.

"Ja, ich fürchte, ich kann mich an nichts mehr ausser meinen Namen erinnern."

Viele der Damen keuchten nun entsetzt auf und es blieb mir ein Rätsel, wieso sie nicht in Ohnmacht fielen. Wäre ich so eng in ein Korsett geschnürt wie sie, läge ich schon lange bewusstlos auf dem Boden. Soviel zum Ausdauertraining, das Rudolf uns immer absolvieren liess, gegen Korsette war es machtlos.

"Iss zuerst einmal etwas, mein Kind.", ertönte auf einmal eine Stimme hinter mir und ich drehte mich rasch um. Die Köchin blickte mit einem gutmütigen Gesichtsausdruck auf mich herab und platzierte eine Schüssel Suppe vor mir.

"Ich wusste nicht, was dein Magen schon verträgt, Kind, deswegen ist es einfach nur eine einfache Kohlsuppe."

Ich nickte dankbar und tauchte den Löffel, den mir die Köchin zuvor in die Hand gedrückt hatte, vorsichtig in die dampfende Suppe. Wenn ich ehrlich war, sah sie nicht sehr appetitlich aus, aber ich hatte einen Bärenhunger.

Zu meiner Überraschung schmeckte sie viel besser, als sie aussah und ich löffelte sie schnell in mich herein, während ich noch immer den neugierigen Blicken ausgesetzt war.

Als ich geendet hatte und mein Magen schier platzte, erschien die Dame im gelben Kleid, von der ich den Namen noch immer nicht wusste und machte einen Vorschlag, der in meinen Ohren jedoch mehr wie ein Befehl klang:

"Setzten wir uns doch wieder in den Salon!"

Raschelnde Röcke erhoben sich sofort und zwei unbekannte Damen packten meine Hände wie Schraubstöcke, während sie mich mit sich zogen. Ich musste mir wieder eine sarkastische Bemerkung unterdrücken und liess mich brav mitziehen.

Während wir liefen, quasselten auch sie mich unbarmherzig voll, wenigstens erfuhr ich so jedoch, dass sie Maisie und Anne hiessen.

Als mein Kopf sich anfühlte, als sei er so sehr mit belanglosen Informationen angefüllt, dass es gleich an der Decke anstossen würde, erreichten wir endlich den Salon, den ich sofort wiedererkannte.

Die schnatternden Damen zogen mich herein und wuselten im Raum herum, um genügend Sitzgelegenheiten heranzuschaffen, während ich stehenblieb und ein einziger Gedanke meinen Kopf durchquerte.

"Das kann ja heiter werden!"

Ergeben setzte ich mich auf den Diwan und fragte mich, ob Frühstück mit Dinosauriern nicht angenehmer gewesen wäre.






ÄÄhm...tut mir leid, aber ich bins schon wieder und hab wieder einmal mein Kapitel fertig....Wie findet ihr es? Langweilig, oder? Ich muss leider noch ein bisschen Vorarbeit leisten, bevor ich Helene auf Entdeckungsreise gehen lassen kann....Ich hoffe natürliche es gefällt euch trotzdem und wünsche euch einen schönen Sonntag.

lg louve

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