Das 10.5 Kapitel oder Schäfchen zählen
Seufzend streckte er seine Glieder aus und lehnte seinen Kopf an's Kutschenfenster. Sie waren nun schon stundenlang im Niemandsland unterwegs und abgesehen von ein paar Bauernhöfen erblickte er nur sanfte, grüne Hügel, gelegentlich Weizenfelder und Bäume.
Zum Glück hatte er seine Eltern davon überzeugen können, dass er die Kutsche mit Henry teilen durfte, doch dieser war eingeschlafen und schnarchte mit weit offenem Mund.
Vor einem Tag waren sie losgefahren, eine lange Schlange aus sechs Kutschen, und hatten nur selten gerastet. In den ersten Stunden hatte Lucas noch Beschäftigung gehabt, doch mittlerweile hatte er sein Buch dreimal ganz durchgelesen und wirklich keine Lust, noch ein viertes Mal hinzuzufügen.
Einen weiteren Seufzer von sich gebend wandte er seinen Blick wieder zum Fenster hinaus und bemerkte die Veränderung zunächst gar nicht. Doch dann weiteten sich seine Augen und er blickte hoffnungsvoll zum Haus, das sich in der Ferne materialisierte.
Es war zwar nicht so gross wie Somerset Estate, aber doch recht ansehnlich dafür, dass es hier mitten im Niemandsland stand.
Zu seiner grenzenlosen Erleichterung fuhren die Kutschen tatsächlich auf das Anwesen zu und er schüttelte den immer noch schnarchenden und grunzenden Henry aufgeregt. Dieser öffnete ein Auge, runzelte die Stirn und warf ihm einen finsteren Blick zu, bevor er sich so gut es ging wieder in seine ecke kuschelte und weiterschlafen wollte. Doch nach ein paar Sekunden und einem ungläubigen Ausdruck auf Lucas' Gesicht wurde er nochmals gerüttelt und setzte sich mürrisch auf.
"Was für Probleme hat Your Lordship denn jetzt schon wieder?"
Lucas warf ihm einen genervten Blick zu und deutete mit einer Kopfbewegung auf das immer grösser werdende Haus.
"Wir haben es endlich geschafft und kommen gleich an.", meinte er mit einem feixenden Grinsen, "obwohl du natürlich gerne weiter in der unbequemen Kutsche schlafen kannst."
Er zwinkerte seinem verschlafenen Freund einmal kurz zu, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder dem Anwesen zuwandte. Auf den ersten Blick sah es sehr gepflegt und ruhig aus, aber als er genauer hinschaute, erkannte er eine Vielzahl an Leuten, die herumrannte oder in Gruppen zusammenstand.
Mit einem Brüllen, das dem schrei eines Affen sehr ähnlich war, räkelte sich Henry ausgiebig und schaute dann ebenfalls blinzelnd aus dem Fenster.
"Irgendwie klein, findest du nicht?", meinte er mit hochgezogenen Augenbrauen und schaute Lucas verwirrt an.
"Ich habe gemeint, es wohnen circa vierzig Ladys hier.", fuhr er fort.
Lucas hob ebenfalls eine Augenbraue und entgegnete:
"Sehe ich so aus, als wüsste ich, wo die Damen sich aufzuhalten pflegen?", fragte er zurück und bekam einen genervten Blick zugeworfen.
"Es bestand die Möglichkeit, dass du vielleicht über die Umstände Bescheid gewusst hast, du brauchst also gar nicht so spöttisch zu antworten!", erwiderte Henry und verschränkte beleidigt seine Arme.
Bevor Lucas ihn besänftigen konnte, hielt die Kutsche abrupt und Henry machte Bekanntschaft mit dem Kutschenboden, während Lucas wieder einmal einen Lachanfall unterdrücken musste.
"Heut ist wohl nicht so dein Tag, was?", fragte er feixend und kletterte aus der Kutsche, bevor Henry einen Kommentar dazu abgeben konnte.
Erleichtert schüttelte er seine verkrampften Glieder aus und verdrehte die Augen, als ein paar der Dienstmädchen kichernd an ihm vorüber liefen. Umwerben war Henry's Beruf.
Nach und nach sammelten sich Mädchen am Eingang, die leise tuschelten und immer wieder verstohlene Blicke zu den Neuankömmlingen warfen. Als schliesslich alle aus ihren Kutsche gestiegen waren, kam eine etwas ältere Frau mit grauem Haar elegant die Treppe herunter und knickte einmal flüchtig.
"Willkommen auf Trerice! Ich bin Miss Ilie, die Leiterin."
Nach langwierigen, respektvollen Begrüssungen wurden die Neuankömmlinge endlich in's Innere des Hauses geführt. Die schlichte Einrichtung gefiel Lucas sofort, während Henry die Nase rümpfte und Lucas einen kurzen Blick zuwarf.
Die kichernden Damen folgten ebenfalls und Lucas warf seinem Vater einen entsetzten Blick zu, bevor er sein höfliches Lächeln auf seinem Gesicht festzurrte.
Die Dienstboten machten sich eifrig daran, das Gepäck auszupacken und zu gerne hätte er ihnen geholfen, doch die Hand seiner Mutter in seinem Rücken schoben ihn erbarmungslos vorwärts Richtung Salon.
Es dauerte eine Weile, bis alle aufgeregt schwatzend Platz genommen hatten. Da bei weitem nicht genügend Sitzgelegenheiten vorhanden waren, standen einige Damen , andere hatten mit erhobenem Kinn und verschränkten armen den Raum verlassen, bevor Lucas oder einer seiner Freund einen auch nur einen Platz hatte anbieten können. Anstrengende Weiber!, dachte er genervt und lächelte umso strahlender, während er hoffte, dass es nicht zu angestrengt wirkte.
Gespräche begannen und Lucas' Hoffnung, sie mögen nicht so lange dauern, wurden mit jeder Minute weniger. Immer wieder wechselte er verzweifelte Blicke mit Henry, Maxwell und William, seinen Leidensgenossen, doch sie konnten nichts tun, als höflich zuzuhören und hin und wieder ein paar Worte zu äussern. Als sich sein Vater nach Stunden endlich erbarmte, seufzte Lucas laut auf, worauf ihn ehe der Damen vertröstete, dass man sicher noch viele weitere Gelegenheiten habe, sich zusammenzusetzen und zu reden.
Wieder musste Lucas sich zusammenreissen und spannte seine Gesichtsmuskeln an, sodass sie ihm wehtaten, doch die Dame bemerkte nichts und hielt sein Lächeln wohl für Enthusiasmus und Erleichterung.
Erschöpft liess er sich von einem Zimmermädchen zu seinem Raum führen und verdrehte die Augen, als es ungeschickt stolperte und wohl von ihm erwartete, dass er es auffing. Seiner Pflicht als Gentleman nachkommend tat er dies, setzte allerdings eine strenge Miene auf, sodass das Dienstmädchen erschrocken aus seinen Armen sprang und vor ihm her zu seinem Schlafraum eilte.
Dort angekommen seufzte er noch einmal tief und liess sich auf sein Bett fallen, wo er sofort einschlief. Mitten in der Nacht schoss er plötzlich hoch und schaute sich gehetzt um, als er nicht sofort erkannte, wo er war. Doch dann erinnerte er sich wieder und beruhigte sich. Wieder einzuschlafen erwies sich jedoch als höchst schwierig. Während er sogar versuchte Schafe zu zählen und sich von der einen Seite zur anderen drehte, entschied er sich, wieder aufzustehen und sich auf Entdeckungstour zu machen. Zugegeben, dass dies bei Nacht nicht die beste Idee war, doch in seinem Zimmer bleiben wollte er auch nicht.
Eilig packte er seinen Umhang, denn obwohl der Winter noch weit entfernt war, so bekam er trotzdem Gänsehaut und fror in der kurzen Zeit, in der er nur mit Schlafgewand bekleidet in seinem Zimmer stand.
Nachdem er sich einige Male seinen kleinen Zehen angestossen und in eine Ecke gelaufen war, hörte er ein leises Rascheln
und blieb wie festgewachsen stehen.
Das Geräusch erklang aus einem Zimmer rechts von ihm. Schwaches Licht schien durch den Türspalt und Lucas näherte sich neugierig.
Ganz offensichtlich war er nicht der einzige, der nicht schlafen konnte, da konnte er doch wenigstens mal in Erfahrung bringen, wer sich hinter der Tür befand, oder?
Leise schlich er auf die Holztür zu und lugte hinein. Seltsamerweise konnte er niemanden sehen und stiess die Tür vorsichtig auf mit der Hoffnung, sie möge nicht knarren. Zu seiner Erleichterung schwang diese lautlos auf und gab den Blick in's Innere des Raumes frei.
Zu seiner Überraschung lag jemand auf dem Boden, vor sich ein Buch. Gelegentlich raschelte es wieder, wenn das Mädchen eine Seite umblätterte oder leise lachen musste über das, was sie las.
Unschlüssig stand Lucas im Türrahmen. Er wusste nicht, ob er sich bemerkbar machen oder einfach wieder umkehren sollte, zumal es ja höchst unschicklich war, sich ohne chaperone in Gesellschaft einer unverheirateten Dame zu befinden, und das bei Nacht.
Doch er wusste, dass das unwiderrufliche Schäden für das Mädchen mit sich ziehen würde, während er glimpflich davon käme. Und auch wenn er zugeben musste, dass es stimmte, wenn sein Vater sagte, er sei verantwortungslos, so besass er doch Anstand und Weitsicht genug, an die Konsequenzen zu denken.
Deshalb drehte er sich schnell um und wollte sich schon aus dem Staub machen, als das Mädchen plötzlich herumwirbelte und wankend auf die Füsse kam.
Für unangenehme Augenblicke standen sie sich schweigend gegenüber. Lucas war überrascht über den Ausdruck von Angst und gleichzeitig auch Hass in ihren Augen. Dann erinnerte er sich plötzlich wieder daran, dass er sich hatte auf sein Zimmer begeben wollen und stolperte hastig zurück.
Dabei machte er seine Rechnung jedoch ohne seinen Umhang und seine Füsse, er verlor sein Gleichgewicht und schlug mit seinem Hinterteil hart auf dem Boden auf.
Er konnte nicht anders als laut zu fluchen und rappelte sich peinlich berührt wieder auf. Als ich in ihr Gesicht blickte, war nicht mehr länger Angst und Hass zu sehen, sondern allumfassende Verwirrung.
Er hatte keine Zeit über ihren Gesichtsausdruck nachzudenken, denn sie kam langsam auf ihn zu wie ein Jäger, der seine Beute eingekesselt hatte und sie nun zur Strecke bringen wollte.
Mit jedem Schritt, den sie vorwärts machte, tat er einen rückwärts, während er inständig betete, er möge nicht noch einmal hinfallen.
Plötzlich stiess er mit dem Rücken gegen die Tür und sah sich gehetzt um. Klar denken konnte er in seiner jetzigen Lage nicht mehr, stattdessen stiess er ein schnelles "excuse me" aus, riss die Tür auf und raste den Flur hinunter, als wäre der Teufel hinter ihm her.
Okay, keine Überraschung für euch, oder?
Und ja, ich melde mich wieder einmal, hatte ein Musiklager und bin kaputt. Dreizehn Stunden Schlaf in fünf Nächten ist echt heftig....
Na ja, auf jeden Fall gehe ich jetzt gleich ins Bett, aber ich verspreche euch, dass ich morgen wieder etwas aktiver auf Wattpad sein werde.
Gute Nacht
Lou
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