Helden und Schurken
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Helden und Schurken
Unsicher hatte Talea die Konversation zwischen Evanora und Julian beobachtet und obwohl sie kein einziges Wort verstanden hatte, so war ihr dennoch klar, worum es gegangen sein musste. Denn Evanora war zum Schluss wieder sehr bedrückt gewesen und hatte sich zu Jane gesetzt, um über diese zu wachen. Travis hatte sich stattdessen an die Seite von Julian gestellt und sprach nun mit ihm, was Talea aber ausfilterte. Sie wappnete sich stattdessen innerlich für den Kampf gegen Malekith und ignorierte dabei die Tatsache, dass der Äther in Jane Foster machtvolle Impulse an sie aussandte. Jeder der Heirs spürte die Macht des Infinity-Steins, doch Talea reagierte besonders empfindlich, was sie nicht ergründen konnte. Der Stein der Realität war ihr noch nie geheuer gewesen, denn er konnte täuschend echte Illusionen hervorrufen und besaß eine gewaltige Macht. Ein Grund mehr, um sich so weit wie möglich von ihm fernzuhalten und einen großen Bogen um ihn zu machen.
,,Es versetzt Euch in Aufruhr, nicht wahr?"
Talea zuckte zusammen, als die Stimme von Loki zu ihr durchdrang. Dieser stand etwas abseits, schien sie aber schon eine ganze Weile zu beobachten, da ihm die Anspannung von Talea und auch der verunsicherte Blick Richtung Jane nicht entgangen waren. Die Braunhaarige nahm sogleich eine ausdruckslose Miene an und bemühte sich darum, ihre Gefühle wieder unter der Oberfläche zu begraben, da sie Talea sonst verraten könnten.
,,Die Kraft in Jane Foster ist eben nichts, was man unterschätzen sollte, Loki Laufeyson. Auch Ihr solltet das nicht tun.", ermahnte sie ihn, woraufhin er die noch immer gefesselten Hände beschwichtigend erhob.
,,Ich habe nicht vor, dem zu widersprechen. Aber dennoch bin ich neugierig. Ihr und Eure Gefährten bildet zweifelsfrei eine Gemeinschaft und dennoch erkenne ich tiefe Gräben, die zwischen euch allen liegen. Erlaubt mir die Frage, was könnte solch eine mächtige Truppe entzweien?"
Loki war sehr scharfsinnig, das musste Talea ihm zugestehen. Er war keineswegs auf den Kopf gefallen und zog schnell die richtigen Schlüsse, was ihm zwar einen großen Vorteil einbrachte, Talea aber ein wenig in die Ecke drängte. Sie wollte keinesfalls irgendwelche Details ihrer Legion an den Gott des Schabernacks weitergeben, denn immerhin war dieser für seine List bekannt und dennoch hatte sie das seltsame Gefühl, dass sie Loki vertrauen konnte. Sie wusste nicht einmal weshalb und zweifelsohne wäre sie die Einzige, die sich zu solch einem waghalsigen Gedanken überhaupt hinreißen lassen würde, doch sie fragte sich, woher dieses Gefühl kam. Es ähnelte sehr dem Gefühl der seltsamen Verbundenheit, welches Talea seit ihrer Ankunft in Asgard verspürt hatte und sie allzeit begleitete. Nur den Ursprung hatte sie noch immer nicht ausfindig machen können.
Ihr Schweigen veranlasste Loki dazu, sich ihr ein wenig anzunähern und wohl darauf bedacht zu sein, dabei kein Aufsehen zu erregen. Es spiegelten sich Neugier und leichte Belustigung in seinen Augen wider, wofür Talea ihn gleichzeitig bewunderte und verfluchte. Dieser Gott war in der Tat mit Vorsicht zu genießen.
,,Ich verstehe. Ohne Zweifel eine Menge Konflikte und Differenzen. Die Gründe dafür scheinen sehr tief zu reichen, denn Euer Schweigen sagt mehr aus, als es Worte jemals tun könnten. Ich wünschte, Euer Anführer hätte sich vorhin etwas mehr in Schweigen gehüllt, denn seine Worte waren überaus unangebracht."
,,Unangebracht?", wiederholte Talea ungläubig und Loki nickte.
,,Ja. All meine Taten dienten lediglich dem höheren Wohl. Ich habe die Schlacht in New York nicht ohne Grund geführt, denn Midgard mangelt es an Größe und Ehrfurcht. Die Menschen dort neigen zur Selbstzerstörung und ihre engstirnigen Sichtweisen werden eines Tages noch ihren Untergang herbeiführen. Sie brauchen einen starken Herrscher und wer wäre dafür besser geeignet als ein Gott? Ich wäre bereit gewesen, mich als ihr wahrer König zu erheben, doch man hat meine Chance darauf zerschlagen und dabei hatte ich nur die besten Absichten. Die Erde unter meiner Herrschaft wäre zu einem glorreichen Imperium geworden, dessen Ansehen heller gestrahlt hätte, als es Asgard jemals möglich sein wird."
Loki sprach seine Worte voller Überzeugung aus und an der schien es ihm keineswegs zu mangeln. Sie machte ihn aber sehr überheblich, was seine Arroganz unermesslich erscheinen ließ und Talea wurde einmal mehr bewusst, dass Loki in der Tat sehr eitel und auf Anerkennung aus war. Woher dies kam, das wusste sie nicht und dennoch ahnte sie, dass die Gründe dafür tief verwurzelt sein mussten.
Die Braunhaarige schwieg noch für einen kurzen Moment, doch dann wollte sie Loki auf den Boden der Tatsachen zurückholen, da er sonst einen viel zu großen Höhenflug der Illusion erleben würde.
,,Ich glaube, Ihr habt die wahre Bedeutung einer Herrschaft nicht verstanden, Loki. König zu sein, bedeutet weitaus mehr, als nur Befehle zu erteilen, auf einem Thron zu sitzen und seinen Willen durchzusetzen. Es bedeutet vor allem, dass man Opfer für sein Volk bringt. Es beschützt, für es in den Kampf zieht und das Wohl aller anderen über seine eigenen Wünsche zu stellen. Wenn Ihr also wirklich über die Menschen hättet herrschen wollen, dann hättet Ihr für sie kämpfen sollen und nicht gegen sie.", erklärte Talea ihm ernst, woraufhin Loki eine Augenbraue hob.
,,Und das macht mich dann also zum Schurken?"
,,Nein. Zum Schurken macht Euch die Tatsache, dass Ihr selbst Eure eigene Familie hintergehen würdet, wenn es Euch einen Vorteil verschafft. Euer Bruder hat keinerlei Vertrauen mehr zu Euch, weil Ihr alle in Eurem Umfeld verraten würdet, sobald sich Euch die Gelegenheit dafür bietet."
Talea betrachtete Loki eingehend, der für einen Moment schwieg. Doch dann grinste er leicht und wirkte fast schon wieder ein wenig hochmütig.
,,Das würde Euch und Euren Gefährten natürlich niemals in den Sinn kommen. Helden wie ihr tun so etwas nicht."
,,Wir sind keine Helden, Loki. Unsere Schöpfung dient einzig und allein dem Schutz des Universums. Uns steht nicht der Sinn nach Heldentum, glorreiches Ansehen oder epische Schlachten, in denen man sich an uns erinnert. Denn nichts davon ist irgendetwas wert, wenn die Welten um uns herum zerfallen und nichts mehr bleibt außer der endgültigen Vernichtung. Und nicht unsere Herkunft oder Fähigkeiten bestimmen, ob wir Helden oder Schurken sind, sondern ganz allein unsere Entscheidungen. Ihr solltet Euch deshalb einmal selbst fragen, was für ein Mann Ihr wirklich sein wollt. Welchen Weg Ihr letztendlich einschlagen wollt und wohin er Euch führen soll. Das liegt allein in Eurer Hand, aber glaubt mir...wenn Ihr weiter ausschließlich nach Anerkennung, Macht und Herrschaft strebt, dann wird es Euch am Ende nichts bringen außer Verderben. Denn je höher man fliegt, umso tiefer kann man fallen."
Talea entfernte sich von Loki, da sie einer möglicherweise sarkastischen Antwort um jeden Preis entgehen wollte. Denn wahrscheinlich würde er ihre Worte ohnehin nicht ernst nehmen und stattdessen ins Lächerliche ziehen, worauf Talea nun wirklich verzichten konnte. Weit kam sie aber nicht, denn in diesem Moment fiel ihr auf, wie Thor auf Julian zuging, der soeben seine Konversation mit Travis beendet zu haben schien.
Der Blick des Donnergottes war ernst, was Talea ein ungutes Gefühl bescherte und Thor machte vor Julian Halt, der sich daraufhin mächtig anspannte und es lag etwas in der Luft, weshalb Talea und auch Evanora sich den Männern näherten, als Thor den Anführer der Heirs of Universe ins Kreuzverhör nahm.
,,Also, gut. Ich will ein paar Antworten und zwar jetzt."
,,Inwiefern?", entgegnete Julian leicht irritiert, als Thor die Augen leicht zu Schlitzen verengte.
,,Eure geheimen Gespräche untereinander entgehen mir nicht und ich weiß, dass ihr Vier irgendwas verheimlicht. Deshalb wiederhole ich meine Frage, die ich euch bei der Ankunft in Asgard bereits gestellt habe: warum seid ihr zu uns gekommen?"
Talea fragte sich zwar, weshalb Thor mit einem Mal so misstrauisch war, aber sie konnte ihn sogar verstehen. Es war ja nicht das erste Mal, dass die Heirs heimlich die Köpfe zusammensteckten und da würde sie an seiner Stelle vermutlich auch skeptisch werden. Julian blieb zum Glück ruhig, da er souverän mit der Situation umging.
,,Weil wir euch dabei helfen, Malekith zu besiegen und das Universum zu retten. Das ist unser Job."
,,Gut, dann beantwortet mir noch eine Frage: wo wart ihr letztes Jahr? Als New York angegriffen und fast zerstört wurde? Wir hätten eure Hilfe gut gebrauchen können, doch seid ihr nicht aufgetaucht. Obwohl ihr ja wohl davon erfahren haben müsst, denn die ganze Welt wusste, was geschehen ist und Loki hat diese Frage vorhin berechtigt bestellt. Auch wenn ich das nur wirklich ungern zugebe."
Man konnte Thor ansehen, dass diese Erkenntnis ihm missfiel und Talea sah zu Loki, der nur leicht grinste und dann mit den Schultern zuckte. Julian hüllte sich nun jedoch in Schweigen, weshalb die Braunhaarige sich persönlich an den Gott des Donners wandte.
,,Wir durften nicht eingreifen."
,,Warum nicht?", verlangte der blonde Muskelprotz zu wissen, woraufhin Julian die Arme vor der Brust verschränkte.
,,Das würdet ihr nicht verstehen."
Nun brüstete sich der Donnergott aus Empörung, da ihn die Wortwahl von Julian mächtig an die Grenzen seiner Geduld brachte. Er schnaubte verächtlich und stemmte die Hände in die Hüften. ,,Was gibt es daran nicht zu verstehen? Ihr beschützt das Universum doch vor Gefahren und die Chitauri waren eine Gefahr."
,,Für die Erde. Nicht für das Universum.", wandte Travis ein, was Thor irritiert blinzeln ließ.
,,Was?"
Die Aussage von Travis war in der Tat recht gewagt, denn man konnte sie leicht falsch verstehen. Deshalb sah sich der Anführer der Heirs gezwungen einzuschreiten, bevor die Situation womöglich noch eskalierte. ,,Wir dürfen uns nicht in jeden Kampf einmischen, Thor. Der Angriff auf New York zählte nicht zu dem Format von Bedrohung, was uns auf den Plan gerufen hätte.", versuchte er zu erklären und Thor hob prüfend eine Augenbraue.
,,Aber Malekith tut das?"
Evanora nickte zustimmend.
,,Ja. Der Äther ist eine Waffe von überdimensionaler Kraft, die alles zerstören könnte, was sich in unmittelbarer Nähe befindet. Für solche Bedrohungen wurden wir erschaffen."
,,Außerdem haben du und die anderen das doch super in New York hingekriegt. Wir nennt ihr euch noch gleich? Avongos?", warf Travis ein, als Thor ihn grimmig korrigierte.
,,Avengers."
,,Richtig. Dieser Kampf war eure Bestimmung...nicht unsere. So hart es vielleicht klingen mag und womöglich kannst du es nicht verstehen, aber wir müssen uns an unsere Regeln halten. Sonst könnte das schreckliche Folgen mit sich bringen. Kosmischen Ausmaßes, wenn ich das so bezeichnen kann."
Travis versuchte es möglichst verständlich zu vermitteln, doch der Blick von Thor reichte aus, um zu signalisieren, dass er bereits erkannt hatte, was man ihm damit sagen wollte. Und langsam begann das Misstrauen aus seinen Augen zu weichen, was Talea ein wenig beruhigte. Als sich dann jedoch Loki einklinkte, drohte die Situation wieder zu kippen.
,,Das klingt, als wäre eure Existenz sehr fragwürdig. Was tut ihr denn die ganze Zeit über, wenn ihr scheinbar nur darauf wartet, zu einem geeigneten Kampf aufgefordert zu werden?"
Der Schwarzhaarige beobachtete die Heirs erwartungsvoll und zur Überraschung aller, hatte niemand von den Vieren eine Antwort darauf. Loki brachte es tatsächlich fertig, dass sie alle sich diese Frage insgeheim selbst stellten und zu der ernüchternden Erkenntnis kamen, dass sie ihr Dasein wortwörtlich im Exil gefristet hatten, ohne einer wahren Aufgabe zu folgen. Ihre Schöpfung machte sie zu den Heirs of Universe, doch selbst der einstige Kampf gegen Malekith und die wenigen Konflikte, welch ein jeder von ihnen auf der Erde hatte bewältigen müssen, erschien ihnen irgendwie sinnlos. Einmal mehr stand die unausgesprochene Frage im Raum, wofür genau Prometheus sie überhaupt erschaffen hatte.
Loki schien ihnen genau dieses Detail von den Gesichtern abzulesen, denn er räusperte sich hörbar und zuckte dann mit den Schultern.
,,Offenbar wisst ihr das selber nicht. Irgendwie traurig, denn es erweckt den Anschein, als hätte eure Existenz jeglichen Sinn verloren."
,,Ganz vorsichtig, Loki Laufeyson. Wir sind immerhin nicht diejenigen, die einen Krieg gegen die Menschheit anzetteln wollten, nur um uns auf ihrem Thron niederzulassen.", ermahnte Evanora den Gott, der daraufhin nur ergeben seufzte.
,,Ja, ich bekenne mich schuldig. Ich habe eine Schlacht gegen New York geführt, dabei Unzählige ermordet und verspüre deshalb keinerlei Reue, weshalb ich es jederzeit wieder tun würde. Vielleicht macht mich das zu einem Schurken, aber immerhin habe ich nicht tatenlos herumgesessen und mein Dasein gefristet, indem ich auf irgendwelche Aufrufe zur Schlacht warte. Ich bestimme mein Schicksal lieber selbst."
Talea staunte nicht schlecht, denn die abgedroschenen Worte von Loki ergaben sogar wirklich Sinn. Das machte ihn zwar keineswegs ehrenwert, aber in der Tat begann sich die Braunhaarige langsam ernsthaft zu fragen, ob sie und ihre Gefährten nicht viel zu lange auf ihrer Berufung ausgeruht und stur die Befehle von Prometheus befolgt hatten.
Wer waren sie denn schon? Vier Krieger, die durch außergewöhnliche Hintergründe erschaffen worden waren und kosmische Kräfte des Universums besaßen, aber das war es dann auch schon.
Die Avengers bestanden, wenn man von Thor mal absah, aus sterblichen Helden und jeder von ihnen hatte sich aus meist tragischen Gründen erhoben und dazu entschlossen, für eine bessere Welt zu kämpfen. Ein jeder von ihnen war auf seine Weise stark, aber als Gruppe bewiesen sie ein ungeheures Maß an Stärke und Entschlossenheit. Jeder von ihnen würde sein Leben riskieren, um die Erde vor dem Bösen zu beschützen und fast jeder auf diesem Planeten kannte ihre Namen. Sie waren Helden, wahrhaftig und in jeder Hinsicht, auch wenn sie unterschiedlicher nicht sein könnten.
Die Heirs of Universe konnten das nicht von sich behaupten. Zwar besaß jeder von ihnen seine ganz eigenen besonderen Eigenschaften, doch ihr Zusammenhalt schien schon vor langer Zeit zerbrochen zu sein und zwar, als jeder von ihnen seinen eigenen Weg eingeschlagen hatte. Und sie waren erst wieder zusammengekommen, nachdem ihr Schöpfer sie dazu aufgefordert hatte.
,,Ihr habt recht.", brachte Talea auf einmal wie von selbst hervor, woraufhin sie verdutzte Blicke ihrer Gefährten erntete, aber sie fixierte ihren Blick vollkommen auf Loki. ,,Unsere Existenz mag vielleicht sinnlos erscheinen und womöglich können wir unser Schicksal nicht selbst bestimmen, aber wir haben uns dazu entschlossen, Asgard in dem Kampf gegen Malekith zu unterstützen und das werden wir. Vielleicht fechten wir nicht so viele Kämpfe aus, wenn es um den Schutz des Universums geht, aber wir laufen vor unserer Bestimmung nicht davon. Wir stellen uns ihr, völlig ungeachtet der möglichen Konsequenzen und wir wären bereit, im schlimmsten Fall unser Leben für das Universum zu opfern. Würdet Ihr das auch tun, Loki Laufeyson?"
Abwartend sah sie zu dem Gott des Schabernacks, welcher sich nun in Schweigen hüllte und ausnahmslos Talea anblickte. Die Heirs of Universe und auch Thor beobachteten die Szene mit Staunen und Skepsis zugleich, rief sie doch die unterschiedlichsten Emotionen und Gedanken in ihnen hervor. Doch bevor irgendjemand von den Anwesenden auch nur daran denken könnte, etwas zu äußern, richtete sich Jane mit einem Mal ein wenig auf und sofort spürten die Heirs, dass die Präsenz des Äthers verstärkt war. Somit war es keinesfalls die sterbliche Wissenschaftlerin, sondern der Infinity-Stein in ihr, der ein einziges verhängnisvolles Wort aussprach.
,,Malekith!"
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