Tell Me Why
Ein wenig verdutzt blickte ich zwischen Lay und dem kleinen Jungsoo hin und her. Ich hätte ja damit gerechnet, dass er mit Chanyeol oder Baekhyun herkommen würde, aber der Freund von Luhans Sohn? Das hatte ich überhaupt nicht erwartet und dennoch freute ich mich ihn zu sehen, da er mir noch immer das traute Gefühl gab, dass ich ihn bereits vor dem Unfall kannte.
"Morgen Clari." grinste Lay und drückte sich an mir vorbei in die Wohnung. Mit einem warmen lächeln wies ich dem Jungen in der Tür ebenfalls herein zu kommen. Er zögerte kurz, sah mit einem trüben Blick an mir herab und folgte mir schließlich. Ich konnte ihm seinen Blick nicht übel nehmen, da er nichts bösartiges ausstrahlte, oder mir weh tun wollte. Jungsoo stand wie bestellt und nicht abgeholt in der Wohnküche und sah sich unsicher um, während er die Arme um sich geschlungen hatte und Lay bereits selbstständig seine Einkäufe in die Schränke räumte.
"Du kannst dich ruhig setzten, ich werde dir nicht den Kopf dafür abreißen." lachte ich und deutete mit der Hand auf das Sofa. Kaum wahr zu nehmen nickte Jungsoo und suchte einen der Sessel auf, auf den er sich setzte, aber noch immer ziemlich unbehaglich wirkte. Als ein klirren ertönte zuckten wir beide zusammen und sahen zu Lay, der den Schrank mit den Tellern offen hatte und einige auf den Boden fallen lassen hatte. Kopfschüttelnd lachte ich und lief zu ihm, um mit ihm das Chaos wieder zu beseitigen. "Ich decke lieber weiter, bevor du noch das ganze Besteck kaputt machst." nahm ich ihm ab, doch er schüttelte den Kopf. "Ich mach das, keine Sorge." beteuerte er und wuselte weiter durch Marks und meine Küche, als würde er sich hier so auskennen, wie in seiner eigenen.
Seufzend lief ich zurück zu meinem anderen Gast, der sich noch immer nicht wohlzufühlen schien. "Geht's dir gut?" er zwinkerte ein paar mal und sah schließlich zu mir, ich hatte ihn wohl aus seine Gedanken geholt. Ich lächelte ihn an und er erwiederte es ein wenig und nickte. "Bestens." murmelte er und wendete seinen Blick wieder von mir. In seinen Augen lag etwas verletzliches, trübes, trauriges. "Weißt du kleiner, ich glaube dir nicht." stellte ich fest und legte den Kopf schief. Er lachte auf, doch es klang genauso, wie seine Augen aussahen. "Du würdest mir auch nicht glauben, würde ich das erzählen, was auf meiner Seele brennt." murmelte er und fuhr sich durch die dichten und dunklen Haare. In seinen braunen Augen sah ich Tränen glitzern.
Was verletzte diesen Jungen? Er sah so aus, als hätte er all das Leiden der Welt nicht verdient, als würde man ihm nur gutes im Leben wollen und doch standen ihm Tränen in den großen Augen. "Ich bin mir sicher ich kann dir glauben." versicherte ich ihm und setzte mich aufs Sofa. Er schüttelte den Kopf und eine der Tränen bahnte sich den Weg über seine feine und sonnenbegräunte Haut. Ganz bestimmt sah er nicht so aus, als würde er aus Deutschland, geschweige denn Europa stammen, dafür hatte sein Englisch einen zu amerikanischen Akzent.
"Du kommst aus Amerika oder?" versuchte ich das Thema umzulenken. Er nickte und seine Mine hellte sich ein wenig auf. "Ich auch, aber seit einiger Zeit lebe ich hier." verriet ich ihm. "Wo genau kommst du her?" fragte ich ihn. "Hawaii." murmelte er und sah wieder zu mir. Seine Augen hatten etwas flehendes in ihnen, was ich nicht zu deuten wusste und dennoch tat mir dieser Ausdruck weh. Ich wollte ihn nicht in diesen unschuldigen und irgendwie vertrauten Augen sehen. Sie sollten vor Freude strahlen und nicht vor trauer in Tränen liegen.
Ich atmete tief durch und überlegte fieberhaft, wie ich Jungsoo aufmuntern könnte. Ich wollte nicht das er hier sitzt, als wäre sein Goldfisch gestorben. Doch genau in dem Moment als ich mich mit meinen Überlegungen auseinander setzen wollte klingelte mein Handy. Eilig nahm ich den Anruf an und hörte sofort eine aufgebrachte helle Stimme loswettern. "Hast du Jungsoo bei dir? Er ist weg, einfach weg, das kann nicht sein." ertönte Luhan, doch irgendetwas in seiner Stimme klang eigenartig. Es klang tatsächlich so, als ob seine Sorge nur vortäuschte, er sprach zu schnell, als das es wirklich so gemeint sein könnte. "Nein. Hier ist er nicht Luhan." wie abgesprochen verkrampfte sich Jungsoo und biss die Zähne zusammen. "Ich wüsste nicht wieso er den Weg bis hier her machen sollte." lachte ich auf. "Stimmt, er hat dich kaum gesehen, kennt dich kaum. Wäre wirklich unwahrscheinlich." gespieltes grübeln, als schien er zu wissen, dass der Freund seines Sohnes hier war, aber ich würde mich davon nicht klein kriegen lassen. "Falls er hier doch auftauchen sollte, sag ich dir Bescheid." log ich und legte sofort wieder auf.
Jungsoo entspannte sich wieder und wenige Sekunden später klingelte es bei Lay. Bestimmt wieder Luhan, der bei allen einen Rundruf startete, um zu wissen wo Jungsoo sei. "Stress mit dem Freund?" harkte ich bei dem Jungen nach. Er zuckte mit den Schultern. "Er ist komisch seit einiger Zeit." murmelte er nur. "Naja. Seit dem Tattoo was er jetzt hat." Er meinte bestimmt den Drachen auf Luhans Arm. Dass ich zuließ, dass ich dieses Motiv bei ihm stechen ließ, war mir im nachhinein wirklich unangenehm. Ich hatte das Gefühl dieser Drache verdiente es nicht gestochen zu werden, da ihm so nur etwas von einer Einmaligkeit geraubt wurde. "Das Tattoo, dieser Drache... Mein Vater hat genau das gleiche." sprach er verdammt leise weiter. "Das kann nicht möglich sein." Ich schüttelte leise lachend den Kopf. "Ich hab es selber gezeichnet, ich kann dir die Skizzen zeigen, ich hab sie von dem Grafiktablet auf mein Handy kopiert." versicherte ich ihm. Er schüttelte den Kopf. "Mein Vater hat wirklich das gleiche." beteuerte er weiter und mied meinen Blick.
Seltsam, aber vielleicht sah seins auch nur so ähnlich aus. Tattoos von japanischen Drachen gab es wie Sand am Meer. Lay holte uns aus der Unterhaltung, in dem er meinte, er sei fertig mit dem Tisch. Das Essen verlief ruhig und Jungsoo rührte kaum etwas an. Deutlich drückte ihm irgendwas auf den Magen, aber erzählen würde er mir kein Wort, was ich ihm nicht übel nehmen konnte. Wir waren uns fremd, so dachte ich zumindest, denn mit jeder Minute, die er in meiner Nähe war, hatte ich das Gefühl ihn zu kennen. Marks Worte hin oder her. Dieser Teenager hatte eine Rolle in meinem vorherigen Leben gespielt und das spürte ich in jeder Faser meines Körpers, nur verrieten mir diese nicht welche Bezug ich zu Jungsoo hatte, selbst wenn ich mich innerlich noch so sehr bemühte es herauszufinden, die Blockade stand noch immer fest verankert vor meinen Erinnerungen und ließ nicht zu, dass ich eine von ihnen wiederbekam.
Nach dem Früstück verschwand Lay wieder und sicherte sich vorher noch ab, dass Jungsoo wieder nach Hause kam, auch wenn der jüngere von dem Gedanken wieder zu Luhan zu müssen nicht besonders begeistert war. Gerne hätte ich ihm angeboten, dass er hier bleiben könnte, doch Mark hätte mir den Hals umgedreht. Er flippte nahezu aus, wenn ich etwas über oder von Jungsoo wissen wollte. Es war schon krank, wie sehr er das Thema mied und darauf bestand nicht über ihn sprechen zu wollen noch dazu kam das merkwürdige Gespräch, was ich letztens belauscht hatte. Seit dem hatte ich das Gefühl, dass Mark sich immer mehr von mir zu entfernen schien, als spürte er, dass ich das Telefonat belauscht hätte, welches mir ein wenig angst eingejagt hatte. Es ging um irgendjemanden den ich wohl nicht sehen sollte, um Erpressungen und Entertainments.
"Cl... Clarissa?" nannte Jungsoo mich zögerlich. Ich wendete mich ihm zu. Unschlüsstig friemelte er an dem Ärmel seines Pullovers herum. "Was ist den Jungsoo?" fragte ich ihn und lehnte mich in der Küche gegen eine der Arbeitsplatten. "W...Wie ist das m... mit deinem Bein passiert?" wollte er stotternd wissen und mied meinen Blick. Es war keine Frage, für die er sich zu schämen brauchte, wirklich nicht. Mir war dies lieber, als jemand der mich deswegen nur anstarrte und begaffte. "Ich hatte vor fast einem halben Jahr einen Skiunfall. Dabei war mein Bein so übel zugerichtet, dass man es mir abnehmen musste." erklärte ich ihm und räumte schließlich die Teller in meinen Händen in die Spülmaschiene. Sofort kam mir Jungsoo zur hilfe und nahm mir die Arbeit ab. "Meine Mutter ist vor fast einem halben Jahr bei einem Skiunfall gestorben." murmelte er und schaltete die Maschiene an. "Sie war schwanger und wäre jetzt ungefähr so weit wie du gewesen." ließ der Junge mich wissen. Wieder lagen Tränen in seinen Augen. Merkwürdiger Zufall. "Wo ist es passiert?" harkte ich nach. "In den schweizer Alpen." "Mein Unfall auch." teilte ich ihm mit und fand es ungerecht, dass seine Mutter starb.
Aus Jungsoos Augen bahnten sich dicke Krokodilstränen und tropften auf den Boden. "Ich vermisse sie so sehr. Wenn ich könnte würde ich diesen Tag ungeschehen machen und wäre nicht mit Yuhan und Xiumin Skifahren gegangen." schluchzte er und rieb sich über die Augen. "Xiumin und Yuhan?" harkte ich nach. Er nickte. "Wir sind Ski gefahren und aufeinmal kam meine Mutter mit Suho angebraust. Wie aus dem nichts hat sie ihr Gleichgewicht verloren uns ist auf einen Abgrund zugesteuert." erklärte er mir Tränen erstickt. Noch merkwürdigere Zufälle könnte es nicht geben. Gestern hatten Xiumin und Suho mir noch von dem Unfall erzählt und meinten sie wären ebenfalls dabei gewesen, so wie Yuhan und auch ich hatte einfach mein Gleichgewicht veloren, wie seine Mutter.
"Weißt du das Datum?" fragte ich aus reiner Neugier. Er nickte und brauchte einige Luftzüge, eh er mir antworten konnte. Ich wusste, dass es schwer für ihn sein musste und es tat mir leid, das ich so egoistisch war und ihn dennoch mit meinen Fragen quälte. "Am sechsundzwanzigsten Juni in Davos." antwortete er und vergoß trauernde Tränen, während ich ihn wie erstarrt ansah.
Es war der gleichte Tag, an dem ich meinen Unfall hatte, mir war genau das selbe passiert wie seiner Mutter und auch Yuhan, Xiumin und Suho waren laut ihren Worten mit dabei. In meinem Bauch schlich sich das ungute gefühl heran, dass es unwahrscheinlich war, dass zwei so gleiche Unfälle an einem Tag passieren konnten, zumal die gleichen Personen anwesend waren. Es erschien mir so unglaubwürdig, so bizarr und dennoch kamen meine Gedanken nicht daran vorbei, da es auf einer gewissen Art wieder Sinn brachte. Jungsoos flehender Ausdruck in seinen Augen erschlug mich mit ganzer wucht, so wie die nahezu gleichen Unfälle. Mir wurde klar, weshalb mich alle versuchten vor Jungsoo zu verstecken und wieso Mark ihn so abblockte und er mir so unglaublich bekannt vorkam. Er hatte die gleiche Nase und die gleichen uneinordbaren Lippen wie ich und ziemlich ähnliche Gesichtszüge. Es mochte krank und gruselig klingen, und für mich war es das in diesem Moment auch, aber in mir erschlich sicher der ungläubige Gedanke, dass dieser Junge, so wie er vor mir stand mein Sohn sein könnte.
Wenn dem so wäre hatte Mark mir definitiv alles zu erklären, was er so angestrengt versuchte vor mir zu verstecken. Ohne zu überlegen zog ich den Jungen vor mir in eine Umarmung. Als ob es um sein Leben ging hielt er sich an mich fest und vergoß schniefend und herzzereißend schluchzend Tränen. Diese Geste fühlte sich so vertraut an, nicht so wie wenn Mark und ich uns Umarmten. Zwischen Jungsoo und mir muss es eine Verbindung geben, die sich nur auf meine offentsichtliche Vermutung zurückführen ließ. Wenn ich Mark umarmte fühlte es sich irgendwie fremd an, als würde mein Kopf seine Nähe abstoßen, mein Herz sie allerdings gutmütig zulassen. Bei Jungsoo streikte mein Kopf nicht, er sagte mir es sei richtig ihn hier zu haben, da ich ihn kannte, da er sogar mein Sohn sei, aber wie konnte es denn möglich sein?
"Ich will mich endlich an dich erinnern können." murmelte ich und schloss die Augen einen Moment. Es herrschte totenstille. "Das wirst du bestimmt Mom." schniefte er und nahm Abstand von mir, als er merkte, wie er mich genannt hatte. Geschockt hielt er sich die Hand vor seinen Mund und riss die Augen auf. "Ich...das... Ich wollte das nicht sagen, das ist mir rausgerutscht." stammelte er mit der Hand vor dem Mund und wollte sich an mir vorbei drängen. Ich hielt ihn auf und zog ihn wieder in eine Umarmung. "Bitte erzähl mir, wer ich wirklich bin." bat ich den Jungen, der mein Sohn zu sein schien leise und ließ wieder von ihm am. Grade als er anfangen wollte zu sprechen hörte ich die Schlüssel in der Haustür.
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