12. Anruf
"Hallo?"
"Darf ich mich mal kurz bei dir auskotzen?"
"Oha."
"Was?"
"Du fragst um meine Erlaubnis. Das tust du normalerweise doch auch nicht."
"Sei leise."
"Bin ich schon. Ich höre einzig und allein dir zu."
"Die Schicht gestern war soo anstrengend. Das kannst du dir nicht vorstellen."
"Doch, kann ich eigentlich schon."
"Das war rhetorisch."
"Ich weiß."
"Du bist manchmal so blöd."
"Wolltest du jetzt erzählen oder nicht?"
"Ja, wollte ich. Wenn du mich nicht dauernd unterbrechen würdest."
"Du hast eine Pause gemacht. So als würdest du darauf warten, dass ich antworte. Was soll ich denn jetzt tun? Schweigen? Reden? Ich bin verwirrt. Weißt du überhaupt, was du willst?"
"Ja. Ich will erzählen. Du sollst zuhören. Also-"
"Heißt zuhören still sein oder auf die Erzählungen antworten? Du musst mir schon genaue Definitionen geben."
"Stimmt. Ich hab ja ganz vergessen, dass du vor den Gesprächen mit mir immer eine Liste mit vorgefertigten Sätzen brauchtest, um reden zu können."
"Hey, das ist nicht fair! Bitte erzähle mir jetzt von deiner Arbeit."
"Also, es war schon ziemlich spät. Ich war müde, weil ich nachts wieder zu lange wachgeblieben war, du kannst dir vorstellen warum."
"Ähm... Darf ich jetzt was sagen?"
"Ja."
"Warst du so lange wach, weil du wieder eine Geschichte geschrieben hast?"
"Ja, so in der Art."
"Willst du davon erzählen?"
"Erstmal will ich die eine Geschichte zu Ende erzählen."
"Dann mach das doch. Ich verstehe sowieso gar nicht, warum du überhaupt so lange brauchst, davon zu erzählen. Wir reden jetzt schon seit fünf Minuten und du bist kein Stück weitergekommen."
"Komisch, ich weiß gar nicht, woran das liegen könnte."
"Liegt wohl daran, dass du nicht gut erzählen kannst."
"Liegt wohl daran, dass du nicht gut still sein kannst."
"Also, du wärst müde, weil du wieder zu lange an einer Art Geschichte geschrieben hast."
"Genau. Ich bin schon um 22 Uhr fast eingeschlafen. Gegen elf hat sich dann ein Typ an den Tresen gesetzt, der den Cocktail mit der Nummer 69 bestellt hat und damit so dämlich gegrinst hat. Sowas von unreif."
"Ach, warst du etwa so müde, dass du keinen Spaß mehr verstanden hast?"
"Um ihn zu ärgern, habe ich ihn erstmal nach seinem Ausweis gefragt. Aber den hatte er vergessen. Wie dumm muss man bitte sein? Erst sich wie ein 16-Jähriger verhalten und dann nicht mal nachweisen können, dass man volljährig ist."
"Hast du ihm trotzdem die 69 gegeben?"
"Natürlich nicht! Er hat dann einen alkoholfreien Mochito bestellt."
"Und was war jetzt so schlimm an der Geschichte?"
"Das Schlimme kommt erst noch. Ich habe ihm den Cocktail gemixt und wollte ihn ihm servieren. Dabei ist er mir aus der Hand gerutscht, direkt auf sein weißes Hemd."
"Und daraufhin ist er wütend geworden?"
"Schlimmer. Er meinte 'du hast mich ganz feucht gemacht' und fing an zu lachen. Ich bin soo rot geworden."
"Ach, das kann doch mal passieren."
"Dass sich jemand an den Tresen setzt und doof verhält? Ja, das passiert oft."
"Genau genommen hast du dich ja doof verhalten."
"Hm. Er durfte sich dann jedenfalls ein neues Getränk aussuchen, das auf's Haus geht. Rate mal, welches er genommen hat."
"Die 69?"
"Ja. Ich verstehe gar nicht, warum du lachst, ich finde daran absolut nichts lustig. Ich habe ihm einfach noch einen alkoholfreien Mochito gemacht und ihn um kurz vor Zwölf nach Hause geschickt, da er unter 18 Jahren ja nur bis Mitternacht draußen bleiben darf."
"Und wie hat er reagiert?"
"Er hat einen Zehn-Euro-Schein auf den Tresen gelegt. Ich habe ihm gesagt, dass das Drink auf's Haus geht. Daraufhin meinte er, dass ich es als Trinkgeld nehmen soll, 'für den guten Service'."
"Also Humor hat er."
"Stellst du dich etwa gegen mich?"
"Ich finde einfach, dass du das mit mehr Humor nehmen solltest. Ist doch gut, dass er sich nicht beschwert hat und so entspannt war."
"Ich hoffe einfach, dass er nächste Woche nicht wieder kommt und ich mich wieder blamiere."
"Du weißt doch, Wünsche soll man nicht laut ausprechen, sonst werden sie vielleicht nicht wahr."
"Oh, mein Fehler. Und wie war dein Tag so?"
"Ach, ganz entspannt. Ich habe eigentlich nicht viel zu erzählen. Ich genieße die Semesterferien sehr."
"Schreibst du gar keine Klausuren?"
"Habe ich schon. Die waren alle schon im Juli."
"Ach, das wusste ich gar nicht."
"Konntest du ja auch nicht. Ich beschäftige mich schon genug mit meinem Studium, da muss ich es nicht auch noch, wenn ich mit dir rede."
"Ich habe irgendwie das Gefühl, dass ich erst richtig wenig über dich weiß. Ich laber dich jede Woche zu und du lässt das einfach über dich ergehen."
"Das ist mein Job."
"Also ist das hier ein Arbeitsgespräch? Auf deiner Handynummer? Um neunzehn Uhr dreißig? Außerhalb deiner Arbeitszeiten?"
"Gut, du hast recht. Ich höre dir gerne zu, wenn du was zu erzählen hast. Beziehungsweise unterbreche ich dich gerne dabei, um dich zu ärgern."
"Hey, eigentlich war das doch meine Aufgabe! Du kannst mir nicht einfach so mein Markenzeichen wegnehmen!"
"Siehst du doch, wie einfach das geht."
"Ich zahle dir das alles zurück. Das weißt du schon, oder?"
"Ich lasse es gerne über mich ergehen."
"Ich werde dich so lange nerven, bis du diesen Satz nie mehr sagen wirst."
"Das schaffst du nicht."
"Wetten?"
"Um was?"
"Denk' dir was aus."
"Ich weiß was. Der Verlierer muss dem Gewinner einen Cocktail der Nummer 69 ausgeben."
"Meinetwegen. Und weil du es nicht sehen kannst: ich verdrehe gerade die Augen."
"Aber du lächelst dabei."
"Hättest du wohl gerne."
"Du weißt genau, dass ich Recht habe."
"Vielen Dank, dass Sie unsere Nummer gewählt haben! Bis zum nächsten Mal!"
"Wusst' ich's doch!"
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