Pictured Things
Sinnlos strackste ich auf meiner Prothese und meinem ganzen Bein durch die Wohnung. Mark war einkaufen und wollte nicht, dass ich mit ihm mit komme. Er war, seit ich Zuhause bleiben sollte total Merkwürdig geworden. Klar ich verstand, dass er sich sorgen um mich machte, aber das hieß nicht, dass er mich den ganzen Tag hier weg sperren konnte.
Aus langerweile lief ich in sein Arbeitszimmer, ein Raum den ich bis jetzt nur mit Kisten vollgestapelt gesehen hatte. Doch jetzt war er ordentlich und aufgeräumt. Nichts erinnerte mehr an das Kisten Chaos vor gut zwei Monaten. Direkt als ich reinkam begrüßte mich ein großer Glasschreibtisch. Auf ihm standen einige Becher mit Bleistiften, Füllern und Kugelschreiber, das größte auf dem Tisch war ein dicker Ordner, der auf einer Seite aufgeschlagen war. An den Wänden reihten sich Regale die mit allen möglichen Büchern und Ordnern zugestopft waren. Durch ein großes Fenster drang Licht in den modernen Raum hinein.
Ich schloss die Tür hinter mir und machte ein paar Schritte in den Raum und zum Schreibtisch hin. Mark würde so schnell nicht wieder vom Einkauf zurück kommen, es dauerte Stunden bei ihm, wie ich schnell gemerkt hatte. Seufzend ließ ich mich auf dem gigantischen schwarzen Lederdrehstuhl nieder und schwankte eine weile in ihm von links nach rechts, bevor der Ordner auf dem Tisch wieder meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Wider erwarten waren es keine abgehoftenen Rechnungen oder Verträge oder sonst was, was Mark bei seinem Job abzuheften hatte, es waren Bilder. Bilder aus Marks Kindheit.
Er hatte sich kein bisschen verändert. Seine Gesichtszüge und das Lächeln blieben in all den Bildern, die ich durchstöberte, ein und das selbe, jedoch hielt ich bei einem Bild an. Zur Abwechslung sah man nicht nur Mark und seinen Vater, oder gleichaltrige Freunde, als er wohl auf der Schule war. Auf dem Bild was ich jetzt aufgeschlagen hatte stand ein wesentlich kleinerer Junge neben ihm. Die beiden wirkten glücklich und eng vertraut zu einander. Der kleinere und jüngere musste wohl Marks kleiner Bruder gewesen sein. Er war bei einem Unfall gestorben, hatte mir Mark erzählt. Die beiden wirkten auf dem Bild so, als könnte sie nichts auseinander reißen, als wären sie für immer aneinander gebunden und würden sich unter die Arme greifen, würde der andere mal fallen.
Je länger ich das Bild der beiden betrachtete, umso bekannter schienen mir die Züge des jüngeren zu werden. Ich hatte das Gefühl diese Teddyaugen, die der kleinere hatte, irgendwo schon mal gesehen zu haben. Es war vollkommen absurd. Ich kannte Marks Bruder nicht mal, laut seinen Worten waren wir Jahre nach seinem Tod zusammen gekommen, aber ich hätte ihn doch trotzdem mal sehen können. Ich blätterte weiter. Die Bilder mit dem Bruder wurden jetzt häufiger und um so mehr ich sah, umso bekannter kam mir der kleinere vor. Augen, bei denen wohl nie jemand ein nein von sich geben könnte, bereits in jungen Jahren, zwischen sechs und zwölf, Lippen die voll wirkten. Bestimmt wäre Kylie Jenner neidisch auf sie gewesen, wäre dieser arme Junge heute noch am Leben. Er sah wirklich niedlich aus, schien aber auch frech zu sein, was auf manchen Bilder das schalkige funkeln in seinen Augen verriet. Gerne hätte ich ihn kennengelernt, hätte diese großen braunen Augen nicht nur auf Bildern betrachtet, aber an dem Tod einer Person konnte man nichts ändern.
Seufzend klappte ich den Ordner zu und suchte nach weiteren Bilderalben. Ich wurde fündig und stöberte sie durch, aber was mich wirklich unruhig machte war, dass ich keine Bilder unserer Hochzeit fand, die doch auch irgendwo hier sein müssten. Er hätte sie aber auch gut auf einem Laptop speichern können. Ich nahm mir vor meinen Mann nach diesen Bildern zu fragen, sobald er wieder hier sein würde. Mir kam Marks kleiner Bruder wieder in Gedanken. Es muss wirklich schrecklich gewesen sein, erst seinen Vater zu verlieren und dann auch noch das andere Teil, was ihm von seiner Familie noch geblieben ist. Bestimmt wäre er durchgedreht, hätte er Lola und mich auch noch verloren, wenn nicht ein Engel gnade walten gelassen hätte und uns zurück ins Leben gerufen hätte.
Ich stand von dem Drehstuhl auf und sotierte die Bilderordner wieder so zurück, wie ich sie gefunden hatte. Den der auf den Tisch lag, schlug ich auf der selben Seite auf, wie ich ihn vorgefunden hatte. Kaum hatte ich Marks Zimmer verlassen hörte ich, wie die Schlüssel im Wohnungstürschloss klimperten. Ich eilte in das Kinderzimmer und tat so, als würde ich selig lächelnd die Sachen unserer zukünftigen Tochter betrachten. Etwas was auch immer seltsamer wurde, immer wenn ich in das Zimmer trat, war es als hätte ich ein Deja vu, als wäre ich schonmal in ein Mädchenzimmer getreten, aber es sah anders aus, als das vor meinen Augen.
"Hey ihr zwei." flüsterte Mark und umarmte mich von hinten, seine Hände lagen sachte auf meinem Bauch. Ich lächelte und lehnte meinen Kopf gegen seine Schulter. "Na du?" erwiederte ich. Mein Mann gab mir einen Kuss auf die Wange und zog mich ein wenig näher an sich heran. "Noch drei Monate." meinte er, das Lächeln deutlich in seiner Stimme zu hören. "Noch drei Monate und wir sehen unseren Engel." sprach er weiter und lachte leise. "Bald bist du bei uns Lola." lächelte ich und legte meine Hand auf eine von Marks. Aufeinmal zuckte etwas unter Marks Hand. Verwundert trafen sich unsere Blicke. "Du hast das auch gespürt oder?" fragte er mich und wie aufs Stichwort zuckte es erneut in meinem Bauch, diesmal etwas stärker, sodass ich es richtig in meinem Bauch spüren konnte. "Hallo Lola." flüsterte mein hinter mir und hatte ein wunderschönes, seliges Lächeln auf den Lippen. Wieder zappelte es. "Sie scheint uns zu hören." sprach ich leise und sah auf Marks und meine ineinander verschränkte Hände. "Bestimmt." Marks Hand kreiste über die Stelle, an der Lola eben noch gezappelt hatte. "Ich kann es kaum erwarten, bis sie endlich bei uns sein wird." murmelte ich zufrieden und ließ meinen Blick durch das Zimmer schweifen. "Geht mir nicht anders." bestätigte Mark.
Wir verließen das Zimmer wieder und ich half Mark dabei die Einkäufe in die Küche einzuräumen, wobei ich mir sofort eine Tafel Schokolade sicherte und mich auf das Sofa verzog. Mit einer Tüte Chips folgte Mark mir und stellte den Fernseher an. "Wohl kein Abendbrot?" ich schob mir ein Stück Schokolade in den Mund. "Kein Abendbrot." bestätigte ich und kuschelte mich an ihn. Mein neben mir zappte durch die englischen Sender, die sich in unserem Programm befanden, aber auf keinem lief etwas vernünftiges. Auf einem Musiksender lief das Video zu 4'o Clock, doch Mark schaltete ohne jegliche Regung weiter. "Was willst du sehen?" fragte er und stellte auf Netflix um. Ich zuckte mit den Schultern und seufzte. Eilig switchte mein Mann durch die Film- und Serienkategorien, während mal wieder diese merkwürdigen Kopfschmerzen anfingen mich zu plagen:
"Lass uns nen Film schauen." schlug er auf einmal vor.
"Sowas wie Chihiros Reise ins Zauberland oder das Schloss im Himmel." nannte er. Mein Plan aus dem Zimmer zu verschwinden war nun misslungen. Ich war zwar nie wirklich Anime Fan, aber Filme von Hayao Miyazaki liebte ich seit meiner Kindheit. Jeder Film von ihn hatte das gewisse Etwas an sich, was mich auch heute noch immer in meine Kindheit zurück versetzte. "Beide." beharrte ich und wendete mich von der Tür ab. "Meinetwegen so viele du willst. Solange du dieses Zimmer nicht mehr verlässt und mit mir kuschelst." stimmte er mir breit grinsend zu und holte den Laptop von der Plattform über seinem Bett. Ich schmiss mich aufs Bett, während mein Freund das Zimmer verdunkelte und den Laptop vor mich stellte.
Er kletterte neben mich und zog eine große flauschige Decke über uns, bevor er den hell leuchtenden Laptop auf seine Beine stellte und die Filme suchte. Zufrieden seufzend legte ich meinen Kopf gegen seine Schulter, während er den Mauszeiger durch Ordner fliegen ließ. "Können wir Totoro als erstes schauen?" bettelte ich leise, als er den Ordner mit Hayao Miyazaki Filmen gefunden hatte. Er lachte leise und ich spürte wie er nickte.
"Ich wollte früher immer einen Totoro. Als ich fünf oder so war habe ich Stundenlang im Garten unseres Hauses gestanden und hab mir vorgestellt wie Totoro zusammen mit mir die Pflanzen Wachsen lässt." erzählt mein neben mir und lachte erneut. Ich lächelte schwach. Er redete nicht viel über seine Kindheit und wenn er davon sprach waren es nur gute Erinnerungen, doch an seinem Gesicht oder die Art wie er sprach, merkte man, dass es nicht immer so toll war, wie er es versuchte zu schildern. "Mark hat versucht mir zu erklären, dass es ihn nicht geben würde. Doch sein Vater meinte, so lange wie ich an Dinge glauben würde die mich glücklich machen, würden sie auch weiterhin existieren." sprach er weiter und ich spürte seinen Blick auf mir ruhen. Mein lächeln wurde breiter und ich schielte zu ihm hoch.
"Dann werden wir ja weiterhin zusammen existieren." flüsterte ich und verband unsere Lippen zu einem kurzen und zärtlichen Kuss. "Ich hatte damals Angst vor Restaurants. Ich dachte immer wenn wir in einem waren, dass sich meine Eltern beim Essen jeden Moment in ein Schwein verwandeln würde und ich von Hakku weggeschickt werden würde." erzählte ich ihm leise lachend von meiner Kindheit.
Er lachte ebenfalls und ließ dann den ersten Film loslaufen. Ich weiß nicht wie viele Filme wir sahen, aber mit jeder Sekunde, die nach Mein Nachbar Totoro verging, wurde ich immer müder und schlief schließlich eng an meinen Freund gekuschelt ein.
Ich sah zu Mark neben mir, während die Kopfschmerzen und der überkommende Tagtraum abklang. Der Junge, wieder war sein Gesicht nicht zu sehen, wieder nahm ich es nur verschwommen war, aber er hatte Mark erwähnt. Wer auch immer er war, musste etwas mit meinem Mann zu tun haben. Aber wieso träumte ich nicht von Mark an sich? Ich müsste mich doch anfangen wieder an ihn zu erinnern und nicht immer diese komischen Träume bekommen, die sich immer und immer wieder so vertraut und real anfühlten, als wäre es tatsächlich einmal so passiert.
Mark skippte genau an einem der Filme vorbei die ich in meinem Traum mit dem Jungen wohl so sehr geliebt hatte. Wir beide schienen eng miteinander vertraut, nicht so wie beste, gute Freunde, sondern so, als wären wir zusammen gewesen. War ich vor Mark mit einem seiner Freunde zusammen? Fiel deshalb sein Name in meinem Traum?
"Den!" ich zeigte auf Mein Nachbar Totoro und bekam ein belustigtes Lachen von Mark. "Clari, das ist ein Kinderfilm." spottete er. Ich zuckte mit den Schultern. "Wir haben ein Kind unter uns, da können wir nicht so nen Scheiß, wie Horrorfilme oder so schauen." argumentierte ich, da ich nicht wirklich den Drang verspürte Mark von meinem Traum zu erzählen. Als ich ihm das letzte mal von einem erzählt hatte, wirkte er total abweisend, als würde er sich nichtmal dafür interesieren, dass ich wohl Erinnerungsschübe hatte, die ich aber nie wirklich als diese identfizieren konnte. "Stimmt, Horror wäre für Lola gar nicht gut." murmelte er und wählte den Film aus.
Gott, war der Film niedlich. Es hatte nicht geschadet, dass ich auf meinen kurzen, plötzlichen Traum vertraute und mich für diesen entschied, nur Mark schien wirklich gelangweilt zu wirken und hing die ganze Zeit am Handy. Während des Filmes schielte ich auf sein Handydisplay, es war zwar nicht wirkich höflisch, aber ich wollte einfach wissen, was ihm wichtiger war, als ein Filmabend mit mir.
Er schrieb sich mit Luhan, das erkannte ich am Namen des Whatsapp Kontakts. Mark tippte grade eine Nachricht wärend ich den bisherigen Chatverlauf las.
Der Junge scheint zu merken, was hier abgeht.
Kam es von Luhan.
Versucht Ausreden zu finden, er ist Naiv und ist nur darauf aus nach Hause zu kommen. Er würde deinem Sohn aus der Hand fressen.
Hatte Mark geantwortet. So wie sie über diese Person schrieben, schien es mir nicht wie jemand, den sie sonderlich mochten. Meine Augen flogen dennoch zur nächsten Nachricht.
Er fragt zu viel. Ich muss selber aufpassen, dass ich mich nicht verhasple, wenn es um Theresa geht und Yuhan hat die schnauze voll von ihm.
Zu gerne hätte ich gefragt, um was für ein Problem es bei den beiden ging, doch nur sperrlich konnte ich denken, dass es zum Teil um Jungsoo ging. Wenn er nach Hause wollte, wieso ging er dann nicht einfach? Luhan müsste ihn doch nicht bei sich halten. Aber wer verdammt nochmal war Theresa? Vielleicht hatte Yuhan gemerkt, dass Jungs auf dauer doch nichts für ihn waren und er hatte sich in ein Mädchen verliebt, konnte Jungsoo aber nicht abweisen.
Sie fragt auch viel, aber lässt sich leicht ablenken. So lange sie dem jeweils anderen nicht weiter vor die Augen laufen können wir alles noch aufrecht halten...
Mark schaltete sein Handy aus und ich wanderte mit meinen Augen wieder zum Film, während ich nicht glauben konnte, dass Mark tatsächlich mit zu helfen schien, die Affäre eines Teenagers zu verheimlichen, der eigentlich schwul war und einen Freund hatte, den ich von irgendwo her zu kennen schien, doch diese Diskussion hatte ich mit Mark schon lange aufgegeben.
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