I.

Glänzend und funkelnd im Sternenlicht, strömte der große Fluss durch die Wiesen und Auen der Wälder, erschuf ein dunkelblaues schlangenförmiges Band, das rauschend durch die Schlucht donnerte und das Zirpen der Grillen, das Schreien der Eulen und das Quaken der Frösche übertönte mit seinem majestätischen Klang.

Prasselnder Regen und krachender Donner stimmten in seine Musik ein und der Himmel über den Flüssen und Seen glich einem Auffangbecken für ihre geisterhaften Töne. Ein stürmischer Blattgrüne-Wind preschte durch das Lager des RegenClans, störte die wellenbewegte Oberfläche der Pfützen am Ufer und rüttelte an den Schilfnestern der schlafenden Clanmitglieder, die sich eng zusammengerollt vor dem Unwetter draußen verkrochen hatten und von fernen, sonnigen Ländern träumten.

Heidejunges hasste die Gewitter der Blattgrüne, und dennoch liebte er sie gleichermaßen. Er verabscheute den Wind, der an seinem Bau riss wie ein hungriger Wolf, doch der trommelnde Regen beruhigte ihn und flüsterte ihm zu, dass bald alles wieder schön sein würde, grün und sonnenhell erblühend. Monde später noch konnte er ihn hören, wenn er die Augen schloss und sein ganzes Leben lang würde er sich an diese schicksalshafte Nacht erinnern.

Vom sanften Tappen der Regentropfen eingeschläfert, kuschelte sich Heidejunges enger an seine Mutter und seine Schwester, deren flauschiges Fell sich wohlig warm an seinem Rücken anfühlte. Er dachte an den nächsten Tag, der nach Regen duften und neue Versprechen ankündigen würde.

Ein ohrenbetäubender Knall ertönte und hallte über dem Sumpf wider.

Erschrocken fuhr Heidejunges hoch wie ein Blitz und presste sich flach auf den Boden, die Ohren angelegt. Was war das? So hatte sich noch nie ein Sturm angehört, den er miterlebt hatte. Sein kleines Herz pochte wie wild in der Erwartung, das unheimliche Geräusch erneut zu vernehmen.

Mit ängstlich aufgestelltem Fell lugte er zu seiner Mutter, um Trost zu suchen. Spiegelwasser hatte ihren Kopf wachsam gehoben und die Ohren an den Kopf gedrückt. Heidejunges erschauderte bei der Erkenntnis, wie furchtsam sich ihre Gestalt gegen den dunklen Nachthimmel abzeichnete, wie sorgenvoll sich ihr Blick auf das Schilfdickicht außerhalb ihres Baus richtete.

Das Krachen erklang wiederholt. Ängstlich zuckte Heidejunges zusammen und selbst seine tief schlafende Schwester wurde aufgescheucht und drängte sich mit halb müden, halb verwirrt aufgerissenen Augen an ihre Mutter.

Was passiert hier?, fragte sich Heidejunges, als er seine Lider schloss, um das bestürzte Gesicht von Spiegelwasser nicht sehen zu müssen. Spiegelwasser darf keine Angst haben, sie ist doch meine Mutter!

Die hell gefleckte Königin zog ihre Jungen mit dem weichen Schweif an sich und versuchte sie zu besänftigen, während weitere Schüsse die Luft zerrissen. »Schh«, flüsterte sie und strich ihnen behutsam über ihre aufgestellten Pelze, die sich einfach nicht glätten wollten. »Das ist nur der Donner. Und Donner kann euch nicht verletzen.«

Unter ihren schützenden Schwingen behütet, glaubten ihr die Jungen und schliefen an ihrer Seite ein, während ihre dunkelblauen Augen in die Finsternis starrten, immer vorsichtig, immer wachsam.

Die Schrecken der Nacht ließen Heidejunges immer noch nicht los, selbst als er mit den beruhigend warmen Pelzen seiner Mutter und Schwester an seiner Seite erwachte. Was war das gewesen? Donner hörte sich nicht so scharf an, das wusste er, denn er hatte schon vielen Gewittern in seinem kurzen Leben gelauscht. Drei Monde schon hatte er die Augen geöffnet – orangefarben, fast wie sein Vater, hatte Spiegelwasser gesagt – und eine neue Welt hatte sich vor ihm erschlossen, voller Wunder und Abenteuer, die es zu erkunden gab.

Der dunkelgrau und weiß gefleckte Kater stupste seine Schwester an, die schläfrig gähnte und dabei ihre kleinen spitzen Zähne zur Schau stellte.

»Wollen wir rausgehen?«, fragte er leise. Vielleicht konnte er die Älteste nach dem seltsamen Geräusch fragen, sie wüsste es bestimmt.

Schneejunges schnaubte. »Damit wir wieder eines deiner komischen Spiele spielen? Das ist doch etwas für winzige Junge.«

Spiegelwasser beugte sich zu ihnen herunter und fuhr Schneejunges mit der Zunge über die Ohren. »Seid ihr das nicht auch noch?«, erinnerte sie sie streng. »Komm, Schneejunges. Begleite deinen Bruder doch.«

»Ja, bitte, Schneejunges.« Seine Schwester mochte etwas eigensinnig sein, aber er liebte es trotzdem, Dinge mit ihr zu unternehmen. Sie war eine tolle Spielgefährtin, die ihm auch beistand, wenn er in Schwierigkeiten geriet.

Die schneeweiße Kätzin rollte mit den Augen. »Fein. Aber nur, weil du mich so lieb gefragt hast.«

Auf einen sanften Stoß von Spiegelwassers Nase hin, hüpften die Geschwister aus der Kinderstube und sahen sich mit großen Augen im Lager des RegenClans um. Der Sturm war darüber hergefallen wie ein wütendes Raubtier, hatte Nester ausgerissen und einige Stellen des Flussufers überflutet, den glitzernden Schmuck von den Bauten entfernt und Schlamm auf dem ganzen Platz verteilt. Auf dem Boden zu ihren Pfoten lagen scharfe Splitter und Scherben von hübschen Muscheln und Perlen, die die RegenClan-Katzen zur Ausschmückung ihrer Bauten verwendeten.

Während Heidejunges zögerte, setzte seine Schwester munter über die Bruchstücke hinweg und landete sicher am Hochstein, dem Ort, von wo aus Schmetterlingsstern ihre Ansprachen hielt.

»Also, was willst du machen?«, rief sie ihm zu. »Solange wir die einzigen Junge sind, haben wir noch unsere Ruhe, alles zu tun, was wir wollen.«

Traumjäger war kürzlich zu ihnen in die Kinderstube gezogen, aber bei ihr würde es noch einige Monde dauern, ehe sie ihre Junge gebar. Er mochte die schildpattweiße Kätzin sehr. Sie war ganz anders als Spiegelwasser; sanfter und schweigsamer, aber trotzdem eine gute Kämpferin, wie seine Mutter ihm mitgeteilt hatte.

»Ich wollte eigentlich die Ältesten besuchen«, miaute er scheu. »Aber wir können etwas anderes machen, wenn du möchtest.« Heidejunges wollte auf keinen Fall, dass Schneejunges unglücklich war, schließlich war es seine Schuld, dass sie mit ihm spielen musste und zu den Ältesten gehen konnte er auch später.

Schneejunges schnippte mit dem Schweif, als Zeichen, dass sie verstanden hatte und überlegte. »Wir könnten kämpfen«, schlug sie vor. »Neulich habe ich Eichhornpfote bei einem Kampftrick beobachtet, den wir leicht nachmachen könnten.«

Heidejunges nickte, obwohl er es hasste, wilde Spiele wie Kämpfen und Moosball zu spielen. Den Ältesten beim Erzählen von spannenden Geschichten zu lauschen oder das Lager zu erkunden behagten ihm viel mehr. Vor allem die Geschichte vom HimmelClan konnte er nicht oft genug hören, seit Glanzschwinge sie ihm erzählt hatte. Katzen mit Flügeln, die überall hinfliegen konnten, wo sie wollten, die täglich den warmen Sonnenschein in den Federn spürten und für sich in den Wolken sein konnten – ganz allein. Das klang zu wunderbar und fantastisch, um wahr zu sein, aber die Älteste hatte ihm versichert, dass sie eine HimmelClan-Katze mit eigenen Augen gesehen hatte und die Geschichten aus einer zuverlässigen Quelle stammten.

»Träumst du schon wieder, Heidejunges? Ich dachte, wir wollten jetzt kämpfen. Oder willst du etwa kein richtiger Krieger werden?«

Der dunkle, getigerte Kater zuckte unbewusst zusammen, als er aus seinen Vorstellungen gerissen wurde und leckte sich schuldbewusst über sein weißes Brustfell. »Tut mir leid. Es kann losgehen.« Er stellte sich sicher auf alle vier Pfoten, fühlte sich aber nicht so bereit, wie er tat.

»Gut«, miaute Schneejunges. »Ich zeige es dir.« Ihr seidig schimmerndes, weißes Fell glänzte im Sonnenlicht, als sie sich auf ihn stürzte und ihre weichen Pfoten in seine Seite rammte. Heidejunges traf der Schlag völlig unvorbereitet. Der kleine Kater fiel um und rollte mit Schneejunges über den Boden.

»Gewonnen«, jubelte sie außer Atem, als sie seine Schulter festnagelte, sodass er sich nicht mehr bewegen konnte. »Alles gut, Heidejunges? Du wehrst dich ja gar nicht.«

Heidejunges rappelte sich erschöpft auf und schüttelte den Kopf. »Mir fehlt nichts. Ich kann einfach nur nicht so gut kämpfen wie du.«

Die hellgraue Kätzin schnippte nachdenklich mit dem Schweif. »Vielleicht sollten wir etwas anderes probieren. Wir könnten...«

Ein Schrei zerriss die beruhigende Stille des Lagers. »Hilfe!«

Augenblicklich legte Heidejunges seine Ohren an und machte sich ganz klein. Schneejunges hob erschrocken den Kopf und richtete ihre blauen Augen auf den Lagereingang, von dem panische Rufe erklangen. Die Katzen des RegenClans stürmten aufgeregt aus ihren Bauten und liefen am Ufer kreuz und quer durcheinander, während Vipernschatten, der Heiler, schnurgerade durch sie hindurcheilte.

Heidejunges fühlte sich bedrängt und eingeengt zwischen den trampelnden Pfoten und laut geführten Gesprächen. Er rückte näher an seine Schwester heran, die einen neugierigen Schritt auf das Geschehen zugemacht hatte. Durch den Riedgrastunnel am Eingang hetzte ein cremefarbener Kater mit roten Tupfen. Heidejunges erkannte Eichhornpfote, der in Kürze zum Krieger ernannt werden sollte und jetzt schon zu den größten Katzen des Clans gehörte.

»Hilfe«, keuchte der Schüler und suchte das Lager nach einer bestimmten Katze ab. »Zweibeiner! Sie haben Sumpfläufer und Kämpferpfote sind verletzt. Du musst ihnen helfen!«, richtete er das Wort an Vipernschatten. Verstört blickte er zurück und die Clankatzen sahen bestürzt zu, wie ein blutüberströmter Kater von zwei anderen Katzen, die ebenfalls zu bluten schienen, ins Lager getragen wurde.

Vipernschatten reagierte sofort und befahl ihnen, Kämpferpfote in seinen Bau zu tragen, aber Heidejunges bekam die grauenhaften Bilder nicht mehr aus seinem Kopf. Das Blut, die Panik, die Verzweiflung. Er konnte den Schmerz des Schülers beinahe spüren und begann zu wimmern, als er sich die Wunde vorstellte. Wie konnte die Welt so grausam sein? Waren es die Zweibeiner, die sie zu so einem schrecklichen Ort machten oder hatte der SternenClan etwas damit zu tun?

»Schneejunges, Heidejunges, ihr kommt sofort rein! Für heute habt ihr genug erlebt.« Spiegelwasser war aus der Kinderstube aufgetaucht und packte den dunkelgrau gefleckten Kater am Nacken, während sie Schneejunges vor sich her scheuchte. »Kommt. Ruht euch erst einmal aus. Vergesst, was passiert ist.«

Schneejunges kuschelte sich sofort in das hell- und dunkelgrau gefleckte Fell ihrer Mutter und vergrub ihre Schnauze darin. »Soll ich dir erzählen, was für einen Kampftrick ich von Eichhornpfote gelernt habe?«

Spiegelwasser schnurrte. »Na dann, schieß los, meine tapfere Kriegerin.« Aber Heidejunges konnte den besorgten Schimmer in ihren mitternachtsblauen Augen erkennen. Sie hatte Angst vor dem, was heute passiert war.

Wie kann Schneejunges einfach so tun, als wäre nichts gewesen? Hatte sich die weiße Kätzin so schnell damit abgefunden, dass einer ihrer Clangefährten schwer verletzt war? Seine kribbelnden Pfoten drängten ihn selbst jetzt dazu, im Heilerbau nach Kämpferpfote und Sumpfläufer zu sehen, obwohl er sich davor fürchtete, was er dort vorfinden würde.

Ihm fiel ein, dass er es versäumt hatte, zu den Ältesten zu gehen. Es war erst Sonnenhoch, aber er traute sich nicht, Spiegelwasser zu verlassen. Sie wird mit mir schimpfen, wenn sie sieht, dass ich fort war, dachte er. Ich darf nicht weggehen.

Vielleicht ließ sie ihn am frühen Abend noch einmal hinaus und dann konnte er beide Dinge erledigen; nach den Verletzten sehen und Glanzschwinge nach der Ursache der Geräusche letzte Nacht fragen. Geduldig ließ er seinen Kopf auf seine Pfoten fallen und sah Spiegelwasser und Schneejunges beim Reden zu. Bis zum Abend konnte er warten und sich in seinen Tagträumen verlieren – in Höhen über den Wolken und der Sonne, in tiefen Berghöhlen und unter dem großen Fluss. Alles war möglich, wenn man Fantasie besaß.

Als die Sonne gerade in tiefroten Flammen unterging und Spiegelwasser ihre Jungen aus dem Bau entließ, hatte Heidejunges endlich die Gelegenheit, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Er hatte ein wenig Angst vor Vipernschatten, dem rauen und stets schlecht gelaunten Heiler des RegenClans, deswegen suchte er zunächst Glanzschwinge im Ältestenbau auf und brachte ihr einen Frosch mit. Der grau-weiße Kater hatte ihren Geschichten so oft gelauscht, dass er wusste, was sie mochte und was nicht und Frösche und Kröten gehörten zu ihrer Lieblingsbeute.

Die Katzen des RegenClans sprachen immer von den Ältesten, obwohl es nur eine gab, denn Glanzschwinges Schwester Schimmerflügel war vor sechs Monden im großen Kampf gegen den SternenClan gestorben. Bisher hatte sich niemand an die Leere im Ältestenbau gewöhnt.

Das hatte Heidejunges von Glanzschwinge erfahren. »Vermisst du sie?«, hatte er die weiße Kätzin gefragt.

Glanzschwinge hatte geschnurrt und ihn mit ihren alten weisen Augen angesehen. »Weißt du, Heidejunges, wenn man so alt ist wie ich, vermisst man fast niemanden mehr. Ich weiß, dass ich mich ihnen bald anschließen werde.«

Aber er glaubte ihr nicht. Um nichts in der Welt konnte Heidejunges sich vorstellen, dass man jemanden, den man liebte, nicht vermissen könnte, auch wenn es manchmal guttat, allein zu sein. Und er dachte, dass auch Glanzschwinge ihre Schwester fehlte, obwohl sie vorgab, nicht mehr zu trauern.

Der junge, getigerte Kater spürte, dass sie einsam war, so ganz allein in ihren Bau, und besuchte sie deswegen so oft es ging, um ihr eine Freude zu machen. Heute begrüßte sie ihn mit einem brüchigen Schnurren, stand aber nicht auf wie sonst immer.

»Ah, Heidejunges«, sagte sie. »Gut, dass du mir etwas zu essen mitbringst. Meine Gelenke schmerzen heute besonders stark.«

Heidejunges schob ihr den Frosch mit der Pfote zu und setzte sich neben sie, wo er seine Krallen in das weiche Polster aus Weidenkätzchen und Schilf grub. Geduldig wartete er ab, bis sie ihre Beute gegessen hatte und schaute sich dann unbehaglich im Bau um, den Blick der Ältesten vermeidend.

»Was hast du, Kleiner?«, fragte sie. »Ich sehe doch, dass dir etwas auf dem Herzen liegt.«

»Ich wollte dich etwas fragen«, maunzte Heidejunges schüchtern und neigte den Kopf.

»Nur zu.« Glanzschwinge zuckte freundlich mit den Ohren.

Heidejunges fasste sich ein Herz. »Weißt du, was das gestern Nacht für seltsame Geräusche waren?«

Glanzschwinge seufzte. »Ich weiß, was du meinst. In der Blattgrüne«, sagte sie, »kommen oft Zweibeiner in den Sumpf und jagen dort. Sie tun das, indem sie kleine Dinge auf die Tiere schießen, tödliche Dinge, und diesmal haben sie Sumpfläufer und Kämpferpfote erwischt.«

»Das hat sie verletzt? Werden sie wieder gesund?« Tödlich, hatte Glanzschwinge gesagt. Was, wenn sie starben?

»Sumpfläufer wurde nur am Ohr gestreift. Er wird es überleben. Aber Kämpferpfotes Schicksal liegt in den Pfoten des SternenClans«, meinte die Älteste.

Heidejunges Pelz kribbelte voll Sorge um seine Clangefährten. Der SternenClan. Würde er Kämpferpfote helfen? Ich bitte den SternenClan, ihn zu retten, nahm er sich fest vor. Jeden Tag. Sicherlich würden seine Kriegerahnen Kämpferpfote hierlassen, wenn sie sahen, dass er gebraucht wurde.

»Ich bedanke mich, Glanzschwinge.«

Die weiße Kätzin mit den hellblauen Augen nickte freundlich und Heidejunges machte sich auf den Weg zum Heilerbau. Vielleicht könnte er Vipernschatten dabei helfen, Kämpferpfote zu heilen. Einen Versuch war es wert. Die brennenden Sonnenstrahlen erleuchteten seinen Weg und es fühlte sich an, als würde der SternenClan ihm die Richtung weisen.

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