Das 10.Kapitel oder tollpatschiger Schatten
Das aufgeregte Geschnatter von Emma und den anderen Hühner, wie ich sie liebevoll nannte, war schon von weitem zu hören. Zwischendurch ertönte hin und wieder unbekannte Stimmen und meine Hühner gackerten animiert weiter.
Mit Schwung nahm ich die Stufen der Wendeltreppe, die von der Küche und dem Trakt der Dienstboten hinauf in die Salons und Schlafzimmer führte. Als ich das basement erreicht hatte, verlangsamte ich meine Schritte und tapste auf Zehenspitzen weiter. Die Stimmen waren lauter geworden und nun konnte ich deutlich einzelne Personen ausmachen. Ich schätze, dass es etwa um die zwölf Personen sein mussten. Männliche Personen.
Die Diebe hatten recht gehabt. Die Herren hatten wohl wirklich vor, auf Brautschau zu gehen. Zögernd stoppte ich, mit einem Fuss in der Luft und an die Wand gedrückt, während ich den Stimmen weiter lauschte. Plötzlich schüttelte ich unmerklich den Kopf und entfernte mich in die entgegengesetzte Richtung. Wenn ich jetzt hineinplatzen würde, dann wäre ich wohl wie ein Pulverfass, ein falsches Wort von einem gehirnlosen Schnösel und ich würde an der Decke kleben.
Deswegen atmete ich tief durch und zählte langsam auf zehn. Dann lächelte bitter und dachte an das, was die Diebesbande und ich besprochen hatte. Zum Glück half es und ich konnte mein kochendes Blut soweit beruhigen, sodass ich nicht in den Raums stürmte und alle Lackaffen verprügelte und zur Sadistin wurde.
Auf Zehenspitzen schlich ich in den Raum, der für mich in den letzten Monaten zu meinem Rückzugsort und Zuhause geworden war, wenn mir meine Hühner oder meine Rasselbande, auch unter dem Namen Waisenkinder bekannt, zu sehr an meinen Drahtseilnerven sägten.
Sobald ich angekommen war, liess ich mich noch vollkommen bekleidet auf mein hartes Bett fallen, dass mir jedoch immer sehr bequem erschien, wenn meine Augenlider mir sogar im Stehen zufielen. Als ich dalag und an die Decke starrte, dachte ich nach.
Über Myrte, über die Diebe und die Lackaffen, über die Schwarze Lilie, Orion und mich.
Doch schon nach ein paar Minuten merkte ich, dass ich mich mit meinen Gedanken im Kreis drehte und schob sie in den hintersten Winkel meines Bewusstseins. Während ich also versuchte, an nichts zu denken, und teilnahmslos an die Decke starrte, jagten sich meine Gedanken trotzdem kreuz und quer durch mein Gehirn. Mein Versuch scheiterte also kläglich.
Elefantengetrampel, das manch einer auch als Schritte bezeichnen wollte, riss mich schliesslich endlich aus meiner Fragerei und ich debattierte in Gedanken, ob ich mich jetzt doch noch dazu bequemen und aufstehen sollte oder ob ich ich gemütlich liegenbleiben sollte. Meine Kleidung würde am nächsten Morgen zerknittert sein, entrüstete sich eine Dame namens Manieren in meinem Kopf, doch ich kümmerte mich nicht um sie. Sie war schon immer eine lästige, kleine Dame mit einer viel zu hohen Stimme gewesen. Herr Sarkasmus war mir immer schon viel willkommener gewesen, doch dieser meldete sich nicht zu Wort.
Nach kurzem Hin und Her siegte meine Bequemlichkeit und ich blieb in meinem dunkelblauen Kleid liegen. Nur die Schuhe versuchte ich von meinen Füssen zu schütteln, ohne dass ich mich aufrichten und sie ausziehen musste. Dies gelang mir nach heftigem Durchgeschütteltwerden und einer halben Ewigkeit auch. Dafür war ich aber danach wieder hellwach.
Seufzend drehte ich mich noch eine Weile hin und her, verhedderte mich dabei in meinen Bettlaken und fiel mit einem dumpfen Plumps auf den Steinboden. Einen leisen Fluch nicht unterdrücken könnend richtete ich mich auf, machte mir die Mühe, meine Schuhe wieder anzustreifen, nicht und und schlich barfuss zur Tür.
Es war ruhig, keine Stimmen noch sonstige Geräusche. Anscheinend schliefen bereits alle tief und fest. Umso besser. Keine Lackaffen, die mir über den Weg laufen konnten. Sobald meine Füsse die Perserteppiche berührten und keine tapsenden Laute mehr verursachten, verflüchtigte sich meine Vorsicht und ich eilte durch die dunklen Gänge.
Nach ich um einige Ecken gebogen war, stand ich endlich vor der schweren Kirschholztür, die einzige in diesem Haus. Leise drückte ich die Klinke hinunter und quetschte mich durch den Spalt, ohne auch nur einen Blick in das Innere des Raumes zu werfen. Es würde sich sowieso niemand dort aufhalten.
Erleichtert atmete ich auf, als die Tür mit einem leisen Klicken in's Schloss fiel und wirbelte vorfreudig herum. Vor mir erstreckten sich Regale, vom Boden bis zur Decke vollgestopft mit Büchern. Nebst Schundromanen, die ich, als ich die ganze Bibliothek neu sortiert hatte, in eine Ecke quetschte und sie dort verstauben liess, hatte es einige Bücher, die ich verschlang, als wäre ich kurz vor dem Verhungern.
Auf diese bewegte ich mich nun zu und liess meine Fingerspitzen sanft über die unterschiedlichen Buchrücken gleiten. Plötzlich sprang mir ein Buch in's Auge und ich zog es rasch heraus: The Life and Strange Surprizing Adventures of Robinson Crusoe of York von Daniel Defoe. Dieses Buch mochte ich besonders, vor allem die versteckte Kritik an der Gesellschaft, die dieses auf einen Abenteuerroman reduziert hatte. Als ich die Bibliothek zum ersten Mal betreten hatte, war ich überrascht gewesen, wie viele Bücher kritischer Natur hier vorzufinden waren, bemerkte jedoch schon bald, dass es nicht daran lag, dass meine Hühner besonders kritische Geister waren, sondern daran, dass sie nicht auf die Idee kamen, die Bücher zu interpretieren. Natürlich hätte ich ihnen verraten können, was der Autor wohl wirklich damit hatte bezwecken wollen, doch dann wären die Bücher wohl im Abfall gelandet und dafür waren sie mir zu wertvoll.
Zufrieden lächelte ich und liess mich auf einem der Teppiche nieder. Zwar befanden sich nur einige Meter von mir entfernt Stühle und eine Diwan, doch der Boden war mir lieber. Sobald ich lesen konnte, hatte ich mich, meinen Kopf in einem Buch vergraben, auf den Boden gelegt und war für die nächsten paar Stunden nicht mehr ansprechbar gewesen. Und genau das hatte ich nun auch vor. Wenn ich schon nicht schlafen konnte, dann konnte ich mir meine Zeit wenigstens sinnvoll vertreiben.
Schon bald war ich mitten in Schlachten und Schiffbrüchen, vergass die Realität und saugte jeden Buchstaben auf. Hin und wieder musste ich ein Lachen unterdrücken oder meine Augen davon abhalten, sich weiter zu drehen und sogar der Erde Konkurrenz zu machen.
Stunden vergingen, während ich Jahre zusammen mit Robin Crusoe durchlebte. Als ich wehmütig die letze Seite aufschlug und die Buchstaben aufsaugte, konnte ich nicht verhindern, dass mir ein seufzen entfuhr. Gute Bücher waren früher oder später immer zu Ende. Und wenn sie doch weitergingen, dann war die Fortsetzung nur halb so gut wie das erste Buch.
Vergänglichkeit.
Dieses Wort huschte mir plötzlich durch den Kopf und strich mir nachdenklich ein paar Locken aus meiner Stirn, die sich aus meinem unordentlichen Zopf gelöst hatten. Vergänglichkeit war mir schon genug unter die Nase gerieben worden. Jedes Mal, wenn ich wieder einmal starre Augen und kalkweisse Hände entdeckte, dann wurde ich wieder daran erinnert, egal wie sehr ich versuchte, nicht daran zu denken.
So viele Augen ohne ein Funkeln in ihnen, so viele Körper ohne das kleinste Zucken. Ich würde auch bald dran sein, das wusste ich und ich hatte gemischte Gefühle. Einerseits liebte ich es, lebendig zu sein, doch ich war oft genug tot. Zumindest innerlich. Die letzen Monate hatten mir ein wenig Leben zurück gegeben, genauso wie auch Louis, aber sobald ich alleine in meinem kalten Bett lag, kamen die Bilder wieder. Sie hatten mich nicht in Ruhe gelassen, obwohl es doch schon ziemlich lange her war.
Plötzlich sah ich aus Augenwinkeln eine Bewegung und schoss auf. Wankend kam ich auf die Füsse und blickte den Schatten an, dessen Gesicht ich nicht erkennen konnte. Mittlerweile war es draussen nicht mehr so dunkel, die Sonne würde bald aufgehen.
Ich blinzelte und rührte mich nicht von der Stelle. Der Schatten auch nicht.
Für einige Zeit standen wir unbeweglich da, dann trat der Umriss rückwärts und stolperte über seine eigenen Füsse. Mit einem dumpfen Plumps knallte er auf den Boden und blieb einen Augenblick perplex dort liegen, dann fluchte er unterdrückt und rappelte sich wieder auf.
Verwirrung beschrieb meinen Zustand am besten. Wer stand vor mir? Lilien waren ausgeschlossen, niemand von ihnen war so tollpatschig und eines der Waisenkinder konnte es auch nicht sein, dafür war der Schatten zu gross. Aber wer dann?
Stirnrunzelnd trat ich näher auf ihn zu, aber er wich mir aus, bis er mit seinem Rücken gegen die Tür stiess. gehetzt schwenkte er seinen Kopf nach links, dann nach recht und wieder in meine Richtung.
Plötzlich murmelte er ein "excuse me", dann riss er die Tür auf und war verschwunden. Ich stand wie zur Salzsäule erstarrt da und wusste nicht, was ich tun sollte. Nach einigen Augenblicken konnte ich mich aus meiner Erstarrung lösen und eilte zur Tür. Suchend streckte ich meinen Kopf zur Tür heraus, konnte aber keine Anzeichen dafür erkennen, dass mein Schatten hier entlang gelaufen war.
Als mir bewusst wurde, dass ich nach einem Schatten Ausschau hielt, von dem ich noch nicht einmal den Namen wusste, schlug ich mir verärgert meine Hand gegen die Stirn und jaulte sogleich auf. Ich hatte wohl etwas zu fest geschlagen.
Über mich selbst den Kopf schüttelnd räumte ich mein Buch wieder zurück auf seinen Stammplatz und schloss leise die Tür hinter mir. Die Sonne hatte es nun schon fast über die Hügelspitzen geschafft, Trerice würde bald zum Leben erwachen und mit ihm das Chaos.
Aber noch war alles ruhig. Auf Samtpfoten huschte ich den Flur hinab und schmunzelte, als mein Magen knurrte.
Zeit für ein ausgiebiges Frühstück.
Hellöööuuuu tougetter
Hier hört ihr wieder mal was von mir, wer hätte darauf noch gehofft? Wahrscheinlich habt ihr alle schon gedacht, ich sei im Packeis verschollen oder als Mahlzeit eines Mammuts draufgegangen. Ups, ich glaube, die sind Pflanzenfresser, oder?
Na ja, auf jeden Fall gibt's mich noch und ihr bekommt hier auch euer Kapitel. Lasst mir doch eure Vermutungen da, wer der Tollpatsch war, ja? Vielleicht das Schlossgespenst? Oder doch eine Lilie?
Joa, zu Robin Crusoe muss ich sagen, dass ich das Buch noch nie gelesen habe, Wikipedia hast auch getan. Falls jemand aber ne Ahnung darüber hat und irgendetwas findet, das nicht stimmt, dann bitte Nachricht schreiben.
Ähm, hab ich sonst noch was zu sagen? Nö, glaub nicht.
Also, demfall
Adios
Eure Lou, die heute seeeehr komisch drauf ist.
*Die Autorin übernimmt keine Verantwortung, falls das Kapitel Kopfschütteln und Reaktionen wie "Was für ein Mist!" erzeugt*
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