Ohne zu warten, bis Yin völlig ruhig stand, sprang ich ab und raste die knarrenden Treppenstufen zu Myrte's Wohnung hinauf. Ausser Atem kam ich an der Tür an und mein Herz blieb stehen.
Obwohl mich die Nachricht auf die Sicht, die sich mir bot, vorbereitet hatte, so hatte ich doch immer noch sorgfältig ein Fünkchen Hoffnung in mir tragen können. Jetzt war dieses gewaltvoll zermalmt und zerstampf worden.
Auf den ersten Blick sah alles aus wie immer, aber wenn man genauer hinblickte, so sah man, dass ein ungebetener Besucher hier gewesen sein musste. Auf dem Boden waren schwache Fussabrücke zu sehen, zu gross, als dass sie von mir oder Myrte sein könnten. Aus dem Dorf kam nie jemand zu Myrte, sie wurde von ihnen gemieden wie die Pest. Ausserdem waren einige Wassertropfen auf dem Holzboden eingetrocknet und hatten kaum merkliche Flecken darauf hinterlassen, die man nur sah, wenn man danach suchte.
Wahrscheinlich war der ungebetene Gast in der Nacht gekommen und hatte durch den regen reiten müssen, daher auch die Wassertropfen. Mit schweren Schritten trat ich in den Türrahmen zu Myrte's Schlafzimmer und eine unüberraschende Sicht bot sich.
Das Bett war bis auf eine schwarze Lilie und ein paar Blutstropfen leer.
Deine schuld, deine Schuld, es ist deine Schuld!, flüsterte es unentwegt in meinem Kopf und ich hielt mir verzweifelt die Hände an die Ohren, doch das Flüstern wurde nur noch lauter. Kraftlos lehnte ich mich gegen die Wand und sank daran herunter, die Stimmen in meinem Kopf lautstark Anklage gegen mich erhebend.
Ich musste eine Ewigkeit dort gesessen haben, als die Stimmen immer leiser wurden und langsam verschwanden. Still wartete ich noch, den Kopf an die wand gelehnt und dachte nach. Hier blieben konnte ich nicht. Es war mir zwar immer noch ein Rätsel, warum es keine Mordanschläge auf mich gegeben hatte, aber dafür brachte ich die Leute in Gefahr, die mir in der kurzen Zeit, in der ich sie nun schon kannte, etwas bedeuteten.
Mit zusammengepressten Lippen grübelte ich, wohin ich wohl fliehen konnte, aber viele Möglichkeiten fielen mir nicht ein. Klar könnte ich auf gut Glück versuchen, mich in irgendeiner Kleinstadt zu verstecken und zu hoffen, dass nicht auffiel, dass ich mich dort aufhielt. Allerdings war die Lilie gut. Sehr gut. Wenn sie mich finden wollten, dann fänden sie mich innerhalb von Tagen, egal in welcher Stadt.
Ich brauchte also Schutz, dachte ich und mein Sarkasmus liess sich auch wieder mal im unpassendsten Moment blicken und gab seinen Senf dazu, dass mir das ja früh eingefallen wäre. Die Augen über mich selbst verdrehend überlegte ich weiter. Schutz zu finden, wenn man niemanden kannte, das war alles andere als eine leichte Aufgabe. Ich hatte auch keine Idee, wer mir diesen Schutz auch bieten würde. Zur Kirche, obwohl noch immer machtvoll, zu gehen, das war ausgeschlossen, wahrscheinlich würden sie mich anfangs noch als einen komischen Kautz, bald aber schon als Teufelin bezeichnen. Auf den Galgen oder Scheiterhaufen zu warten war bestimmt nicht angenehm, das wusste ich aus Erfahrung. Der Unterschied zu früheren Situationen war ausserdem der, dass ich meinem Orden nicht mehr trauen konnte. Jemand wollte mich tot sehen und das machte alle verdächtig, vor allem meinen Orden.
Als plötzlich die Kirchenglocken begannen zu läuten, schreckte ich zusammen und rappelte mich blitzschnell auf. Für einen Moment stand ich bewegungslos im Zimmer und hörte dem Läuten zu. Armenseelen- oder Verirrtenläuten nannten die Dorfbewohner dieses.
Plötzlich setze ich mich hastig in Bewegung, packte die schwarze Lilie, die auf dem Bett lag, mit meiner linken Hand und konnte nicht umhin zu fluchen. Die Glocken läuteten jeden Abend eine Stunde nach dem Sonnenuntergang, so hatte mir Myrte erklärt, als ich gefragt hatte. Das Geläute war allerdings in Trerice nie zu hören gewesen und so hatte ich die Glocke noch nie vernommen.
Zum vierten Mal an diesem Tag raste ich die Treppe hinunter und stieg auf die schon wartende Yin, die sofort in einen flotten Galopp verfiel. Wahrscheinlich wäre ganz Trerice in Aufruhr, schliesslich war ich ohne ein Wort davongestürzt. Schuld nagte an mir und ich haute Yin meine Fersen in die Flanken, worauf sie einen überraschten Hüpfer machte, jedoch danach noch einen Zahn zulegte.
Kurze Zeit später sah ich endlich das grosse Anwesen am Horizont aufragen und seufzte. Ich war mir nicht sicher, ob was ich tun sollte, aber ohne eine Verabschiedung konnte ich nicht gehen, soviel war mir klar. sie hatten zu viel für mich getan, als dass ich ihnen einfach meinen Rücken zukehren und auf Nimmerwiedersehen verschwinden konnte.
Unmittelbar vor dem Eingangstor verlangsamte ich Yin und trottete im Schritt auf den Vorplatz. Sofort kam ein Stallbursche herangeeilt und nahm mir Yin ab, worauf ich ihm dankbar zunickte. Normalerweise kümmerte ich mich selber um sie, doch ich wollte das Bevorstehende so schnell wie möglich hinter mich bringen.
Während ich mir auf die Unterlippe biss, eilte ich die Treppen hinauf Richtung Salon und musste beinahe grinsen, als mir bewusst wurde, dass dies eines der wenigen Male war, in denen ich den Raum freiwillig betreten würde. Schnell wurde dieser Gedanke jedoch wieder von den kürzlich Ereignissen überschattet und ein Stirnrunzeln wischte das Lächeln völlig aus meinem Gesicht.
Langsam öffnete ich die Tür und suchte den Raum nach Miss Ilie ab. Wie erwartet fanden meine Augen sie, neben einer mir unbekannten Dame sitzend, und ich trat zögerlich in den Salon. Plötzlich unsicher wusste ich nicht, wie ich mich verhalten sollte und blieb am Eingang stehen.
Plötzlich schoss etwas Gelbes auf mich zu und eine Sekunde später fand ich mich in einer blutabschnürenden Umarmung wieder.
"Elle, wo warst du nur? Wir haben uns solche Sorgen gemacht!", schniefte Pecunie und versuchte mit aller Kraft nicht in Tränen auszubrechen. Die Gewissensbisse arbeiteten auf Hochtouren und ich schaute sie entschuldigend an. Als sie meinen Blick auffing, keuchte sie plötzlich erschrocken auf und sah mich fragend an. Ich starrte verwirrt zurück und wunderte mich, was den jetzt schon wieder mit ihr los war. Pecunie's Emotionen waren sehr flexibel, sie konnte innerhalb von Sekunden von himmelhoch jauchzend zu tieftraurig wechseln und danach nicht einmal erklären, warum sie diese Gefühle hatte.
Jetzt schien sie jedoch einen handfesten Grund zu haben, denn sie packte mich an den Schultern und schob mich vor sich her bis zum Diwan, wo sie mich eisern darauf drückte.
"Was. ist. los.?", fragte sie, jedes Wort betonend und schaute mir eindringlich in die Augen. Ich schluckte schwer, doch der Kloss in meinem Hals wurde nur noch grösser und ich blinzelte verzweifelt. Orion weint nicht, es überwindet; hatte Rudolph, unser Ausbilder, immer gesagt und er hatte recht damit.
Ein letztes Mal schluckend schaute ich Peco ebenfalls in die Augen und antwortete ihr mit krächzender Stimme:
"Myrte, sie ist weg. Sie haben sie."
Zum Schluss brach meine Stimme und meine Wangen wurden nass. Pecunie schaute mich schockiert an und nahm mich dann sofort in ihre Arme, während Elisabeth, die ebenfalls hinzugekommen war, mir fürsorglich über den Rücken strich und beruhige Worte murmelte.
Nach ein paar Minuten kehrte meine Selbstbeherrschung soweit zurück, dass keine Tränen mehr über meine Wangen liefen und ich nur noch vereinzelt schniefte. Als ich meinen Kopf hab, sah ich, dass sämtliche Augenpaare der Anwesenden auf mich gerichtet waren. Darunter waren auch die Lackaffen, die ich kennenlernen musste, und ich seufzte.
Jetzt hielten sie mich wohl für irre, dachte ich, doch ich bemerkte, dass es mir egal war. Als ich ihre Gesichtsausdrücke genauer analysierte, bemerkte ich eine grosse Palette an Emotionen. Nur Lady Cynthia, so hiess sie, wenn ich mich recht erinnerte, hatte einen genervten, saueren Gesichtsausdruck, während ihre Freundin eine ausdruckslose Miene aufgesetzt und die Lords und Viscounts, und was sie sonst noch alles waren, komischerweise Empathie zeigten. Nur den Gesichtsausdruck meines Schatten könnt eich nicht entziffern und ärgerte mich ein wenig darüber, hatte jedoch nicht lange Zeit, denn Miss Ilie erhob zum ersten Mal, seit ich den Salon betreten hatte, die Stimme:
"Würdest du uns bitte aufklären?"
Ich seufzte, aber es blieb mir nichts anderes übrig als zu nicken.
"Myrte...Myrte ist weg. Sie wurde gefangen genommen, entführt und sobald sie wach wird, wird sie wahrscheinlich gefoltert. Verdammt, ich hätte es wissen müssen!", schrie ich plötzlich auf und raufte mir die Haare, während ich rastlos im Zimmer auf und ab tigerte.
"Und warum sollte Myrte entführt werden?", fragte Miss Ilie weiter und ich blickte sie gequält an.
"Den genauen Grund weiss ich nicht, aber ich weiss, dass es mit mir zu tun hat."
Nach kurzem Zögern fuhr ich fort:
"Ich habe Briefe bekommen, Zeichen, aber ich habe nicht bemerkt, was sie vorhatten."
Wieder biss ich mir auf die Lippe.
"Wer sind sie?", fragte Miss Ilie weiter, während sie sich mit gerunzelter Stirn eine ihrer grauen Strähnen um den Finger zwirbelte.
"Die Schwarze Lilie. Sie werden sie töten.", flüsterte ich den letzten Satz tonlos und starrte mit weit aufgerissenen Augen vor mich hin, während sich alle möglichen Horrorszenarien in meinem Kopf abspielten.
"Die Lilie?", fragte plötzlich ein älterer Mann, seinem Aussehen nach einer der Lackaffen.
Ich nickte nur und schaute ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen an.
"Also musst du hier weg. Gehe ich richtig der Annahme?", fragte er weiter und strich sich nachdenklich über seinen Schnurrbart.
Wieder nickte ich und sah ihn fragend an. Nach einer kurzen Pause antwortete er mir mit einem zufriedenen Funkeln in seinen Augen:
"Dann habe ich Ihnen einen Vorschlag zu bereiten, Miss."
Ich bin PÜNKTLICH!! Na ja, fast...
Applaus bitte xD
Viel Spass beim Lesen:)
Lg Lou
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