Das 18.Kapitel oder fliegende Gegenstände
Meine Rückenwirbel knackten, als ich mich gen Sonne streckte, die erbarmungslos auf uns herabbrannte. Unter meinem Spitzensonnenschirm war es stickig heiss und ich fühlte, wie ein Schweisstropfen mir zwischen meinen Brüsten hinunterlief.
Wer kam auch auf die Idee und setzte sich bei zweiunddreissig Grad nach draussen, anstatt sich bequem auf ein Sofa zu schmeissen und vor sich hinzugammeln?
Ich warf einen finsteren Blick hinüber zu den kichernden Ladys, Amelia, Cynthia und Edwina, und versteckte mich schnaubend hinter meinem Sonnenschirm. Konversation wurde sowieso überbewertet.
Eine Woche war ich jetzt schon hier und entgegen all meinen Erwartungen war es ruhig. Doch die Ereignislosigkeit machte mich närrisch, anstatt mich zu beruhigen. Die Ruhe vor dem Sturm auszusitzen war nie angenehm. Und viel zu tun hatte ich auch nicht.
Obwohl mir der ältere Herr, der, wie ich später herausgefunden hatte, der duke of Dorset war, eine Beschäftigung als Anstandsdame bzw. Aufpasserin in Aussicht gestellt hatte, war ich immer noch hier. Ihm zufolge seien die Herrschaften momentan nicht gegenwärtig und kämen erst in zwei Woche zurück. Für mich hiess das also konkret, dass ich noch eine Woche lang Däumchen drehend und in ein Korsett gequetscht bei langweilgen Gesprächen über die neuste Mode und den neusten Klatsch zugegen sein durfte, während die Sonne, obwohl ich sie normalerweise ja mochte, mich in Schweiss badete. Wirklich tolle Aussichten.
Schritte holten mich aus meiner Lethargie und ich schaute hoffnungsvoll auf. Die Lords waren heute zu fünft und hielten direkt auf mich und die Klatschtanten neben mir zu. Allem Anschein nach wollten diese intelligent wirken, denn jetzt fingen sie an über die französische Revolution und die politischen Auswirkungen zu philosophieren und sprachen davon, wie schlecht ein Umsturz für die Bevölkerung gewesen sei, wobei sie die Monarchie in de Himmel lobten und von Barbaren sprachen, die den armen König von seinem Thron gestossen hätten. Dabei liessen sie jedoch völlig ausser Acht, dass der König nicht gerade Führungsqualitäten bewiesen hatte, indem er sich nicht wagte eine Entscheidung zu treffen und seine Frau dadurch bekannt wure, dass sie den Bauern vorschlug, dass sie doch einfach Kuchen essen sollten, wenn sie kein Brot mehr hätten. In der Tat sehr qualifizierte Monarchen.
Glücklicherweise erreichten uns die Parade der gentlemen, die im Gänsemarsch hintereinander herdackelten, und meine Ohren wurden von weiterem Gequassel gerettet.
Leider hatte ich nicht damit gerechnet, dass Lady Hastings sich sofort daran machte, mit den Wimpern zu klimpern und sich den Arm von Lucas zu krallen. Amelia warf William ebenfalls einen, oder auch mehrere, schüchterne Blicke zu und versteckte ihre rot werdenden Wangen, indem sie den Kopf senkte und ihre kunstvoll drapierten Locken vor ihr Gesicht fallen liess.
"Darf ich vorstellen, der Viscount Montgomery.", meinte Lucas mit einem Zwinkern.
Dieser verbeugte sich und meinte galant: "Stets zu ihren Diensten."
Die Pute Edwina, ääh..., ich meinte natürlich die Lady Edwina schlug ihren Fächer auf und liess sich mit einem triumphierenden Lächeln die Hand küssen, die sie dem Armen Neuankömmling aufdringlich vor die Nase hielt. Ich rollte mit den Augen und schaute gen Himmel.
"die, die jetzt gerade mit den Augen rollt und uns am liebsten dorthin schicken würde, wo der Pfeffer wächst, ist Helene. Äusserst charmant, nicht wahr?", meinte mein Lieblingsschnösel, auch unter dem Namen Lucas bekannt, zuckersüss und zwinkerte mir zu.
Wenn Blicke töten könnten.......
Frustriert verschränkte ich die Arme und klinkte mich nun vollständig aus dem Geplapper aus, während ich mir überlegte, was ich nun tun sollte. Wie kam ich jetzt bitteschön wieder zurück? Wohl wahr, ich könnte einfach mal versuchen, durch ein Portal zu laufen, wenn ich wüsste, wo es sich befinden würde. Allerdings lief ich dabei Gefahr, dass es doch keine Schnittstelle zwischen jetzt und Zuhause war, ich mich bedröppelt vom Zusammenstoss mit der Wand erholen musste und man mich direkt in die Klapse einlieferte. Wirklich toll!
Seufzend ergab ich mich meinem Schicksal und schaute meinen Schweissperlen beim Rollen zu. Die Stunden vergingen wie zähflüssiger Kaugummi, doch ich war beinahe überrascht, als der Himmel plötzlich dunkel war.
"Ähm..., haben wir vor noch länger hier draussen zu bleiben?", meldete ich mich fragend zu Wort und deutete auf den pechschwarzen Himmel.
Jetzt bemerkten auch die schnatternden kaffeekränzchenhaltenden Schnattertanten, dass wohl ein Gewitter im Anmarsch war und Cynthia kreischte sofort auf:
"Meine Frisur wird völlig ruiniert werden, schnell zurück!"
Noch bevor sie ihren Ausruf beendet hatte, klatschten dicke Regentropfen vom Himmel und Tumult brach aus. Jeder sammelte eilig seine sieben Sachen zusammen und stiess Flüche aus. Auch ich erhob mich und blickte dankbar zum Sonnenschirm, den ich ein paar Stunden zuvor noch verflucht hatte. Als Regenschirm war er wirklich nützlich und auch wenn er schon anfing, den Regen durchzulassen, so machte er jetzt mehr Sinn als vorhin gegen die Sonne.
Plötzlich krachte es und der Himmel wurde schlagartig erhellt.
"Auch das noch!", stöhnte Lady Edwina und hob ihre Röcke hoch, während sie begann durch das Feld Richtung Haus zu stapfen. Halt...Feld?!
Mir wurde mit einem Mal klar, dass wir uns auch einer offenen Fläche befanden und jederzeit getroffen werden konnten. Ausser mir schrie ich:
"Bückt euch!"
"Verdammte, verfluchte Scheisse, tut, was ich sage!", fügte ich hinzu, als sich keiner von der Stelle rührte. Glücklicherweise war das Gras recht hoch, sodass man sich nicht flach auf den Boden pressen musste, um nicht der höchste Punkt in der Umgebung zu sein.
Endlich schienen sich die Herrschaften sich auch wieder daran zu erinnern, dass Blitze sehr faule Gesellen waren und nicht gerne liefen.
Im Gänsemarsch und zusammengeklappt rannten wir hintereinander her, während uns nasse Grashalme immer wieder um die Ohren peitschten.
Nach zehn Minuten kam endlich das Anwesen in Sicht und wir nahmen an Tempo auf. Auch wenn das Haus in London stand, so befanden wir uns im Moment doch am Rande der Stadt, folglich gab es viel freie Fläche, wie zum Beispiel für die Existenz eines Feldes.
Keuchend erreichten wir die grosse Eingangstür und platzen hinein. Mit einem lauten Knall schlug diese wieder zu und ich stiess einen erleichterten Seufzer aus. Pfützen bildeten sich unter uns und als ich in Lady Edwina's Gesicht blickte, konnte ich mich nicht mehr halten. Ich fing lauthals an zu prusten und hielt mir den Bauch. Die Schminke von Edwina war wohl nicht wasserfest und war in ihrem gesamten Gesicht verschmiert. Nun sah sie aus wie ein tieftrauriger Clown.
Als die anderen sich dem lachhaften Bild bewusst wurden, brachen sie ebenfalls in Gelächter aus. Edwina selbst bemerkte nach ein paar Sekunden, dass wohl irgendetwas nicht stimmte und nachdem ihr Bruder ihr unter Lachtränen endlich den Grund verriet, lief sie rot an und stürmte davon. Ein wenig schuldbewusst starrte ich ihr hinterher und biss mir auf die Lippe.
Amelia rauschte zusammen mit Cynthia, die mir einen hasserfüllten Blick zuwarf, ebenfalls davon und auch die Herren setzten sich in Bewegung, sodass ich schlussendlich alleine im Gang stand. Etwas unschlüssig verharrte ich noch einige Sekunden und überraschte mich selber, als ich mich in Bewegung setzte. Statt nämlich in mein Zimmer zurückzukehren, näherte ich mich der Zimmertür, hinter der ein gedämpftes Schluchzen hervordrang.
Vorsichtig klopfte ich und wartete. Das Schluchzen verstummte abrupt, aber nichts regte sich.
Zaghaft drückte ich die Türklinke hinunter und zuckte erschrocken zusammen, als ein Pantoffel mit Kurs in meine Richtung mich an der Nase traf. Ein gequältes "Hmpf" verliess meine Lippen und ich lugte mit Vorsicht wieder in den Raum hinein. Diesmal konnte ich glücklicherweise ausweichen, als plötzlich ein Buch durch die Luft schoss und dann im Korridor gegen die Wand klatschte.
"Edwina?", fragte ich in den Raum hinein und ein wütendes Kreischen antwortete mir.
'Super gemacht, Helene! Eine Runde Applaus für dich ist hier mehr als nur angebracht.', dachte ich mir und trat, auf herannahende Fluggeschosse achtend, in das Zimmer, während ich mir an den Kopf griff und hoffte, dass ich mit allen Körperteilen wieder herausfinden würde.
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