Das 13.Kapitel oder Namen und ein Plan
In Zeitlupe durchquerte ich den Raum und liess mich in einen der kleineren Sessel plumpsen. Völlig genervt schaute ich auf und bemerkte, dass alle anderen nun standen und mir Elizabeth einen tadelnden Blick zuwarf, der keinen Widerspruch duldete. Seufzend erhob ich mich wieder und Elizabeth setze ihr Megawattlächeln auf.
"Darf ich vorstellen, das ist Miss Helene, sie-"
Triumphierend lächelte ich, als mein Ich-koche-dich-lebendig-Blick ihr die Sprache verschlagen hatte.
Die Lackaffen blickten sie erwartungsvoll an und ich konnte nicht umhin, ihr einen reizenden Augenaufschlag hinzuwerfen. Sie seufzte nur und ich wusste, dass sie endlich ihre Hoffnung verabschiedete, dass ich mich zivilisiert verhalten würde, und nickte unmerklich.
"Wie gesagt, das ist Miss Helene, eines der liebsten Mädchen, die ich je kennenlernen durfte."
Aus der Ecke ertönte ein Schnauben und ich wirbelte mit zusammengekniffenen Augen herum. In der Ecke stand mein Schatten, nun ohne Umhang, der mich mit hochgezogenen Augenbrauen anblickte. Herausfordernd starrte ich zurück und fragte mit zuckersüsser Stimme und einem derart falschen Lächeln, dass es selbst dem hinterletzten Lackaffen auffallen musste:
"Oh, und sie sind?"
Dabei fügte ich ein kreischendes Kichern an, um meinen Auftritt zu vervollständigen. Elizabeth oder Liz stiess geräuschvoll die Luft aus und warf mir einen warnenden Blick zu, den ich entschloss zu ignorieren.
"Oh, ich vergass ganz, mich vorzustellen, aber zuerst meine Freunde und meine Familie, ihr kennt euch doch bestimmt nicht, indeed?"
Genervt blickte ich ihn an und widerstand dem Drang, mit meinem Fuss zu klopfen.
"Darf ich vorstellen, zu ihrer Linken sitzt Henry George Edward, Earl of Hertford und neben ihm gleich Maxwell Alexander Robert, Viscount Newport, meine zwei besten Freunde. Gegenüber von Ihnen befindet sich meine reizende Schwester, Lady Amelia Victoria Matilda of Somerset, die gerade erst siebzehn geworden ist. Ihr coming out ball hat leider noch nicht stattgefunden, aber das holen wir nach, sobald wir wieder zuhause sind."
Lächelnd zwinkerte er seien Schwester zu und fuhr fort:
"Zu ihrer Rechten sitzen Lady Edwina Margaret of Northampton, die Schwester von Henry und deren beste Freundin, Lady Cynthia Hastings. Und zuletzt, meine anderen zwei besten Freunde, William Andrew John, Earl of Arlington, Barone Arlington und Byron Richard Charles, Viscount Montgomery, Barone Berkeley. Von ihnen sollten Sie sich jedoch besser fernhalten, sonst werden Sie schnell zu einem Opfer ihrer berühmten Streiche. Henry's und meine Eltern sind leider zur Zeit nicht anwesend, aber sie werden spätestens heute Abend in's Vergnügen kommen, sie kennenzulernen."
Flüchtig liess ich meinen Blick über die Anwesenden schweifen und wandte meine Aufmerksame jeder meinem Schatten zu:
"Und beantworten Sie mir jetzt, wer Sie sind?", fragte ich ungeduldig und Elisabeth schüttelte entsetzt den Kopf. Ich zuckte nur mit den Schultern und schickte ihr einen unschuldigen Augenaufschlag. Als ich mich wieder dem Lackaffen Nr. 1 alias Schatten zuwandte, zuckten dessen Mundwinkel verdächtig und ich warf ihm einen finsteren Blick zu. Wieso fand er auch alles soooo amüsierend? Waren wir hier etwa im Zirkus? Oh je, also diese Frage beantwortete ich jetzt lieber nicht.
"Verzeihen Sie, ich kann mich nie an all ihre Fragen erinnern.", meinte er entschuldigend und Liz stiess einen verträumten Seufzer aus, während ich meine Hand krampfhaft davon abhalten musste, ihr den Vogel zu zeigen.
"Mein Name ist Lucas William James, Marquess of Winchester, Earl of Pembroke und Gloucester, aber Sie können mich gerne einfach nur Lucas nennen."
Dem überraschten Aufkeuchen zufolge war dieses Angebot wohl etwas Aussergewöhnliches, aber ich zuckte desinteressiert mit den Schultern.
"Nun, Miss Helene", versuchte eine der Schwestern , ich glaubte, sie hiess Edwina, angestrengt, mich in ein Gespräch zu verwickeln, "was tun Sie hier den lieben langen Tag? Wir es hier auf dem Land, in einer solch abgeschiedenen Gegend ohne irgendwelche Bälle nicht unglaublich langweilig?"
Ein lautes Schäuben entwischte mir und wenn man wegen übermässigem Entsetzen sterben konnte, so hätte Elisabeth jetzt einen Grabstein benötigt. Ehrlich gesagt hätte ich auch schon die passende Inschrift gehabt: Ruhe in Manieren und Anstand, die auf dieser Welt leider nicht genügend vorhanden waren.
Ich bemerkte erst, dass ich lachte, als mich alle verwundert anstarrten und sich wohl fragten, ob ich vielleicht geistesgestört war. Schnell kratzte ich meine Beherrschung zusammen und wich dem dem feixenden Blick meines Schatten, der nun endlich einen Namen, Lucas, besass und versuchte so höflich wie möglich zu antworten:
"Miss, gerade das schätze ich an dieser Gegend. Niemand, der auf die Idee kommt, langweilige Gesellschaften oder schreckliche Bälle zu veranstalten, damit man sich wie ein Zirkuspferdchen herausputzen kann."
Sie wollte gerade mit einem befremdeten und irgendwie höchst entsetzten Gesichtsausdruck zur Antwort ansetzen, da ging die Tür auf und Miss Ilie betrat den Raum. Mit einem flüchtigen Blick erkannte sie meine missliche Lage und befreite mich daraus, indem sie mich fragte, was denn so dringend sei.
Heilfroh verabschiedete ich mich von den Lackaffen und schickte Liz einen erleichterten Blick, dann war ich auch schon zur Tür hinausgerast.
Miss Ilie sicherte mir natürlich Hilfe zu, verkündete mir allerdings auch, dass die ach so vornehmen Herrschaften dem Waisenhaus einen besuch abstatten würden. Oh, kann mal jemand nachschauen gehen, ich glaube, ich war gerade vor Entsetzen gestorben.
Es war schon später Nachmittag, als ich aus Miss Ilie's Büro hinaus auf den Flur trat und mich fragte, was ich nun tun sollte. Meine Unschlüssigkeit währte nicht lange, kurz darauf wusste ich wieder, was ich schon lange hätte tun sollen. Mit einem vorfreudigen Grinsen, das einem Honigkuchenpferd ernsthaft Konkurrenz machte, holte ich Tinte und Briefpapier raus und zeichnete einen Plan. Sobald ich den letzten Tropfen Tinte auf das Papier gekratzt hatte, faltete ich es sorgfältig, sodass es die noch nicht ganz trockene Tinte nicht verschmierte und schlich leise hinab zu den Dienstbotenquartieren. Noch leiser öffnete ich die Tür hinaus, die von den Dienstboten immer rege benutzt wurde und deshalb beinahe nie abgeschlossen war, und legte den Plan sorgfältig unter den Busch neben dem Eingang, nicht weit entfernt vom Ersatzschlüssel, mit dem man Trerice betreten konnte, falls die Tür wider Erwarten doch abgeschlossen sein würde.
Auf Zehenspitzen machte ich mich wieder auf den Weg nach oben und konnte mir nur mit Mühe einen Schrei unterdrücken, als ich plötzlich mit jemandem zusammenkrachte. Im ersten Augenblick dachte ich schon, dass es Lucas sei, und fühlte, wie Zorn brodelnd in mir aufstieg, aber zu meiner Erleichterung war es bloss Nancy, ein schüchternes, braunhaariges Mädchen mit blasser Haut und einer Familie, die dem Wort atrocious eine ganz neue Definition gab.
Das Aufleuchten ihrer Augen bei meinem Anblick zauberte ein Lächeln auf mein Gesicht, das sie scheu erwiderte. Entgegen ihrem scheuen Auftreten begann sie jedoch loszuquasseln, über die Lackaffen, sonstige Damen, die erst ein paar Wochen hier waren, und ihr neues Kleid. Währenddessen zog sie mich in einem ungeheueren Tempo, an das ich mich mittlerweile gewöhnt hatte, da mich alle Mädchen auf diese Art und Weise herumzogen, durch die Gänge und direkt in einen der Salons hinein. Misstrauisch blickte ich zuerst nach links und dann nach rechts, doch dann konnte ich die frohe Botschaft verkünden: keine Lackaffen in Sicht!
Grinsend setzte ich mich zu Liz, Taylor; und Daisy und Emma, die mittlerweile rund wie ein Ballon war, und liess mich wieder einmal über den neusten Klatsch und Tratsch informieren. Leider war Peco, meine andere Hälfte und vollem Namen Pecunie genannt, was sie verabscheute, nirgends zu sehen und ich stiess ein wenig enttäuscht die Luft aus. Obwohl auch sie schrecklich auf Manieren bedacht war, hatte sie es doch geschafft, über den Tellerrand bzw. London hinauszublicken und ich war dankbar dafür, dass ich jemanden hatte, mit dem ich ernsthaft über alles, was mir in den Sinn kam, streiten konnte. Sie wusste auch als einzige ausser Miss Ilie mein Geheimnis, wenn man es so nennen konnte. Unglauben war ein schwaches Wort, wenn man ihre Reaktion darauf, dass ich aus der Zukunft sei, beschreiben wollte. Aber glücklicherweise hatte sie es mehr oder weniger akzeptiert, ohne mich mit Standardfragen zu löchern.
Daisy schwärmte ihrem verträumten Gesichtsausdruck gerade von jemandem und ich klinkte mich wieder aus dem Gespräch raus, denn spätestens nach drei, vier Tagen würde sie wieder schwärmen, allerdings von einer neuen Bekanntschaft. Deshalb bemerkte ich erst, dass sie mich wohl angesprochen hatte, als Taylor mich unsanft anstupste und ich verwirrt wieder in der Realität landete.
"Du hast mir überhaupt nicht zugehört, oder, Elle?", fragte mich Taylor stöhnend und ich fühlte mit ihr. Auch wenn sie sich normalerweise um Klatsch scherte, so waren Daisy's Schwärmereien doch etwas völlig anderes, das sehr viel Nerven und Geduld in Anspruch nahm.
"Sie hat von diesem Schönling namens Byron geredet, der ihr ein Kompliment nach dem anderen gemacht hat, sodass sie am Schluss schlimmer als eine Tomate aussah!", kicherte Taylor wenig einfühlsam und Daisy errötete wieder, während sie einen schwachen Versuch startete es abzustreiten.
"Er soll ein Vermögen besitzen, aber sein Freund übertrumpft ihn bei weitem. Und seine blauen Augen, hach, wie ein klarer See im glitzernden Sonnenlicht....", schaltete sich Emma nun ein und ich schaute sie verstört an. Doch keines der Mädchen beachtete mich und so verbrachte ich meinen restlichen Tag damit, mit meinen Gedanken abzudriften, hin und wieder zustimmend zu nicken und ein oder zwei zustimmende Worte zu äussern, während ich mich fragte, ob heute Nacht alles gut gehen würde.
Ohooo, was wird denn in der Nacht geschehen? In der Nacht, ja in der Nacht, ist der Teddy aufgewacht....ne Spass, kennt ihr das Lied auch?
Ich hoffe, ihr habt nun eine Vorstellung vom grössten Teil der "Lackaffen", ich werde noch ein separates Kapitel machen, in dem ich euch Bilder reinstelle, damit ihr wisst, wie sie ungefähr aussehen bzw. wie ich sie mir vorgestellt habe.
So, heute habe ich auch wieder mal was gelernt, ich war überrascht, als ich die ganzen Bezeichnungen auf Wikipedia nachgelesen habe, mal ehrlich, wusstet ihr, wie man einen Viscount korrekt anspricht?
Ihr verdient wieder mal ein grosses Entschuldigung, ich hoffe, ihr verzeiht mir wieder einmal...
Na ja, wie dem auch sei, ich hoffe, ihr sei schon gespannt, was denn jetzt passieren wird und keine Angst, die Lilie hat bald auch wieder ihren Auftritt....
lg Lou
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