Stay with You
Mark war nett, wirklich nett. Er sah auch ganz nett aus. Aber Verhalten und Charakter sollte man nicht im Aussehen beurteilen, aber bei Mark passte es. Es tat mir leid, dass ich mich nicht im geringsten an ihn und unser gemeinsames Leben erinnern konnte und deutlich merkte ich ihm an, dass er es traurig fand, doch er spülte das ganze gelassen runter.
Die ganze Zeit redete er munter über sein, unser Leben und versprach mir, dass er alles machen würde, damit es wieder genau so werden würde, auch wenn ich etwas gehandikapt wäre. Mit der richtigen Protese, so meinten die Ärzte, würde ich alles im alltag wieder ordentlich ausleben können, doch erstmal hieß es noch eine ganze Weile im Krankenhaus zu bleiben, um zu schauen ob es bis auf die starke Amnesie noch weitere Folgeschäden gegeben hatte.
"Wo genau sind wir eigentlich?" fragte ich Mark und spielte mit seinen Fingern. Er meinte ich hatte den Unfall in der Schweiz, in den Alpen, doch als eine der Krankenschwestern heute Morgen die Jalousien hoch gezogen hatte war von Schnee und Bergen nichts zu sehen. Mark lächelte und fuhr sich durch die Haare, die er über die wenigen Tage dunkelbraun gefärbt hatte. Erst hatte ich ihn gar nicht erkannt, als ich am Morgen aufwachte und er mit dem Rücken zu mir stand, um aus dem Fenster zu sehen. "In St. Peter Ording. Einer Stadt in Deutschland, direkt an der Nordsee." erzählte er mir und sah zu dem Fenster. "Wenn du hier am Fenster stehst, kannst du direkt auf das Watt sehen." ließ er mich wissen. Verwundert sah ich ihn an.
Hatte er mich extra hier her bringen lassen? "Ich dachte es wäre eine bessere Gegend, als der ganze Schnee und noch dazu ist das hier Erholungsgebiet und das Krankenhaus hier eines der besten in Europa." beantwortete sich meine Frage von selber. Mit aller Kraft setzte ich mich auf und versuchte einen Blick aus dem Fenster zu erhaschen, doch bis auf den blauen und Wolkenlosen Himmel sah ich rein gar nichts. Ich ließ mich ein wenig frustriert ins Kissen zurück fallen.
Einfach so gesagt zu bekommen, dass man ein Bein weniger hatte war definitiv nichts was man seinem besten Feind wünschte. Ich war komplett auf Mark angewiesen, wenn er hier war, und auf die Krankenschwestern. Immer wenn ich ins Bad musste, wurde ich auf einen Rollstuhl gesetzt, die zwei Meter ins Bad gerollt und wenn ich fertig war, wurde ich in den Rollstuhl zurückgehievt und wieder ins Bett gelegt. Ich wollte nicht mehr von allen abhängig sein und endlich wieder selber stehen, doch mein anderes Bein hatte mächtig an Muskeln verloren, weshalb zweimal am Tag ein Physiotherapeut kam und mit mir sämtliche Muskelaufbauende Übungen machte, bei denen ich immer versuchte auch das Bein zu bewegen, bei dem knieabwärts nichts mehr war. Phantombein, nannten es die Ärzte. Ich stellte mir vor mein Bein noch zu haben, fühlte es, doch wenn ich danach sah, war da nichts mehr.
"Soll ich dich ans Fenster heben?" fragte Mark mit einem lächeln um seine Lippen. Ich schüttelte den Kopf, doch er hatte mir vorgegriffen, in dem er die Decke von mir nahm und mich auf seine Arme hob. Er lief die wenigen Schritte bis zum Fenster mit mir und stellte mich vorsichtig auf meinem einen Bein ab. Es fühlte sich ungewohnt an und ich hatte das Gefühl weg zu brechen, doch Mark stand hinter mir und hiet mich, gab mir Rückenstütze, so dass ich nich umkippte.
Vor mir erstreckte sich eine gigantische Sandfläche, die, je weiter es in die Ferne ging, grauer, dunkler und fützendurchzogener wurde. Irgendwo in der Ferne waberte das Wasser und wartete nur darauf in der nächsten Flut wieder an den Strand zu fließen. Ab und an sah landte eine Möwe auf einer kleinen Grasfläche im Sand, sie pickten kurz an den Pflanzen herum und flogen schließlich weiter. Der Ausblick war einfach nur beeindruckend und wunderschön.
"Sobald du richtig auf den Beinen stehst und laufen kannst, machen wir einen Spaziergang am Strand." versprach Mark mir und legte seinen Kopf auf meinem ab. Ich nickte und lächelte leicht, als ich mir vorstellte Teil dieser riesigen Landschaft vor mir zu sein und sie näher ansehen zu können, doch das konnte noch dauern.
An der Zimmertür klopfte es und Mark setzte mich eilig in den Rollstuhl, der im Zimmer stand, um an die Tür zu gehen und sie zu öffnen. Er hatte nichts von Besuch erwähnt, deshalb überraschte es mich, als nochjemand im Raum auftauchte. Wie es nicht anders sein konnte, kannte ich sein Gesicht nicht und auch keinen Namen und keine Erinnerungen dazu.
Er war, wie Mark, asiatischer Abstammung, wirkte vom optischen allerdings nicht ganz so freundlich wie Mark, sah aber dennoch gut aus. Seine Arme waren ziemlich voll tättoowiert, aber das was man bei den halblangen Ärmeln erkennen konnte, sah wirklich nicht schlecht aus. Die Motive waren überwiegend schlangenähnliche, hellgraue, ineinander verschlungene Drachen und vereinzelt ein paar, bestimmt chinesische, Schriftzeichen.
Mit einem undeutbaren Ausdruck musterte er mich und lief schließlich auf mich zu. "Tao." stellte er sich vor und hielt mir die Hand hin. Zögerlich nahm ich sie und erwiederte den Händedruck. Da er mich bestimmt kannte, brauchte ich mich wohl auf nicht vorzustellen. "Wie gehts dir Clari?" wollte er wissen und lehnte sich lässig gegen die Wand. Er kannte mich.
Ich nickte. "Ich würde sagen gut." antwortete ich und spielte an den Enden von Marks Strickjacke herum, die er mir hier gelassen hatte, falls mir kalt werden sollte und ich was zum überziehen bräuchte. "Hört sich gut an." Tao lächelte und wendete sich Mark, meinem, vor dem Unfall, wohl Ehemann, zu. "Wann wird sie entlassen?" fragte er ihn.
"Kann dauern. Ihr geht es zwar dementsprechend gut, aber die Ärzte wissen noch nicht, ob sie, bis auf den Gedächtnisverlust, weitere Schäden hat. Noch dazu kommt ihr Bein." erklärte Mark. "Tut mir leid was passiert ist." bedauerte Tao und seufzte. "Du hast echt Glück, dass es deinem Nachwuchs gut geht." er deutete mit dem Kinn auf meinen Bauch. Wie automatisch fuhr ich über die Erhebung, in der nach und nach Leben heranwuchs.
Tao lächelte erneut, doch noch immer lag etwas unbeschreibbares in seinen Augen, was ich nicht deuten konnte. Vielleicht bildete ich es mir auch nur ein und er schaute immer so aus. Ich konnte mich ja schließlich nicht an ihn erinnern, da könnte das gut möglich sein. "Wisst ihr schon was es wird?" fragte er und sah zwischen mir und meinem Mann her. Beide schüttelten wir den Kopf. "Wird morgen festgestellt." teilte Mark mit einem strahlenden lächeln mit und sah mich mit brauenen funkelnden Augen an. Ich erwiederte sein lächeln.
"Wäre cool, wenn es n Junge werden würde." grinste Tao und ließ sich auf einem Stuhl nieder. Mark stimmte ihm sofort zu. "Die werden wenigstens nicht so zickig." kommentierte er. "Wenn ich ehrlich bin, ist mir das gleich. Hauptsache es ist gesund und munter." mischte ich mich ein und seufzte.
Tao und Mark fingen an sich zu unterhalten, während ich nur im Rollstuhl saß und ihnen zuhörte. Es flogen sämtliche Namen durch die Luft, doch keiner von ihnen weckte Erinnerungen in meinem Hirn. Ab und zu erklärte Mark mir, wer der ein oder andere war, doch ich hörte nur mit dem halben Ohr hin und starrte stadessen aus dem Fenster in das Wattenmeer vor meinen Augen.
Irgendwann verschwand Tao wieder und wünschte mir gute Besserung und alles gute und so weiter. Mark setzte mich wieder ins Bett und legte sich vorsichtig neben mich. "Woher kenne ich Tao?" wollte ich von meinem neben mir wissen und sah ihn an. Mark lächelte und sah mich an. "Er ist ein guter Freund von uns. Ihm gehört ein Tattoostudio in Hamburg, in dem du als Designer gearbeitet hast." erklärte er mir. Verwundert blinzelte ich. Ich hatte an mir nirgends ein Tattoo finden können. Jetzt lachte Mark. "Du hast keine Tattoos, aber du kannst wirklich gut zeichnen. Tao hat dir mal vorgeschlagen bei ihm anzufangen und du hast zu gestimmt." klärte er meine unausgesprochene Frage. "Was machst du?" fragte ich ihn. "Mir gehört ein kleines Entertainment hier in Deutschland und ich model ab und an mal." ließ er mich wissen.
Jetzt lachte ich. "Was ist so witzig daran?" wollte er wissen. Eigentlich nichts, weil Mark wirklich gut aussah und echt Modelpotential hatte. "Ich dachte bei deinem Beruf an etwas... ich weiß nicht." stammelte ich herum und lehnte mich ins Kissen zurück. "Seh ich denn so schlecht aus, dass ich kein Model sein könnte?" reagierte er. Ich schüttelte mit dem Kopf. "Nein. Du siehst gut aus, wirklich gut." Ich wurde puderrot und hielt mir meine Wangen.
"Das muss dir doch nicht peinlich sein. Ist nicht das erste mal, dass du in meiner Nähe rot wirst." meinte mein Mann und nahm meine Hände von den Wangen. "Das ist aber peinlich." hielt ich dagegen und mir wurde im Gesicht noch wärmer. "Wenn unser kleines ein Mädchen wird, hoffe ich sie wird wie du." meine Mark, ließ meine Hände los. "Ich hoffe sie wird so wunderschön und unglaublich toll wie du." flüsterte er und fuhr mit einer Hand über meinen Bauch.
Die plötzliche peinlichkeit verschwand. Ich lächelte und fuhr selber mit meiner Hand über meinen Bauch. Mark setzte sich auf, rutschte nach vorne und beugte sich über meinen Bauch. "Du bist wahrscheinlich nicht mal in der Lage uns zu hören, kleines. Aber es muss tatsächlich Engel geben, Schutzengel, denn genau die haben über dich und deine Mutter gewacht. Ich bin so unglaublich froh, dass ihr beide überlebt habt." sprach er an das Kind in mir gerichtet und lächelte herzzerreißend schön. "An all die Engel da oben im Himmel, danke, dass ihr mir meine Familie am Leben gelassen habt." dankte er und hatte tränen in den Augen.
Nur schwer konnte ich erahnen was er durchgemacht hatte, während ich im Koma mit meinem Leben kämpfte, doch es musste schrecklich sein zu wissen, dass ich jeden Moment hätte nicht mehr da sein können, selbst wenn meine Werte noch so gut waren.
"Ich freu mich schon so sehr dir mit deiner Mutter die Welt zu zeigen, in der du Leben wirst, auch wenn sie ihre Schattenseiten hat." sprach er weiter und sah mich fragend an. Ich nickte. "Wir werden dir diese Welt so angenehm und sicher machen, wie nur möglich." versicherte ich meinem Kind und legte meine Hand auf Marks, dem eine weitere Träne über die Wange lief. Mit meiner anderen Hand wischte ich sie weg und lächelte ihn an. Ich war mir sicher, er würde ein guter Vater werden, würde unser Kind jeden Wunsch von den Lippen ablesen und immer für es da sein.
Mark richtete sich wieder auf und legte sich wieder neben mich. Meinen Kopf lehnte ich gegen seite Brust, während er einen Arm um mich legte und über meinen Arm strich.
"Clarissa?" Ich sah in die Augen meines Mannes und Vater meines Kindes. Mit seiner anderen Hand strich er mir sanft eine Strähne hinter mein Ohr und sah mich mit brauenen und zuversichtlichen Augen an. "Ich weiß, du kannst dich an mich nicht erinnern, und das mache ich dir nicht zum Vorwurf, könnte es nie. Aber ich will, dass du weißt, dass ich dich liebe. Egal was mit dir passiert ist und egal, ob du wie jetzt in meinen Armen liegst oder ich dich am Fenster hier halte und du verträumt aus dem Fenster siehst. Ich liebe dich so wie du bist und auch, wenn du dich jetzt anfangen solltest durch all das zu verändern. Was auch immer passiert ich bin für dich da." gestand er und strich eine weitere Strähne weg. "Mark..." er unterbrach mich. "Du musst mein 'ich liebe dich' nicht erwiedern, wenn es noch nicht geht, wenn deine Gefühle für mich noch nicht da sind." hielt er mich ab.
Was genau Empfand ich eigentlich für ihn? Eine Frage die plötzlich auftauchte und mir innerlich ein wenig unruhe brachte. Doch eigentlich lag die Antwort doch auf der Hand. Wir waren verheiratet und in mir wuchs unser Kind heran. Dass alles wäre nicht passiert, wenn ich ihn nicht lieben würde, also müsste ich auch Liebe für ihn empfinden, auch wenn ich vergessen hatte, wer er war und dass wir verheiratet waren.
Ich schätzte ihn dafür, dass er mir meinen Erinnerungsschwund nicht vorenthielt, mich nicht dazu zwang, mich an irgendetwas zu erinnern, sondern mir einfach meine Zeit ließ und mir meine Fragen beantwortete, die ich ihn stellte, wenn er mir etwas von vor dem Unfall erzählte, doch dennoch musste ich ihn wieder besser kennenlernen, sollte ich wohl auch, schließlich waren wir lange zusammen, da gab es bestimmt eine Menge über ihn zu wissen.
"An was denkst du Clari?" wollte Mark wissen. "An dich." antwortete ich sofort und spürte meine Wangen wieder rot werden. "Du bist niedlich wenn du rot wirst." flüsterte er und war meinem Gesicht auf einmal verdammt nah. Sanft strich er mit seinen Daumen über meine Wangen und betrachtete mich mit einem verträumten lächeln.
Meine Augen waren wie gefangen von seinen. Sie strahlten das Gefühl von Geborgenheit und Schutz aus und auch Freude und Hoffnung. Ich musste zugeben, dass ich mich in seiner Nähe wirklich wohl fühlte und ich mir durchaus vorstellte, dass wir zusammen gut funktionierten und es auch noch immer würden, wäre da nicht der Unfall gewesen.
Marks Lippen waren bestimmt nur noch wenige Millimeter von meinen getrennt. Einer von uns hätte sich nur vorlehnen brauchen, ganz leicht, dann hätten sie sich berührt. Ich atmete die Luft aus, die ich unbewusst angehalten hatte und versuchte normal zu atmen und mir meine Aufregung nicht anmerken zu lassen. Die braunen Augen meines Mannes lagen noch immer unbeirrt auf mir und schienen mich auch nicht los lassen zu wollen, mir ging es nicht anders. Ich verlor mich in Marks Augen.
Er blinzelte ein paar mal und entfernte sich plötzlich von mir. Aufeinmal lag etwas ganz anderes in seinen Augen. Trauer. Bestimmt war er traurig, dass ich ihn vergessen hatte, mich nicht an ihn und an unsere Zeit erinnern konnte, so wie er es sich wünschte. Auch mir tat es weh. Ich wollte mich wieder erinnern, wirklich. Doch in meinem Kopf war diese schwarze hohe Mauer zu meinen Erinnerungen, die ich nicht überwinden konnte, egal wie sehr ich es die letzten, bestimmt sechs Tage, versucht hatte.
"Tut mir leid." flüsterte ich und zog die Decke hoch, um mich in ihr verstecken zu können. Mark hielt mich auf. Eine Träne lief aus seinen Augen. "Wofür entschuldigst du dich Clari?" wollte er wissen, rieb sich die Träne weg und zwängte sich ein Lächeln auf. "Dafür, dass ich mich an nichts erinnern kann. Dafür, dass ich dir nicht das geben und sagen kann, was du von mir erwartest. Ich seh, dass es dir weh tut und das tut mir leid." sprach ich meine Gedanken der letzten Tage aus und hielt mich von Marks Augen fern. "Dafür musst du dich nicht entschuldigen. Du wirst bestimmt wieder und deine Erinnerungen kommen auch wieder und wenn nicht, dann lernst du mich erneut kennen, die Menschen mit denen wir befreundet sind und die Welt. Das wäre das letzte, das allerletzte, wofür du dich entschuldigen müsstest." schniefte er und zog mich an sich. "Wenn dann müsste ich mich entschuldigen." murmelte er. "Ich hätte soviel verhindern können, doch ich stand nur dumm und geschockt daneben und konnte nichts tun." schob er sich die Schuld zu. "Ich hätte auch auf dich hören können, als du meintest, ich solle kein Ski fahren." flüsterte ich.
Mark seufzte. "Das meine ich nicht. Ich hätte es aufhalten können, dann würden wir hier jetzt nicht liegen und wirklich alles wäre wieder beim alten." seine Stimme hatte reue im Ton, reue die von dem Geschehenen kam und auch von etwas anderem, was deutlich zu hören war, doch vielleicht war es auch nur Einbildung, die sich in meinen Kopf schlich.
Den ganzen Tag blieb Mark bei mir, so lange wie die Besucherzeiten waren, doch irgendwas an ihm hatte sich verändert. Wenn wir uns unterhielten hatte er immer einen niedergeschlagenen Ton in der Stimme, als würde ihn irgendwas bedrücken, ihn von innen Mental annagen, doch wenn ich ihn fragte, was mit ihm sei, schob er es immer zur Seite und versuchte mich irgendwie abzulenken.
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